Meningitis, auch Hirnhautentzündung genannt, ist eine Entzündung der Hirnhäute (Meningen), die das Gehirn und das Rückenmark umgeben. Sie kann durch verschiedene Erreger verursacht werden, darunter Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten. Eine schnelle Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um schwerwiegende Komplikationen und Todesfälle zu verhindern.
Inzidenz und Ätiologie
Die Inzidenz der Meningitis variiert je nach geografischer Lage und Ätiologie. In Industrieländern liegt sie bei etwa 2-6 pro 100.000 Einwohner, während in Entwicklungsländern höhere Zahlen beobachtet werden. Die häufigsten bakteriellen Erreger sind:
- Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken): Insbesondere bei Erwachsenen (1-2/100.000)
- Neisseria meningitidis (Meningokokken): Ca. 0,5/100.000, Serogruppe B > C
- Listeria monocytogenes: <5%, vor allem bei >50-Jährigen
- Haemophilus influenzae (Hib): Deutlicher Rückgang seit Einführung der Impfung.
- Mycobacterium tuberculosis: Seltener, aber von Bedeutung
Die häufigsten Erreger variieren je nach Altersgruppe:
- Neugeborene und Säuglinge < 6 Wochen: Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe B (50-60 %), Enterobacteriaceae (z. B. E. coli, Klebsiella, Enterobacter, Proteus), Listeria monocytogenes (0-3,5 %)
- Säuglinge > 6 Wochen und Kinder: Neisseria meningitidis (Meningokokken) (38-56 %), Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken) (34-46 %), Haemophilus influenzae (bei nicht geimpften Kindern) (2-12 %)
- Erwachsene: Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken) (10-59 %), Neisseria meningitidis (Meningokokken) (10-43 %), Listeria monocytogenes (0,8-10 %), gram-negative Enterobakterien und Pseudomonas aeruginosa (< 10 %), Staphylokokken (1-9 %), Haemophilus influenzae (1-3 %)
Neben infektiösen Ursachen kann eine Meningitis auch durch nicht-infektiöse Faktoren wie Autoimmunerkrankungen, Medikamente oder Tumorerkrankungen bedingt sein.
Infektionswege und Pathogenese
Die Erreger können auf verschiedenen Wegen in die Hirnhäute gelangen:
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- Hämatogen: Vermutlich die Haupteintrittspforte, z. B. bei Pneumokokken-Pneumonie. Ein mehrstufiger Prozess mit Kolonisation (v. a. Respirationstrakt), Invasion und Replikation in der Blutbahn und Übertreten der Blut-Hirn-Schranke. Septische Embolisation von Mikroben von einem anderen Infektionsfokus (Endokarditis) aus ins ZNS ist ebenfalls möglich.
- Direkt (per continuitatem): Bei HNO-Infektionen, z. B. Sinusitis, Otitis, Mastoiditis (ca. 20 % der Fälle), seltener bei Liquorfisteln, z. B. nach Schädel-Hirn-Trauma oder bei einem neurochirurgischen Eingriff.
Risikofaktoren
Verschiedene Faktoren können das Risiko einer Meningitis erhöhen:
- Vorerkrankungen: Alkoholabhängigkeit, Diabetes mellitus, Endokarditis, Sinusitis, Otitis media, Parotitis
- Operationen: Im Schädel-/HNO-/Kieferbereich
- Immunsuppression: Neutropenie, AIDS
- Schädel-Hirn-Trauma: Offenes Schädel-Hirn-Trauma
- Aufenthalt: In Institutionen (Schule, Pflegeeinrichtungen usw.), in Regionen mit endemischem Meningokokken-Vorkommen („Meningokokkengürtel“)
- Kontakt: Mit einem Indexfall mit bakterieller Meningitis
- Weitere: Rauchen, i. v. Drogenkonsum, dentale Infektionen und Läsionen der Mundhöhle, erhöhte Trägerfrequenz von pathogenen Keimen im Pharynx, Veränderung der Schleimhaut im Respirationstrakt, Erkrankungen mit laufender Nase (Rhinorrhö) und Sekretion der Ohren (Otorrhö).
Klinische Zeichen und Symptomatik
Die klinische Präsentation der Meningitis kann variieren, aber typische Symptome sind:
- Neurologische Symptome:
- Kopfschmerzen
- Fieber
- Meningismus (Nackensteife)
- Bewusstseinsstörung, -minderung (bis zum Koma), Desorientiertheit, Agitation
- Epileptische Anfälle
- Fokale neurologische Defizite
- Hirnnervenaffektion (insbesondere Nervus abducens, Nervus fazialis, Nervus oculomotorius, Nervus vestibulocochlearis: Hörstörungen (10-20%), bei Pneumokokkenmeningitis bis 30%)
- Übelkeit und Erbrechen, Photophobie
- Allgemeine Symptomatik:
- Allgemeines Krankheitsgefühl, Gelenk- und Gliederschmerzen
- Klinische Zeichen der meningealen Reizung:
- Meningismus: Nackensteifigkeit bei passiver Kopfneigung
- Kernig-Zeichen: Reflektorische Beugung der Kniegelenke bei passivem Anheben der Beine im Liegen
- Brudzinski-Zeichen: Bei passiver Kopfneigung reflektorische Beugung der Knie- und Hüftgelenke
- Lasègue -Zeichen: Schmerzen bei passivem Anheben der gestreckten Beine
- Cave: Dehnungszeichen können fehlen
Die Symptome können je nach Altersgruppe variieren. Bei Säuglingen und Kleinkindern sind die Symptome oft unspezifisch, wie z. B. Fieber, Hypothermie, Müdigkeit, Trinkschwäche, Erbrechen, Diarrhö, Krampfanfälle. Bei älteren Patienten können atypische Präsentationen ohne oder mit nur geringen Leitsymptomen auftreten.
