Schienbeinkantensyndrom: Ursachen, Symptome und Behandlung

Das Schienbeinkantensyndrom, auch bekannt als mediales Tibiakantensyndrom, Shin-Splint-Syndrom, MTSS (Mediales Tibiales Stress Syndrom) oder Periostitis (Knochenhautentzündung), ist eine häufige Überlastungsverletzung, die insbesondere bei Sportlern auftritt. Es äußert sich durch Schmerzen an der Vorder- und Innenseite des Unterschenkels und kann die sportliche Aktivität erheblich einschränken. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome, Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten sowie Präventionsmaßnahmen, um Betroffenen ein umfassendes Verständnis dieser Erkrankung zu vermitteln.

Definition und Ursachen des Schienbeinkantensyndroms

Das Schienbeinkantensyndrom ist eine Reizung der Innenseite des Schienbeins (Tibia), die typischerweise die unteren zwei Drittel der Schienbein-Innenseite betrifft. Besonders betroffen ist der Bereich des Muskelansatzes und der Sehne des Musculus tibialis posterior (hinterer Schienbeinmuskel). Wiederholte oder lang andauernde Belastungen können zu einer Reizung des Sehnenansatzes führen, die schließlich eine Entzündung des Schienbeins verursacht.

Das Schienbeinkantensyndrom zählt zu den häufigsten Überlastungsverletzungen bei Sportlerinnen und Sportlern. Die Schmerzen treten meist bei andauernder Belastung auf und können die sportliche Aktivität erheblich einschränken. Im Orthozentrum Bergstraße haben wir ein gezieltes Konzept entwickelt, um diese Beschwerden effektiv zu behandeln und eine Chronifizierung zu vermeiden.

Die Ursachen für ein Schienbeinkantensyndrom sind vielfältig. Im Vordergrund steht häufig eine Überbeanspruchung durch deutlich erhöhte Trainingsumfänge. Hierdurch kommt es zu einer starken Belastung der Unterschenkelmuskeln bzw. deren Ansatzzonen am Schienbein (mediales Schienbeinkantensyndrom, Abb. 1). Seltener kann ein Schienbeinschmerz auch durch einen erhöhten Druck in der Muskelloge, einer Gruppe funktionell zusammengehöriger Muskeln (funktionelles Kompartmentsyndrom), ausgelöst werden (laterales Schienbeinkantensyndrom, Abb. 2).

Zu den häufigsten Auslösern zählen:

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  • Eine plötzliche Steigerung des Trainingsumfangs oder der Intensität
  • Die Verwendung ungeeigneter Sportschuhe mit unzureichender Dämpfung
  • Laufen auf harten oder unebenen Untergründen
  • Fußfehlstellungen wie Knickfuß
  • Schwächen oder Verkürzungen der Waden-, Fuß- und Schienbeinmuskulatur

In seltenen Fällen wird der Schienbeinschmerz durch einen erhöhten Druck in der Muskelloge, einer von einer Bindegewebshülle eingefassten Gruppe funktionell zusammengehöriger Muskeln des Unterschenkels, ausgelöst. Vergrößert sich die Muskulatur während Belastung und steigt hierdurch der Druck in dieser Muskelloge, kann es zu einer Minderversorgung der Muskulatur mit sauerstoffreichem Blut kommen, da die versorgenden Gefäße zunehmend zusammengepresst werden und weniger Blut hindurchlassen. Dieser Effekt soll vornehmlich bei schnellem Auftrainieren der Muskeln eintreten, wenn sich deren Bindegewebshülle nicht so schnell anpassen kann. Man spricht hier auch vom funktionellen Kompartmentsyndrom oder lateralen Schienbeinkantensyndrom. Die Schmerzen sind dabei im Gegensatz zum medialen Schienbeinkantensyndrom an der Außenseite des Unterschenkels oder in der Wade lokalisiert.

