Michael Wagner und die Alzheimer-Demenz-Forschung: Neue Erkenntnisse und Therapieansätze

Die Alzheimer-Krankheit, eine der häufigsten Ursachen für Demenz, ist durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet. Verantwortlich dafür sind vor allem Eiweißablagerungen, sogenannte Beta-Amyloid-Proteine und Tau-Proteine. Diese Ablagerungen führen zu Verklumpungen (Plaques) zwischen den Nervenzellen und Verklebungen im Inneren der Nervenzellen. Eine schnell fortschreitende Atrophie, also eine Schrumpfung des Hirnvolumens, ist ebenfalls charakteristisch. Die genauen Ursachen dieser Ablagerungen sind bisher ungeklärt.

Die Rolle der Ernährung: Mediterrane Kost als Schutzfaktor?

Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) um Prof. Michael Wagner haben in einer Studie herausgefunden, dass ein mediterranes Ernährungsmuster möglicherweise vor Eiweißablagerungen im Gehirn und Gehirnatrophie schützen kann. Diese Ernährungsweise, auch „Mittelmeerkost“ genannt, zeichnet sich durch einen hohen Verzehr von Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst, Getreide, Fisch und einfach ungesättigten Fettsäuren wie Olivenöl aus. Milchprodukte, rotes Fleisch und gesättigte Fettsäuren werden hingegen nur in geringem Maße konsumiert.

Studiendesign und Ergebnisse

An der Studie nahmen 512 Probanden mit einem Durchschnittsalter von etwa 70 Jahren teil. 169 von ihnen waren kognitiv gesund, während 343 ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Alzheimer aufwiesen. Dieses Risiko ergab sich entweder durch leichte subjektive Gedächtnisstörungen, leichte kognitive Beeinträchtigungen (Vorstufe einer Demenz) oder eine erstgradige Verwandtschaft mit Alzheimer-Patienten. Die Ernährungsstudie wurde im Rahmen der DELCODE-Studie des DZNE durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Die Studienteilnehmer füllten einen Fragebogen aus, in dem sie Angaben zu ihren Ernährungsgewohnheiten machten. Dabei wurde erfasst, welche Portionen von 148 verschiedenen Lebensmitteln sie in den vergangenen Monaten verzehrt hatten. Anhand dieser Angaben wurde eine Punktzahl auf einer Skala ermittelt, die den Grad der mediterranen Ernährung widerspiegelte. Zusätzlich wurden bei allen Teilnehmern Gehirnscans mittels Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt, um das Hirnvolumen zu bestimmen und Gehirnatrophien festzustellen. Außerdem unterzogen sich die Probanden neuropsychologischen Tests zur Überprüfung kognitiver Fähigkeiten wie Gedächtnisfunktionen. Bei 226 Personen wurde zudem das Nervenwasser auf Biomarker für Amyloid-Beta-Proteine und Tau-Proteine untersucht.

Die Ergebnisse zeigten, dass Probanden mit einer ungesunden Ernährung höhere pathologische Werte dieser Biomarker im Nervenwasser aufwiesen als diejenigen, die sich regelmäßig mediterran ernährten. Ein signifikanter positiver Zusammenhang bestand zwischen einer hohen Punktzahl auf der Skala für das mediterrane Ernährungsmuster und einem hohen Volumen des Hippocampus, einer Hirnregion, die als Schaltzentrale des Gedächtnisses gilt und bei Alzheimer frühzeitig und stark schrumpft.

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Interpretation der Ergebnisse

Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die mediterrane Ernährung das Gehirn vor Eiweißablagerungen und Gehirnatrophie schützen kann, was möglicherweise Gedächtnisverlust und Demenz vorbeugt. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um Hinweise handelt, die durch weitere Forschung bestätigt werden müssen.

Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze in der Alzheimer-Forschung

Trotz intensiver Forschung gibt es seit 2003 kein neues Medikament gegen Alzheimer-Demenz. Die Zahl der Betroffenen steigt weltweit, und es gab Rückschläge bei der Entwicklung neuer Therapien. Umso dringlicher ist der Bedarf an Lösungsansätzen, die eine Früherkennung ermöglichen, den Krankheitsverlauf verzögern oder abmildern und idealerweise den Ausbruch der Krankheit verhindern.

