Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen genannt, sind eine komplexe und oft schwer zu behandelnde Erkrankung, die durch Schädigung oder Funktionsstörung des Nervensystems verursacht wird. Sie können sich in vielfältiger Weise äußern und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnosemethoden und Behandlungsansätze von Nervenschmerzen, um ein umfassendes Verständnis dieser Erkrankung zu ermöglichen.
Ursachen von Nervenschmerzen
Nervenschmerzen können vielfältige Ursachen haben, die von Stoffwechselerkrankungen über Infektionen bis hin zu traumatischen Ereignissen reichen. Es ist wichtig zu beachten, dass Nervenschmerzen im Rahmen einer Erkrankung oder Läsion von Nervenstrukturen auftreten.
Stoffwechselerkrankungen
Diabetes mellitus ist eine der häufigsten Ursachen für Nervenschmerzen. Ein chronisch erhöhter Blutzuckerspiegel kann die Nervenfasern schädigen und zu einer diabetischen Neuropathie führen. Nahezu jeder zweite Diabetiker erkrankt im Laufe seines Lebens an einer Polyneuropathie.
Alkoholmissbrauch
Chronischer Alkoholmissbrauch, insbesondere in Kombination mit einer vitaminarmen Ernährung, kann ebenfalls zu Nervenschäden führen. Schätzungen zufolge sind bis zu 66 Prozent aller chronischen Alkoholiker betroffen.
Infektionen
Bestimmte Infektionen, wie Herpes Zoster (Gürtelrose), können Nervenschmerzen verursachen. Nach Abklingen der akuten Infektion können neuropathische Schmerzen, sogenannte postzosterische Neuralgien, bestehen bleiben.
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Medikamente und Umweltgifte
Manche Medikamente, insbesondere chemotherapeutische Medikamente, können als Nebenwirkung Nervenschmerzen verursachen. Auch Umweltgifte wie Schwermetalle (Blei, Arsen, Thallium, Quecksilber) und bestimmte Lösungsmittel können das Nervensystem schädigen.
Genetische Veranlagung
In seltenen Fällen können genetische Faktoren eine Rolle spielen. Erbliche Neuropathien wie die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT) werden durch Gendefekte verursacht.
Immunologische Ursachen
Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem körpereigene Zellen angreift, können ebenfalls Nervenschäden verursachen. Beispiele hierfür sind das Guillain-Barré-Syndrom (GBS), die chronisch-inflammatorische Polyradikuloneuropathie (CIDP) und vaskulitische Neuropathien.
Traumatische Ereignisse
Nerven können auch durch traumatische Ereignisse wie Schnittverletzungen, starke Überdehnungen oder Knochenbrüche geschädigt werden.
Weitere Ursachen
Tumore können Nervenstrukturen komprimieren oder infiltrieren und so Nervenschmerzen verursachen. Auch Bestrahlungen im Rahmen der Krebstherapie können zu Nervenschäden führen. Vitaminmangelzustände, insbesondere ein Mangel an Vitamin B12 oder Vitamin D, können ebenfalls Nervenschmerzen begünstigen. Engpasssyndrome, bei denen Nerven durch anatomische Strukturen eingeengt werden, können ebenfalls Nervenschmerzen verursachen. Ein bekanntes Beispiel ist das Karpaltunnelsyndrom, bei dem der Mittelnerv im Handgelenk eingeengt wird.
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Symptome von Nervenschmerzen
Nervenschmerzen können sich in vielfältiger Weise äußern. Die Symptome können von brennenden, stechenden oder elektrisierenden Schmerzen bis hin zu Taubheitsgefühlen, Kribbeln oder einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Berührungen reichen.
Sensible Beschwerden
Schäden an sensiblen Nerven können zu Fehlempfindungen führen. Die Haut kann sich pelzig oder taub anfühlen, kribbeln, jucken, brennen oder stechen. Viele Patienten berichten von schmerzlosen Wunden oder dem Gefühl, wie auf Watte zu gehen. Auch Temperatursinnstörungen oder extreme Schmerzen bei leichten Berührungen sind möglich.
