Leben mit Epilepsie: Erfahrungen, Herausforderungen und Wege zur Akzeptanz

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unkontrollierte Entladungen von Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet ist. Diese Entladungen können zu unterschiedlichen Symptomen führen, von kurzen Aussetzern bis hin zu schweren Krampfanfällen. Die Erfahrungen mit Epilepsie sind so vielfältig wie die Menschen, die von ihr betroffen sind. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Aspekte des Lebens mit Epilepsie, von der Diagnose und Behandlung bis hin zu den emotionalen und sozialen Herausforderungen, mit denen Betroffene und ihre Familien konfrontiert sind.

Vielfalt der Anfallserlebnisse

Epileptische Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern. Einige Betroffene berichten von einem Vorgefühl, einer sogenannten Aura, die sich beispielsweise als Übelkeit, Schwindel, Kribbeln, Déjà-vu-Gefühl oder Angst äußern kann. Andere erleben die Anfälle ohne Vorwarnung. Die Anfälle selbst können von kurzen Aussetzern (Absencen), die vom Umfeld oft gar nicht bemerkt werden, bis hin zu unkontrolliertem Muskelzucken, Krämpfen und Bewusstseinsverlust reichen.

Mediziner unterscheiden hauptsächlich zwischen fokalen und generalisierten Anfällen. Fokale Anfälle entstehen in einer bestimmten Hirnregion, während generalisierte Anfälle beide Hirnhälften betreffen. Ein fokaler Anfall kann sich ausweiten und zu einem generalisierten Anfall werden.

Generalisierte Anfälle lassen sich weiter unterteilen:

  • Nicht motorische Absence-Anfälle: Kurze Bewusstseinsunterbrechung.
  • Myoklonische Anfälle: Ruckartiges Zucken einzelner Muskelgruppen.
  • Tonisch: Gliedmaßen versteifen sich.
  • Atonisch: Plötzlicher Verlust der Muskelspannung, was zu Stürzen führen kann.
  • Klonisch: Rhythmische Zuckungen großer Muskelgruppen, oft mit Bewusstseinsverlust.
  • Tonisch-klonisch (Grand mal): Der gesamte Körper krampft, versteift sich und zuckt.

Der generalisierte tonisch-klonische Anfall, auch Grand mal genannt, ist oft der dramatischste. Er beginnt mit einer tonischen Phase, in der sich Arme und Beine anspannen und der Betroffene bewusstlos wird. Darauf folgt die klonische Phase mit Zuckungen, die mehrere Minuten dauern können. Starkes Speicheln ist ebenfalls typisch. Nach dem Anfall folgt die postiktale Phase, die Erholungsphase.

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Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall

Für Außenstehende können epileptische Anfälle beängstigend wirken. Es ist jedoch wichtig, Ruhe zu bewahren und zu wissen, wie man helfen kann:

  1. Ruhe bewahren: Auf die Uhr schauen und den Ablauf des Anfalls einprägen.
  2. Sicherheit gewährleisten: Die Person sollte sich ungehindert bewegen können. Verletzungsgefahren beseitigen, Gegenstände aus dem Weg räumen, nichts in den Mund schieben.
  3. Abwarten und beobachten: Beim Betroffenen bleiben und abwarten, bis er wieder zu sich kommt. Braucht er etwas?

In den meisten Fällen erholen sich Betroffene schnell ohne ärztliche Hilfe. Ein Grand-mal-Anfall klingt in der Regel von selbst wieder ab.

Wann ist ein Notfall?

  • Wenn der Anfall länger als fünf Minuten dauert.
  • Wenn mehrere Anfälle kurz hintereinander ohne Erholung auftreten (Status epilepticus).

In diesen Fällen handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Zustand, der notärztliche Hilfe erfordert.

Der Fall Lian: Leben mit Rolando-Epilepsie

Die Rolando-Epilepsie ist eine häufige, meist gutartige Epilepsieform im Kindesalter. Lian, ein 5-jähriger Junge, leidet an dieser Form der Epilepsie. Seine Anfälle treten kurz vor dem Einschlafen oder direkt nach dem Aufwachen auf. Die Symptome umfassen Muskelkrämpfe oder Lähmungen im Gesicht, Sprach- und Schluckstörungen sowie vermehrten Speichelfluss.

