Motoneuron-Erkrankungen sind eine Gruppe von fortschreitenden neurologischen Erkrankungen, die durch den Abbau von Motoneuronen gekennzeichnet sind. Motoneuronen sind Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark, die die willkürliche Muskelbewegung steuern. Der Verlust dieser Neuronen führt zu Muskelschwäche, Muskelatrophie, Spastik und schließlich zu Lähmung. Zu den bekanntesten Motoneuron-Erkrankungen gehören die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und die Spinale Muskelatrophie (SMA).
Was sind Motoneuron-Erkrankungen?
Motoneuron-Erkrankungen sind degenerative Erkrankungen bestimmter Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark, die Muskeln steuern. Diese Nervenzellen nennt man Motoneuronen. Sie führen zu einem Abbau dieser motorischen Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark. Dadurch kann es zu Lähmungen, Muskelabbau und Spastik kommen. Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die spinale Muskelatrophie und die spastische Spinalparalyse sind Beispiele für solche Erkrankungen. Während bei der SMA nur die Motoneurone im Rückenmark betroffen sind, kommt es bei der ALS zusätzlich zu einer Schädigung der Motoneurone im Gehirn, sodass die sogenannte Pyramidenbahn geschädigt wird. Hierdurch kommt es bei der SMA zu einer schlaffen Lähmung und bei der ALS parallel dazu auch zu einer Erhöhung des Muskeltonus (Spastik).
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
ALS ist eine schwere, fortschreitende und unheilbare neurologische Erkrankung, die die motorischen Nervenzellen betrifft. Sie ist die häufigste Form der Motoneuron-Erkrankungen. Bei der ALS verlieren die motorischen Nervenzellen, die für die willkürliche Steuerung der Muskulatur verantwortlich sind, fortschreitend ihre Funktion. Die geschädigten motorischen Nervenzellen (Motoneurone) befinden sich im Gehirn und im Rückenmark. Das “Erste Motoneuron” (“obere Motoneuron”) beginnt im Gehirn und reicht mit einem langen Nervenfortsatz (Axon) bis zum Rückenmark (Myelon). Dort haben sie Kontakt mit den Nervenzellen des “Zweiten Motoneurons” (“unteres Motoneuron”). Das zweite Motoneuron ist durch einen weiteren Nervenfortsatz mit der Muskulatur verbunden. Der Abbau von Nervenzellen (Neurodegeneration) stellt sich für Menschen mit ALS vor allem als Kraftminderung und Muskelschwäche, Muskelschwund oder Steifigkeit dar. Der Nervenzellverlust hat zur Folge, dass die Mobilität der Hände, Arme, Beine sowie des Rumpfes und der Zunge im Laufe der Krankheit eingeschränkt wird oder verloren geht. Nicht betroffen von der ALS sind die Körperwahrnehmung und Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Gleichgewichtssinn, Tastsinn). Auch die Herzmuskulatur und die Kontrolle von Urin und Stuhl bleiben meist unberührt. Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf kann es zur vollständigen Lähmung der Skelettmuskulatur kommen. Die ALS zählt daher zu einer der schwersten Erkrankungen des Menschen. Sie ist nicht heilbar, durch eine Behandlung können ihre Symptome jedoch gelindert werden.
In Deutschland leben 6.000 bis 8.000 Menschen mit ALS. Die Erkrankung wird jährlich bei etwa 2.000 Patienten neu diagnostiziert. Die meisten von ihnen sind zwischen 50 und 70 Jahre alt. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 56 und 58 Jahren. 10 % erkranken vor dem 40. Lebensjahr. Die jüngsten Patienten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Männer erkranken etwas häufiger als Frauen.
Spinale Muskelatrophie (SMA)
Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine erbliche Motoneuronerkrankung, die häufig schon im frühen Kindesalter beginnt. Es gibt allerdings auch Verlaufsformen, die erst im frühen Erwachsenenalter zu ersten Symptomen führen. Dabei kommt es zu einer fortschreitenden schlaffen Muskelschwäche an Armen und Beinen. Bei der klassischen Form der SMA (Deletion des SMN1-Gens) gibt es inzwischen die Möglichkeit, mit spezifischen Medikamenten die Erkrankung auch kausal zu behandeln mit der Hoffnung, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.
