Epilepsien haben ihren Ursprung im Gehirn, wobei verschiedene Ursachen als Auslöser in Frage kommen. Es besteht jedoch Verwechslungsgefahr zwischen den eigentlichen Auslösern einer Epilepsie und den Triggern einzelner Anfälle. Während Trigger wie Flackerlicht, Alkohol oder Schlafmangel Anfälle provozieren können, sind die eigentlichen Ursachen im Gehirn und Stoffwechsel der Betroffenen zu suchen.
Definition und Unterscheidung von Anfällen
Das Krankheitsbild Epilepsie ist dadurch definiert, dass Krampfanfälle auch ohne erkennbare Auslöser auftreten. Treten Anfälle ausschließlich bei Provokation oder unter bestimmten Umständen auf, handelt es sich nicht um epileptische Anfälle.
Ursachen von Epilepsie
Jedes Ereignis, das einen Schaden im Gehirn verursacht, kann ein potenzieller Auslöser für ein epileptisches Anfallsleiden sein. Die Medizin unterscheidet strukturelle, infektiöse, metabolische, genetische und immunologische Ursachen.
Strukturelle Ursachen
Strukturelle Veränderungen am Gehirn entstehen beispielsweise durch Schlaganfälle oder Tumore. Diese Veränderungen können zu erhöhtem Hirndruck oder Durchblutungsstörungen führen, die epileptische Anfälle begünstigen. Narben im Gehirn, beispielsweise nach Geburtsschäden, Schlaganfällen, Unfällen oder Entzündungen, können ebenfalls zu einer Übererregbarkeit mit fokalen Anfällen führen. Ein Teil dieser Fehlbildungen betrifft beide Hirnhälften und manchmal die gesamte Hirnrinde (Pachygyrie, Lissenzephalie, beidseitige Polymirkogyrie, Bandheterotopie). Andere Fehlbildungen sind regional begrenzt und verursachen fokale Anfälle aus dieser Region (umschriebene Polymikrogyrie, noduläre Heterotopie). Eine besondere Rolle spielen die fokalen kortikalen Dysplasien, die eine häufige Ursache schwer behandelbarer fokaler Epilepsien im Kindesalter sind.
Infektiöse Ursachen
Infektionen des Gehirns können unter anderem durch Viren oder Bakterien hervorgerufen werden.
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Metabolische Ursachen
Metabolische Veränderungen, die den Stoffwechsel betreffen, stehen beispielsweise mit seltenen Stoffwechselerkrankungen wie der Phenylketonurie in Verbindung.
Immunologische Ursachen
Bei den immunologischen Ursachen handelt es sich um Entzündungsvorgänge im Gehirn, beispielsweise wenn die eigene Körperabwehr das Hirngewebe angreift und es zu einer Hirnhautentzündung kommt.
Genetische Ursachen
Manche Menschen haben eine stärkere Veranlagung zu epileptischen Anfällen als andere. Die Forschung geht davon aus, dass bei diesen Patienten ein oder mehrere Gene defekt sind, die als Ursache der Epilepsie anzusehen sind. Häufig sind die betroffenen Gene nicht bekannt, und es müssen bestimmte Gen-Konstellationen vorliegen, damit es zu einer Epilepsie kommt. Daher sind diese Epilepsie-Ursachen meist nicht vererbbar, auch wenn sie neuerdings als genetische Epilepsien bezeichnet werden.
Kryptogene Epilepsien
Zusätzlich gibt es sogenannte kryptogene Epilepsien, die heute schlichtweg als Epilepsie mit unbekannter Ursache bezeichnet werden. Sie erfüllen die Kriterien wie Anfallshäufigkeit von nicht-provozierten Anfällen, nach denen eine Epilepsie laut Leitlinie definiert und von anderen Anfallsleiden abgegrenzt wird, jedoch ohne erkennbare strukturelle, immunologische, genetische, metabolische oder infektiöse Ursache.
