Die linke Gehirnhälfte: Funktionen, Emotionen und mehr

Auf den ersten Blick scheint der menschliche Körper symmetrisch aufgebaut zu sein. Zwei Arme, zwei Beine, zwei Augen, zwei Ohren. Selbst Nase und Mund scheinen sich bei den meisten Menschen in beiden Gesichtshälften an einer imaginären Achse zu spiegeln. Und schließlich das Gehirn: Es ist in zwei Hälften geteilt, die ungefähr gleich groß sind, und auch die Furchen und Wülste folgen einem ähnlichen Muster. Doch der erste Eindruck trügt: Die verschiedenen Hirnregionen weisen subtile, aber funktionell relevante Unterschiede zwischen der linken und der rechten Seite auf. Die beiden Hemisphären sind auf unterschiedliche Funktionen spezialisiert. So wird beispielsweise die Aufmerksamkeit bei den meisten Menschen überwiegend in der rechten Hemisphäre verarbeitet, die Sprache überwiegend in der linken. Der Grund: Die Arbeit kann besser auf beide Hälften verteilt werden - und das Aufgabenspektrum damit insgesamt erweitert.

Obwohl das Gehirn in zwei Hälften geteilt ist, ist es nicht genau spiegelbildlich. Manche Funktionen werden eher auf der linken Seite verarbeitet, andere eher auf der rechten - und das bei jedem Menschen ein bisschen anders. Die linke Gehirnhälfte ist auf logisches Denken spezialisiert, sie steuert auch die Detailwahrnehmung und ist Sitz des Sprachzentrums. Die rechte Gehirnhälfte ist für die Kreativität und die Wahrnehmung des Großen Ganzen verantwortlich. Sie denkt ganzheitlich und intuitiv und steuert auch Wahrnehmungen, Emotionen und Phantasie.

Spezialisierung der Gehirnhälften: Ein Überblick

Die Aufteilung der Funktionen zwischen den beiden Gehirnhälften ist ein faszinierendes Feld der Neurowissenschaften. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Spezialisierung nicht absolut ist. Beide Hälften arbeiten zusammen, um komplexe Aufgaben zu bewältigen. Dennoch gibt es klare Tendenzen, welche Funktionen eher in der einen oder anderen Hemisphäre verortet sind.

  • Linke Hemisphäre: Oftmals als die "analytische" Hälfte bezeichnet, ist sie stark in die Sprachverarbeitung involviert. Dies umfasst das Verstehen von Sprache, das Sprechen und das Schreiben. Darüber hinaus spielt sie eine wichtige Rolle beim logischen Denken, bei der Detailanalyse und bei der sequentiellen Verarbeitung von Informationen. Die linke Hemisphäre ist auch für die Steuerung der rechten Körperseite zuständig.
  • Rechte Hemisphäre: Diese Hälfte wird oft als die "kreative" Hälfte bezeichnet. Sie ist spezialisiert auf die Verarbeitung von räumlichen Informationen, die Erkennung von Gesichtern und Mustern, die intuitive Erfassung von Zusammenhängen und die Verarbeitung von Emotionen. Die rechte Hemisphäre ist auch für die Steuerung der linken Körperseite zuständig.

Die Rolle der linken Gehirnhälfte bei Emotionen

Entgegen der landläufigen Meinung, dass die rechte Gehirnhälfte ausschließlich für Emotionen zuständig ist, spielt auch die linke Hemisphäre eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen. Studien haben gezeigt, dass die linke Gehirnhälfte insbesondere bei der Verarbeitung positiver Emotionen wie Freude und Glück aktiv ist. Sie ist auch an der Unterdrückung negativer Emotionen beteiligt.

Sprachliche Verarbeitung von Emotionen

Ein wichtiger Aspekt der emotionalen Verarbeitung in der linken Gehirnhälfte ist die sprachliche Verarbeitung von Emotionen. Wenn wir über unsere Gefühle sprechen oder schreiben, aktivieren wir die sprachlichen Zentren in der linken Hemisphäre. Dies ermöglicht es uns, unsere Emotionen zu analysieren, zu benennen und zu kommunizieren.

