Bei der kardialen autonomen diabetischen Neuropathie (KADN) handelt es sich um eine schwerwiegende Komplikation des Diabetes mellitus, bei der die Nerven, die das Herz-Kreislauf-System steuern, durch den Diabetes geschädigt werden. Nervenschäden sind eine typische Folge von Diabetes und können sowohl die für Bewegung und Empfindung zuständigen Nerven als auch die an verschiedenen Organen, wie dem Herzen, betreffen. Die KADN hat erhebliche Auswirkungen auf die Morbidität und Mortalität von Diabetikern.
Einführung
Die autonome diabetische Neuropathie (ADN) wird erst seit 1945 als klinische Entität aufgefasst. Ihr Einfluss auf die Morbidität und Mortalität des Diabetikers wird erst in letzter Zeit zunehmend erkannt. Die KADN kann somit nicht als Spätkomplikation des Diabetes aufgefasst werden. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass ihre subklinischen Stadien bereits frühzeitig im Verlauf des Diabetes vorliegen können. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer Frühdiagnostik mit dem Ziel einer Prävention dieser potentiell lebensbedrohlichen Komplikation.
Definition und Pathophysiologie
Die kardiovaskuläre autonome diabetische Neuropathie (KADN) ist eine verbreitete chronische Diabeteskomplikation mit erheblichen Auswirkungen auf die Mortalität. Die Prävalenz der mit Hilfe von autonomen Funktionstests nachgewiesenen KADN beträgt etwa 25 Prozent bei Typ-I- und etwa 35 Prozent bei Typ-II-Diabetikern. Es besteht eine deutliche Beziehung zum Ausmaß der symmetrischen distalen Neuropathie, bei der in mehr als der Hälfte der Fälle mit einer KADN zu rechnen ist.
Es werden zwei mutmaßliche Mechanismen der erhöhten Mortalität bei KADN diskutiert:
- Eine Prädisposition für maligne ventrikuläre Arrhythmien in Zusammenhang mit der bei KADN nachweisbaren Verlängerung der QT-Dauer.
- Eine zentrale Fehlregulation der Atmung mit resultierendem respiratorischen Arrest.
Symptome und klinisches Bild
Frühe Stadien der kardialen autonomen Neuropathie bei Diabetes sind oft klinisch stumm. Daher besteht das Risiko, sie zu übersehen. Als frühestes Zeichen einer KADN gilt die Abnahme der Herzfrequenzvariabilität (HRV) beziehungsweise der respiratorischen Sinusarrhythmie. Sie kann im Verlauf zu einer nahezu kompletten Herzfrequenzstarre führen. Fortgeschrittene Stadien sind durch Ruhetachykardie (Vagusläsion) und orthostatische Hypotonie (Sympathikusläsion) gekennzeichnet.
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Mögliche Anzeichen einer kardialen autonomen diabetischen Neuropathie sind:
- Erhöhter Herzschlag
- Verringerung der Herzfrequenzvariabilität (Herzfrequenzstarre)
- Kreislaufkollaps
- Herzrhythmusstörungen bis hin zum plötzlichen Herztod
- Stummer Infarkt (Betroffene bemerken einen Herzinfarkt nicht)
Im Rahmen der orthostatischen Hypotonie kommt es zu lageabhängigen systolischen Blutdruckabfällen von 30 mmHg und mehr, vereinzelt bis zu 90 mmHg. Typische Symptome umfassen Schwindel, Benommenheit, Schwächegefühl und manchmal Synkopen. Eine häufig auftretende orthostatische Symptomatik wird bei gezieltem Befragen von zirka 10 Prozent der Diabetiker angegeben.
Mit Hilfe der kontinuierlichen Registrierung der HRV und des Blutdrucks über 24 Stunden wurde bei Diabetikern mit KADN eine Umkehr der normalen zirkadianen Rhythmik mit relativer Prädominanz der nächtlichen sympathischen Aktivität in Verbindung mit erhöhtem nächtlichen Blutdruck nachgewiesen.
Weiterhin lässt sich bei Diabetikern mit KADN ohne Hinweis auf koronare Herzkrankheit im Vergleich zu denen ohne KADN eine herabgesetzte Belastungstoleranz mit eingeschränktem Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks unter Belastung nachweisen. Darüber hinaus kann die linksventrikuläre Auswurffraktion in Ruhe und unter Belastung vermindert sein.
Bei Diabetikern mit KADN treten gehäuft Narkosezwischenfälle in Form hypotoner und bradykarder Phasen auf.
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Unter Patienten mit stummer Myokardischämie finden sich deutlich häufiger Diabetiker.
Diagnostik
Zur Diagnose der KADN werden verschiedene Untersuchungen eingesetzt:
- Herzfrequenzvariabilität (HRV): Messung der Fähigkeit des Körpers, die Frequenz des Herzrhythmus je nach Bedarf zu verändern.
- Orthostase-Test: Messung der Blutdruckänderung beim Aufstehen aus dem Liegen.
- 24-Stunden-Blutdruck-Monitoring: Kontinuierliche Registrierung des Blutdrucks über 24 Stunden.
- EKG (Elektrokardiogramm): Zum Nachweis einer kardialen autonomen diabetischen Neuropathie dienen verschiedene Untersuchungen mit dem Elektrokardiogramm (EKG) und Blutdruck- und Pulsmessungen beim Aufstehen aus liegender Position (Orthostasereaktion).
