Das Thema Schlafstörungen bei Demenz ist von großer Bedeutung, da sie sowohl die Betroffenen als auch ihre Angehörigen erheblich belasten. Schlafstörungen gehören zu den größten Herausforderungen in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Wenn jemand nachts wach ist, ruft oder unruhig umherwandert, ist an Schlaf auch für die Angehörigen kaum noch zu denken. Viele Pflegende berichten, dass sie sich auch nachts häufig wach sind oder sich wie in Alarmbereitschaft fühlen - was auf Dauer gesundheitliche Folgen haben kann. In diesem Artikel werden wir uns mit der Rolle von Melatonin, einem natürlich vorkommenden Hormon, bei der Behandlung von Schlafstörungen im Zusammenhang mit Demenz auseinandersetzen und die Ergebnisse aktueller Studien beleuchten.
Warum Schlaf bei Demenz so wichtig ist
Schlaf ist mehr als Ruhe. Während wir schlafen, regeneriert sich das Gehirn, sortiert Eindrücke, festigt Erinnerungen und baut schädliche Stoffwechselprodukte ab. Gerade für Menschen mit Demenz kann guter Schlaf helfen, innere Anspannung zu verringern und die kognitiven Fähigkeiten zu stabilisieren - zumindest vorübergehend. Auch für pflegende Angehörige ist Schlaf unverzichtbar.
Schlafstörungen bei Demenz: Ursachen und Auswirkungen
Erkrankt ein Mensch an einer Demenzerkrankung wie Alzheimer, ist häufig schon früh der Bereich im Gehirn betroffen, der den Tag-Nacht-Rhythmus reguliert - und damit auch für den Schlaf eine wichtige Rolle spielt. In der Folge gerät die innere Uhr aus dem Takt - und mit ihr das Gefühl dafür, wie spät es ist oder ob gerade Tag oder Nacht ist. Im Alltag können sich Schlafprobleme ganz unterschiedlich äußern. Als Sundowning bezeichnet man eine Phase am frühen Abend, in der viele Menschen mit Demenz unruhiger werden. Sie wirken dann häufiger verwirrt, ängstlich oder gereizt und beginnen manchmal unruhig umherzulaufen.
Melatonin: Das Schlafhormon im Fokus
Melatonin ist ein Hormon, das eine zentrale Rolle im Schlaf-Wach-Rhythmus spielt. Es wird bei Dunkelheit von der Zirbeldrüse im Gehirn ausgeschüttet und signalisiert dem Körper, dass es Zeit zum Schlafen ist. Der Hype um Melatonin-haltige Nahrungsergänzungsmittel (NEM) als Einschlafhilfen ist groß. Melatonin ist als Schlafhormon bekannt und steuert den Schlaf-Wach-Rhythmus. Das Hormon wird im Körper aus Serotonin produziert und bei Dunkelheit von der Zirbeldrüse im Epithalamus ausgeschüttet. Die Einnahme von entsprechenden Melatonin-haltigen NEM soll dabei unterstützen, die Ein- und Durchschlafzeit zu verbessern - mit positiven Effekten auch für Demenzpatient:innen. Während der körpereigene Melatonin-Spiegel im Blut bei jungen Menschen rund 100 Pikogramm pro Milliliter (pg/ml) beträgt, sind es bei älteren Personen nur noch zwischen 20 und 40 pg/ml. Folglich ist der zirkadiane Rhythmus mitunter gestört. Besonders betroffen sind Personen, die an Erkrankungen wie Alzheimer leiden, denn bei ihnen ist die Konzentration noch deutlich geringer beziehungsweise mitunter sogar komplett eingestellt, da die Neurodegeneration auch die Ausschüttung aus der Zirbeldrüse beeinträchtigen kann.
Aktuelle Studien zu Melatonin und Demenz
Melatonin zur Delirprävention bei älteren Patienten
Eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte klinische Studie untersuchte den Einfluss von 3 mg Melatonin pro Nacht auf die Entwicklung eines Delirs und auf objektive und subjektive Schlafparameter von Patienten ab 65 Jahre. Die Patienten waren auf die innere Station (Nicht-Intensivstationen) aufgenommen worden mit einem voraussichtlichen Aufenthalt von mindestens 48 Stunden. 636 Patienten wurden auf ihre Eignung geprüft. Letztlich wurden 87 Patienten randomisiert und in die Intent-to-treat(ITT)-Analyse einbezogen (Melatonin-Gruppe: 43 Patienten, Placebo-Gruppe: 44 Patienten). Die Per-Protocol-Gruppe (PPG) umfasste 69 Patienten (36 in der Melatonin-Gruppe und 33 in der Placebo-Gruppe). Die Delir-Inzidenz wurde von Krankenschwestern am Krankenbett unter Verwendung der „Confusion Assessment Method“ (CAM) gemessen. Objektive Schlafmessungen (nächtliche Schlafdauer, Gesamtschlafdauer pro 24 Stunden und Schlaffragmentierung, Letztere bestimmt anhand der durchschnittlichen Länge der Schlafphasen) wurden mittels Aktigraphie vorgenommen. Die subjektive Schlafqualität wurde mit dem Richards Campbell Sleep Questionnaire bestimmt.
