Jeder kennt das Gefühl eines Mückenstichs, der tagelang juckt. So ärgerlich dieser Stich auch sein mag, es besteht die Gewissheit, dass der Juckreiz vorübergehen wird. Anders verhält es sich bei chronischem Juckreiz, der länger als sechs Wochen andauert (Pruritus). Chronischer Juckreiz kann verschiedene Ursachen haben, von Hauterkrankungen wie Neurodermitis über innere Erkrankungen wie Niereninsuffizienz bis hin zu neurologischen oder psychischen Erkrankungen und sogar Lymphdrüsenkrebs (Lymphomen) oder, in seltenen Fällen, einem Hirntumor.
Das Problem mit chronischem Juckreiz
Eine Umfrage unter mehr als 11.000 Patienten in Deutschland ergab, dass 17 Prozent unter störendem Juckreiz leiden, aber nur die Hälfte einen Arzt aufsucht. Prof. Dr. Sonja Ständer von der UKM-Hautklinik erklärt, dass Ärzte Pruritus-Patienten oft nicht ernst genug nehmen, nicht wegen mangelnder Ausbildung oder Desinteresse, sondern weil sie bisher wenig mit den Symptomen oder Ursachen anfangen konnten. Bis vor wenigen Jahren gab es keine speziellen Therapieansätze oder Versorgungseinheiten für chronischen Pruritus.
Ständer und ihre Kollegen aus den Bereichen Psychosomatik und Psychotherapie, Neurologie, Anästhesiologie, Radiologie und Innere Medizin arbeiten daran, dies zu ändern. Sie wissen, dass chronischer Pruritus ein Symptom verschiedener Ursachen ist, die auch kombiniert auftreten können.
Ursachen für chronischen Juckreiz
Chronischer Juckreiz kann verschiedene Ursachen haben, darunter:
- Hauterkrankungen: Neurodermitis, Urtikaria (Nesselsucht), Ekzeme und Psoriasis (Schuppenflechte) sind häufige Auslöser von Juckreiz.
- Innere Erkrankungen: Lebererkrankungen (oft begleitet von Gelbsucht), Diabetes, chronische Nierenerkrankungen, AIDS und Krebs können ebenfalls Juckreiz verursachen.
- Neurologische Erkrankungen: Multiple Sklerose und Polyneuropathie können Juckreiz auslösen.
- Psychische Erkrankungen: Stress, Angst und Depressionen können Juckreiz verstärken oder auslösen.
- Medikamente: Einige Medikamente können als Nebenwirkung Juckreiz verursachen.
- Schwangerschaft: Jede fünfte Schwangere leidet unter Juckreiz.
In vielen Fällen lässt sich trotz intensiver Suche keine Grunderkrankung oder kein Auslöser finden.
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Wie Nerven Juckreiz auslösen können
Erkrankte oder eingeklemmte Nerven der Haut oder des zentralen Nervensystems können mit Juckreiz reagieren. Diese Veränderungen können in der Radiologie mit MRT oder durch eine Hautbiopsie diagnostiziert werden. Die Hirnareale, die den Juckreiz auslösen, sind größtenteils die gleichen, die für den Schmerz verantwortlich sind, funktionieren aber anders.
Diagnose von chronischem Juckreiz
Eine genaue Beschreibung der Beschwerden ist für die Diagnose hilfreich. Fragen, die der Arzt stellen kann, sind:
- Wann tritt der Juckreiz auf?
- Wodurch wird er ausgelöst?
- Wird er nachts schlimmer?
- Hängt er mit der Einnahme von Medikamenten zusammen?
Ein Beschwerdetagebuch, in dem Auslöser und Stärke des Juckreizes sowie die Art des Juckens und das Kratzverhalten vermerkt werden, kann hilfreich sein. Bei einer Urtikaria reiben Patienten die Haut häufig, während starkes Kratzen eher typisch für ekzematöse Hauterkrankungen ist. Eine besonders auffällige Form ist das sogenannte Löffeln, bei dem die Betroffenen die Haut an der juckenden Stelle mit den Fingernägeln verletzen.
Nach der Anamnese folgt eine gründliche körperliche Untersuchung, bei der die Ärztin die gesamte Haut betrachtet und Lymphknoten und Leber abtastet. Je nach Verdachtsdiagnose helfen auch Laboruntersuchungen weiter.
Behandlung von chronischem Juckreiz
Die Behandlung von chronischem Juckreiz ist oft langwierig und erfordert einen individuellen Ansatz. Zunächst wird versucht, die Grunderkrankung zu behandeln. Zusätzlich gibt es verschiedene Maßnahmen, um den Juckreiz zu lindern:
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- Basismaßnahmen:
- Milde, nicht-alkalische Seifen oder rückfettende Waschsyndets zur Körperhygiene verwenden.
- Nicht zu häufig und zu lange baden, sondern lieber nur kurz mit lauwarmem Wasser duschen.
- Nach dem Waschen die Haut vorsichtig abtupfen und nicht trockenreiben.
- Nach jedem Duschen oder Baden und mindestens ein Mal täglich die Haut mit einer rückfettenden und hydratisierenden Basistherapie pflegen. Wirkstoffe sind vor allem Glycerin, Harnstoff (Urea) und Milchsäure.
