Ein alarmierender Skandal erschüttert die Alzheimer- und Demenzforschung. Vorwürfe der Datenmanipulation gegen einen einflussreichen Hirnforscher werfen dunkle Schatten auf die Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente. Der Fall wirft nicht nur Fragen nach der Integrität wissenschaftlicher Forschung auf, sondern könnte auch Auswirkungen auf die Therapie von Parkinson haben.
Der Fall Eliezer Masliah: Einflussreicher Hirnforscher im Visier
Eliezer Masliah, ein angesehener Hirnforscher in den USA, stand im Zentrum der Demenzforschung. Im Jahr 2016 wurde er zum Leiter der Abteilung für Neurowissenschaften am „National Institute on Aging“ ernannt, einer führenden staatlichen Einrichtung für Demenztherapie. Mit einem Jahresbudget von mehreren Milliarden US-Dollar und seiner Rolle als Chefberater des Institutsdirektors hatte Masliah erheblichen Einfluss auf die Entwicklung und Zulassung neuer Alzheimer-Medikamente. Darüber hinaus galt er als Spezialist für Parkinson.
Doch nun steht Masliah im Verdacht, Dutzende Studien gefälscht zu haben. Das Fachmagazin „Science“ berichtete, dass seine Forschung möglicherweise mit manipulierten Daten gespickt ist. Konkret geht es um gefälschte Eiweißanalysen (sogenannte Western Blots) und mikroskopische Aufnahmen von Gehirngewebe.
Was sind Western Blots und warum sind sie anfällig für Manipulationen?
Western Blots sind etablierte Verfahren in den Biowissenschaften, um Proteine voneinander zu trennen und zu identifizieren. Dabei werden Proteine mit einem Farbstoff gekoppelt und anhand ihrer Bandenmuster unterschieden. Diese Muster werden fotografisch dokumentiert und als Belege in Studien veröffentlicht.
Das Problem: Die Bilder können mit Bildbearbeitungsprogrammen manipuliert werden. Eiweiß-Banden können aus anderen Bildern kopiert oder entfernt werden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. KI-gestützte Prüfprogramme können solche Manipulationen erkennen. Die in „Science“ vorgestellte Analyse deutet auf Manipulationen in Masliahs Veröffentlichungen hin.
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Auswirkungen auf die Parkinson-Forschung
Der Skandal um Masliah hat weitreichende Konsequenzen, insbesondere für die Parkinson-Forschung. Ein neues Antikörperpräparat gegen Parkinson, das bereits in klinischen Versuchen erprobt wurde, basiert teilweise auf den Ergebnissen aus Masliahs Labor. Die möglicherweise gefälschten Proteindaten betreffen das Eiweiß alpha-Synuclein, das an den Synapsen im Gehirn vorkommt und bei bestimmten erblichen Formen der Parkinson-Demenz verändert zu sein scheint.
Die US-Zulassungsbehörde (FDA) hatte bereits Studien mit Parkinson-Patienten genehmigt, die den Antikörper Prasinezumab untersuchten. Dieses Medikament soll Alpha-Synuclein angreifen. Masliah war nicht nur an der Grundlagenforschung, sondern auch am Genehmigungsprozess beteiligt. Nun müssen diese Studien überprüft werden.
Weitere Fälle von Datenmanipulation in der Neurowissenschaft
Der Fall Masliah ist kein Einzelfall. Auch andere Forscher wurden bereits der Fälschung von Western Blots und mikroskopischen Bildern überführt. So wurden Ende letzten Jahres Manipulationen durch das Team von Berislav Zlokovic am Zilkha Neurogenetic Institute der University of Southern California aufgedeckt. Ein Mitglied seines Teams hatte mikroskopische Aufnahmen so bearbeitet, dass abgestorbene Zellen daraus verschwanden. Brisant: Es ging um die Entwicklung eines neuen Medikaments.
Die Rolle der Synapsen in der Alzheimer- und Parkinson-Forschung
Masliahs Forschungsfeld sind die Nervenzellverbindungen (Synapsen) und die Schäden, die an den neuronalen Kontaktpunkten im Zuge von Erkrankungen auftreten. Ohne Mikroskop-Bilder ist solche Forschung nicht möglich. Masliah soll einen Fundus von besonders eindrücklichen Aufnahmen angelegt haben, die er in Zusammenhang mit ganz unterschiedlichen Versuchen immer wieder verwendete und als neue Ergebnisse ausgab. Damit wurde er zu einem der meistzitierten Wissenschaftler der Alzheimer-Forschung.
Seine Forschung konzentrierte sich auf die verklumpten Proteine im Gehirn, die nach einer gängigen Vorstellung die Alzheimer-Demenz verursachen. Insgesamt veröffentlichte er rund 300 Studien, die über 50.000-mal von anderen Forschern zitiert wurden. Fast genauso viele Untersuchungen (220 mit etwa 30.000 Zitierungen) publizierte sein Team zu alpha-Synuclein, einem Protein, das bei Parkinson eine besondere Rolle spielen soll.
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Die Aufdeckung des Skandals
Bereits seit zwei Jahren gab es erste Auffälligkeiten in Masliahs Werk. Das Magazin „Science“ beauftragte daraufhin einen Daten-Forensiker, der ein 300-seitiges Dossier erstellte, das Beweise für Manipulationen zwischen 1997 und 2023 zusammenträgt. Elf Hirnforscher wurden gebeten, die Funde zu bewerten. Christian Haass, Biochemiker und Leiter des Labors für Neurodegenerative Erkrankungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München, nannte die Beweissammlung „atemberaubend“.
Die Redakteure von „Science“ verschickten das Dossier an Masliah sowie an die Pharmaunternehmen, Universitäten und Bundesbehörden, mit denen er zusammenarbeitete. Masliah antwortete jedoch nicht auf die Fragen. Die National Institutes of Health (NIH) gaben an, den Vorwürfen nachgegangen zu sein und dabei selbst Fälschungen oder unzulässige Wiederverwendungen bei zwei Bildern festgestellt zu haben. Masliah ist mittlerweile nicht mehr als Direktor der Abteilung für Neurowissenschaften im National Institute on Aging tätig.
Konsequenzen und Ausblick
Der Fall Masliah wirft ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit strengerer Kontrollen und Transparenz in der wissenschaftlichen Forschung. Die Überprüfung seiner Veröffentlichungen durch die wissenschaftlichen Zeitschriften muss nun mit Hochdruck erfolgen. Es stellt sich die Frage, wie solche Manipulationen in Zukunft verhindert werden können.
Der Skandal zeigt auch, wie lange sich Verfahren bei Betrugsverdacht in der Forschung hinziehen können. Der Fall von Berislav Zlokovic, bei dem die Universität den Fall seit den ersten Anschuldigungen „prüft“, verdeutlicht die Problematik. Es fehlen gesetzliche Regeln, die den Betrug in der Wissenschaft verbieten.
Weitere kritische Stimmen zur Alzheimer-Forschung
Neben den Fällen von Datenmanipulation gibt es auch kritische Stimmen, die gängige medizinische Praktiken in der Alzheimer- und Demenzforschung hinterfragen. Thomas Chrobok setzt sich in seinem Buch "Medizinskandal Alzheimer & Demenz" kritisch mit der Diagnose und Behandlung von Alzheimer auseinander. Er beleuchtet mögliche Interessenkonflikte innerhalb der Pharmaindustrie und fordert mehr Transparenz und eine ganzheitliche Betrachtung der Erkrankungen.
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