Obere motorische Neuronreflexe: Ein umfassender Überblick

Reflexe sind ein grundlegender Bestandteil des menschlichen Nervensystems und ermöglichen schnelle, unwillkürliche Reaktionen auf Reize. Sie sind für den Schutz des Körpers und die Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen unerlässlich. In diesem Artikel werden wir uns eingehend mit den oberen motorischen Neuronreflexen befassen und ihre Bedeutung für die Diagnose und das Verständnis neurologischer Erkrankungen untersuchen.

Was sind Reflexe?

Ein Reflex ist eine immer gleiche, unwillkürliche Reaktion des Nervensystems auf einen bestimmten Reiz. Diese Reaktionen erfolgen automatisch und stereotyp, was uns eine schnelle Anpassung an Veränderungen in unserer Umgebung ermöglicht. Ein bekanntes Beispiel ist der Patellarsehnenreflex, bei dem sich das Kniegelenk streckt, wenn der Arzt mit einem Hämmerchen auf die Sehne unterhalb der Kniescheibe klopft.

Eigenreflexe und Fremdreflexe

Es gibt zwei Haupttypen von Reflexen: Eigenreflexe und Fremdreflexe.

Eigenreflexe

Bei Eigenreflexen erfolgt die Reflexantwort im selben Organ, in dem der Reiz ausgelöst wurde. Der Reflexbogen umfasst nur eine Schaltstelle (monosynaptisch) im Rückenmark. Eigenreflexe ermöglichen es Ärzten, die Funktion einzelner Rückenmarksnerven (Spinalnerven) und anderer neurologischer Strukturen zu überprüfen.

Beispiele für Eigenreflexe:

  • Patellarsehnenreflex: Dieser Reflex wird über den Nervus femoralis (Oberschenkelnerv) vermittelt und trägt dazu bei, dass wir beim Gehen, Springen oder Treppensteigen das Gleichgewicht halten.
  • Tibialis-posterior-Reflex: Dieser Reflex ist wichtig für die Diagnose von Bandscheibenvorfällen im Bereich L5. Der Musculus tibialis posterior steuert die Hebung des inneren Fußrandes.
  • Achillessehnenreflex: Dieser Reflex wird durch Klopfen auf die Achillessehne ausgelöst und führt zu einer Plantarflexion des Fußes. Er kann bei der Diagnose von peripheren Nervenverletzungen oder Rückenmarksschäden hilfreich sein.

Fremdreflexe

Bei Fremdreflexen sind Reizort und Erfolgsorgan verschieden. Der Reflexbogen verläuft über mehrere Synapsen (polysynaptisch). Fremdreflexe können physiologisch (gesund) oder pathologisch (krankhaft) sein.

Lesen Sie auch: Ursachen, Symptome und Behandlungen von Motoneuron-Erkrankungen

Beispiele für Fremdreflexe:

  • Pupillenreflex: Dieser Reflex schützt das Auge vor zu viel Lichteinfall. Fällt Licht ins Auge, verengen sich die Pupillen.
  • Lidschlussreflex: Dieser Reflex schützt das Auge vor Fremdkörpern. Bei Berührung der Hornhaut schließt sich das Augenlid.
  • Würgereflex: Dieser Reflex schützt die Atemwege vor Fremdkörpern wie Nahrung oder Flüssigkeiten.
  • Babinski-Reflex: Dieser Reflex ist bei gesunden Erwachsenen nicht vorhanden. Er wird durch das Bestreichen des seitlichen Fußrandes ausgelöst und führt zu einer Dorsiflexion der großen Zehe und Abspreizen der anderen Zehen. Ein positiver Babinski-Reflex bei Erwachsenen kann auf eine neurologische Erkrankung hinweisen.

Obere und untere motorische Neuronen

Um die Bedeutung der Reflexe bei der Diagnose neurologischer Erkrankungen besser zu verstehen, ist es wichtig, die Rolle der oberen und unteren motorischen Neuronen zu kennen.

