Atemprobleme bei Multipler Sklerose: Ursachen, Symptome und Behandlungsansätze

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die vielfältige Symptome hervorrufen kann. Obwohl Atemprobleme nicht zu den häufigsten Symptomen gehören, können sie bei MS-Patienten auftreten und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome und Behandlungsansätze von Atemproblemen im Zusammenhang mit MS.

Einführung

Atembeschwerden bei MS können verschiedene Ursachen haben, darunter die Schwächung der Atemmuskulatur, Spastiken im Brustkorb oder auch Begleiterkrankungen wie Schlafstörungen. Es ist wichtig, die genaue Ursache der Atemprobleme zu identifizieren, um eine gezielte Behandlung einleiten zu können.

Ursachen von Atemproblemen bei MS

Obwohl eine MS in der Regel nicht direkt zu einer Atemstörung führt, können verschiedene Faktoren im Zusammenhang mit der Erkrankung Atembeschwerden verursachen:

  • Schwäche der Atemmuskulatur: MS kann die Nerven schädigen, die die Atemmuskulatur steuern. Dies kann zu einer Schwächung des Zwerchfells und anderer Muskeln führen, die für die Atmung wichtig sind. Eine Patientin berichtete, dass sie aufgrund von Atemproblemen nicht viel laufen kann und dies nur langsam geht.
  • Spastik im Brustkorb: Spastiken, also unwillkürliche Muskelverkrampfungen, können auch die Muskeln im Brustkorb betreffen und die Atmung erschweren. Eine Patientin klagte über Krämpfe im Brustbereich, die ihre Atmung zusätzlich verschlimmern.
  • Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS): Bis zu 60 Prozent der Menschen mit MS zeigen SBAS, wie z.B. die obstruktive Schlafapnoe. Dabei kommt es im Schlaf zu Atemaussetzern, die die Sauerstoffversorgung des Körpers beeinträchtigen und zu Tagesmüdigkeit führen können. Ein Anzeichen für diese Schlafstörung kann lautes Schnarchen sein.
  • Läsionen im Rückenmark: In seltenen Fällen können Läsionen im hohen zervikalen Rückenmark (Halswirbelsäule) zu Atemregulationsstörungen führen, obwohl die Atmungssteuerung eine breit anatomisch abgelegte Funktion ist. Eine Patientin fragte, ob ihre Atembeschwerden mit ihren Läsionen im Rückenmark auf Höhe HWK4 und HWK5/6 zusammenhängen könnten.
  • Begleiterkrankungen: Weitere Ursachen für Atemprobleme können Herzerkrankungen, Angststörungen oder andere Lungenerkrankungen sein. Ein Neurologe empfahl einer Patientin mit Atemproblemen, sich ergänzend kardiologisch, neurologisch untersuchen zu lassen und ggf. auch eine Bildgebung des Brustkorbes veranlassen zu lassen, um andere Ursachen auszuschließen.
  • Mangelnde Bewegung: Bewegungsmangel aufgrund von MS-bedingten Einschränkungen kann ebenfalls zu einer flachen Atmung und einer verminderten Belüftung der Lunge führen. Eine Patientin vermutete, dass ihre Atemprobleme auch daran liegen könnten, dass sie sich nicht so viel bewegt, um richtig ins Schnaufen zu kommen.
  • Übergewicht: Eine Kohortenstudie zeigte, dass übergewichtige Kinder unter der Erstlinientherapie mit Interferon Beta oder Glatirameracetat häufiger Krankheitsschübe hatten.
  • Medikamente: Atembeschwerden können auch als Nebenwirkung von MS-Medikamenten auftreten. In diesem Fall sollte ein Präparat gegen ein besser verträgliches ausgetauscht werden.

Symptome von Atemproblemen bei MS

Die Symptome von Atemproblemen bei MS können vielfältig sein und sich individuell unterschiedlich äußern:

