Bereits vor über 150 Jahren wurde erstmals der Zusammenhang zwischen Tumorerkrankungen und Thromboseleiden medizinisch beschrieben. Umso erstaunlicher ist es, dass heutzutage diese Verbindung von bestehender oder überstandener Krebserkrankung und dem Risiko für eine Thrombose den Betroffenen oft gar nicht bekannt ist. Sowohl Krebserkrankungen als auch Schlaganfälle gehören weltweit zu den häufigsten Morbiditäts- und Mortalitätsursachen.
Erhöhtes Thromboserisiko bei Krebserkrankungen
Thrombosen treten nicht nur gehäuft bei einer Tumorerkrankung auf, sondern eine Thrombose kann sogar auf das Vorliegen eines Krebses hindeuten - selbst in einem sehr frühen Stadium. Der Grund hierfür ist, dass Krebserkrankungen zu einer Veränderung in der Blutzusammensetzung führen können. Der Zusammenhang zwischen Tumorerkrankung und gestörter Gerinnung des Blutes ist nicht zufällig: Tumoren sondern Substanzen ab, die die Gerinnungsfaktoren anregen und auf diese Weise das Thromboserisiko erhöhen. Dazu kommt, dass auch die Krebstherapie selbst die Neigung zu Blutgerinnseln erhöhen kann.
Auch die Art der Krebserkrankung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Häufigkeit von Thrombosen. So treten insbesondere bei Lungenkrebs oder Bauchspeicheldrüsenkrebs Thrombosen oder Lungenembolien öfter auf, und auch Patienten mit Eierstockkrebs, Magenkrebs, Darmkrebs oder Leukämie haben ein deutlich erhöhtes Thromboserisiko. Die Thromboembolie ist neben Infektionen die zweithäufigste Todesursache bei Krebspatienten. Die Behandlung der CAT (cancer associated thrombosis) ist komplex und orientiert sich am individuellen Patienten.
Schlaganfall als mögliches Warnsignal für Krebs
Gerinnsel treten jedoch nicht nur als »Nebenwirkung« und Folge einer Krebserkrankung auf, sondern umgekehrt kann auch eine gesteigerte Neigung zur Blutgerinnung mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden sein. Wer einen Schlaganfall erleidet, trägt laut einer Analyse im ersten Jahr nach dem Ereignis ein erhöhtes Risiko, ein Tumorleiden zu entwickeln. Viele Krebserkrankungen und Schlaganfälle haben gemeinsame Risikofaktoren, beispielsweise Rauchen und Adipositas. Manchmal besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Schlaganfall und Krebs. So kann eine zugrundeliegende, noch nicht bekannte Krebserkrankung einen Schlaganfall verursachen. Generell haben Krebspatienten ein erhöhtes Schlaganfallrisiko aufgrund direkter Effekte des Tumors, prothrombotischer Effekte und durch manche der Therapien, die bei einer Krebserkrankung angewendet werden.
Kryptogener Schlaganfall und okkulte Krebserkrankungen
Studien zeigen, dass eine zuvor nicht bekannte Krebserkrankung bei 2% bis 5% aller Patienten im ersten Jahr nach einem ischämischen Schlaganfall diagnostiziert wird und vermutlich bereits zur Zeit des Schlaganfalls vorlag. Bei Patienten mit einem kryptogenen Schlaganfall - also einem Schlaganfall, dessen Auslöser nicht ermittelt werden konnte - vermutet man die Zahl von okkulten Krebserkrankungen noch höher.
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Kryptogene Schlaganfälle treten vor allem bei jüngeren Patienten auf, deren Alter zum Zeitpunkt des Schlaganfalls zwischen 18 und 49 Jahren liegt. In dieser Altersgruppe liegt die Rate kryptogener Schlaganfälle bei bis zu 30%. Bei älteren Menschen sind kryptogene Schlaganfälle seltener. Insgesamt ist die Datenlage zu okkulten Krebserkrankungen als Ursache für Schlaganfälle bei jüngeren Menschen bislang dünn.
