Epilepsie ist eine chronische neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet ist. Die Behandlung von Epilepsie zielt darauf ab, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren oder idealerweise Anfallsfreiheit zu erreichen, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die medikamentöse Therapie spielt dabei eine zentrale Rolle.
Diagnose und Therapiebeginn
Nach der Diagnose einer Epilepsie und der genauen Bestimmung der Anfallsform kann eine geeignete Therapie eingeleitet werden. In den meisten Fällen beginnt diese mit Medikamenten, sogenannten Anfallssuppressiva oder Antikonvulsiva. Etwa zwei von drei Patienten erreichen durch diese Medikamente Anfallsfreiheit.
Die Rolle der Medikamente
- Anfallssuppressiva / Antikonvulsiva: Diese Medikamente setzen die abnorme Reizbarkeit der Nervenzellen herab, die zu epileptischen Anfällen führen, und vermindern so ihre Anfallsbereitschaft.
- Langzeittherapie: Oft ist eine jahrelange, manchmal sogar lebenslange Einnahme der Medikamente erforderlich.
- Individuelle Wirksamkeit und Nebenwirkungen: Die verschiedenen Wirkstoffe wirken nicht bei allen Betroffenen gleich und können unterschiedliche Nebenwirkungen verursachen.
- Einstellung der Medikation: Die genaue Auswahl und Einstellung der Medikation kann Monate oder sogar Jahre dauern und erfordert regelmäßige Untersuchungen sowie ein großes Vertrauen zwischen Angehörigen, Ärzten und Patienten.
Es ist wichtig zu beachten, dass eine medikamentöse Behandlung nicht immer sofort erforderlich ist. Gelegentlich treten einmalige Anfälle auf, die keine sofortige Behandlung notwendig machen. Die Entscheidung für oder gegen eine medikamentöse Therapie sollte immer individuell getroffen werden.
Pharmakoresistente Epilepsie und alternative Behandlungsoptionen
Wenn nach mindestens einem Jahr, unter maximal möglicher Dosierung und der Verabreichung von mindestens zwei unterschiedlichen Anfallssuppressiva (entweder in Monotherapie oder Kombinationstherapie) keine Verbesserung des Anfallsgeschehens eintritt, spricht man von einer pharmakoresistenten Epilepsie. In solchen Fällen gibt es weitere Behandlungsmöglichkeiten, wie die Epilepsiechirurgie und Neurostimulation (Vagusnervstimulation).
Weitere Therapieansätze
- Epilepsiechirurgie: Bei fokalen Epilepsien kann die operative Entfernung des Anfallsursprungs im Gehirn eine Option sein.
- Neurostimulation (Vagusnervstimulation): Hierbei wird der Vagusnerv durch einen implantierten Schrittmacher stimuliert, um die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.
- Ketogene Ernährungstherapie: Eine spezielle, fettreiche und kohlenhydratarme Ernährung kann bei manchen Epilepsieformen, insbesondere bei Kindern, die Anfallshäufigkeit verringern.
- Psychotherapie und Neuropsychologie: Diese Therapieansätze können helfen, die psychischen und sozialen Folgen der Epilepsie zu bewältigen.
- Gezielte Anfallsunterbrechung: In manchen Fällen können Medikamente eingesetzt werden, um einen akuten Anfall zu unterbrechen.
Auswahl des richtigen Medikaments
Die Auswahl des geeigneten Medikaments hängt von verschiedenen Faktoren ab:
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- Ursache der Epilepsie: Unterschiedliche Ursachen können unterschiedliche Medikamente erforderlich machen.
- Anfallsform: Manche Medikamente wirken nur bei bestimmten Anfallsformen (fokale oder generalisierte Anfälle).
- Epilepsie-Syndrom: Einige Medikamente sind nur bei bestimmten Epilepsie-Syndromen wirksam.
- Zusätzlich bestehende Krankheiten: Begleiterkrankungen können die Medikamentenwahl beeinflussen.
- Weitere medizinische Befunde: Individuelle Besonderheiten des Patienten können berücksichtigt werden.
- Alter des Betroffenen bei Krankheitsbeginn: Das Alter spielt eine wichtige Rolle bei der Medikamentenwahl.
Gängige Substanzen bei Epilepsie
Es gibt eine Vielzahl von Wirkstoffen, die je nach Verträglichkeit, Alter und Form der Epilepsie als Mono- oder Kombinationsbehandlung verabreicht werden können. Einige gängige Substanzen sind:
- Carbamazepin
- Lamotrigin
- Levetiracetam
- Topiramat
- Valproinsäure
- Ethosuximid (vor allem bei Absencen im Schulkindalter)
Mittel wie Valproat werden häufiger für die Behandlung idiopathischer generalisierter Epilepsiesyndrome verschrieben, während z. B. Ethosuximid vor allem bei Absencen im Schulkindalter verwendet wird, da es besser verträglich ist. Bei der Behandlung des West-Syndroms (auch BNS-Epilepsie) kommen Hormone wie ACTH und Glucocorticoide zum Einsatz.
