Der Kiefer spielt eine zentrale Rolle bei der Nahrungsaufnahme. Ein komplexes Zusammenspiel von Muskeln, Nerven und Gelenken ermöglicht es uns, Nahrung zu zerkleinern und zu mahlen. Störungen in diesem System können sich vielfältig äußern und sogar Taubheitsgefühle im Kiefer verursachen.
Die komplexe Funktion des Kiefers
Der Kauvorgang ist ein willkürlicher Akt, der ein kompliziertes, rhythmisches Zusammenspiel verschiedener Körperstrukturen erfordert. Lippen, Mundboden, Gaumen, Zunge und Wangen positionieren die Speisebestandteile in der Mundhöhle. Ober- und Unterkiefer, die Zähne, die Kiefergelenke und die Kaumuskulatur bearbeiten dann das Essen. Die Zähne des Unterkiefers bewegen sich schwingend und gleichmäßig gegen die des Oberkiefers. Die Struktur der Speisen, Anzahl, Form und Festigkeit der Zähne, die Führung des Unterkiefers im Kiefergelenk und die Muskelkraft spielen dabei eine Rolle. Spezielle Sensoren in der Kaumuskulatur, dem Unterkiefer, dem Kiefergelenk und den Zähnen sorgen dafür, dass Sie nicht zu fest zubeißen.
Auswirkungen von Kieferproblemen auf den Körper
Das Kiefersystem gehört zu den sensibelsten Einheiten im Organismus. Bereits kleine Veränderungen können den Kaumechanismus empfindlich stören. Das Kiefergelenk befindet sich am Schädel und damit in der Nähe empfindlicher Areale, die über Muskeln und Nerven direkt mit dem Kiefergelenk in Verbindung stehen. Dazu gehören Ohren, Augen, der vordere Hals, die Schultern und der Bereich rund um die Halswirbelsäule.
Das Kiefergelenk kann an folgenden Symptomen beteiligt sein:
- Kieferschmerzen
- Kauschmerzen
- Zahnschmerzen
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Taubheitsgefühl und Kribbeln im Gesicht
- Sehstörungen
- Ohrgeräusche (Tinnitus)
- Schluckbeschwerden
- Nackenverspannungen
- Schulterschmerzen
Ursachen für Taubheitsgefühl im Kiefer
Taubheitsgefühl im Kiefer kann verschiedene Ursachen haben. Hier sind einige der häufigsten:
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- Überbeanspruchung des Kiefers: Exzessives Kaugummikauen, lange Mundöffnung beim Zahnarzt oder zu festes Zubeißen beim Essen können die Kiefergelenke stark beanspruchen. Auch zu schnelle und zu großräumige Bewegungen des Unterkiefers, etwa beim Gähnen, können Beschwerden verursachen.
- Direkte Verletzungen: Unterkieferbrüche durch einen Sturz sowie Kieferverletzungen an den Bändern oder Kapseln durch einen Sportunfall können das Kiefergelenk langfristiger stören. Auch Muskelverletzungen durch eine Zerrung oder Nervenverletzungen als Komplikation einer zahnärztlichen Spritze können länger anhalten.
- Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD): Beim Kiefergelenksyndrom, auch Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) oder Myoarthropathie des Kausystems genannt, ist das Kausystem krankhaft gestört. Dabei kommt es zu Funktionsstörungen der Kiefer, Kaumuskulatur und Nerven. Schätzungsweise 20 Prozent der Bevölkerung haben behandlungsbedürftige Beschwerden im Rahmen einer CMD. Diese Funktionsstörung kann entstehen, wenn Ober- und Unterkiefer nicht richtig zusammenpassen, etwa durch Fehlstellungen oder unpassenden Zahnersatz. Auch die Körperhaltung spielt eine Rolle.
- Zahnfehlstellungen und Zahnersatz: Zahnfehlstellungen, fehlende Zähne, durchbrechende Weisheitszähne oder schlecht sitzender Zahnersatz können ebenfalls Ursachen für CMD sein. Wenn eine Füllung, Teilkrone oder Krone zu hoch oder zu tief ist, kann dies das Zusammenspiel von Ober- und Unterkiefer verändern.
- Weitere CMD-Ursachen: Unfälle, rheumatische Erkrankungen, Erkrankungen des Bindegewebes, hormonelle Faktoren, Unfälle mit Schleudertrauma, Verletzungen und Operationen können ebenfalls eine CMD zur Folge haben.
