Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, die in jedem Alter auftreten kann. Glücklicherweise können etwa drei von vier Epilepsiepatienten mit modernen Therapiemethoden anfallsfrei werden. Dennoch besteht das Risiko, dass epileptische Anfälle die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen und Verhaltens-, Aufmerksamkeits- und Lernschwierigkeiten verursachen. Um eine bestmögliche Versorgung zu gewährleisten, gibt es in Deutschland spezialisierte Epilepsiezentren. Diese Zentren bieten umfassende Diagnostik, Therapie und Beratung für Menschen mit Epilepsie und deren Familien.
Was ist ein Epilepsiezentrum?
Ein Epilepsiezentrum ist eine spezialisierte medizinische Einrichtung, die sich auf die Diagnose, Behandlung und Betreuung von Menschen mit Epilepsie konzentriert. Diese Zentren verfügen über ein multidisziplinäres Team von Experten, darunter Neurologen, Neuropädiater, Neurochirurgen, Psychologen, Sozialarbeiter und speziell ausgebildete Pflegekräfte. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) und die Arbeitsgemeinschaft für prächirurgische Epilepsiediagnostik und operative Epilepsietherapie (AG Epilepsiechirurgie) haben Kriterien zur Zertifizierung von Epilepsiezentren erstellt, um eine hohe Qualität der Versorgung sicherzustellen.
Aufgaben und Leistungen von Epilepsiezentren
Epilepsiezentren verfolgen den Auftrag, therapeutische Lücken in der Versorgung von Anfallskranken zu schließen und eine umfassende Betreuung von Epilepsie-Patienten auf dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens sicherzustellen. Zu den Hauptaufgaben und Leistungen gehören:
- Diagnostik: Epilepsiezentren bieten modernste diagnostische Möglichkeiten, um die Art der Epilepsie, die Ursache der Anfälle und die optimale Behandlungsstrategie zu ermitteln. Dazu gehören Elektroenzephalographie (EEG), Video-EEG-Monitoring, Magnetresonanztomographie (MRT) und andere bildgebende Verfahren.
- Therapie: Epilepsiezentren bieten ein breites Spektrum an Therapieoptionen, einschließlich medikamentöser Behandlung, spezieller Ernährungsformen (wie ketogene Diät), Neurostimulation und Epilepsiechirurgie. Die Therapie wird individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt.
- Beratung und Unterstützung: Epilepsiezentren bieten Beratung und Unterstützung für Patienten und ihre Familien in psychosozialen Fragen. Dies umfasst Informationen über die Erkrankung, den Umgang mit Anfällen, die Auswirkungen auf den Alltag und die Unterstützungsmöglichkeiten.
- Spezielle Angebote: Einige Epilepsiezentren haben spezielle Angebote für bestimmte Patientengruppen, wie z.B. Kinder und Jugendliche mit Epilepsie, Menschen mit geistiger, psychischer oder körperlicher Behinderung und Patienten mit seltenen Epilepsieformen.
- Forschung: Viele Epilepsiezentren sind an Forschungsprojekten beteiligt, um das Verständnis von Epilepsie zu verbessern und neue Behandlungsmethoden zu entwickeln.
Beispiele für Epilepsiezentren in Deutschland
Deutschlandweit gibt es zahlreiche zertifizierte Epilepsiezentren, die eine hochwertige Versorgung gewährleisten. Einige Beispiele sind:
- Epilepsiezentrum am Christlichen Klinikum Unna: Dieses Zentrum ist eines von fünf zertifizierten Epilepsiezentren in Nordrhein-Westfalen und bietet umfassende Betreuung von Epilepsie-Patienten. Eine Besonderheit ist die Behandlung von Anfallskranken, die zusätzlich unter einer geistigen, psychischen oder körperlichen Behinderung leiden.
- Epilepsiezentrum am Universitätsklinikum Freiburg: Als Zentrum der Maximalversorgung bietet dieses Zentrum eine umfassende multimodale Diagnostik und spezifische Diagnostikprogramme zur Planung spezieller Therapien, insbesondere für seltene Epilepsieformen. Das Zentrum hat einen Schwerpunkt im Bereich Epilepsiechirurgie und interagiert mit anderen deutschen Epilepsiezentren.