- Weiche, luftige Kleidung aus Baumwolle tragen.
- Faktoren meiden, die zur Austrocknung der Haut führen, wie Saunabesuche, Aufenthalt in trockenem, heißem Klima, alkoholische Umschläge oder Eispackungen.
- Mit leichten Baumwollhandschuhen schlafen, um die Folgen unbewussten nächtlichen Kratzens zu mildern.
- Antihistaminika: Antihistaminika der 2. Generation können ausprobiert werden, wenn die Basismaßnahmen nicht ausreichen.
- Lokale Behandlung:
- Kalte, feuchte Umschläge können gegen Juckreiz helfen.
- Lokalanästhetika (Betäubungsmittel) wie Cremes, Salben oder Lotionen mit Menthol und Polidocanol oder Lidocain wirken auf Hautrezeptoren und Nervenfasern und können Juckreiz und Schmerz betäuben.
- Kortison zum Auftragen wirkt antientzündlich und reduziert dadurch den Juckreiz. Eine langfristige Anwendung ist jedoch zu vermeiden, da Kortison auf Dauer die Haut verdünnt und so noch empfindlicher macht.
- Capsaicin-Creme oder -Pflaster, gewonnen aus einer Paprikapflanze, bindet an einen Hitzekanal von Nervenfasern und Hautzellen und führt zu einem brennenden oder wärmenden Gefühl. Nach einigen Tagen werden dadurch Juckreiz und Schmerzen unterdrückt.
- Calcineurininhibitoren wie Tacrolimus und Pimecrolimus sind Arzneistoffe mit einer anti-immunen Wirkung und helfen besonders gut bei neurodermitisch bedingtem Juckreiz.
- Systemische Behandlung:
- Gabapentin und Pregabalin stabilisieren die Nervenfasern und verstärken hemmende Mechanismen. Sie sind zur Behandlung des nervenbedingten Juckreizes zugelassen, werden aber auch bei chronischem Juckreiz anderer Ursache empfohlen.
- Antidepressiva, vor allem der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paroxetin, können helfen. Alternativen sind Mirtazapin und Doxepin.
- Gamma-Opioidrezeptorantagonisten wie Naltrexon und Naloxon aktivieren hemmende Nervenzellen im Gehirn und sind bei internistisch oder neurologisch bedingtem, aber auch beim idiopathischen Juckreiz effektiv.
- In schweren Fällen können Kortisontabletten gegen Juckreiz wirken.
- Weitere Behandlungsansätze:
- UV-Phototherapie: Die Bestrahlung mit UV-Licht kann chronischen Juckreiz lindern.
- Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, das Kratzverhalten zu verändern und Stress zu reduzieren.
- Patientenedukation: Schulungsprogramme können Betroffenen Ablenkungsstrategien und Methoden zur Unterbrechung des Juck-Kratz-Kreislaufs vermitteln.
Psychische Ursachen und Stress
Stress kann eine Reaktion im Nervensystem auslösen, die zu einem Aufflackern des Ekzems führt und den Drang, sich zu kratzen, verschlimmern kann. Dieser Kreislauf aus Stress und Juckreiz ist ein Teufelskreis, der die Symptome des Hautausschlags verschlimmern kann. Es lohnt sich also, die Zeichen unserer Haut ernstzunehmen, denn die Folgen von Stress machen natürlich nicht bei Juckreiz, Ekzemen, Falten oder Pickeln halt, sondern können weit größeren Schaden anrichten. Auch wenn hinter der juckenden Haut eine Allergie steckt oder eine Hautkrankheit wie Neurodermitis oder Psoriasis, kann es helfen, mehr Entspannung in den Alltag zu bringen.
Die psychosomatische Diagnostik und Therapie kann helfen, psychosomatische Faktoren zu erkennen, die zusammen mit organischen Ursachen Auslösung und Verlauf des Juckreizes beeinflussen. Viele Juckreizpatienten geben einen ausgeprägten körperlichen und seelischen Leidensdruck aufgrund des Symptoms an, der bei vielen Patienten auch schon Krankheitswert erreicht.
Das Interdisziplinäre Kompetenzzentrum Pruritus am UKM
Am UKM wurde das deutschlandweit erste "Interdisziplinäre Kompetenzzentrum Pruritus" gegründet. Experten aus verschiedenen Fachbereichen arbeiten hier zusammen, um neue Krankheitsbilder und Ursachen für Juckreiz aufzudecken und neue Therapiekonzepte zu entwickeln. Das Ziel ist, die Beschwerden der Patienten deutlich zu lindern.
Tipps für den Alltag
Die UKM-Experten geben auch Tipps zur Juckreizlinderung im Alltag:
- Juckreiz nicht unterschätzen: Chronischer Juckreiz wird oft unterschätzt und verharmlost, obwohl er eine noch unerkannte Volkskrankheit ist.
- Ursachenforschung: Wer chronischem Juckreiz den Kampf ansagt, sollte zunächst nach der Ursache suchen, die nicht immer in der Haut zu finden ist.
- Stigmatisierung vermeiden: Betroffene werden häufig stigmatisiert, da blutig gekratzte Haut abstoßend wirken kann. Dies kann zu sozialem Rückzug, Einsamkeit und Depressionen führen, was den Juckreiz wiederum verstärken kann.
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