Für Lian und seine Familie ist die Rolando-Epilepsie eine große Belastung. Lian hat Angst vor den Anfällen und versteht nicht, was mit seinem Körper geschieht. Seine Eltern können ihm in diesen Momenten kaum helfen. Der Alltag ist von der Angst vor einem Anfall überschattet.

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Zusätzlich zu den epileptischen Anfällen hat Lian Schwierigkeiten mit der Konzentration und ein erhöhtes Risiko für Symptome aus dem autistischen Formenkreis oder ADHS. Er hat nervöse Ticks und unkontrollierte Bewegungen. Umweltreize verstärken seine Ticks, weshalb er oft lärmdämmende Kopfhörer trägt.

Lians Eltern sind durch die permanente Anstrengung und die Sorge um ihren Sohn erschöpft. Um Lian zu unterstützen, erhält er Medikamente und besucht einen integrativen Kindergarten und eine Reittherapie. Im Kindergarten wird er akzeptiert, wie er ist, und die Reittherapie hilft ihm, ruhiger zu werden und Selbstvertrauen zu fassen.

Die Kosten für die Reittherapie und einen Fahrdienst zum Kindergarten werden jedoch nicht übernommen, was die Familie zusätzlich belastet. Trotz Pflegegrad 2 werden diese wichtigen Hilfen verweigert. Lians Vater hat aufgrund der regelmäßigen Kindergartenfahrten seinen Arbeitsplatz verloren.

Zusätzlich zu Lians Erkrankung leidet seine Mutter an Multipler Sklerose, was die Situation der Familie weiter erschwert.

Persönliche Erfahrungen mit Epilepsie

Viele Menschen mit Epilepsie berichten von ähnlichen Herausforderungen und Erfahrungen. Sie beschreiben die Schwierigkeiten bei der Diagnosefindung, die Einschränkungen im Alltag und die emotionalen Belastungen durch die Krankheit.

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Karl-Heinz Berner berichtet von seiner Grand-Mal-Epilepsie und den damit verbundenen Bewusstlosigkeiten und Stürzen. Entscheidend für ihn war eine epilepsiechirurgische Operation im Jahr 2001. Vor der Operation erlebte er viele Einschränkungen in seiner Jugend, wie das Verbot von Alkohol, langen Abenden und Schwimmbadbesuchen. Trotz seiner Epilepsie absolvierte er eine Lehre und studierte Technische Dokumentation. Er fand Halt im Sport, insbesondere im Taekwon-Do, wo er trotz seiner Anfälle im Training und Wettkampf erfolgreich war. Nach der Operation wechselte er zum Triathlon und trainiert seither regelmäßig.

Alexandra Ludwig erlebte ihren ersten Anfall nicht bewusst. In den folgenden Jahren hatte sie trotz Medikation immer wieder Anfälle, die durch Lichtreflexe, Stress und Schlafmangel ausgelöst werden konnten. Sie entschied sich, beruflich umzuorientieren, um weniger Stress zu haben. Sie kämpfte damit, die Diagnose Epilepsie anzunehmen, erhielt aber viel Unterstützung von ihrer Familie und ihren Freunden.

Leonie erhielt die Diagnose Epilepsie im Alter von 16 Jahren, nachdem sie jahrelang unter Anfällen und Auren gelitten hatte. Sie setzt sich auf Instagram für andere Betroffene ein und teilt ihre eigene Krankheitsgeschichte. Sie betont, wie wichtig es ist, Trigger zu kennen und zu vermeiden, sich bei Ärzten gut aufgehoben zu fühlen und sich nicht von Vorurteilen entmutigen zu lassen.

Jaqueline erlebt seit ihrem 12. Lebensjahr Krampfanfälle und erhielt erst fünf Jahre später die Diagnose Epilepsie. Ihre Anfälle kündigen sich nicht mit einer Aura an, was die Krankheit für sie besonders gefährlich macht. Ihr Freund Martin hat schon viele Anfälle miterlebt und weiß, wie er ihr helfen kann. Nach einem schweren Status Epilepticus musste sie mehrere Medikamente kombinieren, um die Anfälle zu reduzieren. Sie studiert Eventmanagement und ist trotz ihrer Epilepsie und Sehbehinderung unabhängig. Sie erwägt eine Operation, um anfallsfrei zu werden.

