Die Radiologie hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt und bietet heute eine Vielzahl von Möglichkeiten, Erkrankungen des Nervensystems präzise zu diagnostizieren. Ein wichtiger Teilbereich ist die Neurographie, insbesondere die MR-Neurographie, die es ermöglicht, periphere Nerven detailliert darzustellen und Schädigungen sichtbar zu machen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnosemethoden und Behandlungsansätze bei Nervenerkrankungen, wobei ein besonderer Fokus auf der Rolle der modernen Bildgebung liegt.
Die Bedeutung der Neurographie
Die Neurographie, insbesondere die MR-Neurographie, ist ein modernes bildgebendes Verfahren zur Darstellung peripherer Nerven. Sie ist ein spezialisierter Teilbereich der Radiologie, die mithilfe bildgebender Verfahren wie MRT oder CT Erkrankungen sichtbar macht. Die MR-Neurographie kommt zum Einsatz, um Erkrankungen wie Neuritiden, Polyneuropathien oder Kompressionsneuropathien präzise zu diagnostizieren. Mithilfe spezieller MRT-Techniken und hochauflösender Empfangsspulen können selbst kleinste Nervenschäden sichtbar gemacht werden - auch in Körperregionen, die sonst schwer zugänglich sind.
Anwendungsbereiche der MR-Neurographie
Die MR-Neurographie dient der Darstellung und Untersuchung bestimmter Nervenabschnitte im Körper, z.B. im Halsbereich, in den Armen oder auch in den Fingern. Durch die detaillierte Darstellung der Nerven und der angrenzenden anatomischen Strukturen wie Gelenke, Muskeln und Knochen hilft die Nerven-MRT, die zugrundeliegenden Schmerzursachen zu identifizieren. In vielen Fällen können so gezielt konservative oder invasive Therapieansätze entwickelt werden.
Beschwerden, bei denen eine MR-Neurographie angebracht sein kann, sind:
- Unklare Schmerzen, wenn trotz verschiedener Untersuchungen keine Ursache gefunden werden konnte.
- Andauernde (chronische) Schmerzen.
- Schmerzen an mehreren Stellen gleichzeitig (Polyneuropathien).
- Stechende Schmerzen und Missempfindungen in Fingern und Händen sowie in Beinen und Füßen.
- Starke Schmerzen, die nicht auf Medikamente ansprechen.
- Lähmungen.
Ablauf einer MR-Neurographie
Die Untersuchung wird in der Regel in Rückenlage durchgeführt und dauert ca. 30 Minuten. Die MR-Untersuchung wird entsprechend der individuellen Schmerzanamnese von Spezialisten geplant und sorgfältig ausgewertet. Bei manchen Fragestellungen ist die Gabe eines intravenösen Kontrastmittels notwendig.
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Ursachen von Nervenerkrankungen
Karpaltunnelsyndrom, Nerventrauma, Neuropathie - Erkrankungen peripherer Nerven haben viele Ursachen und Gesichter. In den meisten Fällen bedeutet der Funktionsausfall oder Nervenschmerz eine hohe Belastung im Alltag der Patientinnen und Patienten.
Erkrankungen der peripheren Nerven zählen in Deutschland mit einer Prävalenz von fünf Prozent zu den häufigen, oft unerkannten Krankheitsbildern. Zum Spektrum dieser sog. Neuropathien gehören unter anderem Neuritiden und Polyneuropathien, hier sind die Ursachen meist entzündliche oder autoimmune Prozesse.
Häufigste Ursache ist Diabetes mellitus, bei dem es durch die hohen Blutzuckerspiegel zu einer Schädigung der peripheren Nerven kommt. Auch Alkoholmissbrauch ist eine häufige Ursache für Polyneuropathien. Zu den autoimmunologisch bedingten Neuropathien gehört beispielsweise das Guillain-Barré-Syndrom. Auch Medikamente, Infektionskrankheiten oder eine bösartige Erkrankung sowie ein Vitaminmangel können zu einer Neuropathie führen.
