Das primäre ZNS-Lymphom (PZNSL) ist eine seltene, aggressive Form von Hirntumor, die von den Lymphozyten ausgeht. Es manifestiert sich im Gehirn, den Hirnhäuten (Leptomeningen) und dem Rückenmark.
Einführung
Primäre ZNS-Lymphome (PZNSL) sind diffuse großzellige B-Zelllymphome, die bei Erstdiagnosestellung auf das Gehirn, das Rückenmark, die Meningen und die Augen beschränkt sind. Diese Tumoren sind selten und machen etwa 2 bis 3 % aller primären intrakraniellen Neubildungen aus. Unbehandelt sterben Patienten innerhalb weniger Wochen bis Monate. Durch eine auf Hochdosis-Methotrexat (HDMTX) basierte Chemotherapie hat sich die Prognose dieser Tumoren jedoch in den letzten 25 Jahren deutlich gebessert; bei Patienten unter 65 Jahren kann durch eine solche Chemotherapie oft eine mehrjährige Kontrolle der Erkrankung und wahrscheinlich in einigen Fällen auch eine Heilung erzielt werden.
Symptomatik und Diagnose
Klinische Symptome sind oft unspezifisch und umfassen ein organisches Psychosyndrom, neurologische fokale Symptome, seltener Anfälle und noch seltener Hirnnervenausfälle oder andere Symptome.
Das Magnetresonanztomogramm (MRT) ist die überlegene apparative diagnostische Maßnahme, die sehr häufig einen unilokulären oder multilokulären, intensiv und homogen Kontrastmittel-aufnehmenden Tumor zeigt, der in mehr als 90% der Fälle Anschluss an das Ventrikelsystem hat. Obwohl die Tumoren sehr häufig Anschluss an das Ventrikelsystem und damit an die Meningen und das Liquorkompartiment haben, sind Tumorzellen im Liquor cerebrospinalis nur bei weniger als 20% der PZNSL-Patienten nachweisbar; diese Sensitivität wird auch durch zusätzliche diagnostische Maßnahmen wie die PCR zur Detektion monoklonaler B-Zellen nur unwesentlich erhöht.
Mit Ausnahme der sehr seltenen Fälle, in denen ein zytopathologischer Nachweis von Tumorzellen im Nervenwasser oder im Glaskörper des Auges gelingt, ist eine histopathologische Diagnose erforderlich. Ist bei multilokulären Prozessen und/oder bei einer operativ schwer zugänglichen Läsion eine Biopsie erforderlich, sollte diese mithilfe der Stereotaxie durchgeführt werden und dann idealerweise, bevor Glucocorticoide gegeben werden, da Glucocorticoide lymphotoxisch sind und damit die Diagnosestellung behindern können.
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Therapie des PZNSL
Die wirksamste Behandlung primärer ZNS-Lymphome ist eine medikamentöse Therapie, basierend auf klassischen Zytostatika. Baustein jeder effektiven Therapie ist hochdosiertes Methotrexat intravenös. Zusätzliche Chemotherapeutika wie Cytosinarabinosid oder Ifosfamid verbessern die Ansprechraten, wie wahrscheinlich auch die Gabe von Anti-CD20-Antikörpern.
Da eine grundsätzlich wirksame Strahlentherapie bei diesen Tumoren, insbesondere in Kombination mit einer HDMTX-Therapie zu fatalen neurotoxischen Therapiefolgen führen kann, wird in der Primärtherapie dieser Tumoren zunehmend auf die Strahlentherapie verzichtet. Dieses Vorgehen wird durch die bisher einzige publizierte randomisierte Phase-III-Studie bei PZNSL nahegelegt, in der kein Überlebensvorteil für die nachbestrahlten Patienten gefunden wurde. Wenngleich in Teilen der USA und Europas noch eine Strahlentherapie in der Primärbehandlung eingesetzt wird, ist diese Therapie in Deutschland (und z.B. auch in Frankreich) verlassen worden: Es besteht hier Konsensus unter Experten aller Fachrichtungen darüber, dass die Primärtherapie des PZNSL nach histopathologischer Diagnosesicherung (Biopsie oder Resektion) eine rein medikamentöse Therapie ist.
