Die menschliche Kreativität ist ein faszinierendes und komplexes Phänomen, das seit der Antike sowohl Künstler als auch Wissenschaftler beschäftigt. Lange Zeit glaubte man, dass künstlerische Inspiration von göttlichen Mächten herrührt, doch heute versuchen Psychologen und Neurowissenschaftler, die Geheimnisse des kreativen Geistes zu lüften. Kreatives Denken zeichnet sich durch freie Assoziationen und die Suche nach neuen, originellen Ideen aus, anstatt auf logische Schlussfolgerungen zu setzen. In kreativen Momenten sind sowohl die linke als auch die rechte Hirnhälfte aktiv, wobei insbesondere der präfrontale Cortex stark gefordert ist.
Die Arbeitsweise des Gehirns: Neuronen, Hemmung und Erregung
Das Gehirn besteht aus Milliarden von Neuronen, die miteinander verbunden sind und Informationen in Form von elektrischen Impulsen weiterleiten. Diese Neuronen üben zwei grundlegende Funktionen aufeinander aus: Hemmung (Inhibition) und Erregung (Aktivierung, Verstärkung). Durch diese Mechanismen werden bestimmte Informationen und Prozesse verstärkt oder abgeschwächt.
Für die Entstehung von Kreativität ist eine relativ offene, ungehemmte Aufmerksamkeit entscheidend, die aus einer Fülle von Informationen schöpfen kann. Es bedarf jedoch auch eines gedanklichen Rahmens, innerhalb dessen Assoziationen und Ideen entstehen können. Ein Beispiel hierfür wäre die Frage nach den Verwendungsmöglichkeiten eines Ziegelsteins, die einen verbalen Rahmen vorgibt, innerhalb dessen kreative Prozesse ablaufen können.
Neurotransmitter und Kreativität: Dopamin, Serotonin und Adrenalin
Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung von Kreativität. Dopamin, oft als "Glückshormon" bezeichnet, ist Teil einer positiven Erregung und eines starken inneren Antriebs. Studien haben gezeigt, dass Dopamin nachweislich zur Kreativität beiträgt. Ein besonders auffälliges Beispiel sind Parkinson-Patienten, die nach der Gabe von Dopamin zur Stimmungssteigerung neue kreative Fähigkeiten entwickelten.
Auch Serotonin, ein weiteres "Glückshormon", sorgt für eine positive Grundstimmung. Ein Mangel an Serotonin kann Kreativität blockieren und mit Angstzuständen und Depressionen einhergehen. Wenn Menschen jedoch aus diesen negativen Zuständen herausfinden, kann ein besonders starker Schub an Kreativität entstehen.
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Psychischer Stress und die Ausschüttung von Adrenalin können die Kreativität hingegen hemmen. Unter Adrenalin erfahren wir zwar einen starken Schub an Aktivität, aber selten tiefgreifende Kreativität.
Gehirnwellen und Kreativität: Alpha, Beta, Gamma, Delta und Theta
Die elektrischen Impulse, die von Neuronen erzeugt werden, führen zu Schwingungen im Gehirn, die in verschiedene Frequenzbänder unterteilt werden: Alpha, Beta, Delta, Theta und Gamma. Jede Frequenzbandbreite ist mit bestimmten mentalen Zuständen und Prozessen verbunden:
- Alpha (8-12 Hz): Alpha-Wellen treten bei Entspannung und entspannter Wachheit auf, insbesondere bei geschlossenen Augen. Entspannung ist ein wichtiger Bestandteil tiefer Kreativität.
- Beta (13-38 Hz): Beta-Wellen treten beispielsweise bei aktiver Konzentration auf.
- Gamma (39-70 Hz): Gamma ist die höchste Gehirnfrequenz und wird mit Höchstleistungen des Gehirns in Verbindung gebracht, wie z.B. tiefe Konzentration und Transzendenz. Mönche in Meditation weisen oft einen hohen Anteil an Gamma-Wellen auf.
- Delta (0,5-4 Hz): Delta-Wellen treten vor allem im traumlosen Tiefschlaf auf und werden mit Regeneration und körperlichen Heilungsprozessen in Verbindung gebracht.
- Theta (4-8 Hz): Theta-Wellen treten an den Übergängen zwischen Schlaf und Wachen auf, oft begleitet von starken visuellen, traumartigen Reizen. Berühmte Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Thomas Edison kultivierten Tagträume und Kurzschlaf, um diese Wach-Schlaf-Übergänge für kreative Impulse zu nutzen. Diese Zustände ähneln Trance- und Hypnosezuständen und können eine Schnittstelle zwischen Unbewusstem und Bewusstsein darstellen, an der besonders wertvolle kreative Impulse entstehen können.