Individuelle Faktoren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Bei abgesenktem Fußgewölbe muss der hintere Schienbeinmuskel vermehrte Haltearbeit leisten, was ein mediales Schienbeinkantensyndrom auslösen kann (Abb.3). Eine vermehrte Anhebung des Fußes oder der Zehen begünstigt eher ein laterales Schienbeinkantensyndrom. Auch ein erhöhtes Fußgewölbe kann ein Schienbeinkantensyndrom verursachen. Harte Böden bei der Sportausübung oder abgenutzte Sportschuhe gelten als beschwerdeauslösend.

Die Belastung durch den Sport kann in Kombination mit ungünstigen Faktoren zum Schienbeinkantensyndrom führen. Abhängig von Ursache und Ausmaß der Beschwerden umfasst die Therapie Trainingspause und Anpassung des Trainingsplans. Bis zu 20 % aller Trainingsausfälle von Läufern sind auf das Schienbeinkantensyndrom zurückzuführen.

Wer ist besonders betroffen?

Das Schienbeinkantensyndrom tritt besonders häufig bei Läuferinnen und Läufern auf, vor allem bei Anfängerinnen und Anfängern oder Personen, die ihre Laufintensität zu schnell steigern. Auch Sportlerinnen und Sportler in Disziplinen mit vielen Sprung- oder Laufbewegungen wie Basketball oder Tennis sind vermehrt betroffen. Darüber hinaus leiden Menschen, die beruflich viel auf harten Böden stehen oder gehen, häufiger unter diesem Syndrom. Ein erhöhtes Risiko haben zudem Personen mit Fußfehlstellungen wie Knickfüßen oder unzureichend trainierter Beinmuskulatur.

Symptome und Diagnose des Schienbeinkantensyndroms

Symptome

Das Schienbeinkantensyndrom äußert sich durch Schmerzen an der Vorder- und Innenseite des Unterschenkels, die oft als stechend oder dumpf beschrieben werden. Zunächst treten die Beschwerden nur während des Trainings auf, insbesondere bei anhaltender Belastung und Druck auf die Beine. In diesem frühen Stadium sind sie meist noch tolerierbar und zwingen Betroffene nicht zum Abbruch der Aktivität.

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Typische Symptome umfassen:

  • Dumpfe Schmerzen entlang der Innenseite des Schienbeins, die bis zum Knöchel ausstrahlen können.
  • Schmerzen, die zunächst nur bei Belastung auftreten, in späteren Stadien jedoch auch in Ruhephasen spürbar sind.
  • Spannungsgefühle oder Schwellungen im betroffenen Bereich.
  • Eine verstärkte Druckempfindlichkeit entlang des Schienbeins.

Mit zunehmender Belastung verschlimmern sich die Schmerzen: Im fortgeschrittenen Stadium treten sie bereits zu Beginn der Belastung oder sogar beim Gehen auf. In diesem Fall muss die Aktivität häufig abgebrochen werden. Ohne ausreichende Erholung kann es zu Ruheschmerzen kommen, die sich schon bei geringer Belastung - etwa beim Gehen im Alltag - verstärken.

Diagnose

Die Diagnose des Schienbeinkantensyndroms erfolgt zunächst durch eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung. Typische Hinweise sind die vom Patienten oder der Patientin beschriebenen Schmerzen an der Vorder- oder Innenseite des Schienbeins. Zur Abgrenzung weiterer Erkrankungen und zur genauen Ursachenanalyse kommen zusätzlich apparative Diagnoseverfahren zum Einsatz.

Eine Laufanalyse kann helfen, Fehlstellungen zu erkennen, die das Schienbeinkantensyndrom begünstigen.

Bildgebende Verfahren: MRT und Röntgen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) und das Röntgen sind besonders wichtig, um andere Erkrankungen auszuschließen. Die MRT hat dabei aufgrund ihrer hohen Sensitivität und Bildauflösung eine zentrale Bedeutung. Nur durch bildgebende Verfahren lassen sich Stressfrakturen, venöse Erkrankungen oder andere Differenzialdiagnosen sicher erkennen, sodass eine gezielte Therapie eingeleitet werden kann.