- Funktionsszintigraphien: Standard in der Diagnostik der autonomen diabetischen Neuropathie des Gastro-Intestinal-Traktes sind Ultraschalluntersuchungen und die sog. Funktionsszintigraphien.
Die Funktionsprüfung des kardiovaskulären autonomen Nervensystems erfolgt indirekt durch Messung der autonomen Einflüsse auf die Funktion des Zielorgans mit Hilfe von Reflextests. Da die klinische Symptomatik der KADN vieldeutig ist und subklinische Formen sich einer klinischen Untersuchung entziehen, sind zuverlässige diagnostische Testverfahren erforderlich. Die Diagnose der KADN sollte nicht auf der Grundlage eines einzelnen Tests gestellt werden, da ein abnormer Einzelbefund nicht notwendigerweise eine autonome Dysfunktion beweist.
Die Untersuchung der HRV kann mit der Standardanalyse im Zeitbereich sowie mit Hilfe der Spektralanalyse im Frequenzbereich erfolgen. Mit der Spektralanalyse können die einzelnen Periodizitäten, aus denen sich biologische Rhythmen zusammensetzen, charakterisiert werden. Das Leistungsspektrum der HRV besteht im wesentlichen aus drei Peaks, die im niedrigen, mittleren und hohen Frequenzbereich anzusiedeln sind.
Neuerdings kann als nuklearmedizinisches Verfahren die Metajodobenzylguanidin (MIBG)-Szintigraphie zur direkten Quantifizierung der kardialen sympathischen Innervation bei der KADN eingesetzt werden.
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Therapie
Basis der Therapie der KADN sind:
- Verbesserung der Blutzuckerwerte: Eine möglichst normnahe Stoffwechseleinstellung ist entscheidend.
- Verzicht auf Alkohol und Nikotin: Diese Substanzen können die Neuropathie verschlimmern.
- Weitere therapeutische Optionen:
- Kausale Therapie: Ausschaltung des ätiologischen Faktors Hyperglykämie.
- Pathogenetisch begründbare Therapie: Medikamentöse Therapieformen, die aus den aktuellen Konzepten zur Pathogenese der diabetischen Neuropathie heraus entwickelt wurden (z.B. Aldose-Reduktase-Inhibitoren, Gamma-Linolensäure, Antioxidantien wie a-Liponsäure, Vasodilatatoren, Aminoguanidin, Nervenwachstumsfaktoren).
- Symptomatische Therapie: Behandlung der Symptome, z.B. mit kardioselektiven b-Rezeptorenblockern bei Sinustachykardie oder physikalischen Maßnahmen bei orthostatischen Kreislaufproblemen.
Eine ausgeprägte Sinustachykardie kann mit kardioselektiven b-Rezeptorenblockern behandelt werden. Zur Regulation von orthostatischen Kreislaufproblemen empfehlen sich physikalische Maßnahmen, wie z. B. Kompressiosstrümpfe, körperliches Training in einem vernünftigen Maß, Schlafen mit erhöhtem Oberkörper, langsames Aufstehen nach Bettruhe und das Kreuzen der Beine im Stehen.
Differenzialdiagnose
Eine periphere sensomotorische Neuropathie kann andere Ursachen haben und dabei in ihren Symptomen und Beschwerdemustern der diabetischen Form sehr ähnlich sein. Neuropathien anderer Genese können entstehen durch chronischen Alkoholabusus, neurotoxische Medikamente (z.B. Barbiturate, Zytostatika), Chemikalien.
Prävention
Ohne die konsequente Einstellung des Blutzuckers leben Diabetiker mit einer Vielzahl von Erkrankungsrisiken. Durch einen gut eingestellten Blutzucker kann man diabetesspezifischen Folgeerkrankungen wesentlich verzögern oder gar verhindern. Alkohol und Nikotinkarenz wirken sich ebenfalls günstig auf die Stoffwechselsituation im Körper aus. Chronischer Alkoholkonsum kann eine Polyneuropathie auslösen oder eine diabetische Neuropathie verschlechtern.
Verlauf und Prognose
Man unterscheidet verschiedene Verlaufsformen der sensomotorischen diabetischen Neuropathie. Im ersten Stadium der Erkrankung bestehen für den Diabetiker keinerlei Beschwerden. Allerdings sind sog. Oberflächenqualitäten (z. B. Vibrationsempfinden, Wärme- und Kälteempfindungen) bereits eingeschränkt. Die klinische neurologische Untersuchung ist unauffällig. Allerdings ist die Nervenleitgeschwindigkeit (gemessen mittels Elektroneurographie) pathologisch verlangsamt.
Schreiten die Schäden an den Nerven weiter fort, etwa durch einen schlecht eingestellten Blutzucker, so kommt es schließlich zum Untergang der Schmerzfasern in den Nerven und zum kompletten Gefühlsverlust. Reflexe sind zunehmend schwerer auszulösen. Zum Untergang von Muskelzellen (Atrophie der Muskulatur) kommt es im weiteren Verlauf der diabetischen Neuropathie vor und ist mit Schmerzen und Lähmungserscheinungen verbunden. Meist sind davon Oberschenkel- und Beckenmuskulatur betroffen. Zu den Langzeitkomplikationen der diabetischen Neuropathie zählen der diabetische Fuß mit Druckgeschwüren, die sich infizieren können und sehr schlecht abheilen und ein durch den Untergang der Muskulatur und der Blutversorgung hervorgerufener Befall der Knochen und Gelenke, besonders an den Beinen und Füßen. Diese führen nicht selten zur Amputation der entsprechenden Gliedmaßen.
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