Myasthenia Gravis: Ursachen, Symptome und Behandlung

Myasthenia gravis (MG), in Deutschland auch Myasthenie genannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch eine Störung der Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln gekennzeichnet ist. Diese Störung führt zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche, die verschiedene Körperregionen betreffen kann. Die Erkrankung ist nicht heilbar, aber dank moderner Behandlungsmöglichkeiten in der Regel gut einstellbar, so dass Betroffene ein weitgehend normales Leben führen können.

Ursachen der Myasthenia Gravis

Die Ursache der Myasthenia gravis liegt in einer gestörten Impulsübertragung an der neuromuskulären Endplatte, der Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel. Diese Störung wird durch eine fehlgesteuerte Reaktion des Immunsystems verursacht. Das Immunsystem bildet Abwehrstoffe (Antikörper) gegen Bestandteile der neuromuskulären Endplatte. Bestimmte Antikörper blockieren oder verändern Andockstellen (Rezeptoren) für den Botenstoff Acetylcholin, der eine wesentliche Rolle bei der Steuerung der Muskulatur spielt. Acetylcholin kann seine Wirkung folglich nicht mehr voll entfalten.

Die Rolle der neuromuskulären Endplatte

Die neuromuskuläre Endplatte ist der Übergang zwischen Nerv und Muskelfaser. Um den Muskel zu einer Bewegung anzuregen, muss der elektrische Impuls aus dem Rückenmark in ein chemisches Signal umgewandelt werden. Dies geschieht, indem als Folge eines elektrischen Impulses an der Endigung der Nervenzelle der Botenstoff Acetylcholin in den Spalt zwischen Nerv und Muskelfaser freigesetzt wird. An der neuromuskulären Verbindungsstelle, also den Rezeptoren der Muskeln, docken diese an und stimulieren die Muskulatur, welche sich dann zusammenzieht.

Die Bedeutung des Acetylcholins

Für die neuromuskuläre Übertragung ist vor allem der Botenstoff Acetylcholin (ACh) entscheidend. Bei der häufigsten Form der Myasthenie bildet das Immunsystem Antikörper gegen einen bestimmten Rezeptor der Muskeln, der auf den Neurotransmitter Acetylcholin reagiert (ACh-Rezeptoren), wodurch die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln gestört wird, da das ACh nicht mehr „andocken“ kann.

Die Thymusdrüse und Myasthenia Gravis

Eine wichtige Rolle bei Myasthenia gravis spielt die Thymusdrüse, ein Organ des Immunsystems. Die Thymusdrüse liegt hinter dem Brustbein und bildet sich bei gesunden Menschen ab dem Jugendalter zurück. Bei vielen Patientinnen und Patienten mit Myasthenie ist die Thymusdrüse vergrößert und übermäßig aktiv. Daher führt die Entfernung der Thymusdrüse in einigen Fällen zur Besserung der Myasthenie Symptome. Es ist jedoch zu beachten, dass eine vergrößerte Thymusdrüse auch ein Anzeichen für einen Thymus-Tumor (Thymom) sein kann und in diesem Fall eine Operation unerlässlich ist.

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Weitere Faktoren

Da es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, kommen verschiedene Auslöser infrage, welche eine Myasthenia gravis verursachen oder ihre Ausprägung verschlimmern können, bis hin zu einem Schub (myasthene Krise). Auslöser eines solchen Schubs sind oft Infektionskrankheiten. Zudem gibt es einige Betroffene, die keine Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren aufweisen, sondern gegen ein Enzym, welches an der Bildung und Regeneration der neuromuskulären Verbindungsstelle beteiligt ist. Diese Form der Myasthenie muss anders behandelt werden.

Symptome der Myasthenia Gravis

Wichtigstes Symptom der Myasthenia gravis ist die belastungsabhängige Muskelschwäche. Sie beginnt meist im Bereich der Augen und kann im Laufe der Zeit alle Körperregionen betreffen. Die Symptome sind sehr vielseitig und häufig auch typisch für andere Erkrankungen. Die Augen sind bei Myasthenia gravis meist schon im Frühstadium von Symptomen betroffen.