- Epilepsiezentrum Kleinwachau: In Radeberg, nahe Dresden, unterstützt dieses Zentrum Menschen mit Epilepsie und setzt dabei auf Menschlichkeit. Es verfügt über ein Medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB).
- Epilepsiezentrum des Uniklinikums Erlangen: Dieses Zentrum zählt zu den Epilepsiezentren der höchsten Versorgungsstufe (Grad-IV-Zentrum) und bietet umfassende Diagnostik und Therapie für Epilepsien und andere Anfallserkrankungen, einschließlich präoperativer Epilepsiediagnostik und Epilepsiechirurgie.
- Sächsisches Epilepsiezentrum Kleinwachau: Bietet eine Epilepsiesprechstunde für Kinder und Jugendliche an.
Diagnostische Verfahren im Detail
Die Diagnostik in Epilepsiezentren umfasst verschiedene Verfahren, um die Art der Epilepsie und die Ursache der Anfälle zu ermitteln. Zu den wichtigsten gehören:
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- Elektroenzephalographie (EEG): Das EEG ist eine nicht-invasive Untersuchung, bei der die elektrische Aktivität des Gehirns über Elektroden auf der Kopfhaut gemessen wird. Es kann helfen, typische Veränderungen im Gehirn zu erkennen, die auf eine Epilepsie hindeuten.
- Video-EEG-Monitoring: Beim Video-EEG-Monitoring wird das EEG über einen längeren Zeitraum (oft mehrere Tage) aufgezeichnet, während der Patient gleichzeitig gefilmt wird. Dies ermöglicht es, das Aussehen und den zeitlichen Ablauf der Anfälle mit den EEG-Veränderungen in Beziehung zu setzen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Bilder des Gehirns liefert. Sie kann helfen, strukturelle Veränderungen im Gehirn zu erkennen, die eine Epilepsie verursachen können, wie z.B. Narben, Tumore oder Fehlbildungen.
- Laboruntersuchungen: Laboruntersuchungen von Blut, Urin und Nervenwasser können helfen, andere Ursachen für die Anfälle auszuschließen, wie z.B. Stoffwechselstörungen oder Infektionen.
- Neuropsychologische Tests: Diese Tests können helfen, die Auswirkungen der Epilepsie auf die kognitiven Funktionen (wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Sprache) zu beurteilen.
Therapieansätze im Überblick
Die Therapie von Epilepsie zielt darauf ab, die Anfälle zu kontrollieren und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Die wichtigsten Therapieansätze sind:
- Medikamentöse Therapie: Antikonvulsiva (Antiepileptika) sind Medikamente, die das Auftreten von Anfällen unterdrücken sollen. Es gibt viele verschiedene Antikonvulsiva, und die Wahl des Medikaments hängt von der Art der Epilepsie, dem Alter des Patienten und anderen Faktoren ab. Bei circa zwei Drittel der Betroffenen ist eine medikamentöse Therapie mit einem oder zwei Präparaten erfolgreich.
- Ernährungstherapie: Spezielle Ernährungsformen wie die ketogene Diät, die modifizierte Atkins Diät oder die Low-Glycemic-Index-Diät können bei einigen Epilepsieformen helfen, die Anfälle zu reduzieren. Diese Diäten zielen auf eine Umstellung des Energiestoffwechsels.
- Neurostimulation: Bei der Neurostimulation werden elektrische oder magnetische Impulse verwendet, um die Aktivität des Gehirns zu beeinflussen. Zu den Neurostimulationsverfahren gehören die Vagusnervstimulation (VNS), die tiefe Hirnstimulation (DBS) und die transkranielle Magnetstimulation (TMS).