  • Atemnot: Atemnot, insbesondere bei Anstrengung, ist ein häufiges Symptom. Sie kann so stark sein, dass sie das Sprechen erschwert.
  • Engegefühl im Brustkorb: Ein Engegefühl im Brustkorb kann durch Spastiken der Atemmuskulatur verursacht werden.
  • Flache Atmung: Betroffene atmen oft flach und oberflächlich, was zu einer unzureichenden Sauerstoffversorgung führen kann.
  • Schwierigkeiten beim tiefen Durchatmen: Das tiefe Durchatmen, insbesondere die Bauchatmung, kann schwerfallen und anstrengend sein.
  • Atemaussetzer im Schlaf: Schlafbezogene Atmungsstörungen können zu Atemaussetzern im Schlaf führen, die oft unbemerkt bleiben, aber die Schlafqualität beeinträchtigen.
  • Erhöhtes Risiko für Atemwegsinfektionen: Durch die Schwächung der Atemmuskulatur und Schluckbeschwerden kann es leichter zu Aspirationen kommen, bei denen Fremdkörper oder Nahrung in die Atemwege gelangen und Infektionen auslösen können.
  • Zwerchfelllähmung oder -schwäche: Eine Lähmung oder Schwäche des Zwerchfells kann die Atmung erheblich beeinträchtigen.
  • Schluckbeschwerden: Schluckbeschwerden können dazu führen, dass Nahrung oder Flüssigkeit in die Atemwege gelangt, was das Risiko für Lungenentzündungen erhöht.
  • Verstärkte Anstrengung beim Atmen: Das Atmen kann als anstrengend empfunden werden, selbst bei geringer Anstrengung.
  • Schwierigkeiten beim Abhusten von Lungensekret: Eine Schwächung der Atemmuskulatur kann das Abhusten von Lungensekret erschweren, was das Risiko für Atemwegsinfektionen erhöht.
  • Spontan auftretende Atemnot: Spontan auftretende Atemnot kann zusätzlich zu Angstzuständen führen, die die Betroffenen belasten.

Diagnose von Atemproblemen bei MS

Um die Ursache von Atemproblemen bei MS zu ermitteln, sind verschiedene Untersuchungen erforderlich:

Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt

  • Lungenfunktionstest (Spirometrie): Mit diesem Test wird die Lungenfunktion überprüft, um festzustellen, ob eine Lungenerkrankung vorliegt. Eine Patientin berichtete, dass sie beim Pulmologen eine Röntgenaufnahme und Spirometrie gemacht hat, die unauffällig waren.
  • Blutgasanalyse: Diese Untersuchung misst den Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt im Blut und gibt Aufschluss über die Effektivität der Atmung.
  • Polysomnographie: Diese Untersuchung wird im Schlaflabor durchgeführt und dient der Diagnose von schlafbezogenen Atmungsstörungen.
  • EKG und kardiologische Untersuchung: Um Herzerkrankungen als Ursache auszuschließen.
  • Bildgebung des Brustkorbs (Röntgen, CT): Um andere Ursachen wie z.B. Lungenerkrankungen auszuschließen.
  • Neurologische Untersuchung: Um die Funktion der Atemmuskulatur und des Nervensystems zu beurteilen.

Behandlung von Atemproblemen bei MS

Die Behandlung von Atemproblemen bei MS richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache:

  • Atemtherapie: Atemtherapie kann helfen, die Atemmuskulatur zu stärken, die Lungenfunktion zu verbessern und die Atmung zu vertiefen. Verschiedene Atemtechniken, wie die Bauchatmung oder die Lippenbremse, können erlernt und im Alltag angewendet werden. Die Atemtherapie wirkt positiv auf Spastik, Ataxie, Fatigue und Sprachstörungen.
    • Erfahrbarer Atem nach Ilse Middendorf: Diese Methode basiert auf der Erkenntnis, dass der Atem eng mit Geist und Körper verbunden ist. Durch bewusstes Wahrnehmen und Zulassen des Atems können Selbstheilungskräfte aktiviert werden.
  • Medikamentöse Therapie:
    • Muskelentspannende Medikamente: Bei Spastiken der Atemmuskulatur können muskelentspannende Medikamente helfen.
    • Bronchodilatatoren: Bei Atemwegsverengungen können Bronchodilatatoren die Atemwege erweitern und die Atmung erleichtern.
    • Sauerstofftherapie: Bei schwerer Atemnot kann eine Sauerstofftherapie erforderlich sein, um den Sauerstoffgehalt im Blut zu erhöhen.
    • Beruhigungsmittel, Antihistaminika: Bei spontan auftretender Atemnot aufgrund von Angstzuständen.
  • Behandlung von Schlafstörungen: Bei schlafbezogenen Atmungsstörungen kann eine CPAP-Therapie (Continuous Positive Airway Pressure) oder eine andere Behandlungsmethode erforderlich sein, um die Atemaussetzer zu verhindern und die Schlafqualität zu verbessern.
  • Logopädie: Bei Schluckbeschwerden kann eine logopädische Therapie helfen, die Schluckmuskulatur zu stärken und das Risiko von Aspirationen zu verringern. Ein Logopäde kann die richtige Sitz- und Kopfhaltung für das Schlucken zeigen sowie geeignete Sprech- und Atemübungen, die dabei helfen, die (Sprech-)Muskulatur zu stärken und besser zu kontrollieren.
  • Körperliche Aktivität: Regelmäßige körperliche Aktivität, angepasst an die individuellen Fähigkeiten, kann helfen, die Atemmuskulatur zu stärken und die Lungenfunktion zu verbessern. Eine Patientin überlegte, sich mehr zu bewegen, in den Phasen, wo ihr das leichter fällt.
  • Gewichtsreduktion: Bei Übergewicht kann eine Gewichtsreduktion helfen, die Atemwege zu entlasten und die Atmung zu erleichtern.
  • Anpassung der MS-Medikation: Wenn Atembeschwerden als Nebenwirkung von MS-Medikamenten auftreten, sollte ein Präparat gegen ein besser verträgliches ausgetauscht werden.
  • Behandlung von Begleiterkrankungen: Die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Herzerkrankungen oder Angststörungen kann ebenfalls zur Verbesserung der Atemprobleme beitragen.