Prinzipien der Chemotherapie
Zur Therapie der PZNSL im Allgemeinen und zur Chemotherapie dieser Tumoren gibt es sehr wenig evidenzbasierte Befunde. Es besteht jedoch Konsens darüber, dass eine HDMTX-Therapie mit >3 Gramm pro m2 Körperoberfläche (g/m2 KOF) pro Infusion, über mehrere Zyklen intravenös gegeben, die Grundlage jeder wirksamen Therapie ist. Diese Therapie führt bei mehr als der Hälfte der Patienten zu einer zumindest vorübergehenden Tumorremission; langhaltende Tumorremissionen lassen sich mit einer HDMTX-Monotherapie jedoch in aller Regel nicht erreichen. Es besteht daher ein weitgehender wissenschaftlicher Konsens darüber, dass sich einer HDMTX-basierten Initialtherapie des PZNSL (mit dem Ziel, eine Remission zu erreichen) wenn möglich eine konsolidierende intensivierte Therapie anschließen sollte. Diese intensivierte Chemotherapie kann - besonders bei jungen Patienten, die aggressive Therapien tolerieren, - eine potenziell myeloablative Hochdosistherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation (HD+ASCT) sein oder eine intensivierte konventionelle Chemotherapie. Darüber hinaus werden bereits in der Initialtherapie zusätzlich zu HDMTX häufig weitere Substanzen wie das Zytostatikum Ifosfamid (Holoxan®) und/oder der Anti-CD20-Antikörper Rituximab (MabThera®) eingesetzt. Eine zusätzliche intraventrikuläre Chemotherapie mit Zytostatika und Glucocorticoiden wurde und wird an einzelnen Zentren zur Therapieintensivierung eingesetzt, hat jedoch keine breite Anwendung gefunden.
Hochdosis-Methotrexat (HDMTX)
MTX ist ein Folsäureantagonist; daher kann eine HDMTX-Therapie nur unter gleichzeitiger Gabe von Folinsäure zum Schutz vor unerwünschter Toxizität gegeben werden. Bei PZNSL wurden nach therapeutischem Ansprechen als effektiv zu beurteilende Dosierungen zwischen 1 g/m2 KOF und 8 g/m2 KOF appliziert. Die optimale Dosis ist nicht etabliert; es werden jedoch in der Regel Dosierungen zwischen 3 und 8 g/m2 KOF eingesetzt. In diesem Dosierungsbereich ist eine ausreichende Penetration der Substanz in das Liquorkompartiment, in das Hirnparenchym und in den dort liegenden Tumor wahrscheinlich. Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine über drei bis vier Stunden verabreichte Infusion einen hohen Wirkspiegel erreicht und eine ausreichende zytotoxische Konzentration über Tage sicherstellt. MTX wird über die Niere ausgeschieden und kristallisiert bei saurem oder normalem pH-Wert des Urins im Nierentubulus aus, sodass diese Therapie nur unter einer Hyperhydratation (6 bis 8 l Flüssigkeit/Tag) und unter Urinalkalisierung mittels Hydrogencarbonat-Infusionen durchgeführt werden kann. Auch bei älteren und alten Patienten ist grundsätzlich eine solche Therapie durchführbar. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Beachtung der Nierenfunktion und eine Dosisanpassung von MTX an eine reduzierte glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Unterhalb einer GFR von 50 ml/min ist eine HDMTX-Therapie in der beschriebenen Weise nicht durchführbar.
Cytosinarabinosid (AraC)
AraC ist ebenfalls ein Antimetabolit, der in mehreren Kombinationschemotherapien beim PZNSL in hohen Dosierungen von 2 bis 3 g/m2 KOF (HDAraC) pro Infusion eingesetzt wird mit bis zu acht Infusionen in einem Zyklus. In einer kleinen prospektiven randomisierten Phase-II-Studie konnte gezeigt werden, dass HDAraC, zusätzlich zu einer HDMTX-Monotherapie gegeben (allerdings in beiden Therapiearmen gefolgt von einer Ganzhirnbestrahlung), sowohl die Ansprechrate als auch das progressionsfreie Überleben (nicht jedoch das Gesamtüberleben) verlängerte. Kritisch muss jedoch zu dieser Studie angemerkt werden, dass im Standardarm die Monotherapie von HDMTX unterdosiert war. Hinzu kommt, dass die Kombination mit einer sehr hohen Rate an schweren Leuko- und Thrombopenien deutlich toxischer war. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde von den Studienautoren postuliert, dass HDMTX/HDAraC als Standardtherapie bei PZNSL zu betrachten ist. Von den Verfassern des vorliegenden Artikels werden diese Ergebnisse kritischer gesehen.