- Epilepsiechirurgie: Eine epilepsiechirurgische Operation kann eine Option sein, wenn die Anfälle mit Medikamenten nicht ausreichend kontrolliert werden können. Ziel der Operation ist es, das anfallsauslösende Areal im Gehirn zu entfernen oder zu isolieren. Eine solche Operation ist die einzige Möglichkeit, eine Epilepsie zu heilen und hat eine durchschnittliche Chance auf Anfallsfreiheit von ca. 70%. Leider gelingt die genaue Lokalisation anfallsauslösenden Areale im Gehirn nur bei ca. 10% der Patienten mit therapieschweren Epilepsien.
Die Rolle der Beratung und Unterstützung
Neben der medizinischen Behandlung spielen Beratung und Unterstützung eine wichtige Rolle bei der Betreuung von Menschen mit Epilepsie. Epilepsiezentren bieten eine Vielzahl von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, darunter:
- Psychosoziale Beratung: Diese Beratung hilft Patienten und ihren Familien, mit den emotionalen und sozialen Herausforderungen der Epilepsie umzugehen.
- Informationen und Schulungen: Epilepsiezentren bieten Informationen und Schulungen über die Erkrankung, den Umgang mit Anfällen, die Medikamenteneinnahme und andere wichtige Themen.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann eine wertvolle Unterstützung sein.
- Berufliche Beratung: Epilepsiezentren können bei der beruflichen Orientierung und Integration unterstützen.
Zertifizierung von Epilepsiezentren
Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) zertifiziert Epilepsiezentren, die bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Diese Zertifizierung dient als Orientierungshilfe für Patienten und stellt sicher, dass die Zentren eine hochwertige Versorgung anbieten. Zu den Kriterien für die Zertifizierung gehören:
- Qualifiziertes Personal: Das Zentrum muss über ein multidisziplinäres Team von Experten verfügen.
- Umfassende Diagnostik: Das Zentrum muss ein breites Spektrum an diagnostischen Verfahren anbieten.
- Vielfältige Therapieangebote: Das Zentrum muss verschiedene Therapieoptionen anbieten, einschließlich medikamentöser Behandlung, Ernährungstherapie, Neurostimulation und Epilepsiechirurgie.
- Beratung und Unterstützung: Das Zentrum muss Beratungs- und Unterstützungsangebote für Patienten und ihre Familien anbieten.
- Qualitätsmanagement: Das Zentrum muss ein Qualitätsmanagementsystem implementiert haben, um die Qualität der Versorgung kontinuierlich zu verbessern.
Bedeutung von Schwerpunktpraxen Epileptologie
Neben den zertifizierten Epilepsiezentren gibt es in Deutschland auch Schwerpunktpraxen Epileptologie. Diese Praxen sind auf die ambulante Versorgung von Menschen mit Epilepsie spezialisiert und arbeiten eng mit den Epilepsiezentren zusammen. Sie bieten eine wohnortnahe Versorgung und können eine wichtige Ergänzung zu den Leistungen der Epilepsiezentren sein.
Aktuelle Studien und Forschung
Epilepsiezentren sind oft an aktuellen Studien und Forschungsprojekten beteiligt, um das Verständnis von Epilepsie zu verbessern und neue Behandlungsmethoden zu entwickeln. Einige Beispiele für aktuelle Studien sind:
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- Study to Test the Efficacy and Safety of Padsevonil as Adjunctive Treatment of Focal-onset Seizures in Adults With Drug-resistant Epilepsy (ARISE): Diese Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Medikaments (Padsevonil) zur Behandlung von fokalen Anfällen bei Erwachsenen mit medikamentenresistenter Epilepsie.
- Antiepileptic drug withdrawal in long-term video-EEG monitoring for pre-surgical evaluation: a European safety and efficacy analysis: Diese Studie untersucht die Sicherheit und Wirksamkeit des Absetzens von Antiepileptika während des Langzeit-Video-EEG-Monitorings zur präoperativen Evaluation.
- Prospective multi-center study on the localization accuracy and clinical utility of Automated Visualization of Electrical Sources in Pre-Surgical Evaluation: Diese Studie untersucht die Genauigkeit und den klinischen Nutzen der automatisierten Visualisierung elektrischer Quellen bei der präoperativen Evaluation.
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