Genetische Epilepsien im Detail
Die Nervenzellen und/oder deren Netzwerk sind von ihrem genetischen Programm her übererregbar. Betroffene tragen eine Veranlagung zur Epilepsie in sich, was als "genetische Epilepsie" bezeichnet wird. Der Begriff "genetisch" ist nicht mit "Erbkrankheit" gleichzusetzen. Die wenigsten Epilepsien wurden als Gendefekt (also Mutation in einem für die Hirnfunktion wichtigen Gen mit der Folge einer Übererregung) ererbt. Mittels genetischer Diagnostik (in Blutzellen) können selten Abweichungen der Chromosomenzahl (z. B. Trisomie 21) festgestellt werden. Größere Verluste von genetischem Material oder ein abnormer Zugewinn (copy number variations) können mit der sogenannten Array-CGH festgestellt werden. Meist sind dann mehrere bis viele verschiedene Gene betroffen. In aller Regel sind diese Veränderungen schicksalhaft spontan entstanden und nicht ererbt. Eine Untersuchung der Eltern kann sinnvoll sein, um zu prüfen, ob bei ihnen dieselbe Veränderung vorliegt. Solche copy number variations können, da sie sich in allen Körperzellen finden, vom Betroffenen weitervererbt werden.
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Von den etwa 20.000 Genen, die wir in jeder Körperzelle in uns tragen, haben tausende mit der Gehirnfunktion und -entwicklung zu tun. Wenn ein Gen, das für die Hirnfunktion sehr wichtig ist und etwas mit der Erregung der Nervenzellen zu tun hat, krankhaft verändert ist, dann kann das zur Epilepsie führen (monogenetische Epilepsie). Es sind über 500 Gene bekannt, deren Mutation zur Epilepsie führen kann. Diese Gene können im Labor einzeln oder im Rahmen der modernen Abklärung alle gleichzeitig untersucht werden (next generation sequencing, NGS). Es ist sogar möglich, alle Gene des Menschen in einer einzigen Untersuchung auf Mutationen hin abzuklären, wobei man sich darüber klar sein muss, dass es auch Zufallsbefunde mit und ohne Relevanz geben kann. Nach dem Gendiagnostikgesetz muss vor einer genetischen Diagnostik eine umfassende Aufklärung über den Sinn und Zweck, die Methodik und den Umgang mit Zusatzbefunden erfolgen und eine Einwilligung der Betroffenen bzw. Sorgeberechtigten eingeholt werden.
Die allermeisten monogenetischen Epilepsien sind nicht ererbt, sondern beruhen auf spontanen, also schicksalhaften Mutationen. Jedes Gen ist in der Zelle zweimal, also von Mutter und Vater stammend, vorhanden. Bei manchen Genen kann schon eine spontane Mutation einer Kopie des Gens zur Krankheit führen, was man "autosomal dominant" nennt. Betroffene werden diese Mutation und die Krankheit statistisch an die Hälfte ihrer eigenen Kinder weitergeben. Da eine Mutation in Abhängigkeit von der übrigen genetischen Ausstattung der Zellen nicht immer zum vollen Krankheitsbild führen muss, kann es selten sein, dass in einer Familie jemand, der dieselbe Mutation trägt, nur mild oder sogar gar nicht betroffen ist. Dann ist eine Vererbung möglich, obwohl ansonsten scheinbar niemand in der Familie betroffen ist.
Epilepsien werden selten "autosomal rezessiv" vererbt, so dass Vater und Mutter jeweils eine Mutation und eine normale Genkopie in sich tragen und gesund sind, dann aber mit einem Risiko von 25% beide mutierten Kopien an das Kind weitergegeben werden, welches dann erkrankt. Vor einem Gentest muss also auch darüber gesprochen werden, wie man mit einer möglichen Vererbung umgeht. Erfahrungsgemäß sind Eltern aber erleichtert, wenn bei ihrem Kind endlich eine Diagnose schwarz auf weiß gestellt wurde, da nicht selten vor allem die Mütter über Jahre Schuldgefühle in sich tragen ("Was habe ich falsch gemacht, dass mein Kind krank ist?").