Medikamente für fokale und generalisierte Epilepsien
Zur Behandlung steht eine Vielzahl von Wirkstoffen zur Verfügung, jedoch wirken nicht alle Medikamente bei allen Epilepsie-Formen. Es gibt Präparate, die nur bei fokalen Anfällen wirksam sind und andere, die insbesondere bei generalisierten Anfällen wirken. Wieder andere wirken bei beiden Anfallsformen oder nur bei ganz bestimmten Epilepsie-Syndromen.
Gemäß den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und zusätzlichen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) werden zwei Medikamente, Lamotrigin und Levetiracetam, für die Ersttherapie bei neu diagnostizierter fokaler Epilepsie empfohlen. Diese Empfehlungen basieren unter anderem auf der SANAD II Studie. Andere Medikamente haben individuelle Nachteile, etwa bestimmte Wechselwirkungen, Kontraindikationen oder vermehrte bzw. spezielle Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Schwindel, Sprachstörungen, Gewichtszunahme, Zittern oder Haarausfall, können aber in bestimmten Fällen als erste Wahl in Betracht gezogen werden. Das gilt zum Beispiel für Carbamazepin, Gabapentin, Oxcarbazepin, Topiramat, Valproat und Zonisamid.
Mono- vs. Kombinationstherapie
Ein zentraler Aspekt ist, ob die Epilepsie mit einem oder mehreren Medikamenten behandelt werden sollte. In der Regel wird mit einer Monotherapie begonnen. Wenn diese nicht erfolgreich ist, kann eine zweite Monotherapie oder auch bereits eine Kombinationstherapie in Erwägung gezogen werden.
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Die Monotherapie, bei der nur ein Antikonvulsivum eingesetzt wird, ist in der Regel der erste Schritt in der Behandlung von Epilepsie. Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Einfachheit: Es gibt eine klare Übersicht über Wirksamkeit und Nebenwirkungen, und die Medikamenten-Compliance der Patientinnen und Patienten ist am höchsten. Bei Epilepsien fokalen Ursprungs sind beispielsweise Carbamazepin, Lamotrigin, Levetiracetam, Topiramat und Valproinsäure Mittel der ersten Wahl.
Die Kombinationstherapie kommt ins Spiel, wenn die Monotherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt. Hier werden zwei oder mehr Antikonvulsiva kombiniert, um verschiedene, sich ergänzende Wirkmechanismen zu nutzen. Dies kann die Wirksamkeit der Behandlung erhöhen.
Die Entscheidung zwischen Mono- und Kombinationstherapie sollte immer individuell getroffen werden, basierend auf dem klinischen Bild der Patientinnen und Patienten, den bisherigen Therapieerfahrungen und den potenziellen Nebenwirkungen der Medikamente.
Oberstes Ziel einer jeden antiepileptischen Therapie muss Anfallsfreiheit oder doch wenigstens Anfallskontrolle sein und zwar mit möglichst geringen Nebenwirkungen.
Levetiracetam als Beispiel
Levetiracetam gehört zu den wichtigsten Mitteln gegen Krampfleiden. Es senkt die Gefahr eines epileptischen Anfalls. Der Wirkstoff gilt allgemein als gut verträglich und kann auch mit anderen Medikamenten kombiniert werden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schläfrigkeit und Kopfschmerzen.
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Levetiracetam ist ein Arzneistoff aus der Klasse der Antiepileptika (Medikamente gegen Epilepsie, auch Antikonvulsiva genannt). Seine Wirkung vermittelt es hauptsächlich, indem es die Menge gewisser Botenstoffe des Nervensystems (Neurotransmitter) verringert.
Levetiracetam senkt die Übererregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn durch Bindung an ein spezielles Protein (synaptisches Vesikelprotein 2A). Durch dieses Andocken wird die freigesetzte Menge eines erregenden Botenstoffes reduziert. Außerdem beeinflusst Levetiracetam den Calciumspiegel in den Nervenzellen verschiedener Hirnareale. In Summe sinkt so die neuronale Erregung.
Zu den Anwendungsgebieten (Indikationen) von Levetiracetam gehören verschiedene Formen von Krampfleiden, namentlich:
- fokale Anfälle (auf eine Gehirnregion begrenzt) mit oder ohne sekundärer Generalisierung (= Übergreifen auf beide Gehirnhälften) - Levetiracetam wird hier entweder allein (als Monotherapie) oder als Zusatztherapie zu anderen Medikamenten eingesetzt
- myoklonische Anfälle (Anfälle mit plötzlichen einschießenden Zuckungen der Muskulatur) - der Wirkstoff wird hier als Zusatztherapie eingesetzt
- tonisch-klonische Anfälle (beginnen mit einer plötzlichen Steifheit des Körpers, gefolgt von krampfartigen Zuckungen) - auch hier dient der Wirkstoff als Zusatztherapie
Die Dosierung beträgt normalerweise zwischen 500 und 1500 Milligramm Levetiracetam, wird jedoch individuell vom Arzt festgelegt. So muss die Dosis etwa bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen sowie bei Kindern und Jugendlichen verringert werden.