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Ifosfamid
Ifosfamid (Ifo) ist ein Alkylans und wurde innerhalb der großen G-PZNSL-SG1-Studie nachträglich gemäß eines Amendments zur Induktionstherapie mit HDMTX hinzugegeben, wodurch im Rahmen dieser Studie die Ansprechrate signifikant erhöht wurde. Ob Ifosfamid, zusätzlich zu HDMTX gegeben, auch die Gesamtüberlebenszeit verlängert, konnte die Studie nicht beantworten. Ifosfamid wurde auch in anderen Kombinationschemotherapien gegen das PZNSL eingesetzt, da es eine sehr wirksame Substanz bei malignen Lymphomen ist. Es besitzt ein spezifisches Nebenwirkungsprofil und kann in seltenen Fällen zu einer akuten zentralen Neurotoxizität mit Lethargie, Somnolenz bis hin zum Koma und auch epileptischen Anfällen führen. Ob diese durch spezifische prophylaktische Maßnahmen, wie durch die hochdosierte Gabe von Thiamin, verhindert werden können, ist offen. Insbesondere Etoposid - als Bestandteil einer intensivierten Chemotherapie zur Konsolidierung des Therapieerfolgs im Rahmen der amerikanischen CALGB-50202-Studie - verdient Erwähnung, da die Kombination von hochdosiertem Etoposid und HDAraC in dieser Therapiestudie zwar zu einer erheblichen Myelotoxizität (WHO-Grad-3- und -4-Toxizität von über 80%) führte, aber mit überraschend langen Gesamtüberlebenszeiten verbunden war.
Rezidivtherapie
In der Rezidivtherapie wirksame Therapien - gemessen am Tumoransprechen - sind Temozolomid allein oder in Kombination mit Rituximab, Topotecan, die Kombination aus Procarbazin, CCNU und Vincristin (PCV) und nach vorherigem langem Ansprechen auf eine Primärtherapie mit HDMTX ein HDMTX-„Re-Challenge“.
Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation (HDASCT)
Das Prinzip der potenziellen myeloablativen Hochdosis-Chemotherapie besteht bei PZNSL darin, Lymphom-wirksame Substanzen in sehr hohen Dosen zu verabreichen, um möglichst hohe ZNS-Konzentrationen zu erreichen, was allerdings das blutbildende Knochenmark wesentlich schädigt. Um diese Therapieform durchführen zu können, ist eine vorherige Blutstammzellmobilisation und anschließende Stammzell-„Ernte“ erforderlich, sodass diese autologen Stammzellen nach Durchführung der Hochdosistherapie appliziert werden und das Knochenmark wieder aufbauen können. Im Freiburger Protokoll zu PZNSL wird nach einer HDMTX-basierten Initialtherapie unter einer Induktionstherapie mit HDAraC plus niedrig dosiertem Thiotepa (TT) unter Gabe von Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF) zur Stammzellmobilisation durchgeführt, gefolgt von einer hochdosierten Gabe von Carmustin (BCNU) und TT mit anschließender Stammzelltransplantation. In einer ersten Therapiestudie wurden alle 30 Patienten obligat nach Durchführung der Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation ganzhirnbestrahlt, was erwartungsgemäß bei einem Teil der Patienten zu toxischen Enzephalopathien führte. In einem weiterentwickelten Konzept wurde die medikamentöse Therapie intensiviert, durch den Anti-CD20-Antikörper Rituximab angereichert und eine Ganzhirnbestrahlung nur noch bei einem inkompletten Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie durchgeführt.