Untere motorische Neuronen (LMN)

Die unteren motorischen Neuronen befinden sich im Rückenmark und sind für die direkte Steuerung der Muskeln verantwortlich. Sie übertragen Befehle vom zentralen Nervensystem an die peripheren Muskeln, um Bewegungen auszuführen. Eine Schädigung der unteren motorischen Neuronen kann zu Muskelschwäche, Muskelatrophie und Hyporeflexie führen.

Obere motorische Neuronen (UMN)

Die oberen motorischen Neuronen befinden sich im Gehirn und sind für die bewusste Auslösung von Bewegungen und die Steuerung der Körperhaltung zuständig. Ihre Zellkörper, die Betzschen Riesenzellen, liegen in der motorischen Rinde im Gehirn. Die Axone bilden die Pyramidenbahn, die vom Gehirn zum Rückenmark verläuft. Eine Schädigung der oberen motorischen Neuronen kann zu Schwäche, Spastizität, Klonus und Hyperreflexie führen.

Motorische Systeme

Unter dem Begriff der motorischen Systeme werden solche Komponenten zusammengefasst, die Bewegungsvorgänge über die somato-motorischen Neurone vermitteln. Die wichtigsten Elemente sind:

  1. Zielmotorik: Umfasst hauptsächlich die distale Muskulatur, die für Feinbewegungen verantwortlich ist. Die Bewegung wird geplant und willkürlich über das Pyramidenbahnsystem vermittelt.
  2. Stützmotorik: Vermittelt die aufrechte Körperhaltung, Bewegungsabläufe beim Gehen, Sprechen und Kauen sowie erlernte Bewegungsautomatismen. Diese Bewegungskomponenten laufen weitgehend unwillkürlich (reflektorisch) ab.

Das gemeinsame Ziel für alle zentralen Komponenten des motorischen Systems sind die unteren Motoneuronen (uMN). Darunter versteht man alle Neurone, deren Axone das ZNS verlassen und die Arbeitsmuskulatur innervieren. Sie bilden daher die gemeinsame Endstrecke des motorischen Systems.

Lesen Sie auch: Erfahrungsbericht Myford Umbau

Reflexprüfung

Die Reflexprüfung ist ein wichtiger Bestandteil der neurologischen Untersuchung. Sie ermöglicht es Ärzten, Läsionen entlang der Reflexbahn zu identifizieren. Reflexstörungen sind sensitive Indikatoren für solche Läsionen.

Durchführung der Reflexprüfung:

Bei der Reflexprüfung wird der auslösende Reiz durch Beklopfen des Muskelbauchs oder der Muskelsehne gesetzt. Die wichtigsten Muskeldehnungsreflexe betreffen:

  • M. brachioradialis
  • Bizeps
  • Trizeps
  • Quadrizeps-Femoris (Patellarsehnenreflex)
  • Trizeps-surae (Achillessehnenreflex)

Pathologische Reflexe

Pathologische Reflexe sind Reflexe, die bei gesunden Menschen nicht vorkommen. Ein bekanntes Beispiel ist der Babinski-Reflex. Das Vorhandensein pathologischer Reflexe kann auf eine Schädigung der Pyramidenbahn hinweisen.

Erkrankungen der motorischen Neuronen

Erkrankungen der motorischen Neuronen beeinflussen die Fähigkeit des Körpers, Signale vom Gehirn zu den Muskeln zu übertragen, was die Bewegung und Kontrolle erheblich beeinträchtigen kann.