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Ursachen von Motoneuron-Erkrankungen
Die Ursachen für die meisten Motoneuron-Erkrankungen sind noch nicht vollständig geklärt. Man unterscheidet zwischen sporadischen und familiären Formen.
- Sporadische Formen: In ungefähr 95 Prozent der Fälle ist die Ursache der Amyotrophen Lateralsklerose unklar. Man geht hierbei von einer multifaktoriellen Genese aus, bei der neben genetischen Ursachen auch Umwelteinflüsse eine Rolle spielen. Diese Form der ALS wird als sporadische ALS bezeichnet.
- Familiäre Formen: In fünf bis zehn Prozent der Fälle liegt eine familiäre Form als ALS Ursache vor. Von einer familiären ALS spricht man, wenn mindestens zwei Familienmitglieder von der neurologischen Erkrankung betroffen sind. Bei 5-6 % aller Menschen mit ALS sind mehrere Familienmitglieder von ALS betroffen - es liegt eine “familiäre ALS” (F-ALS) vor. Die Rolle genetischer Faktoren wird noch unterschätzt, da bei mindestens 10 % aller Patienten, die keine Familiengeschichte einer ALS aufweisen, genetische Veränderungen vorliegen (“genetische ALS”).
ALS-Gene
Die Ursachen der ALS werden kontinuierlich weiter aufgeklärt. Seit 1993 wurden über 20 Gene identifiziert, bei denen bestimmte Fehler (Mutationen) zu einer FALS führen können. Die häufigsten Mutationen finden sich in den Genen „C9orf72“, „SOD1“, „FUS“, „TARDBP“ und „TBK1“. Die genetische Diagnostik ohne Familiengeschichte einer ALS bedarf einer sorgfältigen, individuellen Abwägung und ärztlichen Beratung. Dabei ist zu beachten, dass bereits das Wissen um das Vorliegen einer Mutation mit psychosozialen Belastungen für die Betroffenen und/oder die genetisch-verwandten Familienmitglieder bedeuten kann. Gleichzeitig kann der Nachweis einer genetischen Veränderung (insbesondere im SOD1-Gen) mit einer Therapieoption (einer Behandlung mit dem genetischen Medikament Tofersen) verbunden sein.
Zelluläre und molekulare Veränderungen bei ALS
Die ALS wurde erstmalig im Jahr 1869 durch den französischen Neurologen Jean-Martin Charcot beschrieben und als „Amyotrophe Lateralsklerose“ bezeichnet. Er kam zu der Erkenntnis, dass die ALS durch einen Untergang (Degeneration) motorischer Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark entsteht. In den 1950er-Jahren konnten ALS-Forscher durch mikroskopische Untersuchungen von Gehirn- und Rückenmarksgewebe ALS-typische Ablagerungen von Eiweißen feststellen. Erst seit dem Jahr 2006 ist es gelungen, die molekulare und chemische Zusammensetzung dieser pathologischen Ablagerungen in den motorischen Nervenzellen zu analysieren. Ein hauptsächlicher Bestandteil der Ablagerungen besteht aus dem Eiweiß (Protein) TDP-43. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich neben dem TDP-43 auch andere Proteine (z. B. SOD1, FUS) in der motorischen Nervenzelle ablagern können.
Ein Grundprinzip der ALS besteht darin, dass natürlich vorkommende Eiweiße eine Strukturänderung erfahren - ihre Form ändert sich (Konformationsänderung). Durch die Verformung kommt es zu einer gegenseitigen Anziehung der Eiweiße und es entstehen Zusammenballungen (Proteinaggregate). Nach dem Schneeballprinzip verbinden sich mehr und mehr Eiweiße miteinander. In der Konsequenz ist die Nervenzelle mit Proteinaggregaten überladen und kann ihre Funktion nicht mehr ausüben.