Sybille Burmeister erhielt die Diagnose Epilepsie im Alter von 35 Jahren. Sie beschreibt, wie sie die Diagnose zunächst nicht wahrhaben wollte und wie sie in Tränen ausbrach, als sie anderen davon erzählte. Sie betont, wie wichtig es ist, die Krankheit zu akzeptieren und sich nicht von ihr definieren zu lassen.

Michael Schäfer leitet die Epilepsie-Selbsthilfe-Darmstadt e. V. Er berichtet von den Schwierigkeiten, die er in seiner Jugend und im Berufsleben aufgrund seiner Epilepsie hatte. Er verschwieg seine Krankheit oft, um Ablehnung zu vermeiden. Nach vielen erfolglosen Medikamentenversuchen riet ihm ein Neurologe zu einer Operation, die er jedoch ablehnte. Später wurde er Vater und heiratete, doch die Ehe scheiterte. Im Alter von 44 Jahren suchte er die Ambulanz der Uniklinik in Freiburg auf und entschloss sich zu einer operativen Voruntersuchung. Obwohl er nicht anfallsfrei ist, kommen die Anfälle jetzt viel seltener.

Anja Zeipelt erkrankte mit neun Jahren an Epilepsie. Dank der Unterstützung ihrer Eltern lernte sie, mit der Krankheit zu leben. Im Jahr 2003 entschied sie sich zu einer Operation, seit der sie anfallsfrei ist. Sie ist heute Epilepsiepatientenbotschafterin und hilft anderen Betroffenen und deren Angehörigen.

A. Roswitha Dörr ermutigt Betroffene, sich zu öffnen und mit Ärzten und Vertrauenspersonen über ihre Erfahrungen zu sprechen. Sie betont, wie wichtig es ist, den eigenen Körper zu beobachten und das eigene Verhalten anzupassen.

Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente

Die Behandlung von Epilepsie zielt darauf ab, die Anfälle zu kontrollieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. In den meisten Fällen werden Antiepileptika eingesetzt. Diese Medikamente können die Häufigkeit und Schwere der Anfälle reduzieren.

Es gibt eine Vielzahl von Antiepileptika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen und Nebenwirkungen. Die Wahl des geeigneten Medikaments hängt von der Art der Anfälle, dem Alter des Patienten und anderen individuellen Faktoren ab.

In einigen Fällen kann eine Operation eine Option sein, um die Anfälle zu kontrollieren. Bei der Epilepsiechirurgie wird der Bereich im Gehirn entfernt, der die Anfälle auslöst.

Leben mit Epilepsie: Herausforderungen und Bewältigungsstrategien

Das Leben mit Epilepsie kann mit vielen Herausforderungen verbunden sein. Betroffene müssen sich mit den körperlichen Auswirkungen der Anfälle auseinandersetzen, wie Verletzungen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen. Sie können auch unter den Nebenwirkungen der Medikamente leiden.

Darüber hinaus kann Epilepsie zu emotionalen und sozialen Problemen führen. Betroffene können sich stigmatisiert, isoliert und ängstlich fühlen. Sie können Schwierigkeiten haben, eine Partnerschaft zu finden, einen Beruf auszuüben oder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Es gibt jedoch viele Möglichkeiten, mit den Herausforderungen des Lebens mit Epilepsie umzugehen. Wichtig ist, sich gut über die Krankheit zu informieren, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Bewältigungsstrategien:

  • Akzeptanz der Krankheit: Die Epilepsie als Teil des Lebens akzeptieren.
  • Offener Umgang: Mit der Krankheit offen umgehen und sich nicht schämen.
  • Selbsthilfegruppen: Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen.
  • Professionelle Hilfe: Psychologische Beratung oder Therapie in Anspruch nehmen.
  • Gesunder Lebensstil: Auf eine gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßige Bewegung achten.
  • Stressmanagement: Stress vermeiden oder reduzieren.
  • Trigger vermeiden: Auslösende Faktoren für Anfälle identifizieren und vermeiden.
  • Notfallplan: Einen Notfallplan erstellen und Angehörige und Freunde informieren.

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