Demenz: Der lange Abschied – Einblick in den Alltag und die Herausforderungen

Demenz, insbesondere die Alzheimer-Krankheit, stellt Betroffene und ihre Familien vor immense Herausforderungen. Der Dokumentarfilm „Demenz: Der lange Abschied“ beleuchtet die oft unsichtbaren Belastungen und emotionalen Achterbahnfahrten, die mit dieser Erkrankung einhergehen. Dieser Artikel gibt einen Einblick in das Leben mit Demenz, basierend auf den Erfahrungen von Betroffenen und ihren Angehörigen, und zeigt Strategien für den Umgang mit der Krankheit auf.

Frühe Diagnose und ihre Auswirkungen

Die Diagnose Demenz, insbesondere in jüngerem Alter, ist ein Schock für die Betroffenen und ihre Familien. Jörg Mahlberg bemerkte, dass seine Frau Irene immer vergesslicher wurde, obwohl dies untypisch für sie war. Im Jahr 2019, im Alter von 64 Jahren, erhielt Irene die Diagnose Alzheimer. Mit unter 65 Jahren gehört Irene zu den fast sechs Prozent der jungen Alzheimer-Betroffenen in Deutschland - rund 106.000 Menschen. Diese werden laut Deutscher Alzheimergesellschaft erst seit wenigen Jahren zunehmend wahrgenommen. Auch gebe es für sie kaum Hilfsangebote.

Der Physiker Jörg Mahlberg erinnert sich, dass er sich hilflos fühlte und die Deutsche Alzheimergesellschaft anrief, weil er nicht gewusst habe, wie er alles schaffen solle. Das Ehepaar stellte sich ein eigenes Programm zusammen mit dem Ziel, "alles zu tun, was die vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten erhält".

Irene Schaarschmidt selbst beschreibt ihre Vergesslichkeit so: "Ich kann mir nichts mehr merken. Wenn ich jemanden treffe, dann sage ich oft 'ja', stelle auch Fragen und sage 'tschüß'. Aber hinterher weiß ich trotzdem nicht, wer das war". Solche Situationen ärgern die heute 70-Jährige. Dann schimpft sie im Inneren mit sich und sagt: "Mensch, kannste dir nicht mal das merken?"

Umgang mit der Diagnose: Strategien und Therapieansätze

Nach der Diagnose entwickelten Irene und Jörg Mahlberg einen aktiven Ansatz, um mit der Krankheit umzugehen. Sie setzen auf eine Kombination aus medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapien.

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Irene Schaarschmidt klebt sich täglich ein Alzheimer-Pflaster auf ihre Schulter. Das Pflaster soll einen kontinuierlichen Medikamentenspiegel im Blut sichern und den Abbau der geistigen Fähigkeiten verlangsamen. Jörg Mahlberg erklärt: "Wir hoffen nicht auf Medikamente. Die werden die Krankheit nicht heilen. Sie nützen auch nur etwas im Anfangsstadium".

Ergänzend dazu verfolgt das Paar einen ganzheitlichen Ansatz, um ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu erhalten. Dazu gehören regelmäßige körperliche Aktivität wie Fahrradfahren, Kreistraining im Fitnessstudio, Schwimmen und Gartenarbeit. "Wir üben auch solche banalen Sachen wie Tischtennisspielen oder Faden in die Nadel einfädeln", erzählt Jörg Mahlberg. Abends schreiben beide stichpunktartig Tagebuch über das, was seit dem Morgen los war. Sie führen auch einen gemeinsamen Online-Kalender, in dem sie das Anstehende nachlesen können.

Irene Schaarschmidt hat sich mit ihrer Situation arrangiert und sagt sich: "Das Leben ist so, dass ich sage: Du kannst nichts dafür. Du musst Sachen aufschreiben und das Leben genießen, so lange es noch da ist."

Zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Teilhabe

Ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Demenz ist die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte. Jörg Mahlberg sind Kontakte mit anderen besonders wichtig, weil er aus der Selbsthilfegruppe von Angehörigen weiß, wie Alzheimer-Betroffene und ihre Familien leiden, wenn sich Freunde oder Bekannte zurückziehen. "Wenn Demenzkranke alleine leben, haben sie Angst, etwas Falsches zu sagen und versuchen sich anzupassen. Sie sagen ja, nein und das war's dann", sagt Jörg Mahlberg. Er blickt seine Frau auf dem Sofa neben sich an: "Irenchen, ich will nicht, dass du vereinsamst. "Deswegen zerrst du mich auch so oft mit raus", antwortet sie ihm lakonisch, beide lachen.

Obwohl Irene nicht mit allen Aktivitäten einverstanden ist, wie beispielsweise der Ergotherapie ("Die ist manchmal wie ein Kindergarten mit den Basteleien"), nimmt sie daran teil, weil sie die sozialen Kontakte schätzt. Deswegen geht er mit ihr auch zum Tanztreff, "obwohl das nicht mein Favorit ist. Ich gehe eben mit."

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Herausforderungen und Belastungen für Angehörige

Die Pflege von Menschen mit Demenz stellt eine enorme Belastung für die Angehörigen dar. Der Dokumentarfilm "Demenz: Der lange Abschied" zeigt die Geschichten von Peggy und Sonja, die ihre Mütter durch den Verlauf der Krankheit begleiten. Peggy möchte ihre Mutter bestmöglich durch die Krankheit begleiten, doch sie lebt mit ihrer eigenen Familie mehrere hundert Kilometer entfernt. Auch Vreni aus Schopfheim hat Demenz und sich stark verändert. Derzeit ist unklar, ob und wie lange die 84-Jährige noch zu Hause wohnen kann. Ihre Tochter Sonja versucht unermüdlich, die Nähe zu ihrer Mutter aufrechtzuerhalten und ihr durch ihre Unterstützung zumindest ein vertrautes Gefühl inmitten der Orientierungslosigkeit zu geben.

Der Film hinterfragt, warum Peggy und Sonja ihre Mütter so hingebungsvoll auf deren kräftezehrenden Weg begleiten. Welche Rolle spielen Liebe, Pflichtgefühl, Gewissen und Gesellschaft? Schaffen sie es immer stark zu bleiben oder gibt es auch Momente, in denen sie resignieren?

Die Töchter erfahren oft einen massiven Druck, da Außenstehende die Veränderungen und Einschränkungen der Betroffenen nicht immer nachvollziehen können. Sonja meint, das sei wie mit Kindern - nur dass bei ihnen das Verständnis langsam wächst, während bei Demenzkranken irgendwann keins mehr da ist. Die Frage, die sich Sonja oder Peggy stellen, ist dann: Wieviel will und kann ich korrigieren und belehren und eingreifen?

Einblick in die Dreharbeiten des Dokumentarfilms

Die Filmemacher standen vor der Herausforderung, das Leben von Menschen mit Demenz authentisch darzustellen. Es war für die beiden Mütter, Kerstin Elfmann und Vreni Herlan, erstmal sehr verwirrend, dass wir bei ihnen im Wohn- oder Schlafzimmer standen. Deswegen haben wir uns mit den Vorgesprächen und Interviews viel Zeit gelassen, ich wusste, dass es einen Moment dauern kann, bis wir zum Kern der Sache vorstoßen. Wir durften die Protagonistinnen sehr nah begleiten und haben diese Chance bestmöglich genutzt. Wir haben uns auf die Situation eingelassen, auch mal mitgetanzt und gesungen, viele Ruhepausen eingeschoben. Tatsächlich gab es auch einige lustige Momente, Vreni hat trotz ihrer starken Demenz oft einen coolen Spruch auf den Lippen, wenn man gar nicht damit rechnet. Sie erinnert sich auch noch gut an alte Schlager. Manchmal merkte sie, dass etwas "mit ihrem Kopf nicht stimmt" und ist in Tränen ausgebrochen - das hat uns natürlich nicht kalt gelassen. Bei Kerstin war das anders, denn sie spricht nicht mehr.

