Kreative Gehirnhälfte: Die Wahrheit hinter Lügen und Studien

Die Vorstellung, dass eine Gehirnhälfte für Kreativität und die andere für Logik zuständig ist, hält sich hartnäckig. Doch was steckt wirklich dahinter? Dieser Artikel beleuchtet die faszinierende Welt der Gedächtnisforschung, die Rolle der Emotionen und die überraschenden Verbindungen zwischen Lügen und Kreativität.

Das trügerische Gedächtnis: Eine Quelle der Kreativität?

Unser autobiografisches Gedächtnis, der Speicher unserer persönlichen Erlebnisse und Gefühle, ist alles andere als ein präzises Archiv. Vielmehr ist es ein dynamisches System, das ständig neu interpretiert und konstruiert wird. Die Psychologin Elizabeth Loftus demonstrierte dies eindrucksvoll mit ihren Studien zur "implantierten Erinnerung". Sie pflanzte Probanden falsche Kindheitserinnerungen ein, die diese als real empfanden.

Noch leichter lässt sich die Erinnerung durch Bilder manipulieren. Loftus montierte Kinderfotos von Probanden in Bilder von Heißluftballonfahrten. Die Hälfte der Befragten "erinnerte" sich später an die aufregende Ballonfahrt, obwohl sie nie stattgefunden hatte.

Diese Erkenntnisse stellen unsere Vorstellung vom Gedächtnis als unbestechlichen Speicher in Frage. Stattdessen scheint es, dass unser Gedächtnis die Vergangenheit aktiv konstruiert, um uns in der Gegenwart und Zukunft zu orientieren. Gefühle spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie filtern, welche Eindrücke im Langzeitspeicher landen und welche gelöscht werden.

Die Rolle der Emotionen: Wächter der Erinnerung

Eindrücke aus dem Kurzzeitgedächtnis gelangen zunächst ins limbische System, wo ihr emotionaler Gehalt bewertet wird. Nur was als bedeutsam eingeschätzt wird, erreicht die Großhirnrinde und wird als Erinnerungsbild, als "Engramm", abgelegt.

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Wie wichtig Gefühle für die Erinnerung sind, zeigt sich bei Patienten mit dem seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom. Durch Kalkablagerungen in der Amygdala, dem Gefühlszentrum des Gehirns, ist ihre Gefühlswelt verarmt. Sie können sich zwar an Details erinnern, vergessen aber den emotionalen Gehalt von Ereignissen.

Black-outs und Verzerrungen: Segen oder Fluch?

Black-outs, Verwechslungen und verzerrte Erinnerungen sind oft ein Segen. "Unser ganzes Leben ist eine Erfindung", sagt Harald Welzer. "Es gehört zur menschlichen Normalität, sich falsch zu erinnern. Das korrekte Erinnern ist das Anomale." Erinnerung bildet sich in der Gemeinschaft, in der Kommunikation mit anderen heraus.

Bei traumatischen Erlebnissen ist das Gedächtnis besonders unzuverlässig. Erfahrungen wie die Dresdner Bombennacht können extremen Stress und biochemische Prozesse im Gehirn auslösen, die eine Speicherung von Erinnerungen stören. Das Gedächtnis schließt dann die Lücken und konstruiert verstehbare Zusammenhänge.

Die linke und rechte Gehirnhälfte: Ein Mythos?

In der Trainingsbranche existiert der Mythos, das menschliche Gehirn teile sich in eine analytisch-logische linke Gehirnhälfte und eine emotional-kreative rechte Gehirnhälfte auf. Dieses Modell wird gern genutzt, um menschliches Verhalten zu erklären. Doch stimmt diese Annahme überhaupt?

Neurowissenschaftlich betrachtet, ist das in der Tat Unsinn und wurde schon öfters von Experten klargestellt. Die drehende Tänzerin ist lediglich eine optische Täuschung in 2D, die von unserem Wahrnehmungsapparat als dreidimensionales Bild interpretiert wird. Durch das unterschiedliche Augenmerk auf Schatten oder Konturen wird eine Drehung in die eine oder andere Richtung vom Gehirn erzeugt.