Typische Symptome

  • Belastungsabhängige Muskelschwäche: Die Muskelschwäche verstärkt sich bei Anstrengung und bessert sich in Ruhephasen.
  • Augenmuskeln: Hängende Augenlider (Ptose), Doppelbilder (Diplopie) und Sehstörungen sind häufige Symptome.
  • Gesichtsmuskeln: Schwäche der Gesichtsmuskeln kann zu Schwierigkeiten beim Kauen, Schlucken und Sprechen führen. Sprechstörungen äußern sich zum Beispiel durch abgehacktes, stakkatoartiges, gehauchtes, unregelmäßiges, unpräzises und monotones Sprechen.
  • Arme und Beine: Muskelschwäche in Armen und Beinen kann alltägliche Aktivitäten erschweren.
  • Atemmuskulatur: In schweren Fällen kann die Atemmuskulatur betroffen sein, was zu Atemnot und im schlimmsten Fall zu einer lebensbedrohlichen Ateminsuffizienz führen kann.

Der quantitative Myasthenia gravis (QMG)-Test

Für die Bestimmung des Schweregrades der Myasthenia bei der Diagnose und im weiteren Verlauf wird häufig der Quantitative-Myasthenia-gravis (QMG)-Test angewendet. Mit diesem standardisierten Test werden die Muskulatur im Bereich der Augen und des Gesichts, die Muskeln, die für Schlucken und Sprechen verwendet werden, die Muskulatur an Armen, Beinen und Händen sowie die Funktion der Lunge beurteilt.

Der Myasthenia-gravis-Activities-of-Daily-Living (MG-ADL)-Test

Anhand des Myasthenia-gravis-Activities-of-Daily-Living (MG-ADL)-Tests wird erfasst, in welchem Ausmaß die Erkrankung Aktivitäten des täglichen Lebens beeinflusst. Auch dieser Test kann bei der Diagnose und zur Verlaufskontrolle eingesetzt werden.

Warnzeichen

Trotzdem gibt es einige Warnzeichen, bei denen Sie sofort einen Arzt aufsuchen sollten. Eine generalisierte Form der Myasthenie kann alle Skelettmuskeln betreffen. Oft sind es die Muskeln in Armen und Beinen, sowie die Muskeln, die für Sprechen und Schlucken verantwortlich sind. Dadurch kann es zu Schwierigkeiten bei alltäglichen Aktivitäten kommen. Zum Beispiel beim Ausziehen von Kleidung über dem Kopf, sowie beim Einräumen von Geschirr in hoch hängende Küchenschränke.

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Diagnose der Myasthenia Gravis

Die Diagnose der Myasthenia gravis beruht vor allem auf den typischen Beschwerden, dem Alter des Patienten und der Beschaffenheit der Thymusdrüse. Dafür erfragt der Arzt die Vorgeschichte und untersucht den Betroffenen auf körperliche Symptome wie ermüdende Muskeln, unterschiedlich stark ausgeprägte Muskelschwäche sowie die betroffenen Körperregionen. Auch eine Untersuchung der Thymusdrüse kann sinnvoll sein. Darüber hinaus unterstützen Labortests dabei, eine fehlerhafte Impulsübertragung zwischen Nerven und Muskeln, den Erkrankungstyp anhand der ursächlichen Antikörper sowie den Schweregrad zu bestimmen.

Neurologische Untersuchung

Eine gezielt durchgeführte neurologische Untersuchung kann weitere Hinweise auf das Vorliegen einer Myasthenia gravis geben. Dabei kommen u. a. folgende Tests zum Einsatz:

  • Antikörpertests: Eine Testung auf Antikörper gegen den Acetylcholin-Rezeptor im Blut Betroffener ist der erste empfohlene Schritt bei Verdacht auf Myasthenia gravis. Auch Antikörper gegen MuSK, einen Eiweißstoff auf Muskelzellen, der eine wichtige Rolle für die Funktion des Botenstoffs Acetylcholin spielt, können im Blut Betroffener erfasst werden. Antikörper gegen LRP4 können ebenfalls im Blut erfasst werden.
  • Edrophoniumchlorid-Test: Bei diesem Test wird ein Medikament verabreicht, das den Abbau von Acetylcholin verzögert. Eine vorübergehende Verbesserung der Muskelschwäche nach der Injektion kann auf Myasthenia gravis hindeuten.
  • Elektromyogramm (EMG): Bei der Durchführung eines Elektromyogramms (EMG) werden Nerven einer wiederholten elektrischen Reizung ausgesetzt. Die dadurch entstehende elektrische Spannung am entsprechenden Muskel wird gemessen. So kann festgestellt werden, ob die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel funktioniert.
  • Bildgebung: Bei etwa 10 bis 15 von 100 Myasthenia gravis-Patienten ist ein Tumor der Thymusdrüse, ein sogenanntes Thymom, vorhanden. Auch eine Vergrößerung des Thymus tritt bei Patienten mit Myasthenia gravis häufiger auf als bei gesunden Menschen.

Differentialdiagnose

Vor allem zu Beginn der Erkrankung kann es sinnvoll sein, vor der Diagnosestellung andere Erkrankungen auszuschließen. Abhängig von den vorliegenden Beschwerden können u. a. folgende weitere Erkrankungen in Frage kommen: Lambert-Eaton-Syndrom, medikamenteninduzierte myasthene Syndrome, Polymyositis, Dermatomyositis, mitochondriale Muskeldystrophie, okulopharyngeale Muskeldystrophie, Guillain-Barré-Syndrom oder auch ein Hirntumor.

Behandlung der Myasthenia Gravis

Die Myasthenia gravis ist nicht heilbar, aber gut einstellbar. Ziel der Behandlung ist es, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Medikamentöse Therapie

  • Acetylcholinesterasehemmer: Diese Medikamente hemmen den Abbau von Acetylcholin und verbessern so die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel.
  • Kortikosteroide: Corticosteroide dämpfen als körpereigene Hormone die Überaktivität des Immunsystems und erzielen rasch eine deutliche Symptomverbesserung.
  • Immunsuppressiva: Immunsuppressiva werden eingesetzt, um die Neubildung von Antikörpern zu bremsen.
  • Biologika: Neuartige monoklonale Antikörper wie Rituximab und Eculizumab, greifen spezifisch in den Krankheitsprozess ein und können das Krankheitsgeschehen in bestimmten Konstellationen nachhaltig positiv zu beeinflussen.

Thymektomie

Bei Patientinnen und Patienten mit einem Thymom ist eine operative Entfernung der Thymusdrüse (Thymektomie) in der Regel erforderlich. Auch bei Patienten ohne Thymom kann eine Thymektomie in bestimmten Fällen sinnvoll sein.

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Plasmapherese und Immunglobuline

Bei akuten Verschlechterungen der Symptome (myasthene Krise) können eine Plasmapherese (Blutwäsche) oder die Gabe von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) helfen, die Antikörper aus dem Blut zu entfernen und die Symptome zu lindern.

Wichtig bei der Behandlung

Wichtig ist, dass die medikamentöse Behandlung der Myasthenia gravis individuell an das jeweilige Krankheitsbild angepasst wird. Häufig kommen dabei unterschiedliche Wirkstoffe gleichzeitig zum Einsatz.

Leben mit Myasthenia Gravis

Dank der heutigen Behandlungsmöglichkeiten ist der Verlauf der Erkrankung in der Regel günstig und führt nicht mehr zu einer Verkürzung der Lebenserwartung. Die meisten Patientinnen und Patienten können trotz Einschränkungen ihrer körperlichen Belastbarkeit ein weitgehend normales Leben führen und ihren Beruf ausüben. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, die Muskelkraft vollständig wiederherzustellen. Alle Patientinnen und Patienten müssen ihre individuellen Belastungsgrenzen herausfinden.

Tipps für den Alltag

  • Belastungsgrenzen beachten: Körperliche und psychische Belastungen wirken symptomverstärkend und sollten weitgehend vermieden werden.
  • Ruhephasen einplanen: Der Alltag sollte auf die Erkrankung abgestimmt werden. So ist die Belastbarkeit am Morgen größer als am Abend und Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden.
  • Unterstützung suchen: Der Austausch mit anderen Betroffenen und die Unterstützung durch Familie und Freunde können helfen, mit der Erkrankung umzugehen.

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