Wie verändert sich die Denk- und Lernfähigkeit im Laufe des Lebens? Ist es für einen 40-Jährigen tatsächlich schwieriger, eine Fremdsprache zu lernen als für einen 20-Jährigen? Was passiert im Gehirn beim Lernen, und wie können wir diesen Prozess optimieren? Diesen Fragen widmet sich dieser Artikel unter Berücksichtigung der Erkenntnisse von Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, einem renommierten deutschen Hirnforscher.
Einführung
Manfred Spitzer, geboren 1958, leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter der Bestseller "Digitale Demenz". Spitzer lockt sein Publikum gerne mit provokanten Thesen aus der Reserve. Seine Forschung und seine Veröffentlichungen bieten wertvolle Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns und die Mechanismen des Lernens. Ziel ist es, die Erkenntnisse der Hirnforschung langfristig mit pädagogischen Fragestellungen zu verknüpfen und somit für den Schulunterricht besser nutzbar zu machen.
Wie Kinder denken lernen
In seinem Buch "Wie Kinder denken lernen" nimmt Spitzer gemeinsam mit dem Kinderarzt Dr. Norbert Herschkowitz den Leser mit auf eine Reise durch die kindliche Gehirnentwicklung. Sie erklären, wie sich Denken, Sprache und Verständnis entwickeln, und beleuchten, welche Einflüsse das Lernen fördern oder behindern. Das Buch bietet praktische Ratschläge für Eltern und Pädagogen, um Kinder beim Wachsen zu begleiten und ihr Denken zu fördern.
Die Rolle der Synapsen
Spitzer betont, dass das Gehirn für das Auswendiglernen von Einzelheiten nicht geeignet ist. "Für das Fakten lernen sind wir nicht konstruiert", betont Spitzer. Das Gehirn besitzt eine Billiarde Synapsen - eine eins mit 15 Nullen. "Genau das ist Lernen", sagt der Hirnforscher. Eine wichtige Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis ist, dass das Gehirn für das Auswendiglernen von Einzelheiten nicht geeignet ist. "Für das Fakten lernen sind wir nicht konstruiert", betont Spitzer.
Lernen durch Erfahrung: Vom Fall zu Fall
Spitzer erläutert, wie ein Baby laufen lernt: durch ständiges Üben und Anpassen. "Also, wie lernt ein Baby laufen?", fragt der Mediziner in die Runde. "Ganz einfach: von Fall zu Fall." Anhand der Einzelfälle werden Zusammenhänge erkannt und vom Gehirn abgebildet. Das Erlernen der Sprache funktioniert nach dem gleichen Prinzip.
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Die Auswirkungen der Mediennutzung
Neueren Studien zufolge ist die häufige und intensive Mediennutzung oder auch die gleichzeitige Nutzung unterschiedlicher Medien für die Lernfähigkeit des Gehirns schädlich. „Multitasking fördert vor allem eines: die Unaufmerksamkeit“, so Spitzer. Angesichts der Erkenntnisse aus der Hirnforschung warnt er vor dem zunehmenden Einsatz elektronischer Medien gerade im Schulunterricht. Grund für diese Warnung ist die Erkenntnis der Neurologie, dass Erfahrungen in unserem Gehirn „Spuren“ hinterlassen. "Seit 2003 wissen wir, dass es sich auf ‚Trampelpfaden’ besonders gut läuft", erläutert Spitzer. "Eine bestimmte Spur wird nicht deshalb genommen, weil sie die beste Problemlösung darstellt, sondern einfach weil sie schon vorhanden ist." Deshalb ist es auch viel leichter, sich eine schlechte Gewohnheit gar nicht erst anzugewöhnen als sie sich wieder abzugewöhnen.