Studie untersucht Zusammenhang zwischen Schlaganfall und Krebsdiagnose
Forscher um Jamie Verhoeven vom Department of Neurology, Radboud University Medical Center, Donders Institute for Brain, Cognition and Behavior in Nijmegen, Niederlande, untersuchten die Assoziation zwischen einem ersten Schlaganfall und einer neuen Krebsdiagnose nach dem ersten Schlaganfall unter Berücksichtigung der Art des Schlaganfalls, des Alters sowie des Geschlechts der Teilnehmer. Einen Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung nahmen die Forscher ebenfalls vor.
In die Registerstudie gingen die Daten von 390.398 Patienten aus den Niederlanden mit einem Alter ab 15 Jahren, ohne vorherige Krebsdiagnose und mit einem ersten Schlaganfall bzw. einer ersten intrazerebralen Blutung (intracerebral hemorrhage, ICH) im Zeitraum zwischen 1998 bis 2019 ein. Ausgeschlossen wurden Menschen mit Tumoren des ZNS, zerebralen Metastasen und Non-Melanom-Hauttumoren. Der primäre Outcome war die kumulative Inzidenz von einer ersten Krebsdiagnose nach einem erstmals aufgetretenen Schlaganfall.
Die Studie inkludierte die Daten von 27.616 Patienten im Alter von 15 bis 49 Jahren. Das mediane Alter lag bei 44,5 Jahren, das Geschlechterverhältnis war annähernd gleich (50,4% Frauen) und 22.622 (81,9%) der Probanden erlitten einen ischämischen Schlaganfall. Ältere Patienten ab dem 50. Lebensjahr waren mit 362.782 Probanden vertreten. Das mittlere Alter dieser Gruppe lag bei 75,8 Jahren, auch hier war das Geschlechterverhältnis ausgewogen und 307.739 (84,4%) der Teilnehmer hatten einen ischämischen Schlaganfall.
Unterschiedliches Krebsrisiko nach Alter und Geschlecht
Die kumulative Inzidenz einer neuen Krebserkrankung lag nach 10 Jahren in der Altersgruppe von 15 bis 49 Jahren bei 3,7% (95% Konfidenzintervall [KI] 3,4% bis 4,0%). Bei den Teilnehmern mit einem Alter ab 50 Jahren lag die kumulative Inzidenz bei 8,5% (95%-KI 8,4% bis 8,6%). In der Gruppe der unter 50-Jährigen war das Risiko für eine Krebserkrankungen bei Frauen höher als bei Männern. Bei den älteren Teilnehmern ab dem 50. Lebensjahr verhielt es sich umgekehrt, hier waren Männer häufiger von einer Krebserkrankung betroffen.
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Jüngere Menschen mit deutlich erhöhtem Krebsrisiko nach Schlaganfall
Verhoeven et al. verglichen im zweiten Schritt die Tumorinzidenz der Teilnehmer mit den Schlaganfällen mit der Tumorinzidenz der Allgemeinbevölkerung unter Adjustierung auf das Alter. Hier stellten sich die Ergebnisse für das erste Jahr nach dem Schlaganfall wie folgt dar:
- Altersgruppe 15-49 Jahre: standardisiertes Inzidenzverhältnis (Standardized Incidence Ratio, SIR) nach Schlaganfall 2,6% (95%-KI 2,2 bis 3,1); SIR nach ICH 5,5% (95%-KI 3,8 bis 7,3)
- Altersgruppe ab 50: SIR nach Schlaganfall 1,2% (95%-KI 1,2 bis 1,2); SIR nach ICH 1,2% (95%-KI 1,1 bis 1,2).