Klinische Untersuchung
Die klinischen Befunde sollten schnell und ohne Zeitverlust erhoben werden.
- Vitalparameter: Herzfrequenz, Blutdruck, Temperatur, Atemfrequenz (Zeichen von Fieber, Schock)
- Allgemeine körperliche Untersuchung: Auskultation von Herz und Lunge
- Hautveränderungen: Makulopapulöses Exanthem, Petechien, Ekchymosen, Purpura, Hautnekrosen (v. a. bei Meningokokken, auch bei Streptokokken, Pneumokokken, Listerien, Hib). Bei Meningokokken-Meningitis oft ausgedehnter Herpes labialis.
- Otoskopie: Eitriger Ausfluss? Otitis media?
- Druckschmerz/Schwellung retroaurikulär: Mastoiditis
- Neurologische Untersuchung:
- Vigilanz (Glasgow Coma Scale)
- Orientierung (Zeit, Ort, Person, Situation)
- Meningismus: schmerzhafte Nackensteifigkeit bei passiver Anteflexion des Kopfes
- Weitere meningeale Reizzeichen (niedrige Sensitivität, hohe Spezifität): Brudzinski-Zeichen, Kernig-Zeichen
- Hirnnervenausfälle (v. a. III., VI., VII. und VIII. Hirnnerv, ca. 10 % der Fälle): Schielen und Doppelbilder (III, VI), Fazialisparese (VII), Hörminderung/-verlust oder Schwindel (VIII)
- Sprach- oder Sprechstörungen
- Motorische oder sensible Ausfälle
Diagnostik
Die Diagnose der Meningitis basiert auf der Anamnese, der klinischen Untersuchung und den Ergebnissen der Liquordiagnostik und Bildgebung.
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Laboruntersuchungen
- Blutuntersuchungen:
- BB, inkl. Diff.-BB (segmentkernige Leukozytose?)
- Procalcitonin (Hinweis auf bakteriellen Infekt)
- CRP, BSG
- Blutkulturen (evtl. wiederholt durchführen!)
- Liquordiagnostik:
- Aussehen: Eitrig-trüb
- Zellzahl: > 1.000 /μl (granulozytäre Pleozytose)
- Bei Listeriose häufig niedrigere Zellzahlen
- Bei < 350 Zellen/µl DD Borreliose, Neuroyphilis, Tuberkulose, Mykosen, virale Meningitis
- Niedrige Zellzahlen: Auftreten früh im Krankheitsverlauf, bereits begonnener Antibiose, fulminanten Krankheitsverläufen, immunsuprimierten (z.B. leukopenischen) Patienten
- Eiweiß: > 1000 mg/l
- Glukose: meist <30 mg/dl
- Liquor/Serum-Glukose-Quotient <0,5
- Laktat: >3,5mval/l (schwere Blut-Liquor-Schrankendysfunktion)
- Mikrobiologische Diagnostik: Gramfärbung, kultureller Erregernachweis, Multiplex-PCR (Meningitis-Panel)
- Intrathekale Ig-Synthese: im Verlauf IgA, IgG
Bildgebung
- Cerebrale Computertomographie (CCT):
- Meist unauffällig
- Initial ggf. bereits Hirnödem
- Bei Nachweis eines Hirndrucks keine Liquorpunktion!
- Nachweis fokaler Ursachen (Mastoiditis? Sinusitis? Knochendefekte?)
- Kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT):
- Sollte bei nicht erklärbaren klinischen Zeichen, unklaren CT-Befunden bzgl. des Infektionsfokus oder bei klinischer Verschlechterung unter Antibiotikatherapie durchgeführt werden.
- Typische MRT-Veränderungen bei einer bakteriellen Meningitis: leptomeningeale und/oder durale Kontrastmittelaufnahme, entzündliches Exsudat (Eiter) in den kortikalen Sulci und/oder basalen Zisternen, ggf. Nachweis von intrakraniellen Komplikationen (z. B. Ischämien, Hydrozephalus)
Differenzialdiagnosen
Bei Kopfschmerzen und Fieber sind folgende Differenzialdiagnosen in Betracht zu ziehen:
- Grippaler Infekt
- Influenza
- Sinusitis
- Sepsis und septischer Schock
Bei Kopfschmerzen und Meningismus:
- Andere erregerbedingte Meningitis/Enzephalitis
- Meningeosis neoplastica
- Subarachnoidalblutung (SAB)
- Zerebrale Sinus- und Venenthrombose
Therapie
Die Therapie der Meningitis zielt darauf ab, einen letalen Verlauf zu verhindern, die Infektion zu sanieren und Komplikationen zu vermeiden. Ein frühzeitiger, schneller Behandlungsbeginn ist entscheidend für die Prognose.