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Emotionale Nuancen und Sprachverständnis

Wollen Sie zusätzlich zur linken Gehirnhälfte auch die rechte Ihres Gesprächspartners in Aktion versetzen? Dann legen Sie Emotionen in Ihre Sätze, denn die rechte Seite hört mehr auf das "Wie" als auf das "Was". Während die linke Gehirnhälfte des Menschen Sitz des Sprachverständnisses ist, ist die rechte verantwortlich für unsere Gefühle. Aber was passiert in unseren Gehirnen, wenn unsere Kommunikation emotional wird? Arbeitet nun noch immer hauptsächlich die rechte Hirnhälfte, oder doch die linke, oder etwa beide zusammen?

Trotz aller Gefühle in der Kommunikation schaltet sich die linke Hirnhälfte aber nie ab. Wenn gesprochen wird, ist die linke Seite aktiv, ob mit Gefühlen oder ohne. Wahrscheinlich arbeitet unsere linke Hirnhälfte automatisch, um den Sinn der Worte zu entschlüsseln, und hilft dadurch gleich der rechten Hirnhälfte, die Emotionen zu etikettieren. Denn selbst wenn man sich Mühe gibt, nur nach dem "Wie" zu lauschen, kann man gar nicht anders, als nebenbei auch auf den Sprachzusammenhang zu hören.

Unterschiede in der Hirnasymmetrie

Funktionsaufteilung von Mensch zu Mensch verschieden. Doch diese so genannte Lateralisation, also die Tendenz, dass Hirnregionen Funktionen eher in der linken oder rechten Hirnhälfte verarbeiten, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt - und zwar nicht nur bei den wenigen, bei denen das Gehirn spiegelverkehrt zu dem der Mehrheit spezialisiert ist. Selbst bei diejenigen, bei denen die Funktionen im Gehirn prinzipiell klassisch angeordnet sind, ist die Asymmetrie unterschiedlich stark ausgeprägt. Frühere Studien hatten gezeigt, dass sich das wiederum auf die Fähigkeiten selbst auswirken kann. Zu wenig asymmetrisch ausgebildete Sprachareale auf der linken Hirnseite werden zum Beispiel als eine mögliche Ursache für Legasthenie vermutet. Auch bei Krankheiten wie Schizophrenie und Autismus-Spektrum-Störungen oder Hyperaktivität bei Kindern wird mit einer zu schwachen Aufgabenteilung zwischen den beiden Hirnhälften in Zusammenhang gebracht. Bislang war jedoch unklar: Welche Unterschiede in der Hirnasymmetrie verschiedener Personen sind vererbbar, welche sind auf unterschiedliche Anforderungen zurückzuführen? Gibt es ähnliche Asymmetrien bereits bei Affen?

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des Forschungszentrums Jülich haben nun untersucht, wie sich Asymmetrien entlang von sogenannten funktionellen Gradienten entwickeln, d. h. entlang von Achsen in der Großhirnrinde an der sich die Hirnfunktionen anordnen. Das Ergebnis: Es gibt tatsächlich feine Unterschiede darin, wie Hirnregionen unterschiedlicher Funktionen auf der linken und rechten Seite des Gehirns aufreihen. Auf der linken Seite sind es die Regionen zur Sprachverarbeitung, die sich am weitesten entfernt von denen für Sehen und Wahrnehmung liegen. Auf der rechten Seite befindet sich hingegen das Netzwerk für Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis am weitesten entfernt von den sensorischen Regionen. Zudem zeigte sich: Die individuellen Unterschiede in dieser Anordnung sind vererbbar. Sie sind damit zum Teil genetisch bedingt. Ein Großteil dieser Asymmetrie im menschlichen Gehirn lässt sich hingegen nicht durch genetische Faktoren erklärt werden. Das könnte wiederum darauf hindeuten, dass der durch die persönliche Erfahrung einer Person, also durch Einflüsse aus ihrer Umwelt, geprägt ist.

