Myasthenia Gravis: Ursachen, Diagnose und Therapie einer Autoimmunerkrankung

Die Myasthenia gravis (MG), auch als Myasthenia gravis pseudoparalytica bekannt, ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die durch eine belastungsabhängige Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Dabei greift das körpereigene Immunsystem gesunde Zellen und Gewebe an, was zu einer Störung der Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln führt. Die MG wird in eine generalisierte und eine okuläre Form unterteilt, wobei letztere etwa 15 % der Fälle ausmacht und sich durch Lähmungen der äußeren Augenmuskeln mit Doppelbildern und Lidschwäche äußert. Die generalisierte Form kann sich aus der okulären Form entwickeln, jedoch sinkt diese Wahrscheinlichkeit nach dem dritten Krankheitsjahr deutlich.

Ursachen und Pathogenese

Die Myasthenia gravis ist Folge eines autoimmunen Entzündungsprozesses an der postsynaptischen Membran der neuromuskulären Endplattenregion. Bei der Mehrzahl der MG-Patienten finden sich Antikörper, die gegen die Alpha-Untereinheit des nikotinergen Acetylcholin-Rezeptors (AChR) des Skelettmuskels gerichtet sind. Diese Antikörper führen zum Rezeptorverlust und zur Destruktion der Falten der postsynaptischen Membran. Blockierende Antikörper binden direkt oder in unmittelbarer Nachbarschaft der Acetylcholin-Bindungsstellen und werden im Standard-Labortest nicht erfasst.

Die Bildung der Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper erfolgt im Thymus und im lymphatischen System. Im Rahmen der Thymusreifung kommt es zur Entwicklung Acetylcholin-Rezeptor spezifischer autoreaktiver T-und B-Zellen. Beim Gesunden werden solche gegen den eigenen Körper gerichtete T-Zellen zerstört oder ausreichend durch regulatorische T-Zellen kontrolliert. Das primär auslösende Ereignis ist bei MG ebenso wenig bekannt wie bei anderen primären Autoimmunerkrankungen.

Der Nachweis von Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern ist nur bei etwa 80 bis 90 Prozent der Patienten mit einer generalisierten MG und bei 50 Prozent der Patienten mit einer okulären MG positiv. Bei bis zu 40 Prozent der früher als seronegativ klassifizierten Patienten können spezifische Antikörper gegen die Muskel-spezifische-Tyrosinkinase (MuSK) identifiziert werden. Die Muskel-spezifische-Tyrosinkinase-Antikörper-assoziierte MG bevorzugt die bulbopharyngeale und Atemmuskulatur. Diese Form der MG entspricht etwa zwei bis fünf Prozent der Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper negativen Fälle mit generalisierter Myasthenie.

Bei etwa fünf Prozent der Patienten mit generalisierter MG finden sich bisher keine spezifischen Antikörper, sodass weitere Zielantigene anzunehmen sind.

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Bei etwa 70 Prozent der Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper positiven Patienten unter 40 Jahren zeigt der Thymus histologisch das Bild einer Thymitis mit lymphofollikulärer Hyperplasie mit Keimzentren. Bei Muskel-spezifische-Tyrosinkinase-Antikörper-assoziierter-Myasthenie ist der Thymus morphologisch weitgehend unauffällig. Bei über 40-jährigen Patienten liegt meist eine altersgemäße Thymusatrophie vor.

Thymome oder Thymuskarzinome finden sich bei fünf bis 15 Prozent der Patienten (paraneoplastische MG). Im nicht-tumorösen Anteil des Thymoms bilden sich reife, potenziell autoreaktive T-Zellen; Reifung und der Export regulatorischer T-Zellen sind eingeschränkt.

Als mögliche Auslöser für den Ausbruch der Myasthenia gravis pseudoparalytica gelten oft psychische Belastungen: In ungefähr 65 Prozent der Fälle tritt die Erkrankung nach einem seelisch belastenden Ereignis (wie z.B.

Symptome und Diagnose

Leitsymptom der Myasthenia gravis ist eine wechselnd stark ausgeprägte und belastungsabhängig zunehmende Schwäche der quergestreiften Muskulatur. Meistens zeigt sich die Muskelschwäche jedoch zuerst an den Muskeln des Auges. Sehstörungen haben (v.a. Doppelbilder und ein Hängen der Augenlider (Ptosis), die ein- oder auch beidseitig auftreten kann. Die Beschwerden nehmen bei körperlicher Belastung zu und sind in den Abendstunden häufig stärker ausgeprägt als am Morgen. In manchen Fällen ist eine Störung des Sprechens, Kauens und Schluckens das erste Anzeichen der Myasthenia gravis. Gelegentlich leiden Betroffene bereits bei Erkrankungsbeginn an einer Schwäche der Arme und Beine. Treppensteigen oder das Aufrichten fallen dann zunehmend schwer. Manche Betroffene mit Myasthenia gravis bemerken auch eine Schwäche der Muskeln, die den Kopf halten. Sind die Muskeln des Gesichts betroffen, verändert sich zudem die Mimik.