Sehr häufig, das heißt bei mehr als zehn Prozent der Behandelten, ruft Levetiracetam Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Schwindel und Schläfrigkeit hervor. Häufig, also bei einem bis zehn Prozent der Behandelten, kommt es durch die Einnahme des Arzneimittels zu Angststörungen, depressiven Verstimmungen, Gewichtsabnahme und Magen-Darm-Beschwerden.
Medikamente mit Levetiracetam können das Reaktionsvermögen beeinträchtigen, da als Nebenwirkung Schläfrigkeit auftreten kann. Insbesondere zu Beginn der Behandlung sollte deshalb auf die individuelle Verträglichkeit geachtet werden.
Antikonvulsiva: Wirkmechanismen und Klassen
Antikonvulsiva, auch bekannt als Antiepileptika, sind Medikamente, die primär zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden. Die Wirkmechanismen von Antikonvulsiva sind vielfältig und zielen darauf ab, die neuronale Aktivität im Gehirn zu stabilisieren, um die Häufigkeit und Schwere von Anfällen zu reduzieren.
Die Hauptwirkmechanismen der verschiedenen Klassen von Antikonvulsiva umfassen:
- Natriumkanal-Blocker: Diese Medikamente (z.B. Carbamazepin, Phenytoin, Lamotrigin) verhindern die repetitive, hochfrequente Entladung von Aktionspotentialen in den Neuronen, indem sie die spannungsabhängigen Natriumkanäle in einem inaktivierten Zustand stabilisieren.
- Calciumkanal-Blocker: Bestimmte Antikonvulsiva (z.B. Ethosuximid, Gabapentin, Pregabalin) wirken, indem sie die T-Typ-Calciumkanäle in den thalamischen Neuronen blockieren.
- GABAerge Wirkung: Viele Antikonvulsiva (z.B. Benzodiazepine, Barbiturate, Valproinsäure) verstärken die inhibitorische Wirkung des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA).
- Glutamat-Rezeptor-Antagonisten: Einige Antikonvulsiva (z.B. Topiramat, Felbamat) wirken als Antagonisten an Glutamatrezeptoren, insbesondere am NMDA-Rezeptor.
- SV2A-Liganden: Levetiracetam und Brivaracetam binden an das synaptische Vesikelprotein 2A (SV2A) in präsynaptischen Neuronen.
- Mehrfachwirkmechanismen: Einige Antikonvulsiva, wie z.B. Valproat und Topiramat, haben mehrere Wirkmechanismen, die sowohl die Verstärkung der GABAergen Aktivität als auch die Hemmung von Natrium- und/oder Calciumkanälen umfassen können.
Vorwiegend spannungsabhängige Natriumkanäle blockierende Antiepileptika
- Carbamazepin
- Eslicarbazepin
- Lacosamid
- Lamotrigin
- Oxcarbazepin
- Phenytoin
- Rufinamid
- Valproinsäure
- Zonisamid
Vorwiegend die Wirkung von GABA verstärkende Antiepileptika
- Barbiturate (z.B.
Wichtige Aspekte bei der medikamentösen Behandlung
- Regelmäßige Einnahme: Die Anfallssuppressiva müssen regelmäßig und zu festen Zeiten eingenommen werden.
- Anfallskalender: Das Führen eines Anfallskalenders kann helfen, den Therapieerfolg zu beurteilen.
- Nebenwirkungen: Bei Auftreten von Nebenwirkungen sollte der Arzt konsultiert werden.
- Wechselwirkungen: Antiepileptika können Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben.
- Schwangerschaft und Verhütung: Frauen mit Epilepsie sollten vor einer Schwangerschaft ihren Arzt konsultieren.
- Ältere Menschen: Bei älteren Menschen ist besondere Vorsicht bei der Medikamentenwahl geboten.
Das Absetzen von Medikamenten
Etwa zwei Drittel der Patient*innen mit Epilepsie werden unter der Einnahme anfallssuppressiver Medikamente (ASM) anfallsfrei. Das Risiko für Anfallsrezidive nach dem Absetzen von ASM ist mit 40-50 % ungefähr doppelt so hoch wie unter der weiteren Einnahme von ASM. Leitlinien empfehlen, das Absetzen von ASM frühestens nach 2‑jähriger Anfallsfreiheit zu erwägen.
Das Absetzen eines ASM sollte nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung gemeinsam von Ärztin und Patientin entschieden werden. Der Nutzen des Absetzens eines ASM kann in einem Wegfall etwaiger Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und somit in der Verbesserung der Lebensqualität bestehen.
Das Risiko eines erneuten Anfalls nach dem Absetzen des ASM sinkt, je länger Patient*innen anfallsfrei waren. Bei der Abschätzung des Risikos für ein Anfallsrezidiv nach dem Absetzen des ASM stellen auch die Epilepsieart und das Epilepsiesyndrom relevante Faktoren dar.
Patient*innen sollten darüber aufgeklärt werden, dass ASM nur nach ärztlicher Rücksprache abgesetzt werden sollten, um das Risiko für einen Status epilepticus oder Entzugsanfälle zu minimieren.
Nach Beendigung eines ASM sollten Patientinnen für mindestens 2 Jahre von ihren behandelnden Neurologinnen regelmäßig gesehen werden.
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