Die Regisseurin bewahrte zwar einen gewissen Abstand, aber da ich selbst eine enge Beziehung zu meiner Mutter habe, fiel es mir diesmal gar nicht so leicht. Mir ist auch klar geworden, dass viel zu selten im Vorfeld geklärt wird, was sich jede, jeder in einer solchen Situation wünschen würde. Es ist kein angenehmes Thema, aber man sollte es besprechen, solange es noch geht. Keine Mutter will irgendwann zu einer Last für das eigene Kind werden, während die Kinder oft ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihre Eltern in ein Pflegeheim geben.

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Unterstützung und Vernetzung

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. betreibt ein Alzheimer-Telefon und zeigt Hilfsangebote auf. Aber die Krankheit hat so viele Gesichter, dass es für Angehörige schwierig ist, in allgemeinen Ratgebern Hilfe für ihre jeweilige Situation zu finden. Wichtig ist daher die Vernetzung mit anderen Betroffenen. Wenn man einen Fall von Demenz in seiner Familie erlebt, hat man sicher oft das Gefühl, damit sehr alleingelassen zu sein - das geht vielen so. Das Thema ist noch immer mit Angst und Scham besetzt. Dazu kommt der undurchsichtige Pflegedschungel und die damit verbundene Administration. Das alles kostet Zeit und Kraft und muss von der ganzen Familie mitgetragen werden. Bei der Arbeit am Film habe ich mitbekommen, wie der Austausch mit Gleichgesinnten Kraft und Zuversicht gibt.

Früherkennung und Prävention

Die ersten Symptome von Alzheimer werden oft nicht mit der Krankheit in Verbindung gebracht: Kopfschmerzen, leichte Depressionen, Leistungsschwäche. Bald kommt es zu ersten Ausfallerscheinungen des Gehirns.

Frühwarnzeichen können sein:

  1. Der Betroffene wiederholt immer wieder die gleiche Frage.
  2. Er oder sie erzählt ständig dieselbe Geschichte mit denselben Worten.
  3. Es gelingt nicht mehr, alltägliche Verrichtungen (Kochen, Kartenspielen, Benutzung der Fernbedienung) vorzunehmen.
  4. Der Umgang mit Geld, Rechnungen und Überweisungen klappt nicht mehr.
  5. Gegenstände werden verlegt oder unbewusst versteckt, Angehörige werden verdächtigt, sie weggenommen zu haben.
  6. Der Patient weigert sich, sich zu waschen oder frische Kleider anzuziehen und behauptet fälschlich, dies gerade erst getan zu haben.
  7. Er wiederholt an ihn gerichtete Fragen.

Einige Verhaltensweisen können laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, senken.

Leben mit Demenz: Ein Appell zur Achtsamkeit

Die Auseinandersetzung mit Demenz zeigt, wie wichtig es ist, den Moment zu genießen und Beziehungen zu pflegen. Jörg Mahlberg gesteht sich beim Kaffee zubereiten ein, dass er sein Rentnerleben mit neuen Hobbys beginnen wollte. Für die Zukunft wünscht sich Irene Schaarschmidt "ein gemeinsames Leben mit ihrem Mann" und verständnisvolle Freunde. "Klar, mein Rentner-Leben hatte ich mir auch anders vorgestellt,. Ich hatte Pläne für neue Hobbys. Doch die Aktivitäten, die ihr helfen, helfen auch mir: das Radeln, die Besuche. Wir waren in diesem Jahr 57 Mal im Schwimmbad", zählt der Ehemann. Für die nächsten 20 Jahre hofft er, dass die Alzheimererkrankung "keinen allzu heftigen Verlauf nimmt.

Die Pflege eines Menschen mit Demenz stellt eine Aufgabe dar, die einfach alle Lebensbereiche der pflegenden Angehörigen beeinflusst. Nach der intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Demenz und der Arbeit an dem Film bin ich immer noch beeindruckt davon, was die beiden Töchter leisten. Das Beispiel von Peggy und Sonja hat mir vor Augen geführt, wie stark man sein kann, wenn man plötzlich muss. Ich nehme auch mit, dass man sich noch mehr auf die Gegenwart konzentrieren sollte und dabei alles genießen muss, was der Moment bietet.

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