- Psychische Belastung: Starke emotionale Belastung mit Bruxismus (unbewusstes Zähneknirschen und Zähnepressen) kann eine schiefe Bisslage bedingen und durch stetes "Abschleifen" die Zahnsubstanz erheblich schädigen. Stress äußert sich bei den meisten Menschen in körperlicher Anspannung. Diese Dauerspannung führt zu einer Verhärtung der Muskulatur, die ständig Zug an oder Druck auf Knochen und Gelenke ausübt.
CMD: Eine Volkskrankheit mit vielfältigen Symptomen
Die craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) gilt heute als Volkskrankheit, vor allem bei Menschen, die viel am PC arbeiten und häufigen Stresssituationen ausgesetzt sind. Die Auswirkungen können sich im Körper von oben nach unten genauso wie von unten nach oben fortsetzen.
CMD hat kein eindeutiges Symptombild. Zwar gibt es Beschwerden, die typisch für CMD sind, vor allem, wenn sie in Kombination auftreten, trotzdem können zwei CMD-Patienten über ganz unterschiedliche Probleme klagen. Das Gleiche gilt für die Ursachen: Beim einen liegt der Ursprung zuerst in der Okklusion (Kieferschluss) bei einem anderen in einem Beckenschiefstand begründet. Bei den allermeisten kommen psychische Probleme erschwerend hinzu.
Diagnose von CMD
Die Diagnose von CMD umfasst eine sorgfältige Anamnese der Krankheitsgeschichte, das Erfassen der gesamten aktuellen Schmerzsymptomatik, eine klinische Funktionsdiagnostik (Kaumuskulatur, Kieferbewegungen, Okklusion) und gegebenenfalls eine instrumentelle Funktionsdiagnostik (Simulation der Kiefergelenksbewegung mittels Artikulator; Gesichtsbogen zum Übertragen individueller Messdaten in den Artikulator). Mit der Funktionsdiagnostik analysiert und bewertet der Zahnarzt die Lage von Schädel und Kiefer zueinander, den Bewegungsablauf beim Kauen, die Muskelfunktion, Okklusion und die Zahnstellung im Ober- und Unterkiefer.
Behandlungsmöglichkeiten bei CMD
Die Behandlung der CMD erfolgt individuell nach Beschwerdebild und Analyseergebnissen. Ziel ist eine harmonische Kiefergelenkstellung und Okklusion. Sinnvoll ist insbesondere bei Beteiligung des gesamten Körpers die interdisziplinäre Therapie gemeinsam mit Orthopäden und Physiotherapeuten.
Behandlungsmethoden können sein:
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- Zahnkorrektur, Zahnersatz, Implantologie: Sind Zahnfehlstellungen, Zahnverlust oder schlecht angepasste Füllungen, Kronen oder Prothesen die Ursache der CMD, können diese korrigiert oder ersetzt werden.
- Funktionstherapie, Schienentherapie: Aufbissschienen ("Knirscherschienen") entspannen die Kiefermuskeln und schützen die Hartsubstanz der Zähne, weil sie Knirschen und Pressen abmildern. IPR-Schienen ermöglichen eine ursächliche Therapie, indem sie die Kiefergelenkfehlstellung beheben.
- Weitere Maßnahmen: Entspannungsübungen, Physiotherapie, manuelle Therapie und in seltenen Fällen operative Eingriffe können ebenfalls Teil der Behandlung sein.
Was Sie selbst tun können
- Entspannungsübungen: Eine verspannte Kaumuskulatur begünstigt Kiefergelenkstörungen. Sorgen Sie für muskuläre Entspannung, etwa mit Sport, Spaziergängen oder Bewegungspausen. Eine gute Übung ist der "Zungenwaschlappen".
- Achten Sie auf Ihre Körperhaltung: Wer viel sitzt, belastet die Kiefergelenke stärker. Achten Sie darauf, nicht zu viel Druck beim Abbeißen und Kauen auf den Kiefer auszuüben.
- Vermeiden Sie Überbeanspruchung: Reduzieren Sie exzessives Kaugummikauen und vermeiden Sie zu weites Öffnen des Mundes beim Gähnen.
- Regelmäßige Auszeiten: Gönnen Sie sich regelmäßige Auszeiten, um die Psyche zu entlasten.
- CMD-Test: Machen Sie einen CMD-Test, um festzustellen, ob Sie möglicherweise betroffen sind.
Wann zum Arzt?
Halten die Beschwerden über mehrere Wochen an oder sind sie sehr ausgeprägt, sollten Sie einen Termin in einer Zahnarztpraxis vereinbaren. Schließlich können für die Symptome auch Entzündungen im Zahnhalteapparat oder den Nasennebenhöhlen und Nervenverletzungen verantwortlich sein. Der Zahnarzt kann gezielte Übungen für zu Hause empfehlen und gegebenenfalls eine Schienentherapie oder eine Physiotherapie verordnen.
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