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Der französische Arzt Paul Broca postulierte schon Ende des 19. Jahrhunderts, das die Sprachverarbeitung wahrscheinlich bei den meisten Menschen eher in der linken Gehirnhälfte lokalisiert ist. In den 1960er und 70er Jahren sorgte der spätere Medizin-Nobelpreisträger Roger Sperry mit seinen Split-Brain-Experimenten für Aufsehen. Sperry führte Experimente mit Epilepsiepatienten durch, bei denen aus therapeutischen Gründen die Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften getrennt wurde.

Die generelle Behauptung, die linke Gehirnhälfte sei eher für kognitive Aspekte und die rechte für emotionale ist aber eine fälschliche Verallgemeinerung von solchen Einzelbefunden. Unsere hohen kognitiven und emotionalen Fähigkeiten sind viel zu komplex als das Sie in einem so simplen Modell abbildbar wären.

Der aktuelle Stand der Forschung sieht so aus: Wir haben das Gehirn in seiner detaillierten Funktionalität bei weitem noch nicht verstanden. Wir können wenige unumstößlich-simple Aussagen über die komplexe Neurophysiologie machen. Das Gehirn nutzt bei unterschiedlichen Aufgabentypen die eine oder andere Hirnregion mehr oder weniger. Im Großen und Ganzen ist das Gehirn aber als interagierendes System zu verstehen.

Lügen und Kreativität: Eine überraschende Verbindung

"Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden" - zu wem passt eine solche Aussage? Natürlich zu einem Schlawiner, einem unkonventionellen Menschen, der gerne neue Wege geht - manchmal auch krumme. Mit solchen Persönlichkeiten verbindet man auch eine weitere Eigenschaft: Kreativität.

US-Forscher konnten nun zeigen, dass es diesen Zusammenhang tatsächlich gibt. Wer lügt, ist bei nachfolgenden Aufgaben kreativer, zeigen ihre Experimente. Den umgekehrten Zusammenhang zwischen Kreativität und der Neigung zum Flunkern haben frühere Untersuchungen von Francesca Gino von der Harvard Business School und ihren Kollegen bereits belegt: Kreatives Denken erzeugt einen Hang zum Schummeln.

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Diejenigen, die ihre Ergebnisse gezielt übertrieben hatten, zeigten eine höhere Fähigkeit zum kreativen Denken als ihre braven Versuchs-Kollegen. Weitere Experimente der Forscher nach ähnlichem Prinzip kamen stets zu dem gleichen Ergebnis. Den Forschern zufolge ist liegt Ursache darin, dass sich Menschen durch Lügen offenbar generell von geistigen Regeln und Denkgrenzen befreien.

Die Eskalation der Lüge: Ein Trainingseffekt

Wer häufig flunkert, dem gehen auch größere Lügen mit der Zeit immer leichter über die Lippen: In puncto Unehrlichkeit macht Übung offenbar ebenfalls den Meister. Dieser Trainingseffekt ist dabei so prägnant, dass er sich im Gehirn relativ gut beobachten lässt.

Die Wissenschaftler untersuchten erstmals, was in unserem Kopf vor sich geht, wenn wir am laufenden Band Lügen erzählen. Dazu präsentierten sie 80 Versuchsteilnehmern, die im Hirnscanner lagen, ein Glas voller Münzen. Anschließend sollten die Probanden schätzen, wie viel Geldstücke sich darin befanden, und die Zahl einem Partner übermitteln. Grundsätzlich galt dabei: Je exakter das Ergebnis war, das die Probanden ihrem Mitspieler nannten, desto mehr Geld konnten beide am Ende des Versuchs nach zahlreichen Durchläufen gewinnen.