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Ein Delir trat bei 8 von 36 Studienteilnehmern in der Melatonin-Gruppe auf (22,2 %); in der Placebo-Gruppe waren es 3 von 33 (9,1 %) (p = 0,19). Melatonin veränderte weder die Ergebnisse der objektiven noch die der subjektiven Schlafmessungen signifikant. Die nächtliche Schlafdauer und die gesamte Schlafzeit unterschieden sich nicht zwischen den Patienten, die ein Delir hatten, und denen ohne Delir. Patienten mit Delir hatten mehr Schlafunterbrechungen (Länge der Schlafphasen 7,0 ± 3,0 vs. 9,5 ± 5,3 min; p = 0,03).
Die Autoren schrieben, dass eine kleinere Dosis (z. B. 0,5 mg) ausreichend gewesen wäre, um den zirkadianen Rhythmus zu triggern. Als nächtliche Dosis von 3 mg gegeben, konnte Melatonin die Entwicklung eines Delirs nicht verhindern. Weder der subjektive noch der objektive Schlaf der Studienteilnehmer verbesserte sich mit der Medikation.
Melatonin und Alzheimer: Hinweise auf einen Zusammenhang
Unterdessen mehren sich allerdings die Hinweise darauf, dass die Melatonin-Menge im Blut durchaus in einem Zusammenhang stehen könnte mit dem Vorliegen einer Alzheimer-Erkrankung. Ebenso, dass eine Substitution mit dem Hormon einen therapeutischen Effekt gegen die neurodegenerative Erkrankung haben könnte. Als belegt gilt, dass bei Alzheimer-Patienten kaum noch Melatonin nachweisbar ist. Die in der Regel deutlich gestörte zirkadiane Rhythmik der Betroffenen mit Unruhe in der Nacht, Müdigkeit und Gereiztheit am Tag wird damit in einen Zusammenhang gebracht.
In einem Review wurden verschiedene Studien ausgewertet, die die Auswirkung einer Melatonin-Substitution auf Alzheimer-Betroffene, Demenz-Erkrankte und gesunde Senioren untersuchten. Im Ergebnis verbesserten sich dabei etwa die kognitiven Fähigkeiten von Alzheimer-Betroffenen deutlich. In Fragebögen, wie dem Mini-Mental-Status-Test oder dem California Verbal Learning Test, zeigten sich positive Effekte oder der Grad an Agitation bei alzheimerkranken Heimbewohnern ging tagsüber zurück. Auch ein Zusammenhang zwischen höherem Melatonin-Spiegel und geringerer Prävalenz von depressiver Stimmung und kognitiven Beeinträchtigungen in einer Gruppe konnte demnach gezeigt werden. Die Forschenden wiesen auch auf entsprechende Alzheimer-Maus-Modelle hin, in denen positive Effekte einer Melatonin-Substitution auf das räumliche Gedächtnis und die Lernfähigkeit gezeigt werden konnten.
Die Forschenden verwiesen zur Erklärung auf verschiedene beobachtete oder vermutete Effekte des Melatonins hin, das neben seiner Hormonwirkung auch als Antioxidans unter anderem in den Mitochondrien wirkt. Als (mögliche) Effekte führten sie unter anderem auf:
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- Eine modulierende Wirkung auf die Bildung des bei Alzheimer aggregierenden Beta-Amyloid-Proteins.
- Einen neuroprotektiven Mechanismus gegen die Toxizität der Beta-Amyloid-Plaques.
- Einen schwächenden Effekt auf die Bildung von Fibrillen des Microtubuli-assoziierten Proteins Tau.
- Einen aktivierenden Einfluss auf die „Müllabfuhr“ des Gehirns, das glymphatische System.
Allerdings bedürfe es noch vieler weiterer Studien, um Melatonin als mögliches Therapeutikum bei Alzheimer zu etablieren. „Positiv zu vermerken ist, dass Melatonin aufgrund seiner Zugänglichkeit, seiner Erschwinglichkeit und seines potenziellen Nutzens eine vielversprechende Intervention darstellt, die weiter getestet werden muss“, schreiben sie weiter.