Zentrale Rolle von TDP-43
TDP-43 spielt eine zentrale Rolle in der Pathogenese der ALS. Unter normalen Bedingungen befindet sich dieses Protein im Zellkern, wo es an der Regulation der Genexpression beteiligt ist. Bei mehr als 90 % aller Menschen mit ALS wird jedoch eine krankhafte Veränderung dieses Proteins beobachtet: TDP-43 verlässt den Zellkern, lagert sich im Zytoplasma der Nervenzellen ab und bildet dort unlösliche Aggregate. Die Proteinablagerungen von TDP-43 gehören zu den Hauptmerkmalen der ALS und überschneiden sich pathologisch mit der frontotemporalen Demenz, was die mögliche Kombination beider Erkrankungen erklärt. Studien deuten darauf hin, dass die krankhafte Veränderung von TDP-43 schon Jahre vor dem Auftreten erster Symptome beginnt. Obwohl die genaue Ursache dieser Fehlverarbeitung noch nicht vollständig geklärt ist, gilt TDP-43 als ein zentrales Ziel zukünftiger therapeutischer Strategien zur Verlangsamung oder Verhinderung des Krankheitsprozesses.
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Die pathologische Verlagerung von TDP-43 aus dem Zellkern ins Zytoplasma spielt eine zentrale Rolle im Pathomechanismus der ALS. In der normalen, physiologischen Rolle ist TDP-43 ein nukleäres Protein (im Zellkern befindlich), das eine wichtige Funktion im RNA-Metabolismus erfüllt. Kommt es jedoch zu einem Verlust von TDP-43 im Zellkern, resultiert daraus eine Störung des RNA-Stoffwechsels. Diese Dysregulation betrifft alternative Spleißvorgänge (engl. splicing) und reduzierten RNA-Stabilität, die zur neuronaler Dysfunktion beiträgt. Parallel dazu verursacht der Verlust von TDP-43 im Zellkern auch eine Störung der Chromatinstruktur. Dies beeinträchtigt die Genexpression, insbesondere von Genen, die für das Überleben von Motoneuronen essenziell sind. Die Verlagerung von TDP-43 ins Zytoplasma führt außerdem zur Bildung pathologischer Aggregate, die zahlreiche zelluläre Prozesse beinträchtigen. So blockieren sie die Endozytose - die Aufnahme und Verarbeitung extrazellulärer Moleküle. Gleichzeitig führen sie zu einer Hemmung der mitochondrialen Funktion, die für den Energiestoffwechsel der Zelle elementar ist. Die Aggregate können sich zu Einschlusskörpern weiterentwickeln, die oft mit Entzündungsreaktionen einhergehen. Diese Entzündungen schädigen die Zellen zusätzlich, indem sie toxische Mediatoren freisetzen und die Immunantwort aktivieren. Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Fähigkeit der TDP-43-Aggregate, von einer betroffenen Zelle auf benachbarte Zellen überzugehen. Dieser Prozess fördert die Ausbreitung der Pathologie innerhalb des zentralen Nervensystems.
Symptome von Motoneuron-Erkrankungen
Die Symptome von Motoneuron-Erkrankungen variieren je nach Art der Erkrankung und dem betroffenen Bereich des Nervensystems. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Muskelschwäche (Parese)
- Muskelschwund (Atrophie)
- Muskelzuckungen (Faszikulationen)
- Muskelsteifigkeit (Spastik)
- Schluckstörungen (Dysphagie)
- Sprechstörungen (Dysarthrie)
- Atembeschwerden
Zu Beginn der ALS nehmen Patienten überwiegend Muskelschwäche (Parese), Muskelschwund (Atrophie) sowie Muskelsteifigkeit (Spastik) wahr. Die individuellen Beschwerden hängen davon ab, welches Motoneuron und welche Muskelgruppe stärker betroffen ist. Eine Betroffenheit des ersten Motoneurons führt zu einer unkontrolliert gesteigerten Muskelspannung, die sich in Steifigkeit (Spastik) sowie einer verminderten Geschicklichkeit und Feinmotorik äußert. Bei Betroffenheit des zweiten Motoneurons können die Nerven der Muskulatur nur noch eingeschränkt aktivieren, es kommt zu Muskelschwäche und Muskelschwund. Zu 60 bis 70 % treten die ersten Symptome an den Extremitäten auf. In diesen Fällen bemerken Patienten eine Ungeschicklichkeit der Hände, eine Gangunsicherheit oder eine Schwäche der Beine. Zu 30 bis 40 % stellen sich die ersten Symptome beim Sprechen und Schlucken ein (bulbärer Krankheitsbeginn). Bei diesen Patienten ist die Zungen-, Schlund- und Gaumenmuskulatur beeinträchtigt.