Ein großer Teil der Krankheitsbilder ist zudem auf sog. Kompressionsneuropathien zurückzuführen. Hier kommt es durch eine pathologische Engstelle im Körper zu einer Druckschädigung eines peripheren Nerves, was sich in Schmerzen und Missempfindungen widerspiegeln kann. Häufige Kompressionsneuropathien der oberen Extremität sind beispielsweise das Karpaltunnelsyndrom und das Sulcus-ulnaris-Syndrom (Kubitaltunnelsyndrom), hier kommt es zu einer Druckschädigung des Medianus- bzw. Ulnarisnerves. Bemerkbar macht sich das in Taubheit und Missempfindungen der ersten drei bzw. des vierten und fünften Fingers. Auch Pathologien des Hals-Nerven-Geflechts, des sog. Plexus brachialis, zum Beispiel eine Druckschädigung durch eine Halsrippe, lassen sich mittels Nerven-MRT darstellen.
Auch an der unteren Extremität kommen diese Kompressionsneuropathien vor. Bei der Meralgia paraesthetica entsteht beispielsweise eine Taubheit an der vorderen Oberschenkelaußenseite durch Druckschädigung eines Hautnerves. Auch das Piriformis-Syndrom ist hier zu nennen, hier kommt es durch eine Kompression des Ischiasnervs zu Schmerzen im Bereich der Gesäßregion, die in das Bein ausstrahlen können. Beim Tarsaltunnelsyndrom wird auf Höhe des Knöchels der Tibialisnerv geschädigt, was Schmerzen im Fußbereich hervorruft.
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Seltenere, aber ebenfalls in Betracht zu ziehende Ursachen von Schmerzen, Lähmungen oder Gefühlsstörungen sind Tumore der peripheren Nerven. Diese können einzeln oder kombiniert vorkommen, sind überwiegend gutartig und gehen meist von den nervenumhüllenden Markscheiden aus. Bei Unfällen kann es zu durch Zerrung oder (Teil-)Durchtrennung zu einer dauerhaften Schädigung der Nerven kommen. Die Folge sind gutartige Wucherungen des Nervengewebes, sog. Neurome.
Spezifische Nervenerkrankungen und ihre Ursachen
- Karpaltunnelsyndrom: Hierbei ist der Mittelhandnerv im Karpalkanal eingeengt. Ursachen für eine Nervenbedrängung können chronische Reizzustände und Entzündungen des Gewebes wie beispielsweise bei Sehnenscheidenentzündungen oder Rheuma sein.
- Kubitaltunnelsyndrom: Hier ist der Ellennerv in der Ellenrinne eingeengt. Der Nerv ist an dieser Stelle so ungeschützt, dass er anfällig für Verletzungen durch Druck und Zug ist.
- Morbus Fabry: Eine genetisch bedingte Speichererkrankung, bei der es auf Grund einer Genmutation zu einem Enzymdefekt und in der Folge zu einer Ansammlung eines nerventoxischen Zuckerlipids kommt. Hierdurch entstehen Ablagerungen in nahezu allen Organsystemen, wobei das Nervensystem frühzeitig und in besonders schwerem Maße betroffen ist.
- Polyneuropathie: Das Wort „Polyneuropathie“ bedeutet „Erkrankung vieler Nerven“ - beispielsweise im Rahmen einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) - und kann zu einem Brennschmerz der Füße führen. Hier hat der dauerhaft erhöhte Blutzuckerspiegel die feinen Nervenendigungen geschädigt.
- Gürtelrose (Herpes zoster): Hier entstehen die neuropathischen Schmerzen im Bereich kleiner Nerven in der Haut, deren Schädigung als Folge einer Nervenentzündung durch das Varizella-Zoster-Virus hervorgerufe wird.
- Engpass-Syndrom: Nerven werden zusammengedrückt, was mit Nervenschmerzen und weiteren Ausfällen wie Taubheitsgefühl und Muskellähmung einhergeht.
Diagnostische Verfahren
Die Diagnose von Nervenerkrankungen erfordert eine sorgfältige Anamnese, klinische Untersuchung und den Einsatz moderner diagnostischer Verfahren.
Elektrophysiologische Diagnostik
Die elektrophysiologische Diagnostik umfasst verschiedene Verfahren zur Messung der Nervenfunktion:
- Elektromyographie (EMG): Messung der elektrischen Aktivität der Muskeln.
- Elektroneurographie (ENG/NLG): Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG).
- Somatosensibel evozierte Potenziale (SEP): Prüfung der gesamten Gefühlsbahn von der Haut über das Rückenmark bis ins Gehirn.
Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt.