Divergentes und konvergentes Denken
Der Psychologe Joy Paul Guilford unterschied zwischen konvergentem und divergentem Denken. Konvergentes Denken führt durch logische Schritte zu der einzigen Lösung eines Problems, wie beispielsweise einer mathematischen Aufgabe. IQ-Tests zielen vorwiegend auf diesen Denkstil ab. Beim Kreativsein geht es jedoch oft um etwas anderes: Statt ausgetretene Pfade zu beschreiten, will der Künstler auf ungewöhnliche Ideen kommen. Und genau das ermöglicht das divergente Denken. Es produziert eher spontan und experimentell verschiedene Antworten auf ein Problem ohne eindeutige Lösung. Bis heute basieren viele psychologische Tests auf dem Konzept des divergenten Denkens.
Persönlichkeitsmerkmale kreativer Menschen
Der Psychologe Gregory Feist förderte in einer Meta-Analyse eine Reihe von typischen Merkmalen kreativer Köpfe zutage: Menschen aus den Bereichen Wissenschaft und Kunst zeigten sich unter anderem offener gegenüber neuen Erfahrungen als Menschen aus anderen Berufsgruppen. Sie waren weniger konventionell, autonomer und zweifelten eher an Normen. Gleichzeitig benahmen sie sich aber auch impulsiver und feindseliger. Nach der Vermutung von Feist gehört zur Kreativität eine gehörige Portion Ungeselligkeit, da man als Künstler allein sein können muss, um ungestört arbeiten zu können.
Die Rolle der Hirnhälften: Ein Mythos wird widerlegt
Lange Zeit hielt sich die Vorstellung, dass die linke Hirnhälfte der analytische und rationale Part ist, während die rechte Hirnhälfte für Kreativität zuständig ist. Doch Studien der letzten Jahre konnten das größtenteils nicht bestätigen. Kreativität nimmt nicht nur beide Hirnhälften in Anspruch, sondern auch viele verschiedene Hirnregionen. Allerdings scheint die Schöpferkraft mit keiner einzigen besonders in Verbindung zu stehen. Eine Ausnahme bildet der präfrontale Cortex im Stirnhirn, der bei vielen höheren geistigen Prozessen zum Zuge kommt.
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Kreativität im Alltag fördern
Kreativität ist keine angeborene Gabe, sondern eine Fähigkeit, die jeder erlernen und trainieren kann. Im Berufsalltag ist zwar meist die linke Gehirnhälfte aktiv, aber wenn neue Ideen gefunden werden sollen, brauchen wir die kreative rechte Hälfte dazu. Hier sind einige Tipps, wie Sie Ihre Kreativität im Alltag fördern können:
- Aktivierende Aufgaben: Beschäftigen Sie sich mit Aufgaben, die Sie zum Nachdenken anregen. Dabei ist nicht die Lösung entscheidend, sondern die Auseinandersetzung mit dem Problem.
- Farben, Bilder und Symbole: Benutzen Sie viele Farben, Bilder und Symbole, um das gesamte Potenzial Ihres Gehirns zu aktivieren.
- Mind-Mapping: Erstellen Sie Mind-Maps, um Ihr Wissen zu einem Thema zu visualisieren und neue Assoziationen zu entwickeln.
- Multisensorische Aktivitäten: Führen Sie Tätigkeiten durch, die mehrere Sinne ansprechen und somit beide Gehirnhälften gleichzeitig aktivieren.
- Kinesiologische Übungen: Machen Sie Übungen, die die Koordination zwischen beiden Gehirnhälften verbessern sollen.
Kreativitätstechniken für den Berufsalltag
Im Berufsalltag ist es oft erforderlich, "auf Abruf kreativ zu sein", "auch unter Zeitdruck neue Ideen zu entwickeln" und "alte Fahrwasser zu verlassen". Hier sind einige Kreativitätstechniken, die Ihnen dabei helfen können:
- Brainstorming: Sammeln Sie in der Gruppe Ideen zu einem bestimmten Thema, ohne diese sofort zu bewerten.
- Mind-Mapping: Visualisieren Sie Ihre Gedanken und Ideen in einer Mind-Map.
- Die 6-Hüte-Methode: Betrachten Sie ein Problem aus verschiedenen Perspektiven, indem Sie gedanklich verschiedene "Hüte" aufsetzen (z.B. den Hut der Emotionen, den Hut der Logik, den Hut der Kreativität).
- Die Walt-Disney-Methode: Entwickeln Sie eine Idee, indem Sie sie aus drei verschiedenen Perspektiven betrachten: dem Träumer, dem Realisten und dem Kritiker.
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