Der Vergleich mit Makaken brachte schließlich zutage: Das Gehirn des Menschen ist asymmetrischer als das von Affen. "Vermutlich ergibt sich die Asymmetrie unseres Gehirns aus genetischen Faktoren und solchen, die sich aus persönlichen Erfahrungen ergeben", erklärt Bin Wan, Doktorand am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und Hauptautor der Studie, die jetzt in der Zeitschrift eLife veröffentlicht wurde. Tatsächlich beobachtete das Forschungsteam bei älteren Menschen eine geringere Rechtsasymmetrie. Das Phänomen könnte sich demnach im Laufe des Lebens verändern. "Wir wollen verstehen, welche Rolle diese feinen Unterschiede zwischen linker und rechter Hemisphäre spielen und wie sie mit den verschiedenen Entwicklungsstörungen zusammenhängen könnten", erklärt auch Sofie Valk, Leiterin der Studie und der Forschungsgruppe Kognitive Neurogenetik am Max-Planck-Institut. "Wenn wir verstehen, wie Asymmetrie vererbt wird, lässt sich auch besser einschätzen, welche Bedeutung genetische und umweltbedingte Faktoren generell für dieses Phänomen haben. Vielleicht können wir dann herausfinden, wo etwas schiefläuft, wenn genau dieser Unterschied zwischen links und rechts gestört ist."

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Die Forscher untersuchten diese Zusammenhänge anhand von zwei Datenbanken: Eine mit Scans menschlicher Gehirne, darunter auch von Zwillingen, die andere mit Scans von 19 Makaken. Durch den Vergleich eineiiger und zweieiiger Zwillinge und nicht verwandter Personen konnten sie herausfinden, wie sich die Geschwister voneinander unterscheiden - was also genetisch bedingt ist und was durch die Umwelt. Der Vergleich mit Makaken wiederum machte deutlich, wo die Unterschiede zwischen Mensch und Affe liegen und welche davon durch die Evolution entstanden sind. Die Unterschiede selbst berechneten die Wissenschaftler mithilfe der sogenannten niedrigdimensionalen funktionellen Konnektivitätsorganisation des Gehirns. Die gibt Aufschluss darüber, inwieweit die einzelnen Hirnregionen zusammenarbeiten können.

Linkshänder und die Gehirnhälften

Wissenschaftler der University of Birmingham haben festgestellt, dass das gesamte Weltbild der Linkshänder anders ist. Die Gründe dafür liegen in den zwei Gehirnhälften, die ein anderes Bild erzeugen. Die Wissenschaftler haben die Wahrnehmungsunterschiede zwischen den Rechts- und Linkshändern deutlich gemacht. So beurteilen Rechtshänder mit der rechten Gehirnhälfte, um das Gesamtbild zu erkennen. Bei Linkshändern ist es genau umgekehrt. Aber nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch andere Aktivitäten wie etwa die Sprach- oder Lesefunktion sind nach Ansicht der Forscher von dieser Tatsache abhängig.

Bei Linkshändern ist die rechte, kreative Gehirnhälfte besser ausgeprägt und somit dominanter. Linkshänder - der Anteil an der Gesamtbevölkerung wird auf mindestens zehn Prozent geschätzt. Gott sei Dank müssen sich Linkshänder heute nicht mehr gegen eine Umschulung auf die rechte Hand und Benachteiligungen im Beruf wehren. Dennoch gibt es für Linkshänder im Alltag immer wieder Schwierigkeiten. Wer es nicht glaubt, sollte als Rechtshänder einmal versuchen, eine Dose mit der linken Hand zu öffnen, unverkrampft links schreiben oder einfach nur mit links mit einer Schere schneiden. Linkshändigkeit ist genauso gut wie Rechtshändigkeit - das kann man Linkshändern gar nicht früh und oft genug vermitteln. Linkshänder beginnen im Greifalter, alles zunächst mit der linken Hand anzufassen. Wichtig für Eltern ist, dass sie von Anfang an keinen Einfluss auf den bevorzugten Gebrauch einer Hand ausüben.