Bildgebende Verfahren
- Nervensonographie: Mithilfe hochauflösender Ultraschalltechnik können Schädigungen der peripheren Nerven direkt sichtbar gemacht werden.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Ein radiologisches Verfahren, mit dem Schnittbilder mit hohem Kontrast, exzellenter Auflösung und jeder beliebigen Schichtrichtung aufgenommen werden können.
- MR-Neurographie: Mittels spezieller Kernspintomographie-/ MRT-Technik kann das Nervensystem in hoher Auflösung bildlich dargestellt und untersucht werden.
- Computertomografie (CT): Kann eine Nervenschädigung direkt sichtbar machen.
Weitere diagnostische Methoden
- Quantitative sensorische Testung (QST): Prüfung der Hautempfindlichkeit. Hier werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
- Hautbiopsie: Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.
- Nerv-Muskel-Biopsie: Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Therapie zielt einerseits auf Beseitigung der Ursache, andererseits auf eine symptomatische Symptomlinderung, zum Beispiel die effektive Beseitigung der Nervenschmerzen. Die Behandlung von Nervenschmerzen gestaltet sich oft schwierig, sofern keine Operation zur Entlastung des betroffenen Nervs möglich ist. Schmerzfreiheit kann nur in den seltensten Fällen erreicht werden. Daher sollen realistische Behandlungsziele vor Therapiebeginn gemeinsam mit dem Patienten besprochen werden.
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Konservative Behandlung
- Medikamentöse Therapie: Die Therapie neuropathischer Schmerzen gründet sich vor allem auf eine für jeden einzelnen Menschen individuell abgestimmte Behandlung mit Medikamenten. Es werden unterschiedliche Wirkprinzipien angewendet, darunter häufig die Kombinationsbehandlung mit verschiedenen Medikamenten, die den Nervenschmerz über unterschiedliche Wirkmechanismen lindern. Zur Schmerzbekämpfung haben sich Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva, bewährt.
- Nicht-medikamentöse Verfahren: Nicht-medikamentöse Verfahren können ergänzend oder in der Akuttherapie zur Überbrückung der Zeit bis zum Anschlagen der sonstigen Medikamente eingesetzt werden. Darüber hinaus können im Einzelfall, je nach Ausprägung der Beschwerden, physikalische Maßnahmen, Ergotherapie und Psychotherapie sinnvoll sein.
- Physikalische Therapie: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie.
- Ergotherapie: Nach erfolgtem Eingriff stehen Ergotherapeutinnen zur Seite, um z.B. die Handfunktionen für Alltag und Beruf wieder herzustellen.
- Capsaicin-Pflaster: Capsaicin ist für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich und hat sich in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut in Studien als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.
- Elektrotherapie: Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen.
- Akupunktur: Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
Operative Behandlung
Wenn konservative Therapien nicht mehr greifen, kann eine Nerven-OP angeraten sein. Häufig kann diese mit einem kleinen Eingriff in lokaler Betäubung oder Kurznarkose durchgeführt werden.
- Karpaltunnelsyndrom: Sollte die konservative Therapie nicht zielführend sein oder bestehen deutliche Funktionseinschränkungen der Hand, Lähmungen oder sogar schon Muskelschwund, empfehlen Expert:innen das operative Vorgehen. Meistens führt die Operation zu einer kompletten Erholung des Nerven.
- Kubitaltunnelsyndrom: Ein operativer Eingriff erfolgt in Kurznarkose. Dieser ist prinzipiell aber auch in örtlicher oder regionaler Betäubung möglich. Über einen bogenförmigen Hautschnitt wird die meist bindegewebige Narbenplatte über dem Nerven durchtrennt.
Behandlung von Polyneuropathie
Hat ein Diabetes schleichend über viele Jahre die Nerven angegriffen, muss der Patient seine Blutzuckerwerte in den Griff bekommen, um die Nervenschädigung zu stoppen. Allerdings führt eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte zu weiteren Nervenschäden. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten. Bei Altersdiabetes empfehlen Ärzte eine Umstellung des Lebensstils mit Gewichtsreduktion und viel Bewegung. Ziel ist, dass sich die Nerven wieder erholen. Besteht die Schädigung allerdings schon lange, ist die Polyneuropathie in der Regel nicht heilbar. Sind Alkohol oder Medikamente die Ursache, hilft Abstinenz beziehungsweise ein Wechsel der Präparate.