Die Alzheimer-Erkrankung: Eine komplexe Pathologie

Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz, die durch Störungen des Gedächtnisses, der Orientierung, der Sprache, des Denk- und Urteilsvermögens sowie durch Persönlichkeitsveränderungen gekennzeichnet ist. Im Gehirn ist die Kommunikation zwischen den Zellen gestört, und die Verknüpfungspunkte (Synapsen) funktionieren nicht mehr richtig. Schließlich sterben die Nervenzellen nach und nach ab. Ein wichtiges diagnostisches Kriterium ist das Vorhandensein von Proteinablagerungen im Gehirn, den sogenannten (Amyloid-)Plaques und (Tau-)Fibrillen.

Der Amyloid- und Tau-Komplex

Die beiden Eiweiße (Proteine), die für diese Verklumpungen verantwortlich sind, sind heute als Amyloid und Tau bekannt. In einem jungen, gesunden Gehirn kann Amyloid zunächst problemlos abgebaut werden. Mit zunehmendem Alter oder aufgrund genetischer Faktoren verändert sich jedoch der Auf- und Abbauprozess des Proteins. Dabei erhöht sich der Anteil der „klebrigen“ Beta-Version des Amyloid-Proteins. Diese Amyloid-beta-Peptide siedeln sich zunächst als Oligomere zwischen den Nervenzellen im Gehirn an und verklumpen zunehmend zu unauflöslichen Ablagerungen, den sogenannten „senilen“ oder Alzheimer-Plaques. Das Gehirn versucht, sich mit Entzündungsreaktionen des Immunsystems gegen die Verklumpungen und das Zellensterben zu wehren, was jedoch zu weiteren Schädigungen des umliegenden Gewebes führt.

Frühe Stadien der Erkrankung im Fokus

Bisher klinisch getestete Lösungsansätze zielen auf den Auf- oder Abbau der Ablagerung von Amyloid beta ab, setzen also am Beginn der Kettenreaktion an. Der Münchener Alzheimer-Forscher Christian Haass sieht genau darin das Problem der bisherigen Therapieversuche: Die Patienten kommen oft erst mit schweren Symptomen in die Klinik, wenn Teile des Gehirns bereits unwiederbringlich zerstört sind. Die Kaskade ist dann bereits seit langem im Gange und läuft unabhängig von ihrem Auslöser, dem Amyloid, ab. Daher müssen sich zukünftige Forschungsanstrengungen auf die frühesten Stadien der Erkrankung konzentrieren.

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Biomarker und Früherkennung

Die Forschung nach einer Früherkennung durch sogenannte Biomarker, also charakteristische biologische Merkmale, die Krankheitsprozesse im Körper anzeigen, ist ein vielversprechender Ansatz. Biomarker könnten helfen, die Krankheit bereits in einem Stadium zu erkennen, in dem noch keine oder nur geringe Symptome vorhanden sind.

Immunreaktion im Gehirn als Schlüsselfaktor

Eine Immunreaktion im Gehirn scheint für die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung maßgeblich mitverantwortlich zu sein. Charakteristisch für die Alzheimer-Erkrankung sind Verklumpungen des Proteins Aβ, die dann im Gehirn große Ablagerungen bilden. Aβ ähnelt Molekülen auf der Oberfläche mancher Bakterien, weshalb das angeborene Immunsystem Abwehrmechanismen gegen solche Strukturen entwickelt hat. Im Gehirn übernehmen die Mikroglia-Zellen diese Rolle und stoßen einen fatalen Prozess an, der für die Entwicklung der Demenz-Erkrankung maßgeblich mitverantwortlich zu sein scheint.