Mobilitätseinschränkungen
Durch Muskelschwund und Steifigkeit wird die betroffene Extremität fortschreitend gelähmt. Sind zuerst die untern Extremitäten (Beine und Füße) betroffen, bedeutet dies eine zunehmende Gehstörung bis hin zur Notwendigkeit einer Gehstütze oder eines Rollstuhls. Bei den oberen Extremitäten werden das Heben, Tragen, Schreiben, Schneiden, Essen und die Körperpflege fortschreitend beeinträchtigt.
Sprechstörung (Dysarthrie)
Wenn die Symptome an Zunge, Schlund und Gaumen betreffen, kann eine Sprechstörung (Dysarthrie) entstehen. Das Sprechen und die Artikulation fallen immer schwerer bis hin zur Unfähigkeit, verbal zu kommunizieren. In diesem Fall können Kommunikationshilfen notwendig werden.
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Schluckstörung (Dysphagie)
Die Schluckstörung beginnt meist mit einer leichten Schwäche oder Steifigkeit der Zungen- und Schlundmuskulatur. Im weiteren Krankheitsverlauf nimmt die Beweglichkeit der Muskulatur ab. Bei einer hochgradigen Schluckstörung ist die Kau- und Schluckmuskulatur schwer oder vollständig gelähmt und das Schlucken von Nahrung kaum oder nicht mehr möglich. Sehr fest oder dünnflüssige Nahrungsmittel bereiten Schwierigkeiten. Eine spezielle Nahrungszusammenstellung oder Ernährungshilfen werden notwendig, um einem Gewichtsverlust entgegen zu wirken.
Atemfunktionsstörung
Die Einschränkung der Atemfunktion entsteht durch eine Schwäche der Atemmuskulatur am Brustkorb und des Zwerchfells. Je nach Krankheitsverlauf können verschiedene Atemhilfen genutzt werden. In Deutschland wird bei etwa 30 % aller Patienten eine Maskenbeatmung und bei bis zu 10 % eine invasive Beatmung mit Luftröhrenschnitt eingesetzt.
Diagnose von Motoneuron-Erkrankungen
Die Diagnostik von Motoneuronerkrankungen erfordert eine gute Abgrenzung zu anderen Erkrankungen mit einem ähnlichen Erscheinungsbild. Dabei ist vor allem die sorgfältige klinisch-neurologische Untersuchung durch einen Experten wichtig. Die wesentlichen Hinweise für eine ALS ergeben sich bereits durch eine körperliche Untersuchung. Neurologisch ausgebildete Ärzte sind in der Lage, ALS-typische Symptome festzustellen. Typischerweise liegen bei ALS-Patienten keine Gefühlsstörung, Nervenschmerzen oder geistigen Einschränkungen vor. Ein weiteres Merkmal der ALS-Symptomatik ist die langsame Zunahme der Muskelschwäche oder Steifigkeit. Wenn die schmerzlosen Lähmungen schleichend beginnen und allmählich fortschreiten, ohne dass andere neurologische Beschwerden auftreten, entsteht der Verdacht auf ALS. Die äußerlich erkennbaren Symptome können durch zusätzliche Diagnoseverfahren bestätigt und gemessen werden (Elektromyographie, Elektroneurographie, motorisch-evozierte Potentiale).