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Behandlungsmöglichkeiten des Schienbeinkantensyndroms

Die Behandlung des Schienbeinkantensyndroms erfolgt in der Regel konservativ. Ziel ist es, die akuten Symptome zu lindern und die Entzündung nachhaltig zu behandeln. Während der Schmerzphase sollte die sportliche Aktivität stark reduziert oder angepasst werden, um das Schienbein zu entlasten.

Die folgenden Maßnahmen können helfen:

  • Training vorerst unterbrechen: Jegliche Überlastung durch Laufen oder andere sportliche Aktivitäten, die die Schienbeinregion beanspruchen, sollten pausiert werden.
  • Kühlpacks: Kühlen der betroffenen Stelle kann Schwellungen reduzieren und Schmerzen lindern. Dies sollte jedoch in Absprache mit medizinischem Fachpersonal erfolgen.
  • Einlegesohlen: Liegt eine Fehlstellung der Füße, wie zum Beispiel ein Knick-Senkfuß vor, können orthopädische Einlagen helfen, diese Fehlstellungen zu korrigieren und die Belastung auf die Unterschenkelmuskulatur gleichmäßiger zu verteilen, wodurch die Beschwerden reduziert werden können.
  • Gezieltes Dehnen & Koordinationstraining: Bereits in der Akutphase sollte die Wadenmuskulatur regelmäßig gedehnt werden. Übungen auf instabilen Untergründen (z. B.

Wiedereinstieg nach der Heilung: Erst wenn kein Druckschmerz mehr vorhanden ist, sollte die sportliche Aktivität wieder aufgenommen werden. Im Orthozentrum Bergstraße erstellen wir für unsere Patientinnen und Patienten ein individuelles Behandlungskonzept, das sowohl die akuten Beschwerden lindert als auch langfristig zur Prävention beiträgt.

Was können Betroffene selbst tun?

Die richtige Selbstbehandlung kann die Heilung beschleunigen und eine Chronifizierung verhindern.

Maßnahmen zur Selbstbehandlung:

  1. Sportliche Aktivität reduzieren oder anpassen: Vermeiden oder verringern Sie Aktivitäten, die eine Belastung für das betroffene Bein darstellen. Dies kann bedeuten, dass Sie zeitweilig zu anderen Trainingsformen übergehen. Für Ausdauersportler*innen ist z. B. Radfahren gut geeignet. Bei leichten Symptomen reicht es, die Belastung zu reduzieren, bei starken Beschwerden sollten Sie eine Trainingspause einlegen.
  2. Kühlen: Bei akuten Beschwerden können Sie die gereizte Stelle kühlen.
  3. Geeignetes Schuhwerk: Lauftraining auf hartem Untergrund sollte vermieden oder zumindest deutlich verringert werden. Verwenden Sie stabile Laufschuhe mit guter Stoßdämpfung. Nach 500 km sollten Sie Ihre Laufschuhe durch ein neues Paar ersetzen.

Medikamentöse Behandlung

Eine Behandlung mit Medikamenten ist beim Schienbeinkantensyndrom häufig nur begrenzt wirksam. Bei akuten und starken Beschwerden können Sie über einen kurzen Zeitraum Schmerzmittel (NSAR) einnehmen.

Kortisoninjektionen & Operationen

Eine Kortisontherapie wird nur in seltenen Fällen angewendet. Wenn Schonung und konservative Behandlung nicht die erhoffte Wirkung zeigen, kann frühestens nach einem Jahr eine Operation in Betracht gezogen werden. Bei der Operation wird die Muskelfaszie geteilt, sodass der Muskel wieder mehr Raum hat.

Prävention des Schienbeinkantensyndroms

Viele Maßnahmen, die in der Therapie des Schienbeinkantensyndroms eingesetzt werden, helfen gleichzeitig bei der Prävention von Schienbeinschmerzen. Wer diese Präventionsmaßnahmen konsequent umsetzt, kann das Risiko eines Schienbeinkantensyndroms erheblich reduzieren und langfristig beschwerdefrei bleiben.