Allgemeines zur Therapie
- Möglichst innerhalb 1 Stunde nach Eintreffen im Krankenhaus mit der Therapie beginnen
- Ggf. präklinische Stabilisierung der Vitalparameter z. B. Flüssigkeitssubstitution bei Hypotonie oder Sauerstoffgabe bei Hypoxie
- Behandlung auf einer Intensivstation in der Initialphase einer bakteriellen Meningitis
- Engmaschige klinische Überwachung
- Erste Woche der Erkrankung als kritische Phase
- Komplikationen in etwa 50 % der Fälle
Medikamentöse Therapie
- Antibiotikatherapie:
- Frühzeitiger Therapiebeginn (unmittelbar nach Lumbalpunktion bzw. Blutkulturen)
- Initiale, empirische Antibiotikatherapie bei Erwachsenen mit ambulant erworbener bakterieller Meningitis:
- Cephalosporin Gruppe 3a (z. B. Ceftriaxon oder Cefotaxim) Dosierung Ceftriaxon 2 x 2 g
- Ampicillin Dosierung Ampicillin 6 x 2 g
- Bei bekanntem Erreger und ggf. vorliegender Resistenzprüfung (Antibiogramm) Anpassung auf eine gezielte antibiotische Therapie
- Dauer der Antibiotikatherapie abhängig von Erregerart und Therapieansprechen:
- Pneumokokkenmeningitis: 10-14 Tage
- Meningokokkenmeningitis: 7-10 Tage
- Haemophilus-influenzae-Meningitis: 7-10 Tagen
- Listerienmeningitis oder Enterobakterien: oft > 3 Wochen
- Dexamethason:
- Adjuvante Therapie mit Kortikosteroiden: signifikante Reduktion von Letalität und Komplikationen bei Pneumokokkenmeningitis, Reduktion von Hörschäden bei Meningokokkenmeningitis
- Beginn unmittelbar vor Gabe des Antibiotikums (oder zeitgleich)
- Dexamethason 4 x 10 mg i. v.
- Bei Pneumokokkenmeningitis Fortführung über 4 Tage
- Bei Meningokokkenmeningitis Einsatz ggf. bei Hörstörung
Weitere Therapien
- Operative Fokussanierung:
- Operative Sanierung eines lokalen HNO-Infektfokus als Ursache der Meningitis möglichst innerhalb von 24 Stunden (z. B. Sinusitis, Mastoiditis, Otitis media)
Umgebungsschutz bei Meningokokkenerkrankung
- Isolation bei Verdacht auf Meningokokken-Meningitis bis 24 Stunden nach Beginn einer wirksamen Antibiotikatherapie
- Prophylaxe bei Kontaktpersonen:
- Identifikation von Kontaktpersonen und Aufklärung über Risiken und Symptome durch das Gesundheitsamt
- Chemoprophylaxe muss schnellstmöglich begonnen werden (sinnvoll bis max. 10 Tage nach letztem Kontakt)
- Substanzen: Rifampicin, Ciprofloxacin, Ceftriaxon und Azithromycin
- Ggf. zusätzlich postexpositionelle Meningokokkenimpfung mit einem Impfstoff gegen entsprechende Serogruppe (A, C, W, Y und B)
Meldepflicht
- Krankheitsverdacht, Erkrankung sowie Tod an Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis sind meldepflichtig.
- Unverzügliche, namentliche Meldung durch die feststellenden Ärzt*innen, d. h. ohne zeitliche Verzögerung, jedoch innerhalb von 24 Stunden an das Gesundheitsamt, das für den Aufenthalt der betroffenen Person zuständig ist.
- Meldung durch die Leiter*innen des untersuchenden Labors
- Namentliche Meldung bei Krankheitserregern, die auf eine akute Infektion hinweisen: Haemophilus influenzae (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor oder Blut), Listeria monocytogenes (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Blut, Liquor oder anderen normalerweise sterilen Substraten sowie aus Abstrichen von Neugeborenen), Neisseria meningitidis (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor, Blut, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder aus Punktaten normalerweise steriler Körperhöhlen).
Komplikationen
Meningitis kann zu verschiedenen Komplikationen führen, darunter:
- Neurologische Residueen: 10-40% (z.B. Hörverlust, kognitive Defizite, Lähmungen)
- Erhöhter Hirndruck und Schwellung des Gehirns
- Starke Krampfanfälle
- Gehirn-Abszesse
- Kreislaufversagen
- Tod
Prävention
- Impfungen gegen verschiedene Erreger der bakteriellen Meningitis (Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus influenzae)
- Hygienemaßnahmen (Händewaschen, Vermeidung von Tröpfcheninfektion)
- Chemoprophylaxe für Kontaktpersonen von Patienten mit Meningokokken-Meningitis
- Vermeidung von Risikofaktoren (Alkoholmissbrauch, Rauchen)
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