Die Frage, ob Epilepsie einen Kündigungsgrund im Arbeitsrecht darstellt, ist komplex und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dieser Artikel beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Rolle des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) und die individuellen Umstände des betroffenen Arbeitnehmers. Dabei werden sowohl die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers berücksichtigt.
Personenbedingte Kündigung und Krankheit
Eine Kündigung aufgrund von Krankheit wird im Arbeitsrecht als personenbedingte Kündigung betrachtet. Das bedeutet, dass der Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers selbst liegt. Im Gegensatz zu einer verhaltensbedingten Kündigung, bei der ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers vorliegt, ist bei einer personenbedingten Kündigung keine vorherige Abmahnung erforderlich.
Es ist wichtig zu betonen, dass eine Krankheit nicht automatisch einen Kündigungsgrund darstellt. Vielmehr müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine krankheitsbedingte Kündigung rechtlich zulässig ist.
Wann ist eine krankheitsbedingte Kündigung zulässig?
Eine krankheitsbedingte Kündigung kann grundsätzlich in drei Fällen zulässig sein:
- Langandauernde Krankheit: Der Arbeitnehmer ist seit längerer Zeit, in der Regel mehr als ein Jahr, arbeitsunfähig erkrankt.
- Häufige Kurzerkrankungen: Der Arbeitnehmer ist im Laufe eines Jahres wiederholt kurzzeitig erkrankt und dadurch insgesamt mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig.
- Dauerhafte Leistungsunfähigkeit: Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers kann aufgrund einer Krankheit dauerhaft nicht mehr vollständig erbracht werden.
Zusätzlich zu diesen Voraussetzungen muss eine negative Zukunftsprognose vorliegen. Das bedeutet, dass keine Aussicht auf Besserung des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers bestehen darf. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nur dann zulässig, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind und die Interessen des Arbeitgebers durch die Krankheit des Arbeitnehmers erheblich beeinträchtigt werden.
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Epilepsie als Kündigungsgrund
Ob Epilepsie einen Kündigungsgrund darstellt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die im Einzelfall geprüft werden müssen. Dazu gehören:
- Art und Häufigkeit der Anfälle: Treten die Anfälle häufig auf und sind sie mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden?
- Anfallsrisiko: Besteht ein hohes Anfallsrisiko während der Arbeitszeit?
- Wirkung der Medikamente: Können die Anfälle durch Medikamente ausreichend kontrolliert werden?
- Beruf und Arbeitsplatz: Ist die Ausübung des konkreten Berufs aufgrund der Epilepsie gefährdet?
Eine generelle Aussage, dass Epilepsie immer oder nie ein Kündigungsgrund ist, kann nicht getroffen werden. Vielmehr ist eine individuelle Beurteilung der Situation erforderlich.
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)
Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung, ob eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt ist, spielt das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX. Das BEM ist ein Instrument, um die Arbeitsfähigkeit von erkrankten Arbeitnehmern zu erhalten und ihre Wiedereingliederung in den Betrieb zu fördern.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einem Arbeitnehmer, der innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war, ein BEM anzubieten. Ziel des BEM ist es, gemeinsam mit dem Arbeitnehmer zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Dabei sollen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers zu erhalten oder ihm eine alternative Beschäftigung im Betrieb zu ermöglichen.
Das BEM ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Allerdings stellt die Durchführung eines BEM eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar, der im Kündigungsschutzrecht verankert ist. Das bedeutet, dass eine Kündigung unverhältnismäßig sein kann, wenn der Arbeitgeber zuvor kein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt hat und dadurch mögliche Alternativen zur Kündigung nicht geprüft wurden.
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Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung
Im Rahmen der Prüfung, ob eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt ist, muss auch die Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Dabei sind die Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers gegeneinander abzuwägen.