Die Diagnose ALS kann gestellt werden, wenn eine Schädigung des 1. und 2. Motoneurons nachweisbar ist. Diese kann aus der Kombination der Befunde aus dem Anamnesegespräch, einer ausführlichen körperlichen und neurologischen Untersuchung sowie einer elektrophysiologischen Diagnostik erfasst werden. In einem ersten Anamnesegespräch wird Ihr:e behandelnde:r Ärztin oder Arzt sich zunächst nach Ihren aktuellen Beschwerden und beobachteten Veränderungen erkundigen. Anschließend wird eine allgemein körperliche (internistische) und neurologische Untersuchung durchgeführt werden. Die neurologische Untersuchung umfasst dabei vor allem eine ausführliche Prüfung der motorischen und sensiblen Funktionen, der Reflexe sowie der Koordination und des Gleichgewichts. Ihr:e behandelnde:r Arzt oder Ärztin wird zudem die Nervenleitgeschwindigkeit sowie die elektrische Aktivität der Muskeln messen wollen. Hierfür wird eine elektrophysiologische Untersuchung durchgeführt, welche eine Elektroneurograhie (ENG) zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und eine Elektromyographie (EMG) zur Erfassung der elektrischen Muskelaktivität, umfasst.
Zusätzliche diagnostische Maßnahmen:
- Anamnese
- Internistische und neurologische Untersuchung
- Elektrophysiologische Untersuchung (ENG und EMG)
- Labordiagnostik
- MRT des Kopfes und der Wirbelsäule
- Liquordiagnostik
- Muskelbiopsie
Bei Verdacht auf eine familiäre Form der Amyotrophen Lateralsklerose kann zudem eine genetische Diagnostik empfohlen werden. Dies ist in der Regel bei jungen Patient:innen mit einem schwerem Verlauf der Amyotrophen Lateralsklerose indiziert. Ihr:e betreuende:r Ärztin oder Arzt wird Sie und Ihre:n Angehörige:n über die notwendige Diagnostik und Ergebnisse ausführlich beraten und bezüglich der Therapie und Prognose aufklären.
Ausschluss von Krankheiten mit ähnlichen Symptomen
Einige sehr seltene Erkrankungen können ALS-ähnliche Symptome aufweisen. Zu ihnen zählen eine mechanische Schädigung des Rückenmarks (zervikale Myelopathie), Muskelerkrankungen (z.B. Einschlusskörperchenmyopathie), Erkrankungen der peripheren Nerven (motorische Polyneuropathie), bestimmte Formen der Multiplen Sklerose, neurologische Folgeerkrankungen durch Tumore (paraneoplastische Syndrome) und sehr seltene Stoffwechselerkrankungen. Um diese Erkrankungen nachzuweisen oder auszuschließen, stehen verschiedene Untersuchungsmethoden zur Verfügung: Magnetresonanztomographie (Tumor- oder Entzündungserkrankungen des Gehirns und Rückenmarks), Nervenwasseruntersuchung (Infektionen und Autoimmunerkrankungen) oder spezifische Blutuntersuchungen (Stoffwechselerkrankungen, Autoimmunerkrankungen und bestimmte Tumorerkrankungen). Eine Diagnosestellung kann erschwert sein, wenn nur isolierte Symptome vorhanden sind und kombinierte Symptome des ersten und zweiten motorischen Neurons (noch) fehlen. In Abhängigkeit von den primären Symptomen und Leitsymptomen kann die Diagnostik erweitert, um Differentialdiagnosen zu stellen oder auszuschließen.
Behandlung von Motoneuron-Erkrankungen
Leider gibt es noch keine Therapie, die Motoneuron-Erkrankungen heilen kann. Trotzdem können durch eine adäquate Therapie die Symptome von Betroffenen gelindert und die Lebensqualität damit erhöht werden. Der symptomatischen Therapie von Lähmungen, Schluck-, Sprech- und Atemstörungen kommt eine wichtige Rolle zu. Neben medikamentösen Maßnahmen sind Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie notwendig, die ambulant durchgeführt werden können.
