Ein erholsamer Schlaf ist essenziell für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Schlafstörungen können jedoch die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und sich negativ auf Stimmung, Leistungsfähigkeit, Konzentration und Gedächtnis auswirken. Chronobiologische Forschungen haben gezeigt, dass retardiertes Melatonin eine schonende und wirksame Therapiemöglichkeit bei Schlafstörungen darstellen kann. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung von Melatonin für den Schlaf, die Auswirkungen von Schlafstörungen auf Demenz und die potenziellen Vorteile von retardiertem Melatonin bei der Behandlung von Schlafstörungen im Zusammenhang mit Demenz.
Die Bedeutung von Schlaf und Melatonin für den zirkadianen Rhythmus
Der Schlaf dient nicht nur der Erholung, sondern ist auch ein aktiver Prozess, bei dem unser Gehirn Eindrücke verarbeitet und Wichtiges von Unwichtigem trennt. Schlafstörungen können diese Prozesse behindern und zu Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, Reizbarkeit, Aggressionen und Depressionen führen.
Eine Schlüsselfunktion bei der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus kommt dem Hormon Melatonin zu. Melatonin wird von der Zirbeldrüse im Zwischenhirn produziert und durch Dunkelheit gesteuert. Es löst im Normalfall Müdigkeit aus und leitet die Schlafphase ein. Am Ende der Nacht sinkt die Melatoninkonzentration wieder ab und bereitet den Körper auf das Aufwachen vor.
Eine moderne, naturferne Lebensweise mit Lichtmangel am Tag und Lichtüberschuss am Abend kann die Rhythmik der inneren Uhr stören und die Melatoninproduktion beeinträchtigen.
Retardiertes Melatonin: Eine Therapieoption bei Schlafstörungen
Schlafforscher wie Dipl.-Psychologe Werner Cassel betonen, dass eine rhythmische Einnahme von Melatonin zur etwa gleichen Zeit den beeinträchtigten zirkadianen Rhythmus wieder normalisieren kann. Wichtig ist, dass das Melatonin nicht zu schnell freigesetzt wird, sondern kontinuierlich über die Nacht, um einen physiologischen Schlaf mit seinen verschiedenen Schlafphasen zu fördern. Diese kontrollierte Freisetzung wird durch retardierte Melatonin-Präparate erreicht.
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Es kann etwa 14 Tage dauern, bis sich der Schlafrhythmus durch die Einnahme von retardiertem Melatonin normalisiert hat. Eine geduldige und aufgeklärte Herangehensweise ist daher wichtig.
Schlafstörungen und Demenz: Ein Teufelskreis
Forschungen zeigen, dass ein ungestörter Schlaf eine wichtige Voraussetzung für die Selbstreinigung des Gehirns ist. Schlafstörungen können das Risiko für Demenz erhöhen. Ein übermäßiges Schlafbedürfnis (mehr als 9 Stunden) kann sogar ein frühes Anzeichen für ein gesteigertes Demenzrisiko sein. Bei Alzheimer-Patienten ist die circadiane Rhythmik oft gestört und der Melatoninspiegel erniedrigt.
Eine Studie konnte zeigen, dass sich die Schlafqualität von Alzheimer-Patienten durch eine Therapie mit retardiertem Melatonin deutlich verbessert. Dies ist nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die oft stark belasteten pflegenden Angehörigen eine Erleichterung.
Aktuelle Forschungsergebnisse und Behandlungsansätze
Die Schlafmedizin hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt. Neben retardiertem Melatonin gibt es neue Wirkstoffe wie Orexin-Rezeptor-Antagonisten, die einen alternativen Wirkmechanismus mit geringerem Abhängigkeitspotenzial bieten. Digitale Gesundheitsanwendungen für Insomnie haben sich ebenfalls etabliert.
Die COVID-19-Pandemie hat zu einem Anstieg von Schlafstörungen und dem vermehrten Einsatz von Schlafmitteln geführt. Es ist wichtig zu beachten, dass Benzodiazepine und Z-Substanzen ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial haben. Retardiertes Melatonin hat sich besonders bei älteren Patienten als sicherere Alternative etabliert.
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Die S3-Leitlinie empfiehlt einen stufenweisen Behandlungsansatz mit kognitiver Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) als erste Wahl. Pharmakotherapie sollte zeitlich begrenzt und unter Beachtung der „5-K-Regel“ erfolgen. Bei notwendiger Langzeittherapie werden Präparate mit geringerem Abhängigkeitspotenzial wie Melatonin oder bestimmte Antidepressiva empfohlen.
Für ältere Patienten mit Schlafstörungen wurden spezifische Dosierungsempfehlungen entwickelt. Die Wirksamkeit der KVT-I ist durch aktuelle Metaanalysen bestätigt und übertrifft in Langzeitstudien die Effekte von Schlafmitteln.
Medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen bei Demenz: Herausforderungen und Alternativen
Es gibt keine evidenzbasierte Empfehlung zur medikamentösen Behandlung von Schlafstörungen oder der Tag-Nacht-Umkehr bei an Demenz erkrankten Menschen. Melatonin hat sich in mehreren Studien als unwirksam erwiesen. In der klinischen Praxis werden häufig die Erstgenerations-Antipsychotika Pipamperon und Melperon eingesetzt, die in der Indikation »Schlafstörungen, insbesondere bei geriatrischen Patienten« zugelassen sind. Diese Substanzen haben jedoch auch Risiken und sollten nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung eingesetzt werden.
Die FORTA-Liste empfiehlt Mirtazapin, Trazodon und retardiertes Melatonin bei Demenz-assoziierten Schlafstörungen, jedoch nur in Kategorie C (ungünstige Nutzen-Risiko-Relation für ältere Patienten) und nur bei bestimmten Begleiterkrankungen.
Melatonintherapie bei Morbus Alzheimer
Morbus Alzheimer ist eine degenerative Hirnerkrankung, die oft mit Schlafstörungen einhergeht. Im Verlauf der Erkrankung kann es zu einer Fragmentierung des Nachtschlafes und einer Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus kommen. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit Morbus Alzheimer oft einen niedrigeren Melatoninspiegel aufweisen.
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Eine Studie mit 80 Patienten mit milder bis moderater Alzheimer-Erkrankung zeigte, dass die Einnahme von Melatonin sowohl die kognitive Leistung als auch das Schlafverhalten positiv beeinflussen kann. Gerade Patienten mit nächtlicher Unruhe und einer Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus profitierten von der Melatoningabe.
Lichttherapie als unterstützende Maßnahme
Neben der Melatonintherapie kann auch eine Lichttherapie die Schlafregulation bei Menschen mit Morbus Alzheimer verbessern. Dabei sollten die Patienten schon früh nach dem Aufstehen dem ungefilterten Tageslicht ausgesetzt werden und den ganzen Tag über Tageslichtleuchten, Spaziergänge und Aufenthalte im Freien nutzen.
Die Rolle von Schlafstörungen bei der Entstehung von Demenz
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Schlafmangel die Ausbreitung von toxischen Anhäufungen des Tau-Proteins im Gehirn beschleunigen kann. Diese Anhäufungen sind ein Vorbote für Hirnschäden und möglicherweise ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Entwicklung von Demenz-Erkrankungen. Schlaflosigkeit durch Dauerstress oder ständigen Wechsel der Schlafzeiten und Umgebungen scheint das Risiko zu verstärken.
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