Dem Arbeitgeber ist es in der Regel nicht zumutbar, einen völlig neuen Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer zu schaffen oder ihm Aufgaben zuzuweisen, die nicht seinen Qualifikationen entsprechen. Allerdings muss der Arbeitgeber prüfen, ob eine leidensgerechte Anpassung des Arbeitsplatzes möglich ist oder ob der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb eingesetzt werden kann.
Interessenabwägung
Bei der Entscheidung über eine krankheitsbedingte Kündigung ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Dabei sind die Interessen des Arbeitgebers an einer reibungslosen Betriebsorganisation und die Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes gegeneinander abzuwägen.
Auf Seiten des Arbeitgebers sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:
- Beeinträchtigung der betrieblichen Abläufe: Inwieweit werden die betrieblichen Abläufe durch die Krankheit des Arbeitnehmers beeinträchtigt?
- Wirtschaftliche Belastung: Welche wirtschaftliche Belastung entsteht dem Arbeitgeber durch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall?
- Fehlzeiten: Wie hoch sind die Fehlzeiten des Arbeitnehmers?
Auf Seiten des Arbeitnehmers sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:
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- Dauer der Betriebszugehörigkeit: Wie lange ist der Arbeitnehmer bereits im Betrieb beschäftigt?
- Alter: Wie alt ist der Arbeitnehmer?
- Familienstand: Hat der Arbeitnehmer Unterhaltspflichten?
- Schwere der Erkrankung: Wie schwer ist die Erkrankung des Arbeitnehmers?
- Aussicht auf Besserung: Besteht eine Aussicht auf Besserung des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers?
Je länger die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, je älter er ist und je schwerwiegender seine Erkrankung ist, desto höher sind die Anforderungen an die Interessen des Arbeitgebers, die eine Kündigung rechtfertigen.
Beteiligung der Mitarbeitervertretung
In Betrieben mit einer Mitarbeitervertretung (MAV) ist diese vor Ausspruch einer Kündigung zu beteiligen. Der Arbeitgeber muss die MAV über die Kündigungsabsicht informieren und ihr die Gründe für die Kündigung mitteilen. Die MAV hat das Recht, gegen die Kündigung Einspruch zu erheben. Ein unterbliebene oder fehlerhafte Beteiligung der MAV kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Kündigungsfrist
Bei einer ordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber die gesetzlichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfristen einhalten. Die Kündigungsfrist richtet sich in der Regel nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers.
Rechtsschutz
Arbeitnehmer, die eine Kündigung erhalten haben, haben die Möglichkeit, sich gerichtlich gegen die Kündigung zu wehren. Hierzu können sie innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht erheben.
Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses prüft das Arbeitsgericht, ob die Kündigung rechtlich gerechtfertigt ist. Dabei werden insbesondere die oben genannten Voraussetzungen geprüft.
Fallbeispiel
Ein konkretes Fallbeispiel aus der Rechtsprechung zeigt die Komplexität der Thematik:
Ein Heilerziehungspfleger, der seit 1996 bei einem Orden beschäftigt war, erlitt 2007 einen epileptischen Anfall und war seitdem arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis im Jahr 2011 aufgrund dauerhafter Arbeitsunfähigkeit.
Das Arbeitsgericht Koblenz gab der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt, da der Arbeitgeber kein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt hatte. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz hob das Urteil des Arbeitsgerichts jedoch auf und wies die Klage ab.
Das LAG begründete seine Entscheidung damit, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Epilepsie und den damit verbundenen Einschränkungen seine bisherige Tätigkeit als Heilerziehungspfleger dauerhaft nicht mehr ausüben könne. Eine leidensgerechte Anpassung des Arbeitsplatzes sei nicht möglich, da die Tätigkeit eines Heilerziehungspflegers untrennbar mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden sei. Auch eine alternative Beschäftigung im Betrieb sei nicht möglich, da der Arbeitnehmer nicht über die erforderlichen Qualifikationen verfüge.
Das LAG kam zu dem Schluss, dass die Kündigung aufgrund dauerhafter Arbeitsunfähigkeit sozial gerechtfertigt sei.
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