Auswirkungen auf den Körper:

Motorische Neuronen Krankheiten haben weitreichende Effekte auf den menschlichen Körper, da sie die Fähigkeit, willkürliche und unwillkürliche Bewegungen auszuführen, beeinträchtigen. Je nach Art und Fortschreiten der Erkrankung können die Symptome unterschiedlich stark sein. Zu den häufigsten Auswirkungen gehören:

Lesen Sie auch: Diagnose und Therapie von Motoneuronerkrankungen

  • Muskelschwäche
  • Muskelatrophie
  • Muskelkrämpfe
  • Lähmungen

Beispiele für Erkrankungen der motorischen Neuronen:

  • Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Eine neurodegenerative Erkrankung, die sowohl die oberen als auch die unteren Motoneuronen betrifft.
  • Primäre Lateralsklerose (PLS): Eine seltene neurodegenerative Erkrankung, die hauptsächlich die oberen Motoneuronen betrifft.
  • Hereditäre spastische Paraplegie (HSP): Eine Gruppe von erblichen Erkrankungen, die durch Schwäche und Spastik der unteren Extremitäten gekennzeichnet sind.
  • Spinale Muskelatrophie (SMA): Eine Gruppe von genetischen Erkrankungen, die durch Muskelschwäche und -atrophie gekennzeichnet sind.
  • Spinobulbäre Muskelatrophie Typ Kennedy: Eine X-chromosomale Störung, die den Hirnstamm und die unteren Motoneuronen betrifft.
  • Poliomyelitis: Eine Infektionskrankheit, die durch das Poliovirus verursacht wird und die Vorderhornzellen befällt.
  • Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Eine immunvermittelte Neuropathie, die zu einer akuten, symmetrisch aufsteigenden neuromuskulären Lähmung führen kann.
  • Multiple Sklerose (MS): Eine chronische entzündliche Autoimmunerkrankung, die zu einer Demyelinisierung des ZNS führt.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) im Detail

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine besonders schwere und bisher nicht heilbare Erkrankung des motorischen Nervensystems. Bei ALS verlieren die motorischen Nervenzellen (Motoneuronen), die für die willkürliche Steuerung der Muskulatur verantwortlich sind, fortschreitend ihre Funktion.

Pathophysiologie der ALS:

Die genaue Pathogenese von ALS ist bislang nicht vollständig geklärt. Verschiedene Faktoren, wie genetische Prädispositionen, Proteinfehlfaltungen, virale Reaktivierungen und entzündliche Prozesse, scheinen eine Rolle zu spielen. Ein entscheidendes pathophysiologisches Merkmal der ALS ist die Akkumulation von fehlgefaltetem TDP‑43-Protein im Zytoplasma von Nervenzellen. Dieses Protein ist normalerweise für die RNA-Verarbeitung und den Transport in den Zellkern verantwortlich. Bei ALS wird es pathologisch verändert und im Zytoplasma abgelagert.

Symptome der ALS:

Zu Beginn der ALS nehmen Patienten überwiegend Muskelschwäche (Parese), Muskelschwund (Atrophie) sowie Muskelsteifigkeit (Spastik) wahr. Die individuellen Beschwerden hängen davon ab, welches Motoneuron und welche Muskelgruppe stärker betroffen ist. Eine Betroffenheit des ersten Motoneurons führt zu einer unkontrolliert gesteigerten Muskelspannung, die sich in Steifigkeit (Spastik) sowie einer verminderten Geschicklichkeit und Feinmotorik äußert. Bei Betroffenheit des zweiten Motoneurons können die Nerven der Muskulatur nur noch eingeschränkt aktivieren, es kommt zu Muskelschwäche und Muskelschwund.

Diagnose der ALS:

Die wesentlichen Hinweise für eine ALS ergeben sich bereits durch eine körperliche Untersuchung. Neurologisch ausgebildete Ärzte sind in der Lage, ALS-typische Symptome festzustellen. Typischerweise liegen bei ALS-Patienten keine Gefühlsstörung, Nervenschmerzen oder geistigen Einschränkungen vor. Die äußerlich erkennbaren Symptome können durch zusätzliche Diagnoseverfahren bestätigt und gemessen werden (Elektromyographie, Elektroneurographie, motorisch-evozierte Potentiale).

tags: #obere #motorische #neuron #reflexe