Motorische Beschwerden
Schäden an motorischen Nerven können Muskelzuckungen, -krämpfe und Schmerzen verursachen. Häufig erlahmen die betroffenen Muskeln im Verlauf der Erkrankung, und die körperliche Ausdauer lässt nach.
Autonome Beschwerden
Schäden an autonomen Nerven können zu vielfältigen Symptomen führen, wie übermäßigem oder vermindertem Schwitzen, Ohnmachts- und Schwindelanfällen, Herzrasen oder zu langsamem Herzschlag, Schluckbeschwerden, Völlegefühl, Verstopfung und Durchfall, erschwertem oder ungewolltem Wasserlassen, Wassereinlagerungen, Hautveränderungen an den Füßen, Erektionsstörungen und fehlenden Pupillenbewegungen.
Weitere Symptome
Nervenschmerzen können auch mit einer Überempfindlichkeit der Haut einhergehen. Bereits leichte Berührungen oder warmes Wasser können starke Schmerzen verursachen. Muskelkrämpfe können ebenfalls auftreten. Sollten Muskelkrämpfe häufig auftreten (Faustregel: > 3x pro Woche), bzw. die Muskelkrämpfe sich stark zunehmen, „plötzlich“ neu beginnen, asymmetrisch sind, d.h nur auf einer Körperseite auftreten, ist eine neurologische Untersuchung sinnvoll.
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Diagnose von Nervenschmerzen
Die Diagnose von Nervenschmerzen erfordert eine sorgfältige Anamnese, eine körperliche Untersuchung und gegebenenfalls weitere spezielle Untersuchungen.
Anamnese
Der Arzt wird zunächst ausführlich nach den Beschwerden, Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme und der familiären Krankengeschichte fragen. Auch Informationen über den Konsum von Alkohol und Nikotin sind wichtig.
Körperliche Untersuchung
Bei der körperlichen Untersuchung wird der Arzt die Sensibilität, Motorik und Reflexe des Patienten überprüfen. Auch die Haut wird auf Auffälligkeiten wie Überempfindlichkeit oder trophische Störungen untersucht.
Neurologische Untersuchung
Der Neurologe prüft, inwiefern die Funktion der Nerven eingeschränkt ist. Er ermittelt beispielsweise, ob Empfindungsstörungen auf beiden Körperseiten symmetrisch vorliegen oder ob das Schmerz- und Temperaturempfinden beeinträchtigt ist. Darüber hinaus testet er das sogenannte Lageempfinden für einzelne Gliedmaßen und prüft mit einer Stimmgabel, ob Vibrationen wahrgenommen werden können. Abschließend sind einige Koordinations- und Gleichgewichtsübungen Teil der Untersuchung - ebenso wie mehrere Reflextests.
Quantitative Sensorische Testung (QST)
Die QST ist ein spezielles Verfahren, mit dem sich neuropathische Schmerzen besser diagnostizieren lassen. Dabei werden verschiedene Qualitäten der Sensibilität untersucht, wie das Temperatur-, Berührungs- und Vibrationsempfinden.
Elektroneurografie (ENG) und Elektromyografie (EMG)
Bei der Elektroneurografie wird die Erregbarkeit des Nerven überprüft. Bei der Elektromyografie wird die Funktionalität des Muskels untersucht.
Bildgebende Verfahren
In einigen Fällen können bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) oder die Computertomografie (CT) erforderlich sein, um die Ursache der Nervenschmerzen zu identifizieren.
Nervenbiopsie
In seltenen Fällen kann eine Nervenbiopsie erforderlich sein, um eine Erkrankung der dünnen Nervenfasern (Small-Fiber-Neuropathie) festzustellen.
Behandlung von Nervenschmerzen
Die Behandlung von Nervenschmerzen zielt in erster Linie darauf ab, die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Therapie richtet sich nach der Ursache der Nervenschmerzen und den individuellen Symptomen des Patienten.
