Neue S2k-Leitlinie zur Parkinson-Krankheit: Fortschritte in Diagnostik und Therapie

Die Parkinson-Krankheit betrifft in Deutschland bis zu 400.000 Menschen und stellt Betroffene sowie ihr soziales Umfeld vor große Herausforderungen. Eine neue, vollständig überarbeitete S2k-Leitlinie für die Diagnostik und Therapie der Parkinson-Krankheit wurde im November 2023 veröffentlicht. Federführend bei der Erstellung war die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), unter Mitwirkung von 18 weiteren Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Organisationen. Die Leitlinie berücksichtigt neueste Forschungsergebnisse und soll die Versorgung von Menschen mit Parkinson verbessern - von der Früherkennung bis zur individuell passenden Behandlung.

Bedeutung der neuen Leitlinie

Die Parkinson-Forschung hat in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht. Diese Fortschritte sind in die neue Leitlinie eingeflossen, um eine Behandlung nach aktuellem Wissensstand zu gewährleisten. Besonders wichtig für den Behandlungserfolg ist eine frühzeitige und differenzierte Diagnose, welche schon jetzt die Therapieempfehlungen beeinflusst. Die Früherkennung ist auch Voraussetzung für eine ursächliche Therapie, die wir hoffentlich in wenigen Jahren zur Verfügung haben. Darauf bereitet die neue Leitlinie vor.

Genetische Ursachen als Ansatzpunkt für neue Therapien

Eine wichtige Erkenntnis der aktuellen Parkinson-Forschung ist, dass die Parkinson-Krankheit in vielen Fällen durch genetische Varianten bzw. Mutationen entsteht. Aus den Erkenntnissen zu den genetischen Ursachen der Parkinson-Krankheit ergeben sich neue Ansatzpunkte für die Behandlung, die auf molekulare Ursachen abzielen und so in die Entstehung der Parkinson-Krankheit eingreifen, statt nur die Symptome zu behandeln. Es wird davon ausgegangen, dass in absehbarer Zeit eine Therapie entwickelt werden kann, die das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit bremst, ihren Ausbruch verzögert oder ihn sogar verhindert.

Diagnose und Früherkennung im Fokus

Ein Schwerpunkt der neuen Leitlinie liegt auf der Diagnose und der Früherkennung. Im Fall erster Symptome, die im Frühstadium auf eine Parkinson-Krankheit hinweisen können, wird empfohlen, zum Beispiel eine Geruchstestung oder eine polysomnographische Untersuchung im Schlaflabor als ergänzende Diagnostik miteinzubeziehen sowie nicht motorische Symptome. Auch eine kraniale Magnetresonanztomographie sollte bei Parkinson-Verdacht frühzeitig erfolgen, um andere Erkrankungen auszuschließen. Erstmals empfiehlt die Leitlinie auch konkret, auf Wunsch der Betroffenen eine humangenetische Diagnostik durchzuführen, vor allem wenn Parkinson in der Familie auftritt oder wenn die Krankheitssymptome vor dem 50. Lebensjahr auftreten.

Empfehlungen zur Diagnostik

Die Diagnosekriterien für eine Parkinson-Krankheit umfassen neben Bradykinese, Rigor, Tremor sowie posturale Instabilität unter anderem auch das Ansprechen auf eine Levodopa-Therapie. Eine kraniale MRT soll frühzeitig im Krankheitsverlauf erfolgen und dient vor allem der Differenzialdiagnostik. Bei familiärer Belastung oder Krankheitsmanifestation vor dem 50. Lebensjahr soll bei Patientenwunsch eine genetische Diagnostik angeboten werden.

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Therapieempfehlungen der Leitlinie

Die Leitlinie weist außerdem auf die Bedeutung einer frühzeitigen, altersgerechten und individuellen Therapie hin. Die detaillierten Empfehlungen zur Therapie der Parkinson-Krankheit wurden teilweise modifiziert, durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse gesichert oder ergänzt - in Bezug sowohl auf medikamentöse Therapien als auch auf die verschiedenen Formen invasiver Therapien wie Pumpentherapien und Tiefe Hirnstimulation, zu denen es inzwischen Langzeitstudien gibt.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie sollte rechtzeitig erfolgen. Die Indikation hängt von funktionellen Einschränkungen im Alltag ab. Bei der Wahl der eingesetzten Medikamente werden zu erwartende Wirkungen und Nebenwirkungen, Alter, Komorbiditäten und psychosoziale Anforderungen berücksichtigt. Bei biologisch jüngeren Betroffenen sollen Dopaminagonisten oder MAO-Hemmer gegenüber Levodopa bevorzugt werden. Die Dosis wird individuell durch die behandelnden Neurolog*innen eingestellt. Anticholinergika sollen nicht als Anti-Parkinson-Mittel eingesetzt werden. Initial sollte eine Monotherapie verabreicht werden. Bei unzureichender Wirkung der Monotherapie sollte dann eine Kombinationstherapie angeboten werden.

Invasive Therapien

Im Verlauf eines Morbus Parkinson kommt es häufig zu Fluktuation oder Dyskinesien, die durch orale oder transkutane Medikamentengabe alleine nicht mehr beherrschbar sind. Eine neue europäische Leitlinie beurteilt die zur Verfügung stehenden invasiven Interventionen. Wenn aber der Degenerationsprozess der Neurone der Substantia nigra so weit fortgeschritten ist, dass nur noch zu wenige Dopamin-Terminalen übrig sind, kommt es zu sogenannten Dyskinesien oder Fluktuationen, einem raschen Wechsel der Beweglichkeit zwischen Steifigkeitsphasen und beweglichen Phasen, in denen die Patienten oft belästigende Überbewegungen haben. Dies ist für die Kranken extrem belastend. Nach heutiger Vorstellung entsteht dies, weil die „Speicherkapazität“ der Terminalen zu gering wird, die verbleibenden Dopaminrezeptoren den intermittierend auftretenden Spitzenkonzentrationen von Dopaminergika schutzlos ausgesetzt sind und damit überempfindlich für das medikamentös verabreichte L-Dopa werden. In dieser typischen klinischen Situation und einigen weiteren besonderen Fällen werden heute neurochirurgische Behandlungen oder Pumpentherapien eingesetzt.