Vernetzung im Gehirn
Basis für das erfolgreiche Lernen ist die Vernetzung der verschiedenen Einheiten im Gehirn. Für diese neurologische Erkenntnis führt Manfred Spitzer verschiedene Fälle an, die belegen, dass das Gehirn vernetzt funktioniert. Noch besser kann man den Zusammenhang an der Verknüpfung von Fingerspielen mit mathematischen Fähigkeiten ablesen. Die meisten Menschen lernen das Zählen mithilfe ihrer Finger. Internationaler Konsens ist das Zählen bis zehn mit zwei Händen. Einzige Ausnahme sind die Chinesen, die an einer Hand bis zehn zählen können und erst ab der Elf die zweite Hand benötigen. Der Handwechsel hat Auswirkungen auf die Schnelligkeit beim Rechnen. Die Verknüpfung von Fingermotorik und Mathematik kann man auch bei Schlaganfallpatienten beobachten: Immer dann, wenn ein Patient nach einem Schlaganfall seine Finger schlecht bewegen kann, ist auch seine Rechenfähigkeit eingeschränkt. Eine weitere Erkenntnis: Je mehr Fingerspiele ein Kind im Kindergarten macht, umso besser ist es später in Mathematik. Diesen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Motorik und Sehen hat das Team von Professor Spitzer in einer eigenen Studie untersucht. Heraus kam, dass die Vernetzung der Hirnregionen, die für das Sehen und die Motorik zuständig sind, einen eklatanten Einfluss auf die Denkgeschwindigkeit hat. Lernt ein Proband, seine Seh- und Motorikfähigkeit gleichzeitig zu aktivieren, dann arbeiten beim Denken zwei Drittel seines Gehirns. "Es hängt von der Art des Trainings ab, wie Sie hinterher denkend mit einem Sachverhalt umgehen können", resümiert der Hirnforscher den Studieninhalt.
Frühkindliche Förderung
Der Einsatz von Computern sollte dabei tunlichst vermieden werden, denn Computer übernehmen die Denkarbeit für den Lernenden. Über den positiven Effekt vom Einsatz von Computern auf das Lernverhalten von Schülern sind derzeit noch keine Studien verfügbar. Dafür gibt es jede Menge Untersuchungen dazu, wie sich die Lebensumgebung auf die Entwicklung der kindlichen Intelligenz auswirkt. Zusätzlich macht der Bildungsstand der Person viel aus, die sich vornehmlich um das Kind kümmert. "Der Effekt eines guten Kindergartens auf die Bildung ist etwa so groß wie der Effekt des Rauchens auf die Krankheit Lungenkrebs: sehr hoch", betont der Hirnforscher.
"Was Hänschen nicht lernt…"
Dazu muss man zunächst wissen, dass sich die Synapsen im Laufe des Lebens verändern. Das hat zur Folge, dass Zehnjährige noch sehr schnell lernen, während es danach rapide bergab geht: Schon 17-Jährige lernen deutlich langsamer. Noch ein Grund mehr für den Hirnforscher, Geld vor allem in die frühkindliche Förderung zu stecken. "Das Gehirn ist kein normaler, sondern ein paradoxer Schuhkarton", so Manfred Spitzer. "Je mehr drin ist, desto mehr passt rein!" Deshalb lernt auch ein Erwachsener ganz anders als ein Kind. Kann der Erwachsene aber erst eine Sprache und soll eine weitere lernen, ist Hänschen dabei im Vergleich viel schneller als Hans. "Wenn Sie mit 20 Jahren noch nichts gelernt haben, dann lernen Sie auch in Zukunft nichts mehr", provoziert der Hirnforscher das Auditorium augenzwinkernd.
Emotionen und Lernen
Emotionen haben einen großen Einfluss auf das Lernverhalten. Im Falle von Angst ist die Funktion des sogenannten Mandelkerns entscheidend für die Art der Reaktion. Am Beispiel eines Spaziergängers, der im Wald auf eine Schlange trifft, erläutert Manfred Spitzer den Reaktionsablauf: Über das Sehorgan registriert der Spaziergänger, dass eine Schlange vor ihm auf dem Weg liegt. Doch noch bevor der Spaziergänger tatsächlich realisiert, was er da sieht, hat der Mandelkern die Gefahr bereits erkannt und eine entsprechende Reaktion eingeleitet. Der Mandelkern sorgt also dafür, dass der Mensch nicht lange überlegt, , sondern mit einer einfachen körperlichen Reaktion, nämlich Wegrennen, das Überleben sichert. Unter Angst zu lernen blockiert das kreative Erarbeiten von Lösungen; das Entstehen von Angst sollte deshalb im Unterricht oder in Schulungen verhindert werden. Auch ein Zusammenhang zwischen Denkfähigkeit und Farben ist nachgewiesen, da der Mensch mit Farben bestimmte Emotionen verbindet. Der Mandelkern zum Beispiel wird bei Rot aktiv, weil er damit Gefahr verknüpft. Rot verhindert also kreatives Denken und behindert das Finden kreativer Lösungen.
