Myasthenia gravis (MG), oft einfach Myasthenie genannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist, die sich bei Aktivität verstärkt und nach Ruhephasen bessert. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Myasthenia gravis, einschließlich ihrer Ursachen, Symptome, Diagnose und aktueller Behandlungsleitlinien.
Einleitung
Bei Myasthenia gravis greift das Immunsystem fälschlicherweise die Verbindungsstellen zwischen Nerven und Muskeln an, die sogenannten neuromuskulären Endplatten. Dies führt zu einer Störung der Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln, was zu belastungsabhängiger Muskelschwäche führt. Eine neue Patienten-Leitlinie, finanziert von der Deutschen Hirnstiftung, Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Deutschen Myasthenie Gesellschaft, gibt verständliche Antworten auf Fragen von Betroffenen.
Ursachen und Pathophysiologie
Die genaue Ursache der Myasthenia gravis ist unbekannt, aber es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem Autoantikörper gegen Proteine der neuromuskulären Endplatte produziert. In den meisten Fällen richten sich diese Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR), der für die Übertragung von Nervenimpulsen auf die Muskeln unerlässlich ist. Durch die Blockade und Zerstörung dieser Rezeptoren wird die Reizweiterleitung und Innervation des Muskels beeinträchtigt.
Es gibt auch Fälle, in denen Antikörper gegen andere Proteine wie die muskelspezifische Tyrosinkinase (MuSK) oder das Lipoprotein-Rezeptor-assoziierte Protein 4 (LRP4) gefunden werden. Die zugrunde liegende Ursache für die Fehlfunktion des Immunsystems ist bis heute unbekannt.
Epidemiologie
Die Myasthenia gravis ist eine relativ seltene Erkrankung mit einem Vorkommen von etwa 1 zu 5000 und einer Inzidenz von 10 Neuerkrankungen pro einer Million Einwohner. In den letzten Jahren scheint die Krankheit etwas häufiger aufzutreten, möglicherweise aufgrund verbesserter Diagnostik und einer allgemein höheren Lebenserwartung.
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Grundsätzlich können alle Altersgruppen betroffen sein, wobei sich zwei Erkrankungsgipfel erkennen lassen: einmal um das 30. Lebensjahr (mit deutlichem Überwiegen des Frauenanteils) und dann um das 70. Lebensjahr (eher Männer).
Klinische Merkmale und Symptomatik
Die Symptome der Myasthenia gravis sind vielfältig und können von Person zu Person unterschiedlich sein. Das Hauptmerkmal ist jedoch eine belastungsabhängige Muskelschwäche, die sich nach Ruhephasen bessert.
Häufige Symptome sind:
- Okuläre Symptome: Doppelbilder (Diplopie) und/oder hängendes Augenlid (Ptosis) sind oft die ersten Anzeichen der Erkrankung.
- Bulbäre Symptome: Kau-, Schluck- und Sprechstörungen können auftreten.
- Schwäche der Extremitäten: Die Muskelschwäche kann sich auf Nacken, Schulter, Oberarm, Oberschenkel und schließlich auch auf die Atemmuskulatur ausweiten.
Die Symptome können im Laufe des Tages variieren und sich bei Anstrengung, Stress, Infektionen oder hormonellen Veränderungen verschlimmern.
Klassifikation
Um die klinische Situation und den Schweregrad der Erkrankung zu erfassen, wurde ein Klassifizierungssystem entworfen. Hiernach werden fünf aufsteigende Grade festgelegt:
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- Grad I: Okuläre Myasthenie
- Grad II: Leichtgradig generalisierte Form (ggf. mit okulären Symptomen)
- Grad III: Mittelgradig generalisierte Form (ggf. mit okulären Symptomen)
- Grad IV: Schwergradig generalisierte Form (ggf. mit bulbären Symptomen)
- Grad V: Myasthene Krise mit Ateminsuffizienz
Diagnostik
Die Diagnose der Myasthenia gravis basiert auf einer Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung, elektrophysiologischen Untersuchungen und serologischen Tests.
- Anamnese und klinische Untersuchung: Der Arzt wird nach typischen Symptomen wie belastungsabhängiger Muskelschwäche, Doppelbildern, hängenden Augenlidern und Schluckbeschwerden fragen. Die körperliche Untersuchung umfasst die Beurteilung der Muskelkraft und -ausdauer.
- Elektrophysiologische Untersuchung: Die repetitive Nervenstimulation zeigt eine typische Amplitudenabnahme (Dekrement) des Nervs, der den Muskel versorgt.
- Serologische Tests: Der Nachweis von Antikörpern gegen AChR, MuSK oder LRP4 im Serum kann die Diagnose bestätigen.
Zusätzlich kann eine Bildgebung des Brustkorbs (CT oder MRT) durchgeführt werden, um Veränderungen am Thymus festzustellen, da ein Thymom (Tumor des Thymus) bei einigen Patienten mit Myasthenia gravis vorkommen kann.
Therapie
Die Therapie der Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Muskelfunktion zu verbessern und das Auftreten von Krisen zu verhindern. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen:
- Acetylcholinesterase-Inhibitoren: Diese Medikamente erhöhen die Verfügbarkeit von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte und verbessern die Muskelkraft. Pyridostigmin ist ein häufig verwendeter Acetylcholinesterase-Inhibitor.
- Immunsuppressiva: Diese Medikamente unterdrücken das Immunsystem und reduzieren die Produktion von Autoantikörpern. Kortikosteroide (z. B. Prednison) sind häufig die erste Wahl, aber auch andere Immunsuppressiva wie Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Methotrexat können eingesetzt werden.
- Thymektomie: Die operative Entfernung des Thymus kann bei bestimmten Patienten mit Myasthenia gravis von Vorteil sein, insbesondere bei jüngeren Erwachsenen mit generalisierter Myasthenie und Thymom.
- Plasmapherese und intravenöse Immunglobuline (IVIG): Diese Behandlungen werden in der Regel bei schweren Exazerbationen oder Krisen eingesetzt, um die Autoantikörper aus dem Blut zu entfernen oder das Immunsystem zu modulieren.
Myasthene Krise
Eine myasthene Krise ist eine lebensbedrohliche Exazerbation der Myasthenia gravis, die zu Ateminsuffizienz führt. Sie erfordert eine sofortige Behandlung auf einer Intensivstation mit Beatmung. Auslöser können Infektionen, Stress, Medikamente oder andere Faktoren sein.
Patientenleitlinie
Die neue Patientenleitlinie bietet Betroffenen und Angehörigen eine verständliche Orientierungshilfe zu allen Aspekten der Myasthenia gravis. Sie soll Betroffenen helfen, sich aktiv an den Entscheidungen zu ihren medizinischen Belangen zu beteiligen.
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Leben mit Myasthenia Gravis
Trotz der Herausforderungen, die die Myasthenia gravis mit sich bringt, können die meisten Patienten mit der richtigen Behandlung und Unterstützung ein weitgehend normales Leben führen. Es ist wichtig, die individuellen Belastungsgrenzen zu kennen und anzupassen, Stress zu vermeiden und auf eine gesunde Lebensweise zu achten.
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