Gerade in der Gruppe der jungen Erwachsenen war die Wahrscheinlichkeit einer Krebsdiagnose im ersten Jahr nach dem Schlaganfall also deutlich erhöht im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Dieser Effekt hielt über den Zeitraum von einem Jahr hinaus an. Die Häufigkeit einer Krebsdiagnose sank mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Schlaganfall, blieb im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung aber noch bis zu acht Jahre nach einem ischämischen Schlaganfall erhöht. Auch bei Menschen über 50 zeigte sich eine solche Tendenz, allerdings deutlich weniger ausgeprägt und lediglich im ersten Jahr nach dem Schlaganfall.
Häufige Krebserkrankungen nach Schlaganfall
In der Studie wurden bei Patienten nach einem Schlaganfall häufig Bronchialkarzinome, hämatologische Krebserkrankungen und gastrointestinale Tumore diagnostiziert. Eine Erklärung über gemeinsame Risikofaktoren gibt es beim Bronchialkarzinom, denn Rauchen erhöht sowohl das Risiko für Neoplasien der Lunge als auch das Risiko vaskulärer Erkrankungen. Die Risikoerhöhung durch Rauchen erklärt allerdings nicht die anderen Krebsentitäten.
Arterielles Thromboserisiko und Krebs
Dass Krebserkrankungen allerdings auch arterielle Thrombosen auslösen, ist weniger bekannt. Die wichtigsten Folgen sind ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt. Babak Navi vom Weill Cornell Medical Center in New York hat hierzu die Daten von Medicare-Versicherten (in den USA die staatliche Krankenversicherung für Senioren) mit dem Krebsregister SEERS abgeglichen.
Ergebnis: Von den 374 331 US-Senioren, die zwischen 2005 und 2013 an Krebs erkrankten, erlitten 2313 (0,62 %) im Monat vor der Diagnose einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Dies waren 5½ mehr als in einer Kontrollgruppe von Versicherten ohne Krebs - ein hochsignifikanter Unterschied (Odds Ratio: 5,63; 95-%-Konfidenz-Intervall: 5,07-6,25). Ein Anstieg des arteriellen Thromboserisikos war 150 Tage vor der Diagnose nachweisbar. Je näher die Diagnose lag, desto höher auch das Risiko. Am deutlichsten war es bei Patienten mit Lungen- und Darmkrebs sowie fortgeschrittenem Krebsleiden erhöht.
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Prävention und Früherkennung
Angesichts des komplexen Zusammenspiels von Krebs, Thrombose und Schlaganfall sind präventive Maßnahmen und eine frühzeitige Erkennung von entscheidender Bedeutung.
Lebensstiländerungen
Das Positive an den Ergebnissen ist: Wir alle können etwas dafür tun, um unser Risiko für eine Krebserkrankung zu senken. Und damit lassen sich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Denn eine Umstellung des Lebensstils schützt nicht nur vor Krebs, sondern auch vor einem Schlaganfall, einem Herzinfarkt und einer Demenz-Erkrankung. Die Bekämpfung von Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollte sich bevorzugt auf präventive Maßnahmen konzentrieren, um ein von den Vereinten Nationen 2015 ausgerufenes Ziel zu erreichen. Dieses Ziel ist, die vorzeitige Sterblichkeit durch nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs bis 2030 um ein Drittel zu reduzieren.
Vorsorgeuntersuchungen
Navi rät den Ärzten bei älteren Patienten, die scheinbar ohne Grund einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden, gezielt nach einer Krebserkrankung zu suchen. Die Patienten sollten an den empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wie Koloskopie oder Mammografie teilnehmen, um den Krebs vielleicht noch in einem heilbaren Stadium zu diagnostizieren.
Schlaganfall als Risikoindikator ernst nehmen
Das Fazit der Forschenden: „Diese Studie kann als Sprungbrett für künftige Studien betrachtet werden, die den Nutzen eines Screenings auf Krebs nach einem Schlaganfall untersuchen.“ Zumindest muss man einen Schlaganfall insbesondere bei jüngeren Menschen als Indikator für ein erhöhtes Krebsrisiko ernst nehmen.
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