Intraventrikuläre Chemotherapie
PZNSL-Zellen zeigen einen ausgeprägten Tropismus zu den Meningen, wobei Ventrikel und Ventrikelwände ein Kompartiment bilden, das zumindest theoretisch für Tumorzellen ein Sanktuarium darstellt, in dem sie von einer systemisch applizierten Chemotherapie schlecht oder schlechter erreicht werden. Daher wurde in das sogenannte Bonner Protokoll eine intraventrikuläre Therapie eingeschlossen, die über ein subgaleales Reservoir (Ommaya-Reservoir oder Rickham-Reservoir) eine tägliche Gabe von niedrig dosiertem MTX plus Prednisolon und danach gefolgt von AraC vorsah. Dieses Protokoll war das erste Therapieprotokoll bei PZNSL, das a priori auf eine Ganzhirnbestrahlung in der Erstlinientherapie verzichtete. Die 2003 und 2010 publizierten Ergebnisse zeigten für mehr als die Hälfte der unter 65-jährigen Patienten eine Tumorkontrolle im Median von über zehn Jahren und damit für einen erheblichen Teil dieser Patienten eine kurative Therapiesituation.
Aufgrund einer hohen Reservoir-Infektionsrate, und bei Fehlen anderer Studien zur Untermauerung der Wirksamkeit einer zusätzlichen intraventrikulären Therapie, hat sich dieses Protokoll nicht durchgesetzt.
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Anti-CD20-Antikörper
Der Anti-CD20-Antikörper Rituximab ist seit mehreren Jahren ein fester Bestandteil in der Therapie von systemischen Non-Hodgkin-Lymphomen der B-Zellreihe. Retrospektive Analysen bei PZNSL legen nahe, dass Patienten unter Zugabe von Rituximab zu einer HDMTX-basierten Initialtherapie zum einen bessere Ansprechraten als unter HDMTX allein zeigen und zum anderen deutliche längere progressionsfreie und Gesamt-Überlebenszeiten aufweisen. Derzeit werden Therapiestudien durchgeführt, in denen prospektiv randomisiert Therapiearme unter Einschluss von Rituximab mit solchen ohne Rituximab verglichen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt darf davon ausgegangen werden, dass Rituximab mit hoher Wahrscheinlichkeit die Therapieeffizienz bei PZNSL erhöht.
Neue Substanzen
Die Passage von Rituximab in das Liquorkompartiment ist allerdings gering und damit wohl auch sein Übertritt in Hirn- und Tumorgewebe, welches nur bei Therapiebeginn und großer Tumormasse eine gestörte Blut-/Tumorschranke aufweisen dürfte. Geringe Konzentration in Hirn und Tumor schränken wahrscheinlich die Effektivität von Rituximab ein. Ob dies auch für neuere Anti-CD20-Antikörper gilt, wie für GA101 (Obinutuzumab), das ohne Komplementaktivierung auskommt und daher im ZNS möglicherweise effektiver ist, muss in der Zukunft überprüft werden.
Insbesondere in der Rezidivsituation, die eine sehr ungünstige Prognose bedeutet und für die es keine etablierte Therapie gibt, werden neuere Substanzen evaluiert.
Rolle von Cortison in der Behandlung
Glucocorticoide (Cortison) sind lymphotoxisch und können die Diagnosestellung behindern. Klinisch und bildgebend tritt unter Steroiden in 40-80 % der Fälle eine Befundregression von variabler Dauer auf (in der Regel Wochen bis Monate, selten länger). Histologisch imponieren dann unspezifische entzündliche und reaktive Veränderungen, während Tumorzellen fehlen. Daher sollten Steroide bei PZNSL-Verdacht vor Histologiegewinnung wenn irgend möglich vermieden werden.
Therapieoptimierung und Studien
Die Therapie von Lymphomen hat sich dadurch so verbessert, dass ein ZNS-Lymphom heute als heilbar gilt. Knapp 90 Prozent der Patient:innen, die mit einer Hochdosischemotherapie und Stammzellentransplantation behandelt werden, haben auch nach fünf Jahren keinen Rückfall erlitten. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Illerhaus arbeitet intensiv im Bereich der Klinischen Forschung zum Thema ZNS-Lymphome. Sie kooperiert mit anderen nationalen und internationalen Studiengruppen und ist selbst federführend bei der Initiierung und Durchführung klinischer Studien.
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