Therapeutisch gibt es bislang nur bei sehr wenigen Motoneuronerkrankungen eine kausale Behandlung. Daher ist die sichere Diagnosestellung entscheidend. Es gibt darüber hinaus zahlreiche effektive symptomatische Therapien, um die Beschwerden wie z.B. Schmerzen, Muskelkrämpfe und Bewegungseinschränkungen zu mildern. Wichtig ist daneben das frühzeitige Erkennen und die Behandlung von nächtlichen Atemstörungen und von Schluckstörungen. Dabei kommen neben Medikamenten und Physiotherapie/Logopädie auch Hilfsmittel wie eine nächtliche Heimbeatmung, Ernährungssonden, Orthesen und Roboter zum Einsatz.
Medikamentöse Therapie
In einigen Fällen kann eine medikamentöse Behandlung den Verlauf der Erkrankung verzögern. Bei der klassischen Form der SMA (Deletion des SMN1-Gens) gibt es inzwischen die Möglichkeit, mit spezifischen Medikamenten die Erkrankung auch kausal zu behandeln mit der Hoffnung, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.
Zur symptomatischen Behandlung können unterstützend verschiedene Medikamente eingesetzt werden. Zudem gibt es ein ALS Medikament, Riluzol genannt, welches die Überlebenszeit von Betroffenen verlängern kann. Der zugrundeliegende Wirkmechanismus ist noch weitgehend unbekannt. Nachdem über viele Jahre wenig Fortschritte in der pharmakologischen Behandlung von Motoneuronerkrankungen erzielt werden konnten und lediglich bei der ALS durch Riluzol eine gewisse Verzögerung der Erkrankungsprogression ermöglicht wird, sind in den letzten Jahren eine Reihe hoch innovativer und sehr wirksamer Substanzen entwickelt und zugelassen worden, die die Genexpression verändern bzw. zu einer alternativen Genexpression führen oder sogar eine Genkorrektur erzielen können.
Weitere Therapieansätze
Da die Motoneuronerkrankungen verschiedene Organsysteme wie Muskel, Atmung und Schlucken beeinträchtigen und sowohl Kinder als auch Erwachsene betroffen sein können, ist eine interdisziplinäre Versorgung durch ein verlässliches Zusammenwirken der entsprechenden Fächer wie Neurologie, Pädiatrie, Humangenetik ebenso wie der Therapeutinnen und Therapeuten der Physiotherapie, Logopädie und Rehabilitation erforderlich.
- Physiotherapie: zur Erhaltung der Beweglichkeit und Muskelkraft
- Ergotherapie: zur Anpassung des Wohnraums und zur Erlernung von Kompensationsstrategien für eingeschränkte Funktionen
- Logopädie: zur Verbesserung der Sprech- und Schluckfunktion
- Psychosoziale Beratung: zur Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung
Verlauf und Prognose
Der Verlauf der ALS ist bei jedem Patienten unterschiedlich. So ist eine Vorhersage der einzelnen Beschwerden und des zeitlichen Auftretens der Symptome nicht möglich. Im Verlauf der ALS sind extreme Schwankungen möglich. Der Krankheitsverlauf der ALS und vor allem die individuellen Beschwerden werden wesentlich von der erstbefallenen Muskelregion bestimmt. Grundsätzlich ist zwischen dem Krankheitsbeginn an den Extremitäten (spinaler Krankheitsbeginn) und einer weniger häufigen Verlaufsform zu unterscheiden, die mit Sprech- oder Schluckstörungen beginnt (bulbärer Krankheitsbeginn).