Einen Linkshänder auf die rechte Hand umzuerziehen, kann für das Kind schwere Folgen haben: Probleme in der Schule wie Konzentrationsschwierigkeiten, Lese- Rechtschreibschwächen, ja sogar Sprachstörungen oder Bettnässen sind beschrieben worden. Besonders kritisch wird es dann, wenn ein Kind stottert oder gar hyperaktiv ist. Der Grund: Wenn ein linkshändiges Kind gezwungen wird, immer die rechte Hand zu benutzen, wird die dominante rechte Gehirnhälfte ständig unterfordert, die schwächere linke überfordert. Die Folgen sind gravierend und können das ganze Leben negativ beeinflussen. Forscher sind auch zum Schluss gekommen, dass Linkshänder eher zu Allergien, Autoimmunerkrankungen, Depressionen, Drogenabhängigkeit, Epilepsie, Schizophrenie und Schlafstörungen neigen. Andere Forscher gehen davon aus, dass Linkshänder auch schlechtere räumliche Fähigkeiten haben und daher häufiger zu Unfällen neigen.

Mythen und Fakten über die Gehirnhälften

In der Trainingsbranche existiert der Mythos, das menschliche Gehirn teile sich in eine analytisch-logische linke Gehirnhälfte und eine emotional-kreative rechte Gehirnhälfte auf. Dieses Modell wird gern genutzt, um menschliches Verhalten zu erklären. Doch stimmt diese Annahme überhaupt?

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In Seminaren, Testverfahren oder Artikeln zu dem Stichwort „linke und rechte Gehirnhälfte“ wird häufig behauptet, dass es eine analytische, logische, rationale linke Gehirnhälfte und eine emtionale, kreative, künstlerische rechte Gehirnhälfte gibt. So weit, so gut. Richtig Fahrt nimmt das Thema aber erst auf, wenn auf dieser Logik behauptet wird, dass bei Menschen eine Hälfte dominieren würde. So sei es eben zu erklären, dass einige Personen eher analytisch, andere eher kreativ denken und handeln. Stereotypen wie „IT-Fachmann“ und der „typische Künstler“ lassen grüßen.

Neurowissenschaftlich betrachtet, ist das in der Tat Unsinn und wurde schon öfters von Experten klargestellt. Die drehende Tänzerin ist lediglich eine optische Täuschung in 2D, die von unserem Wahrnehmungsapparat als dreidimensionales Bild interpretiert wird. Durch das unterschiedliche Augenmerk auf Schatten oder Konturen wird eine Drehung in die eine oder andere Richtung vom Gehirn erzeugt. Auch in Präsentationsseminaren habe ich schon gehört, dass man die linke Hälfte von Power Point-Folien für Bilder verwenden soll und die rechte Seite für Text. Die Theorie dahinter: das emotionale Bild wird besser von der rechten Gehirnhälfte verarbeitet und der Text von der sprachverarbeitenden linken Hälfte. Stichhaltige Beweise für diese Theorie gibt es keine. Aber was soll’s? Bild links, Text rechts - Diese Darstellung spricht viele Menschen an, was aber nicht mit einem Links-Rechts-Schema des Gehirns erklärt werden kann.

Letztendlich ist dieser Mythos die populärwissenschaftliche Auslegung von verschiedenen Ansätzen aus der Hirnforschung, die dem Gehirn unterschiedliche Aufbau- und Funktionsweisen beider Hälften zuschreiben. Die generelle Behauptung, die linke Gehirnhälfte sei eher für kognitive Aspekte und die rechte für emotionale ist aber eine fälschliche Verallgemeinerung von solchen Einzelbefunden. Unsere hohen kognitiven und emotionalen Fähigkeiten sind viel zu komplex als das Sie in einem so simplen Modell abbildbar wären. Der aktuelle Stand der Forschung sieht so aus: Wir haben das Gehirn in seiner detaillierten Funktionalität bei weitem noch nicht verstanden. Wir können wenige unumstößlich-simple Aussagen über die komplexe Neurophysiologie machen. Das Gehirn nutzt bei unterschiedlichen Aufgabentypen die eine oder andere Hirnregion mehr oder weniger. Im Großen und Ganzen ist das Gehirn aber als interagierendes System zu verstehen.