Selten kann das Wissen um den Mechanismus, dessen Störung zur Epilepsie führt, einen personalisierten Therapieansatz ermöglichen ("Präzisionsmedizin"). Wenn es sich bei dem betroffenen Gen um eines handelt, dass nur in einer bestimmten Phase der Hirnentwicklung wichtig ist, kann es sein, dass die Epilepsie nach dieser Zeit ausheilt. Andere Gene spielen lebenslang eine wichtige Rolle, und eine Ausheilung der Epilepsie ist bei einer entsprechenden Mutation dann unwahrscheinlich.
Bei den meisten Menschen mit genetischer Epilepsie sind die Ergebnisse der Mutationssuche normal. Die exakte Ursache bleibt unklar. In den meisten dieser Fälle ist es so, dass gar nicht ein einziges, für das Gehirn wichtiges Gen krankhaft mutiert ist, sondern eine kritische Anzahl an Genen minimale Varianten ihrer Aktivität zeigen, die jede für sich eigentlich noch normal sind (Normvarianten). Dabei funktioniert das eine Gen vielleicht ein bisschen zu stark und ein anderes ein bisschen zu wenig. Erst die Kombination dieser Veränderungen führt dann zur Krankheit. Diese Veranlagung nennt man "polygenetisch". Diese häufige Form genetischer Epilepsien lässt sich heutzutage noch nicht im Labor diagnostizieren, da ja kein Gen krankhaft verändert ist und die Varianten ja auch bei Gesunden vorkommen. Gerade bei polygenetischer Epilepsie ist die Hoffnung auf einen selbstlimitierten Verlauf mit spontaner Ausheilung ("verwächst sich") groß, da ein Teil der Gene möglicherweise im Laufe der Entwicklung weniger Bedeutung haben und andere, ähnliche Gene ihre Funktion übernehmen können. Auch kann das Gleichgewicht von Erregung und Hemmung wiederhergestellt werden, wenn weitere genetische Aktivitäten im Laufe der Zeit hinzukommen und kleine Funktionsstörungen ausgleichen.
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Altersabhängigkeit und Risikofaktoren
Epileptische Anfälle treten insbesondere bei Babys und Kleinkindern sowie bei älteren Menschen besonders häufig auf. Im höheren Lebensalter ist die Inzidenz besonders hoch. Je älter der Mensch wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit für Kopfverletzungen oder metabolische Erkrankungen, die als Ursache epileptischer Anfälle ausgemacht werden können.
Diagnose
Die Epilepsiediagnostik ist ein Prozess, bei dem verschiedene Untersuchungen durchgeführt und deren Ergebnisse aufeinander bezogen werden müssen. Eine möglichst gute Fremdbeschreibung des Anfalls ist unverzichtbar, da Betroffene häufig Teile des Anfalls oder den ganzen Anfall nicht bewusst miterleben. Hilfreich kann auch die Aufzeichnung einer kurzen Videosequenz mit dem Handy sein. Wenn nötig, kann die Anfallsbeschreibung auch durch eine Videobeobachtung in einer spezialisierten Klinik - z.B. einem Epilepsiezentrum - im Rahmen eines stationären Aufenthalts ergänzt werden.
Untersuchungsmethoden
- EEG (Elektroenzephalogramm): Ableitung der Hirnströme, um epilepsietypische Auffälligkeiten festzustellen.
- Langzeit-Video-EEG-Ableitung: Videoüberwachte EEG-Überwachung in speziell ausgerüsteten Patientenzimmern.
- MRT (Magnetresonanztomographie): Sichtbarmachung hirnorganischer Veränderungen, die Hinweise auf die Ursache der Epilepsie geben können.