Die Beschwerden beginnen in der Regel in einer isolierten Muskelregion, z.B. den kleinen Handmuskeln eines Armes. Charakteristisch ist das Ausbreiten der Symptomatik auf benachbarte Muskelregionen, z.B. vom Arm auf die gleichseitige Schulter oder den anderen Arm. Dabei folgt die Ausbreitung der motorischen Symptomatik offensichtlich einem bestimmten Muster, dessen Grundlage derzeit nicht bekannt ist. Die Geschwindigkeit der Symptomausbreitung kann viele Monate oder nur wenige Wochen betragen. Bedingt durch einen Schwund der Muskulatur (Atrophie) oder durch die Steifigkeit (Spastik) kommt es zu einer fortschreitenden Lähmung der betroffenen Extremität. Bei Befall der Beinmuskulatur bedeutet dies eine zunehmende Gehstörung, die bis zur Notwendigkeit einer Gehstütze oder eines Rollstuhls führt. Ein Befall der Armmuskulatur schränkt wiederum andere Tätigkeiten des Patienten ein. So werden alle Verrichtungen, die mit Armen und Händen ausgeführt werden, wie Heben, Tragen, Schreiben, Schneiden, Essen, Körperpflege erschwert. Im weiteren Krankheitsverlauf werden in der Regel alle Extremitäten, d.h. Arme und Beine betroffen sein. Die Verrichtung der alltäglichen Tätigkeiten wird dann durch Anschaffung von Hilfsmitteln und durch die Hilfe von Angehörigen und pflegerischen Kräften unterstützt.
Bei einer geringeren Zahl der Patienten beginnt die Erkrankung mit einer sogenannten Bulbärsymptomatik. Bei der überwiegenden Zahl der Patienten treten die bulbären Symptome in einem späteren Krankheitsstadium zusätzlich zu der Extremitätenschwäche auf. Bei der bulbären Symptomatik handelt es sich um eine Störung der Muskulatur, die von den Hirnnerven versorgt werden. Dazu gehören die Zungen-, Schlund- und Gaumenmuskulatur. Die Funktionsbeeinträchtigung dieser Muskulatur führt zu einer erschwerten Artikulation bis hin zur Unfähigkeit, verbal zu kommunizieren. Diese Symptomatik verursacht schwerste Belastungen für den Erkrankten und die Angehörigen. Für diese Problematik wurden Kommunikationshilfen entwickelt, die eine Verständigung ohne Lautsprache des Patienten möglich machen. Die Störung der Schlund- und Zungenmuskulatur bemerkt der Patient durch Kau- und Schluckstörungen. Bestimmte Nahrungsmittel, insbesondere sehr feste oder dünnflüssige Nahrung, bereiten dann Schwierigkeiten, so daß eine spezielle Nahrungszusammenstellung notwendig wird. Die Lähmung der Gesichtsmuskulatur, die ebenfalls zum Krankheitsbild gehören kann, wird durch Entweichen des Speichels als sehr belastend erlebt. Durch entsprechende Medikamente kann die überschüssige Bildung von Speichel vermindert werden. Auch eine so wichtige Körperfunktion wie die Atmung ist an die Muskulatur gebunden. So wird beim Atemvorgang der Brustkorb und das Zwerchfell durch entsprechende Skelettmuskulatur versorgt.
Bei der Amyotrophen Lateralsklerose handelt es sich um eine sehr schwere neurologische Erkrankung, die nicht heilbar ist. Aufgrund der Degeneration des kompletten motorischen Nervensystems ist die ALS Prognose meist schlecht. Bei der Amyotrophen Lateralsklerose ist die Lebenserwartung somit deutlich reduziert. Betroffene leben nach der Diagnosestellung im Durchschnitt nur noch zwei bis fünf Jahre. In den meisten Fällen geht das ALS Endstadium mit einer progredienten Ateminsuffizienz einher, die letztlich zum Tod führt. In einigen wenigen Fällen ist jedoch auch eine deutlich längere Überlebenszeit möglich.
Unterstützung für Betroffene und Angehörige
Patientinnen und Patienten mit einer vermuteten oder bereits gesicherten Motoneuron-Erkrankung wird umfassende Unterstützung angeboten. Dies beinhaltet die ausführliche Beratung im Hinblick auf die Erkrankung, aber auch auf ihre psychosozialen Folgen. Im Rahmen des Neuromuskulären Zentrums ist eine kostenfreie ergotherapeutische und psychosoziale Beratung verfügbar. Die Versorgung von Patienten mit einer ALS sollte in einem multidisziplinären Team unter Einbindung einer Spezialambulanz erfolgen.
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