Warum lösen wir uns also nicht einfach von dem Dogma, dass analytische und emotionale Denkprozesse zwangsläufig 1:1 mit den beiden Gehirnhälften korrespondieren? Wir können in Seminaren mit einem Augenzwinkern auf diesen Mythos verweisen und anschließend konstruktiv damit umgehen. Wir tauschen das „entweder-oder-Denkmodell“ mit einem „sowohl-als-auch“. Nutzen wir doch die Tatsache, dass für uns Menschen fast immer sowohl rationale als auch emotionale Kompetenten im Denken und Handeln eine zentrale Rolle spielen. Wenn wir in der Weiterbildung diese beiden Komponenten vereinen, erreichen wir in der Regel den Lernenden besser. Emotionales Storytelling und analytische Studien zur Untermauerung unserer Aussagen können eine Lösung sein.

Immer wieder hört man davon, die linke Gehirnhälfte sei fürs analytische und sprachliche Denken da, die rechte eher für ganzheitliches Erfassen und Intuition. Prof. Onur Güntürkün, Abteilung Biopsychologie der Universität Bochum: Wie oft bei populären Vorstellungen gibt es einen wahren Kern, zu dem viel Mythos hinzukommt. Richtig ist, dass es durchaus Asymmetrien gibt: Nicht beide Hirnhälften sind für alles gleichermaßen zuständig. So ist die linke Hemisphäre spezialisiert auf viele - aber nicht alle - Sprachprozesse. Links wird etwa die motorische Sprachumsetzung gesteuert, für die tausende kleinster Muskelpartien angesprochen werden müssen. Auch für abstrakte Begriffe wie Freiheit oder Liebe ist überwiegend die linke Hirnhälfte zuständig. Unser Lexikon für konkrete Begriffe wie Laptop oder Kaffeetasse ist dagegen in beiden Gehirnhälften in etwa gleich gut repräsentiert. Und es gibt auch einige rechtshemisphärische Komponenten von Sprache, etwa die Sprachmelodie oder das Lesen zwischen den Zeilen. Und auch außerhalb der Sprache gibt es Asymmetrien in der Aufgabenverteilung: Räumliches Denken, Zahlenverständnis oder Gesichtserkennung sind etwa eher rechts angesiedelt, die Messung kleiner Zeitabstände und Wahrnehmung kleiner Details eher links.

Leider gibt es darüber hinaus extremen Wildwuchs. Da heißt es dann zum Beispiel, die linke Hemisphäre sei fürs analytische, die rechte fürs ganzheitliche Denken da. Das ist aber eine neurowissenschaftlich schlicht falsche Verallgemeinerung des oben Gesagten. Nur weil die rechte Hirnhälfte zwischen den Zeilen lesen kann, ist sie noch lange nicht für alles zuständig, was man unter den Begriff „ganzheitlich“ fassen kann! Gerade in der pädagogischen Literatur wird in dieser Hinsicht aber wild extrapoliert, etwa wird die Fähigkeit zur Empathie in diesen Korb hineingeworfen. Und dann wird zuweilen sogar an Universitäten gelehrt, um sich gut in Schüler hineinzuversetzen, müsse man die rechte Hemisphäre aktivieren, etwa indem man mit der linken Hand die ganze Zeit einen Gummiball quetsche. Dafür gibt es aber aus wissenschaftlicher Sicht keinerlei belastbare Belege - weder dafür, dass die Empathie insgesamt rechts sitzt, noch dafür, dass sich eine Aktivierung motorischer Areale auf andere Bereiche derselben Hemisphäre übertragen würde. Ebenso ist die Unterscheidung links- und rechtshemisphärisch geprägter Kulturen reiner Mythos. Und schließlich muss klar sein, dass auch tatsächlich nachweisbare Asymmetrien nur eine relative Angelegenheit sind: Wenn Hirnscans bei bestimmten Prozessen eine einseitige Aktivierung zeigen, bedeutet das ja nicht, dass der Rest des Gehirns völlig inaktiv wäre. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, dass letztlich immer beide Seiten zusammenarbeiten - bei Frauen übrigens je nach Zyklusphase mal mehr, mal weniger.

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