Invasive Therapien im Überblick

  • Läsionelle Therapien: Hierbei wird gezielt Gewebe in bestimmten Hirnarealen zerstört. Zu diesen Verfahren gehören die Radiofrequenz-Thermokoagulation, die Radiotherapie und die MRT-gesteuerte fokussierte Ultraschallbehandlung (FUS).
  • Nicht-läsionelle Therapien: Diese Therapien umfassen operative Eingriffe, die keine Gewebszerstörung beinhalten. Die am besten etablierte Behandlung ist die tiefe Hirnstimulation (THS), bei der Elektroden gezielt an bestimmte Hirnareale gebracht und stimuliert werden. Pumpentherapien basieren darauf, dass L-Dopa oder Apomorphin durch Infusion beim Patienten immer gleiche Spiegel haben und damit auch gleichmäßig wirken.

Differenzialindikation invasiver Therapien

Der fokussierte Ultraschall, die Thermokoagulation und die Radiotherapie können nur einseitig eingesetzt werden, die THS und die Pumpentherapien wirken dagegen bilateral. Die Erfolge sind aber bei gut ausgewählten Patienten deutlich stärker als die der oralen beziehungsweise transdermalen medikamentösen Behandlung. Für die THS, die Pumpentherapien, die Thermokoagulation des Pallidum und den MRgFUS gibt es ausreichend gesicherte Daten, um klare Leitlinienempfehlungen zu geben.

Empfehlungen der europäischen Leitlinie

Die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten wird im fortgeschrittenen Krankheitszustand vorgestellt, wenn die Fluktuationen und Dyskinesien ausgeprägt sind. Laut Leitlinie hat die THS in diesem Falle die am besten gesicherte Wirkung. Patientinnen und Patienten ohne Wirkfluktuationen sollten aber nicht operiert werden. Zwei unterschiedliche Kerngebiete können behandelt werden, das interne Pallidum oder der Nucleus subthalamicus, die nach Leitlinie ähnlich gut wirksam sind. Aber bei STN-Stimulation kann die Medikamentenmenge reduziert werden, was für die Verbesserung der Lebensqualität für viele Erkrankte entscheidend ist. Sowohl die Behandlung mit der L-Dopa- als auch die Apomorphin-Infusion werden medikamentös nicht behandelbaren Fluktuationen empfohlen.

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Therapie weiterer Symptome

Zur Therapie weiterer Symptome enthält die Leitlinie ebenfalls konkrete Empfehlungen. Basis einer Schmerztherapie ist die Optimierung der Anti-Parkinson-Medikation. Nozizeptive Schmerzen sollten gemäß dem WHO-Stufenschema behandelt werden. Blasenfunktionsstörungen sollten nichtmedikamentös mit Blasentraining therapiert werden. Bei Dranginkontinenz können Antimuskarinika erwogen werden. Zur Behandlung einer Obstipation sollten zunächst nichtmedikamentöse Maßnahmen, wie ausreichend Trinken, Gabe von löslichen Ballaststoffen sowie körperliche Aktivität versucht werden. Macrogol ist hier das Arzneimittel der ersten Wahl. Melatonin und/oder Clonazepam werden bei REM-Schlaf-Verhaltensstörungen empfohlen.

Nicht-medikamentöse Therapien

Die Leitlinie empfiehlt bei milden kognitiven Einschränkungen, kognitives Training anzubieten. Bei Demenz sollten eine kognitive Stimulation sowie eine medikamentöse Therapie mit Rivastigmin zum Einsatz kommen. Auf eine optimale dopaminerge Therapie sollte bei Depression und Angststörung geachtet werden. Außerdem ist in diesen Fällen eine kognitive Verhaltenstherapie empfehlenswert. Eine Depression kann mit unterschiedlichen Antidepressiva medikamentös eingestellt werden. Bei psychotischen Symptomen soll die Parkinson-Medikation vereinfacht und reduziert und ggf. Clozapin eingesetzt werden.

Patientenbeteiligung und Information

Die Empfehlungen der Patienten-Leitlinie sollen Betroffene helfen, sich aktiv an den Entscheidungen zu ihren medizinischen Belangen zu beteiligen. Patienten-Leitlinien gibt es daher schon zu verschiedenen neurologischen Krankheiten über Parkinson hinaus.

Fahreignung

Auch die Fahreignung muss bedacht werden. Hier sagt die Leitlinie ganz klar, dass bei der Diagnose Parkinson-Krankheit für Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 (LKW, Bus, Taxi) keine Fahreignung besteht. Für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 (PKW, Kraftrad und landwirtschaftliche Zugmaschine) kann jedoch nach individueller Beurteilung eine Fahreignung bestehen, z. B. bei erfolgreicher Therapie oder in leichten Fällen.

Zusammenarbeit und Expertise

Die Diagnostik, Therapie und Langzeitbetreuung von Betroffenen mit Parkinson-Krankheit sind weiterhin sehr komplex. Aber Hausärzt*innen sind damit nicht allein. Hier sollte in jedem Fall eine engmaschige Zusammenarbeit mit einer neurologischen Praxis angestrebt werden.

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