Atemübungen für MS-Patienten

Atemübungen können eine wertvolle Ergänzung zur Behandlung von Atemproblemen bei MS sein. Sie können helfen, die Atemmuskulatur zu stärken, die Lungenfunktion zu verbessern und die Atmung zu vertiefen. Hier sind einige Beispiele für Atemübungen, die auch im häuslichen Umfeld praktiziert werden können:

  • Bauchatmung (Zwerchfellatmung): Legen Sie sich mit geradem Rücken auf den Boden oder eine Sportmatte, die Arme seitlich neben dem Körper und eine Hand auf dem Bauch. Atmen Sie bewusst und lange durch die Nase in den Bauch ein, sodass sich die Bauchdecke hebt. Atmen Sie langsam durch die Nase oder den Mund aus, sodass sich die Bauchdecke wieder senkt. Achten Sie auf eine aufrechte Körperhaltung mit möglichst geraden Schultern. Wiederholen Sie diese Übung mehrmals täglich.
  • Lippenbremse: Atmen Sie langsam durch die Nase ein. Formen Sie beim Ausatmen die Lippen zu einem kleinen "O" und atmen Sie langsam und kontrolliert durch den Mund aus. Diese Technik hilft, die Atemwege offen zu halten und die Ausatmung zu verlängern.
  • Atemübung zur Brustkorbmobilisation: Legen Sie Ihre Hände seitlich am unteren Brustkorb an. Lassen Sie sie mit der Weitung des Brustkorbs beim Einatmen und mit dem Verengen des Brustkorbs beim Ausatmen weich mitgehen. Spüren Sie, wie der Atem weit und schmal macht.
  • Atemübung zur Lungendehnung: Atmen Sie kräftig ein, verschließen Sie Ihren Mund und halten Sie sich die Nase zu. Lassen Sie keine Luft heraus! Atmen Sie erst dann aus, wenn Sie dazu gezwungen werden. Empfinden Sie, wie es ist, wenn man sich voll Luft pumpt und keine „Luft ablassen“ kann.
  • Atemübung zur Stärkung der Ausatmung: Blasen Sie die Luft durch den Mund aus, als wenn Sie eine Kerze ausblasen wollten, so lange wie möglich. Dann lassen Sie das Einatmen von selbst kommen.
  • Rhythmisierte Atmung: Atmen Sie ein und zählen Sie still bis drei, halten Sie den Atem an und zählen vier und fünf, dann atmen Sie aus und zählen rückwärts von fünf bis null.
  • Atemübung mit Bauchdruck: Drücken Sie beim Ausatmen mit Ihren Händen weich auf die Bauchdecke, bis Sie die Eingeweide der Bauchhöhle tasten können, während Sie beim Einatmen in die Hände atmen.
  • 4-7-8-Atmung: Atmen Sie 4 Sekunden lang durch die Nase ein, halten Sie den Atem 7 Sekunden lang an und atmen Sie 8 Sekunden lang durch den Mund aus. Diese Technik soll Angstzustände lindern und das Einschlafen beschleunigen.
  • Boxatmung: Atmen Sie 4 Sekunden lang über die Nase ein, halten Sie den Atem 4 Sekunden lang an, atmen Sie 4 Sekunden lang aus und halten Sie den Atem wieder 4 Sekunden lang an. Diese Technik soll in angespannten Situationen helfen, einen klaren Kopf zu bewahren.
  • Entschleunigtes Atmen: Reduzieren Sie die Atemfrequenz auf ca. 6 Atemzüge pro Minute, um den Körper in einen schlafähnlichen Zustand zu versetzen und Entspannung zu fördern.

Es ist wichtig, die Atemübungen regelmäßig und unter Anleitung eines Therapeuten zu üben, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.

Weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Atmung

Neben den genannten Behandlungen und Übungen können auch folgende Maßnahmen zur Unterstützung der Atmung beitragen:

  • Inhalation: Inhalationen mit Salzlösungen oder ätherischen Ölen können helfen, die Atemwege zu befeuchten und Schleim zu lösen.
  • Luftbefeuchter: Ein Luftbefeuchter kann helfen, die Luftfeuchtigkeit in Innenräumen zu erhöhen und so die Atemwege zu befeuchten.
  • Vermeidung von Reizstoffen: Vermeiden Sie Reizstoffe wie Zigarettenrauch, Staub und Chemikalien, die die Atemwege reizen können.
  • Gesunde Ernährung: Eine gesunde Ernährung mit viel Obst und Gemüse kann das Immunsystem stärken und das Risiko von Atemwegsinfektionen verringern. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Reduktion von Weizen in der Ernährung die Immunaktivierung bei MS-Patienten reduzieren kann.
  • Ausreichend Flüssigkeit: Trinken Sie ausreichend Flüssigkeit, um die Schleimhäute feucht zu halten und das Abhusten von Schleim zu erleichtern.
  • Regelmäßige Kontrollen: Gehen Sie regelmäßig zu Ihrem Arzt, um Ihre Lungenfunktion und Ihren allgemeinen Gesundheitszustand überprüfen zu lassen.

Schlafstörungen bei MS

Viele MS-Betroffene klagen über Schlafstörungen. Bis zu 54 Prozent der MS-Betroffenen klagen über einen nicht erholsamen Schlaf. Dabei ist gesunder Schlaf so wichtig für die Regeneration unseres Körpers und unser Wohlbefinden. Beim Schlaf zählt aber nicht unbedingt die Dauer, sondern eher die Schlafqualität. Beides kann durch Schlafstörungen stark beeinträchtigt werden. Bei Menschen mit MS können sich dadurch Symptome wie beispielsweise Kognitionsprobleme oder Fatigue verstärken. Mediziner:innen unterscheiden viele verschiedene Arten von Schlafstörungen. Eine der häufigsten Störungen ist die Schlaflosigkeit, medizinisch als „Insomnie“ bezeichnet. Betroffene haben regelmäßig über einen längeren Zeitraum Probleme beim Ein- oder Durchschlafen, wachen sehr früh auf oder haben eine schlechte Schlafqualität. Bis zu 55 Prozent der MS-Betroffenen klagen über Schlaflosigkeit, wobei die Insomnie im Krankheitsverlauf häufiger wird. Die Ursachen für die Schlaflosigkeit bei MS können vielfältig sein: Stress und geistige Anspannung können den Schlaf rauben. Zu den typischen MS-Symptomen, die den Nachtschlaf stören können, zählen Schmerzen, Spastik, Blasenstörungen oder auch Depressionen. Zudem können verschiedene MS-Basistherapien Schlafstörungen verursachen. So steht Kortison im Verdacht, die Menge des Schlafhormons Melatonin im Blut zu senken.

Lesen Sie auch: Wie man MS vorbeugen kann

Sprech- und Schluckstörungen bei MS

Am Sprech- und Schluckvorgang sind viele Muskelgruppen und Gehirnregionen beteiligt. Vielfältige Abläufe müssen koordiniert und das Sprechen und Schlucken mit der Atmung zeitlich in Einklang gebracht werden. Multiple Sklerose kann verschiedene Arten von Sprechstörungen (Dysarthrie) auslösen. Sie treten meist als Mischform in unterschiedlich starker Ausprägung auf und reichen von einer kaum wahrnehmbaren Sprechstörung bis hin zur kompletten Unverständlichkeit beim Sprechen. Schluckbeschwerden machen die Nahrungsaufnahme und das Trinken oft zur Herausforderung für viele Patienten. Verschluckt man sich, können Teile der Nahrung in Luftröhre und Bronchien gelangen und dort eine Infektion auslösen. Falsch wäre es, weniger zu essen oder zu trinken, um dem Problem aus dem Weg zu gehen. Ein Logopäde kann Ihnen kompetenten Rat und Hilfe geben, wenn bei Multiple Sklerose Schluckbeschwerden und Sprachstörungen auftreten. Er zeigt Ihnen die richtige Sitz- und Kopfhaltung für das Schlucken sowie geeignete Sprech- und Atemübungen, die Ihnen dabei helfen, die (Sprech-)Muskulatur zu stärken und besser zu kontrollieren. Mithilfe einer konsequenten „Schlucktherapie" werden mit Multiple Sklerose zusammenhängende Schluckbeschwerden oft deutlich gebessert.

Lesen Sie auch: MS und Rückenschmerzen: Ein Überblick

tags: #multiple #sklerose #atmung #probleme