Ursachenspezifische Therapie
Wenn die Ursache der Nervenschmerzen bekannt ist, sollte diese gezielt behandelt werden. Bei Diabetes mellitus ist eine optimale Blutzuckereinstellung wichtig. Bei Alkoholmissbrauch ist ein dauerhafter Alkoholentzug erforderlich. Bei Autoimmunerkrankungen können Immunsuppressiva eingesetzt werden.
Medikamentöse Schmerztherapie
Verschiedene Medikamente können die Schmerzen einer PNP lindern. In der Regel steigert Ihr Arzt die Dosierung dieser Medikamente langsam, um auf etwaige Nebenwirkungen unmittelbar reagieren zu können. Sollten die Schmerzen hauptsächlich auf bestimmten Hautarealen auftreten, kann auch ein örtlich betäubendes Lidocain-Pflaster sinnvoll sein.
Nicht-medikamentöse Therapie
Physiotherapie kann helfen, geschwächte Muskelgruppen zu stärken und die Beweglichkeit zu verbessern. Ergotherapie kann helfen, alltägliche Handgriffe oder neue Techniken intensiv zu trainieren. Medizinische Fußpflege ist wichtig, um Verletzungen an den Füßen zu vermeiden. Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) kann helfen, die Schmerzweiterleitung zum Gehirn zu blockieren.
Alternative Therapieverfahren
Auch alternative Therapieverfahren wie Akupunktur, Elektrotherapie (Stangerbäder) und Hydrotherapie (Wechselgüsse) können zur Linderung von Nervenschmerzen beitragen. Capsaicin-Creme, eine Salbe aus spanischem Pfeffer, kann ebenfalls helfen, die Schmerzsensoren zu betäuben.
Operative Maßnahmen
In seltenen Fällen, insbesondere bei Engpasssyndromen, kann eine Operation erforderlich sein, um den Nerv zu entlasten.
Selbsthilfemaßnahmen
Achten Sie auf kleine, dafür häufigere Mahlzeiten, um Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen vorzubeugen. Nehmen Sie viel Flüssigkeit und ballaststoffreiche Lebensmittel zu sich, um Verstopfungen entgegenzuwirken. Wählen Sie eine Schlafposition mit erhobenem Oberkörper und tragen Sie auch nachts Stützstrümpfe, um Schwindelgefühle beim Aufstehen zu reduzieren. Testen Sie warme, kalte oder Wechselbäder, um Schmerzen und Fehlempfindungen zu lindern. Auch warme oder kalte Umschläge können eine wohltuende Wirkung haben. Gewöhnen Sie sich einen routinemäßigen Gang zur Toilette alle drei Stunden an, um einem veränderten Harndrang zu begegnen und Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Lassen Sie sich bei Erektionsstörungen oder trockener Vaginalhaut ärztlich beraten. Eine Vakuumpumpe oder Gleitmittel können hier sehr hilfreich sein. Entfernen Sie Stolperfallen und schaffen Sie eine barrierefreie Umgebung, um die Sturzgefahr zu mindern.
Spezielle Nervenschmerzen
Wirbelgleiten (Spondylolisthesis)
Beim Wirbelgleiten (Spondylolisthesis) verrutscht ein Wirbel gegenüber dem angrenzenden Wirbel. Dies kann durch einen Spalt in den Wirbelbögen ausgelöst sein (Spondylolyse) oder aufgrund einer einfachen Verschleißerkrankung. In der Regel zeigt sich diese Veränderung an der unteren Lendenwirbelsäule, weshalb es zu chronischen, tief sitzenden Rückenschmerzen im unteren Rückenbereich kommen kann. Verrutscht ein Wirbel so stark, dass eine Nervenwurzel eingeklemmt wird, kommt es oft zu entsprechenden Symptomen in den Beinen mit Taubheitsgefühlen, Schmerzen und teilweise auch Lähmungen. Auch ein Kontrollverlust der Blasen- und Mastdarmfunktion sowie sexuellen Störungen sind möglich.
Karpaltunnelsyndrom
Das Karpaltunnelsyndrom ist ein Engpasssyndrom, bei dem der Nervus medianus im Handgelenk eingeengt wird. Dies kann zu Schmerzen, Taubheitsgefühlen und Kribbeln in den Fingern führen.