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Positive Emotionen und das Glückszentrum
Zum Abschluss seines spannenden Vortrags berichtet der Hirnforscher über die Auswirkungen von positiven Emotionen auf das Lernen. Verantwortlich für positive Gefühle ist das sogenannte Glückszentrum. "Wenn Ihr Glückszentrum anspringt, dann lernen Sie also besonders schnell", so Spitzer. Doch das Glückszentrum springt nur dann an, wenn etwas Positives in Form einer neuen Erkenntnis passiert. "Was also aktiviert wird, ist gar nicht Ihr Glückszentrum, sondern Ihr Lernzentrum", klärt der Mediziner das Publikum auf. Bestes Beispiel ist das in unserer Gesellschaft beliebte Shoppen. Experten nennen es die „hedonistische Tretmühle“: Die Menschen kaufen ständig ein, weil sie gerne glücklich sein möchten. Dieses Glücksgefühl hält aber erwiesenermaßen nicht länger als zehn Sekunden an, schon beim Bezahlvorgang ist es schon wieder vorbei mit dem Glück. Trotzdem gilt: "Tief in unserem Gehirn sind Glück und Lernen aufs Engste miteinander verknüpft", schließt Manfred Spitzer seinen Vortrag.
Spitzers Plädoyer für besseres Lernen
Spitzers Buch ist ein Plädoyer gegen Vorurteile: "Schüler sind nicht dumm, Lehrer sind nicht faul und unsere Schulen sind nicht kaputt. Aber irgendetwas stimmt nicht." Er ermutigt dazu, die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen und dieses Wissen für effektivere Lernmethoden zu nutzen.
Aktivität und Inhalte
Spitzer betont die Bedeutung von Aktivität und dem Hantieren mit Inhalten beim Lernen. Das Gehirn lernt am besten, wenn es aktiv gefordert wird und die Möglichkeit hat, Zusammenhänge selbst zu entdecken.
Schlaf und Konsolidierung
Spitzer betont die Bedeutung des Schlafs für die Konsolidierung des Gelernten. Während des Schlafs werden neue Informationen verarbeitet und im Gedächtnis verankert.
Aufmerksamkeit und Emotionen
Aufmerksamkeit und Emotionen spielen eine entscheidende Rolle beim Lernen. Nur wenn wir uns auf etwas konzentrieren und eine emotionale Verbindung dazu haben, können wir es effektiv lernen.
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Motivation und Belohnung
Motivation und Belohnung sind wichtige Faktoren für den Lernerfolg. Wenn wir für unsere Anstrengungen belohnt werden, sind wir motivierter, weiterzulernen.
Lernen im Laufe des Lebens
Spitzer betont, dass Lernen ein lebenslanger Prozess ist. Auch im Alter können wir noch neue Dinge lernen, auch wenn es vielleicht etwas länger dauert als in der Jugend.
Kindheit
In der Kindheit reifen die Verbindungen im Gehirn, und Areale gehen "on-line". Dies ist eine entscheidende Phase für die Entwicklung von Sprache, Denken und sozialen Fähigkeiten.
Jugend
In der Jugend geht das Lernen schneller, aber auch die Anfälligkeit für negative Einflüsse wie Medienkonsum steigt.
Alter
Im Alter verlangsamt sich das Lernen, aber die Weisheit und Erfahrung nehmen zu.
Die Bedeutung der Kooperation
Spitzer betont die Bedeutung der Kooperation für das Lernen. Durch den Austausch von Wissen und Ideen mit anderen können wir unser Verständnis der Welt erweitern.
Werte und Lernen
Werte spielen eine wichtige Rolle beim Lernen. Wenn wir uns für etwas interessieren und es für wertvoll halten, sind wir motivierter, es zu lernen.