Therapie
Die Epilepsiebehandlung wird in der Regel medikamentös begonnen, mit sogenannten Antiepileptika. Diese werden zur Vorbeugung von epileptischen Anfällen, aber auch zur Unterbrechung akuter Anfälle eingesetzt. Parallel zur medikamentösen Epilepsietherapie kann auch der verhaltenstherapeutische Ansatz der Anfallsselbstkontrolle in die Behandlung integriert werden. Es gibt auch alternative Behandlungsmöglichkeiten wie die Epilepsiechirurgie und die Neurostimulation.
Epilepsiechirurgie
Unter Epilepsiechirurgie versteht man die Behandlung der Epilepsie mittels neurochirurgischer Verfahren. Sie ist eine erprobte und anerkannte Behandlungsform und wird in spezialisierten Zentren durchgeführt. Im Rahmen einer stationären prächirurgischen Abklärung sollte die Möglichkeit einer epilepsiechirurgischen Behandlung überprüft werden. Dabei untersucht man, ob die epileptischen Anfälle von einer bestimmten Stelle des Gehirns ausgehen und ob es möglich ist, diese operativ zu entfernen, ohne dass der Patienten Störungen im Bereich von Gedächtnis, Kraft oder Sprache erleidet.
Neurostimulation
Im Gegensatz zur Epilepsiechirurgie kann mit der Neurostimulation keine Anfallsfreiheit erreicht werden. Allerdings bewirkt sie, je nach Art der Epilepsie und des eingesetzten Verfahrens, eine deutliche Minderung der Anfallsfrequenz. Unter Neurostimulation versteht man zusammengefasst, dass Strukturen im Gehirn oder solche, die dort hinführen (wie der Vagus-Nerv), mit niedriger Stromstärke stimuliert werden.
Prognose
Im Grunde ist es so, dass die Langzeitprognose einer Epilepsie umso besser ist, je weniger in der diagnostischen Abklärung gefunden wird. Bei manchen Epilepsien ist es sogar so, dass von Beginn an von einer guten Langzeit-Prognose ausgegangen werden kann.
Epilepsie im Neugeborenenalter
Anfälle sind der häufigste neurologische Notfall in der Neugeborenenperiode. Im Gegensatz zu Anfällen im Kindes- und Erwachsenenalter handelt es sich bei Neugeborenen in den allermeisten Fällen um akut symptomatische Anfälle bei Hirninsult. Obwohl viele Ursachen zu Anfällen bei Neugeborenen führen können, sind nur wenige Ätiologien für den Großteil der Fälle verantwortlich. Bei Reifgeborenen ist die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie am häufigsten. Bei Frühgeborenen stellen Blutungen und Infektionen die häufigsten Ursachen dar. In weniger als 15 % der Fälle stellen Neugeborenenanfälle den Beginn einer frühkindlichen und dann meist genetisch verursachten Epilepsie dar.
Ursachen von Anfällen bei Neugeborenen
- Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie
- Intrakraniale Blutung
- Frühkindlicher Schlaganfall
- Kortikale Malformationen
- Meningitis/Sepsis
- Metabolische Ursachen
- Mütterlicher Drogenentzug
- Genetische Ursachen
Diagnostik bei Neugeborenenanfällen
Nach initialer Stabilisierung des Neugeborenen und Ausschluss einer Hypoglykämie oder Elektrolytentgleisung sollte relativ schnell nach metabolischen oder infektiösen Ursachen gesucht werden. Eine kraniale Ultraschalluntersuchung ist schnell verfügbar und nicht invasiv. Allerdings ist in den meisten Fällen eine Magnetresonanztomographie (MRT) indiziert. Die Diagnose von Neugeborenenanfällen muss mittels EEG bestätigt werden.
Therapie von Neugeborenenanfällen
Phenobarbital ist weltweit das Medikament der 1. Wahl zur Behandlung von Neugeborenen. Die Empfehlungen für Medikamente der 2. Wahl variieren je nach Land und Kontinent und schließen Levetiracetam, Phenytoin, Clonazepam, Midazolam und Lidocain ein.