Die Ausprägung der Myasthenie-Symptome ist individuell unterschiedlich und auch bei ein und demselben Patienten kann die Muskelkraft deutlich schwanken. Während manche Betroffene vergleichsweise leichte Symptome aufweisen und über Jahre einen stabilen Krankheitsverlauf zeigen, schreitet die Muskelschwäche bei anderen über wenige Wochen oder sogar Tage rasch fort und kann bedrohliche Ausmaße annehmen. Die Schwäche kann sich wieder zurückbilden, um später erneut zuzunehmen.

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Viele Betroffene von Myasthenia gravis leiden zusätzlich zu ihren körperlichen Beschwerden unter einer sogenannten Fatigue. Übersetzt bedeutet Fatigue Müdigkeit. Die Fatigue bei Myasthenia gravis ist allerdings viel mehr als eine bloße Müdigkeit. Betroffene fühlen sich energielos, apathisch, haben ein erhöhtes Schlafbedürfnis und leiden unter Konzentrationsproblemen.

Die Diagnose der Myasthenia gravis pseudoparalytica erfolgt anhand von Untersuchungen des Nervensystems, typischen Veränderungen im Elektromyogramm und Tests mit Arzneimitteln (sog.

Zur Diagnostik gehören:

  • Klinische Untersuchung: Die Untersuchung der extraokulären Muskulatur umfasst den Lid-Ermüdungstest, den Doppelbild-Belastungstest, den Rotglastest, die Testung des Cogan-Zeichens und der Schwäche der periokulären Muskulatur. Im modifizierten Myasthenie-Score wird die Kraft und Ausdauer der bevorzugt befallenen proximalen Muskelgruppen getestet, die Vitalkapazität gemessen und die spontane okuläre und faziopharyngeale Symptomatik und deren belastungsabhängige Zunahme erfasst.
  • Elektrophysiologie: Die Erschöpfung der neuromuskulären Erregungsübertragung kann elektrophysiologisch durch eine repetitive 3Hz-Reizung erfasst werden. Ein positives Dekrement (Reduktion der Amplitude/Fläche um mehr als 15/10 Prozent) findet sich bei bis zu 80 Prozent der Patienten mit einer generalisierten MG und bei bis zu maximal 50 Prozent der Patienten mit einer okulären MG.
  • Pharmakologische Testung: Im „Tensilontest“ wird Edrophoniumchlorid i.v. verabreicht. Der Tensilontest kann in diagnostisch schwierigen Fällen mit einer Serienreizung vor und nach der Gabe kombiniert werden. Bei Risikopatienten und bei ambulanten Patienten sollte zunächst eine Testung mit Pyridostigmin oral durchgeführt werden.
  • Laboruntersuchungen: Die Untersuchung des Patientenserums auf das Vorliegen eines pathologisch erhöhten Titers von Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern ist ein wesentlicher Bestandteil der MG-Diagnostik. Bei seronegativen Patienten sollte eine Testung auf Antikörper gegen Muskel-spezifische-Tyrosinkinase durchgeführt werden.
  • Bildgebende Diagnostik: Die Bildgebung des Thorax mittels CT oder MRT zur Darstellung des Thymus ist bei jedem neu diagnostizierten MG-Patienten durchzuführen und auch bei zunächst unauffälligem Befund im Abstand von ein bis zwei Jahren zu kontrollieren, um ein wachsendes Thymom auszuschließen.

Differenzialdiagnostisch sind eine mitochondriale Myopathie, ein Botulismus durch Lebensmittelvergiftung, eine Myositis, kongenitale myasthene Syndrome und ein Lambert-Eaton-myasthenes-Syndrom (LEMS) abzugrenzen. Unter einem Lambert-Eaton-myasthenen-Syndrom versteht man eine präsynaptisch bedingte neuromuskuläre Übertragungsstörung durch Auto-Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle mit Muskelschwäche und autonomen Störungen wie Mundtrockenheit und Impotenz.

Therapie

Die MG ist eine der am besten behandelbaren Autoimmunerkrankungen. Ziel der Behandlung ist die Remission mit optimaler Lebensqualität. Grundpfeiler der Therapie sind:

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  • Acetylcholinesterase-Hemmer: Azetylcholin (ACh) wird durch das Enzym Azetylcholinesterase (AChE) abgebaut. Wird das Enzym medikamentös gehemmt, wird der Abbau des ACh vermindert und es steht mehr ACh zur Verfügung. Dadurch wird die Signalübertragung an der Schnittstelle zwischen Nervenfaser und Muskelzelle verbessert. Zur symptomatischen oralen Therapie mit Acetylcholinesterase-Hemmern hat sich Pyridostigmin in einer Dosierung von drei- bis siebenmal 60 mg/die bewährt. Die Wirkung ist elektrophysiologisch nachweisbar. Pyridostigmin hemmt den Abbau des Acetylcholins und verbessert dadurch die neuromuskuläre Übertragung. Die symptomatische Behandlung mit Pyridostigmin ist jedoch selten ausreichend.
  • Immunsuppressiva: Bei autoimmuner MG ist die therapeutische Wirksamkeit von Glucocorticosteroiden, Cyclosporin A, der Kombinationstherapie von Azathioprin und Glucocorticosteroiden sowie von Plasmapherese und Immunglobulinen durch Studien belegt. Zum Einsparen von Glucocorticosteroiden sollte bei generalisierter MG schon in der Akutphase eine immunsuppressive Dauertherapie eingeleitet werden, wobei Azathioprin (AZA) in einer Dosierung von zwei- bis dreimal 50 mg/die (1,5 bis 3 mg/kg Körpergewicht [KG]) als Medikament der ersten Wahl gilt. Die biologisch aktive Form (6-Mercaptopurin) hemmt die T- und B- Lymphozytenproliferation, wodurch unter anderem die Antikörperproduktion gedrosselt wird. Die Therapie mit AZA sollte über mindestens zwei bis drei Jahre durchgeführt und bei Remission und stabilen Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper-Titern reduziert werden. Neben lange etablierten Therapien mit Kortison-Präparaten, Azathioprin, Mycofenolat-Mofitil, MTX, Cyclosporin A setzen wir bedarfsorientiert und im Einzelfall auch i.v. Immunglobuline oder Rituximab sowie alle neueren zur Behandlung der MG zugelassenen Therapie wie Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan (C5-Komplement-Inhibitoren) sowie Efgartigimod und Rozanolixizumab (FcRn-Inhibitoren) ein. Diese Therapien richten sich gegen die zugrunde liegende autoimmune Entzündung und wirken Verlaufsmodifizierend.
  • Thymektomie: Nach einer Metaanalyse der vorhandenen Klasse-II-Evidenzstudien zur Thymektomie bei Myasthenia gravis geht man davon aus, dass durch eine vollständige Thymektomie bei Patienten, die jünger als 45 Jahre sind, die Prognose verbessert werden kann. Die obere Altersgrenze für eine Thymektomie liegt bei etwa 60 Jahren. Bei rein okulären Verläufen wird nicht zu einer Thymektomie geraten. Bei Verdacht auf ein Thymom muss in jedem Fall eine radikale Operation durchgeführt werden, um die Dignität des Prozesses histologisch zu klären. Invasiv wachsende oder metastasierende kortikale Thymome und hochdifferenzierte Thymuskarzinome können zusätzlich bestrahlt und chemotherapeutisch behandelt werden, was die Prognose verbessern soll.
  • Plasmapherese und Immunglobuline: Bei schweren myasthenen Symptomen und myasthener Krise werden neben i.v. Immunglobuline oder Rituximab sowie alle neueren zur Behandlung der MG zugelassenen Therapie wie Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan (C5-Komplement-Inhibitoren) sowie Efgartigimod und Rozanolixizumab (FcRn-Inhibitoren) eingesetzt.

Myasthene Krise

Eine myasthene Krise ist eine lebensbedrohliche Verschlimmerung der Muskelschwäche bei Myasthenia gravis, die oft die Atemmuskulatur betrifft. Bei schweren myasthenen Symptomen und myasthener Krise werden neben i.v. Immunglobuline oder Rituximab sowie alle neueren zur Behandlung der MG zugelassenen Therapie wie Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan (C5-Komplement-Inhibitoren) sowie Efgartigimod und Rozanolixizumab (FcRn-Inhibitoren) eingesetzt.

Verschlimmert sich die Myasthenia gravis pseudoparalytica zu einer myasthenen Krise, gilt: sofort zur intensivmedizinischen Therapie und Überwachung in eine hierfür spezialisierte Klinik! Die erste Maßnahme gegen eine myasthene Krise besteht darin, den Cholinesterase-Hemmer Pyridostigmin über eine Vene (intravenös) zu verabreichen. Bessern sich die Beschwerden nicht, ist es ratsam, zu intubieren (d.h.

Medikamente und Myasthenia Gravis

Einige Medikamente können die Übertragung von Nervenimpulsen auf den Muskel bei Myasthenia gravis zusätzlich beeinträchtigen. Für Menschen mit Myasthenia gravis pseudoparalytica sind viele Medikamentenicht geeignet, da sie die krankhafte Muskelschwäche verstärken beziehungsweise eine myasthene Krise auslösen können. Betablocker,einige Antibiotika (z.B. Aminoglykoside (v. a. Streptomycin, Neomycin, weniger Tobramycin), Makrolide, (z. B.

Auch bestimmte Impfungen können die Beschwerden bei Myasthenia gravis beeinflussen.

Prognose

Die Myasthenia gravis pseudoparalytica zeigt vorwiegend einen langsamen Verlauf. Angemessen behandelt ist ihre Prognose günstig: Die krankhafte Muskelschwäche (Myasthenie) wirkt sich nicht negativ auf die Lebenserwartung aus.

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