Zu Beginn konnten Garrett und seine Kollegen mit Blick auf die Hirnscans noch ein relativ starkes Signal in der Amygdala der Versuchspersonen ausmachen, das jedes Mal aufflackerte, wenn diese bewusst die Unwahrheit sprachen. Logen sie jedoch immer häufiger, wurde das Signal mit der Zeit immer schwächer; und ein besonders starker Abfall kündigte eine besonders große Lüge an.

Flunkern wir zu unserem eigenen Vorteil, sorgt die Amygdala offenbar dafür, dass wir ein schlechtes Gefühl bekommen, wodurch das Ausmaß unseres Schwindels erst einmal begrenzt wird, interpretiert Studienautorin Tali Sharot, ebenfalls vom University College London, das Ergebnis. Erzählen wir allerdings eine Lüge nach der anderen, reagiert die Amygdala immer weniger, wir fühlen uns nicht mehr so schuldig - und gestatten uns entsprechend immer dreistere Lügen.

Lügen im akademischen Kontext: Versuchung und Konsequenzen

Jeder Mensch lügt! Dieser Satz mag etwas hart klingen, doch psychologische Studien haben schon lange bestätigt, dass Unwahrheiten ein unausweichlicher Teil unseres sozialen Miteinanders sind. Im akademischen Kontext haben Lügen zumeist schwerwiegende Folgen, daher gilt als Tipp im Studium, stets von Lügen und Täuschungsversuchen abzusehen.

Lügen ist alles andere als einfach. Aus kognitiver Sicht ist es sogar relativ anspruchsvoll. Eine erfundene Aussage ist konstruiert, sie muss im Gehirn behalten und konsistent präsentiert werden. Gleichzeitig muss die echte Erinnerung, also die Wahrheit, unterdrückt werden. Dieser Mehraufwand ist es, der den Lügner entlarvt. Obwohl es der Lügner vielleicht selbst nicht bemerkt, zeigt der Körper beim Lügen eine Reaktion.

Der Lügendetektor: Ein magisches Instrument?

Im universitären Alltag lassen sich immer wieder theoretische Szenarien finden, in denen der Lügendetektor, auch Polygraph genannt, zur Klärung beitragen kann. In der Realität ist der Einsatz eines Polygraphen allerdings mit erheblichen ethischen Fragen verbunden. Es steht im Raum, ob das Gerät ein legitimes Mittel zur Wahrheitsfindung ist und ob es den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte rechtfertigt.

Der polygraphische Test misst mehrere körperliche Parameter wie die Atemfrequenz, die Hautleitfähigkeit und den Puls, während gezielt Fragen gestellt werden, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind. Zwar ist die Technik des Lügendetektors seit Jahrzehnten erprobt, doch es handelt sich nicht um ein magisches Wahrheitsfindungsinstrument. Emotionale Reaktionen entstehen auch aus Angst, Nervosität oder Wut, und die Werte sind kein Garant dafür, dass sie unweigerlich dem Lügen zuzuordnen sind.

Antisoziales Verhalten und die Hirnstruktur

Antisoziales Verhalten im Jugendalter ist kein seltenes Phänomen. Gewalt, Aggressivität, Diebstahl, Lügen, Mobbing - antisoziales Verhalten kann unterschiedliche Formen annehmen. Gemeinsam ist allen, das sie mit Gesetzen oder sozialen Normen brechen.

Die Forscher haben die Gehirne von 672 Menschen im Alter von 45 Jahren gescannt und in drei Gruppen miteinander verglichen. Probanden, die in ihrem Leben kein antisoziales Verhalten gezeigt haben (66 Prozent der Stichprobe), mit solchen, die dies nur in der Pubertät (23 Prozent) oder ihr Leben lang (zwölf Prozent) gezeigt haben.

Das Ergebnis: Die Gehirne von Menschen aus der letzteren Gruppe hatten eine kleinere Oberfläche und einen dünneren Kortex (Hirnrinde). Von 360 untersuchten Hirnarealen hatten 282 eine kleinere Oberfläche und elf einen dünneren Kortex, darunter Areale, die für zielgerichtetes Handeln, Emotionsregulation und Motivation zuständig sind.

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