Bei Kontakt mit Aβ werden in den Mikroglia-Zellen bestimmte Molekül-Komplexe aktiv, die Inflammasomen. Sie aktivieren Immun-Botenstoffe und lösen dadurch eine Entzündung aus, indem sie weitere Immunzellen zum Ort des Geschehens dirigieren. Mitunter gehen die Mikroglia-Zellen bei diesem Prozess zugrunde und geben aktivierte Inflammasomen in ihre Umgebung ab, die ASC-Specks. Diese freigewordenen Specks verbinden sich mit den Aβ-Proteinen und erschweren dadurch ihren Abbau. Außerdem aktivieren sie die Inflammasomen in weiteren Mikroglia-Zellen, was die Entzündung dauerhaft anfacht.

Therapieansätze im Visier

Die Wissenschaftler hoffen, dass ein besseres Verständnis dieser Prozesse auch zur Entwicklung neuer Therapie-Ansätze führen könnte. Denn die Ablagerung von Aβ beginnt wahrscheinlich Jahrzehnte, bevor erste Krankheitssymptome auftreten. Durch einen frühzeitigen Eingriff lässt sich dieser verhängnisvolle Prozess möglicherweise verlangsamen.

Die Rolle des Immunsystems bei Tauopathien

Ein Team um DZNE-Forscher Michael Heneka präsentierte neue Befunde zu Erkrankungen des Gehirns, die mit der Ablagerung sogenannter Tau-Proteine einhergehen (Tauopathien). Sie fanden heraus, dass in den Gehirnen von Personen mit Frontotemporaler Demenz (FTD) das sogenannte Inflammasom als Reaktion auf einen Immunprozess angeschaltet ist. Die Aktivierung des Inflammasoms kann durch Tau-Proteine geschehen, die freigesetzt werden, wenn Nervenzellen absterben.

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Die Mikroglia tragen Muster-Erkennungsrezeptoren auf ihrer Oberfläche, die Gefahrensignale aus der Umgebung aufnehmen und eine Immunantwort starten. Sie reagieren auf Aggregate von Tau-Eiweißen oder Amyloid-Eiweißen und setzen eine Immunreaktion in Gang. Die Mikrogliazelle setzt proinflammatorische Zytokine frei und startet eine Fressreaktion, um den Gegner zu überwältigen und aus dem Gehirn zu entfernen. Da der Gegner jedoch nicht von außen kommt, sondern aus dem eigenen Gehirn, kann er nicht überwältigt werden.

Das Inflammasom als Bindeglied zwischen Amyloid- und Tau-Pathologie

Die Forscher konnten zeigen, dass das Zytokin Interleukin-1beta, das Infolge der Inflammasom-Aktivierung freigesetzt wird, an einen Rezeptor auf der Oberfläche von Nervenzellen bindet. Das löst eine Kaskade von Ereignissen aus, wodurch die Tau-Proteine chemisch verändert werden. Genau genommen werden sie phosphoryliert, was zur Folge hat, dass sich die Tau-Proteine ablösen und miteinander verkleben. Das kompromittiert wichtige Abläufe in der Nervenzelle und führt letztlich zum Zelltod.

Das Inflammasom fördert somit, dass sich Amyloid im Gehirn ablagert und die Entstehung der Tau-Pathologie begünstigt. Der entscheidende Mechanismus zwischen Amyloid-Ablagerung und dem Zelltod durch Tau ist demnach die inflammatorische Komponente der Erkrankung. Das Inflammasom ist das Bindeglied zwischen Amyloid- und Tau-Pathologie.

Personalisierte Therapieansätze

Es ist unwahrscheinlich, dass es ein einziges Medikament geben wird, das alle relevanten Mechanismen behandelt. Stattdessen benötigt man eine Kombination unterschiedlicher Ansätze. Im Prinzip muss man präzise wissen, in welcher Hirnregion welcher Mechanismus die führende Rolle spielt, und dann entscheiden, welchen Mechanismus oder welche Mechanismen man stoppen will, um möglichst viel Funktion und Struktur im Gehirn zu schützen.

Prävention und Risikofaktoren

Infektionen im Körper, wie Sepsis oder Virus-Infektionen, können bereits vorher vorhandene Symptome von Alzheimer verstärken und den Krankheitsverlauf beschleunigen. Auch chronische Zahnfleischentzündungen (Parodontitis) und Fettleibigkeit im mittleren Lebensalter können zur Entwicklung einer Alzheimer-Erkrankung beitragen.