Vorbeugende Maßnahmen:

  • Verwenden Sie Schuhe mit Stoßdämpfung, die Sie regelmäßig erneuern.
  • Vermeiden Sie nach Möglichkeit Lauftraining auf harten Böden wie Asphalt oder Ähnlichem.
  • Verringern oder variieren Sie Ihr Training, falls Beschwerden auftreten.
  • Langsame Steigerung der Trainingsintensität, um dem Körper und dem Muskel ausreichend Zeit zur Anpassung zu geben.
  • Regelmäßiges Aufwärmen und gezieltes Dehnen, um die Muskulatur optimal auf die Belastung vorzubereiten.
  • Kräftigungsübungen für die Waden- und Schienbeinmuskulatur sowie die Rumpfstabilität in das Training integrieren.

Sportartspezifische Empfehlungen zur Vermeidung des Schienbeinkantensyndroms

Das Schienbeinkantensyndrom tritt durch kontinuierlichen physischen Stress in Sportarten mit hoher Belastung auf. Zu den weiteren Risikofaktoren zählen schlecht sitzende oder abgenutzte Schuhe, das Laufen auf hartem Untergrund und eine zu schnelle Steigerung der Trainingsintensität oder Distanz. Achten Sie als Sportler daher besonders auf eine korrekte Technik und geeignete Ausrüstung, um das Risiko zu minimieren.

Gründe für Shin Splints im Überblick:

  • Überbeanspruchung durch intensives Training oder plötzliche Trainingssteigerung.
  • Fehlende Dehnübungen oder unzureichende Erwärmung vor dem Training.
  • Schlecht sitzende oder verschlissene Schuhe.
  • Laufen auf hartem Untergrund oder unebenen Oberflächen.
  • Fehlende Stabilität oder Überpronation des Fußes.
  • Überlastung der Muskeln und Sehnen im Unterschenkel.

Medial vs. Lateral und Kompartmentsyndrom

Das Schienbeinkantensyndrom tritt in zwei Hauptformen auf: medial (innen) und lateral (außen). Die mediale Form betrifft häufiger die Innenseite des Schienbeins, während die laterale Form die Außenseite betrifft. Die Schmerzen sind in der medialen Form typischerweise entlang der inneren Schienbeinkante spürbar, während sie bei der lateralen Form an der äußeren Schienbeinkante auftreten. Es ist wichtig, diese beiden Formen zu unterscheiden, damit wir die Behandlung und Prävention exakt auf Ihre Beschwerden abstimmen können.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Kompartmentsyndrom, eine ernstere Erkrankung, die durch Überbeanspruchung der Unterschenkelmuskulatur und -sehnen entsteht. Es führt zu erhöhtem Druck innerhalb eines Muskelkompartiments, was die Durchblutung und Nervenfunktionen beeinträchtigen kann. Ohne rechtzeitige Behandlung kann dies zu schweren Muskelschäden und Nervenproblemen führen. Wenn Sie starke, anhaltende Schmerzen, Taubheitsgefühle oder Schwellungen im Unterschenkel verspüren, ist es wichtig, einen Arzt aufzusuchen, um eine genaue Diagnose zu erhalten und schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden.

Prognose

In den meisten Fällen gehen die Beschwerden durch Entlastung und eine Änderung der Trainingsgewohnheiten zurück. Dennoch kann es zu Rückfällen kommen, sodass längere Pausen nötig sind oder auf andere Sportarten ausgewichen werden muss. Bei manchen Patient*innen entwickeln sich chronische Beschwerden, die die Ausübung einer Sportart verhindern.

Bei konservativer Behandlung mit einer Verringerung der schmerzauslösenden Aktivitäten und der Anpassung entsprechender Schuhe oder Einlegesohlen ist die Prognose im Allgemeinen gut. Ab Behandlungsbeginn dauert es etwa 9-12 Monate, bis eine beschwerdefreie Vollbelastung möglich ist.

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