Weitere Studien und Forschungsergebnisse
- Ein japanisches Forschungsteam hat die Auswirkungen von drei Substanzen auf die Gedächtnisbildung untersucht. Dabei zeigte sich, dass "Melatonin an der Förderung der Bildung des Langzeitgedächtnisses für Objekterkennung beteiligt ist". Nach der Verabreichung von jeweils einem Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht an den Nagern zeigte sich eine deutliche Verbesserung des Langzeitgedächtnisses.
- Iranische Forschende bringen indes eine Wirkung von Melatonin auf die Neurogenese, also die Bildung neuer Neuronen, im Zusammenhang mit Alzheimer ins Spiel.
- Chinesische Forschende wiederum untersuchten in einem Daten-Mining-Ansatz Informationen über Gene, die im Zusammenhang mit Alzheimer und Melatonin identifiziert und untersucht wurden. Sie schließen daraus, dass diese Gen-Cluster wichtige Ziele für die weitere Forschung zur Therapie von Alzheimer mit Melatonin sein könnten.
Was kann helfen, wenn der Schlaf bei Demenz gestört ist?
- Unterstützung der inneren Uhr: Tageslicht ist dabei besonders wichtig: Wer morgens am Fenster frühstückt oder kurz an die frische Luft geht, hilft dem Gehirn, sich zeitlich zu orientieren. Im Winter kann eine Tageslichtlampe helfen. Auch Bewegung hilft - am besten draußen und zu festen Zeiten. Sie baut Spannungen ab und macht abends müde. Schlafen am Tag sollte vermieden werden: Ein Mittagsschlaf kann guttun, sollte aber 30 Minuten nicht überschreiten, da er sonst die innere Uhr zusätzlich durcheinanderbringt und den Nachtschlaf erschwert.
- Schlafumgebung optimieren: Am Tag darf es ruhig hell sein. Abends sollte das Licht dagegen gedimmt werden, damit der Körper Melatonin produzieren und zur Ruhe kommen kann. Nachtlichter mit Bewegungsmeldern helfen, sich bei Dunkelheit zu orientieren, ohne durch grelles Licht aufgeweckt zu werden. Auch die Raumtemperatur hat Einfluss auf den Schlaf: Ideal sind eher kühle 16 bis 20 Grad. Wer leicht friert, kann eine zusätzliche Decke bereitlegen. Manche Menschen kommen mit einer Gewichtsdecke besser zur Ruhe.
- Routinen und Rituale: Ein ruhiger Ausklang des Tages hilft vielen Menschen mit Demenz dabei, besser zur Ruhe zu kommen und in den Schlaf zu finden. Deshalb gilt: keine Reizüberflutung am Abend. Laute Fernsehsendungen, hektische Gespräche oder zu helles Licht sollten vermieden werden. Stattdessen helfen feste Routinen dabei, Sicherheit zu geben. Ein Tee, leise Musik, eine kleine Geschichte oder einfach gemeinsames Zähneputzen können Signale dafür sein, dass jetzt die Nacht beginnt. Wenn nachts dennoch Unruhe aufkommt, hilft es, ruhig zu bleiben. Den Tag am besten ruhig ausklingen lassen.
- Professionelle Hilfe: Wenn die Nächte dauerhaft anstrengend bleiben und niemand mehr richtig durchschläft ist es wichtig, Hilfe anzunehmen - frühzeitig und ohne schlechtes Gewissen. Eine ärztliche Abklärung kann helfen, körperliche Ursachen wie Schmerzen, Infekte oder Nebenwirkungen von Medikamenten zu erkennen und gezielt zu behandeln. Auch Angebote wie Nachtpflege, Tagesbetreuung oder stundenweise Hilfe können entlasten. Medikamente zur Beruhigung sollten nur gezielt und nach Rücksprache mit Ärztin oder Arzt eingesetzt werden, da sie Risiken wie Stürze oder zusätzliche Verwirrtheit mit sich bringen können. Wenn die Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist, kann auch ein Umzug in eine Einrichtung neue Stabilität bringen.
Medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen bei Demenz
Es gibt keine evidenzbasierte Empfehlung zur medikamentösen Behandlung von Schlafstörungen oder der Tag-Nacht-Umkehr bei an Demenz erkrankten Menschen. In der klinischen Praxis werden häufig die Erstgenerations-Antipsychotika Pipamperon und Melperon eingesetzt, die in der Indikation »Schlafstörungen, insbesondere bei geriatrischen Patienten« zugelassen sind. Da auch Pipamperon und Melperon die Mortalität erhöhen, sollte der Einsatz einer strengen Nutzen-Risiko-Abwägung unterliegen. Beide Substanzen können zu EPS führen und erhöhen so das Sturzrisiko.
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