Ausblick

Die Alzheimer-Forschung ist auf einem guten Weg, die komplexen Mechanismen der Erkrankung besser zu verstehen. Es gibt vielversprechende Ansätze für die Entwicklung neuer Therapien, die auf die frühesten Stadien der Erkrankung abzielen und die Immunreaktion im Gehirn modulieren. Präventive Maßnahmen, wie die Vermeidung von Risikofaktoren und eine gesunde Lebensweise, sind ebenfalls von großer Bedeutung.

Kognitive Reserve: Ein Puffer gegen den Abbau

Prof. Dr. Michael Ewers widmet sich der Fragestellung, wie man den Beginn der Alzheimer-Symptome hinauszögern kann. Er stellte heraus, dass erste Veränderungen im Gehirn von Menschen mit Alzheimer schon etwa 20 bis 30 Jahre vor dem Auftreten der Symptome ablaufen. Da die alzheimerbedingten Veränderungen im Gehirn bislang nicht umkehrbar sind, will Ewers über die kognitive Reserve zumindest den Beginn der Symptome nach hinten verschieben.

Was ist die kognitive Reserve?

Die „kognitive Reserve“ ist die Fähigkeit, bei krankhaften Gehirnveränderungen die mentale Leistung relativ gut aufrechtzuerhalten. Personen mit einer hohen kognitiven Reserve können mehr abnorme Gehirnveränderung tolerieren, bevor kognitive Einbußen bemerkbar werden.

Messung und Beeinflussung der kognitiven Reserve

In der Forschung haben sich Ausbildungsdauer, kognitive Freizeitaktivitäten, IQ und Komplexität des Berufs als gängige Maßeinheiten etabliert. Die kognitive Reserve ist grundsätzlich beeinflussbar. Aktivitäten, die man auch im Alter ausüben kann, sind beispielsweise Lesen, Schreiben, Musizieren, Brettspiele, Kreuzworträtsel, aber auch Gruppendiskussionen. Ein reichhaltiges soziales Leben ist wichtig und schützt zugleich vor Depression.

Höhere Gehirnaktivität durch kognitive Reserve

Eine höhere Ausbildungsdauer führt zu einer höheren Gehirnaktivität, also zu mehr Kommunikation zwischen den Gehirnlappen. Durch erhöhte Gehirnaktivität kann also die Kognition länger beibehalten werden. Auch in höherem Alter lohnt es sich, neue Aktivitäten in Angriff zu nehmen. Darüber hinaus kann Bewegung das Alzheimer-Risiko senken.

Die Rolle von Entzündungen bei der Alzheimer-Krankheit

Eine Entzündung - auch „Inflammation“ genannt - bezeichnet die Reaktion des Körpers auf einen gefährlichen Reiz, wie Schadstoffe oder Krankheitserreger. Auch das Immunsystem des Gehirns verfügt über derlei Abwehrmechanismen: Man spricht dann von „Neuroinflammation“. In jüngsten Jahren hat sich herausgestellt, dass solche Vorgänge für neurodegenerative Erkrankungen von Bedeutung sind.

Tiermodelle in der Alzheimer-Forschung

Alzheimer-Forscher Caghan Kizil sieht in Tierexperimenten einen wichtigen Bestandteil der Forschung auf dem Weg zur Heilung. Tiermodelle wie der Zebrafisch seien besser geeignet, zu verstehen, wie man ein Wirbeltierhirn „regenerieren“ kann, denn der Zebrafisch regeneriere seine Nervenzellen auch im Krankheitsfall auf natürliche Weise. Allerdings müsse man auch dem Menschen viel näherkommen, da das menschliche Gehirn im Vergleich zu vielen Tiermodellen einzigartige physiologische Reaktionen zeige. Daher müsse man bestimmte Aspekte der Alzheimer-Erkrankung in relevanten experimentellen Modellen untersuchen und dann weitere Forschungen an „humanisierten“ Modellen durchführen, die dem menschlichen Gehirn realistisch ähneln.

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