Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie ist gekennzeichnet durch eine Schädigung der Nervenfasern, was zu einer Vielzahl von Symptomen führen kann, darunter auch Beinschmerzen. In Deutschland sind schätzungsweise 280.000 Menschen von MS betroffen, wobei jährlich über 15.000 Erstdiagnosen gestellt werden. Frauen sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Ursachen von Beinschmerzen bei MS
Beinschmerzen bei MS können verschiedene Ursachen haben:
- Direkte Folge der MS: Entzündungen im Gehirn oder Rückenmark können Nervenbahnen schädigen, die für die Schmerzübertragung verantwortlich sind. Dies führt zu neuropathischen Schmerzen, die oft als brennend, stechend oder elektrisierend beschrieben werden.
- Indirekte Folge der MS-Symptome: Muskelschwäche, Spastik (Muskelsteifheit) und Koordinationsstörungen können zu Fehlhaltungen und Überlastungen der Beinmuskulatur führen. Dies kann Muskelschmerzen und Gelenkschmerzen verursachen.
- MS-unabhängige Schmerzen: Wie jeder andere Mensch können MS-Patienten auch unter Schmerzen leiden, die nicht direkt mit ihrer Erkrankung zusammenhängen, wie z. B. Arthrose, Verletzungen oder Muskelverspannungen.
Neuropathische Schmerzen
Neuropathische Schmerzen sind eine direkte Folge der MS und entstehen durch eine Schädigung der Nervenbahnen. Sie werden oft als brennend, stechend, elektrisierend oder kribbelnd beschrieben und können chronisch werden. Ein häufiges Schmerzsyndrom bei MS sind dysästhetische Schmerzen, die als konstante, brennende Schmerzen in den Beinen und Füßen auftreten. Auch das Lhermitte-Zeichen, ein elektrisierender Schmerz, der vom Nacken abwärts in den Rücken und die Extremitäten ausstrahlt, kann bei MS auftreten.
Muskelschmerzen und Spastik
Muskelschmerzen sind oft eine indirekte Folge der MS-Symptome. Durch Muskelschwäche, Koordinationsstörungen und Gleichgewichtsprobleme nehmen Betroffene häufig unnatürliche Körperhaltungen ein, die zu einer Überlastung der Bein- und Rückenmuskulatur führen können. Spastik, eine erhöhte Muskelspannung und Steifheit, ist ein weiteres häufiges Symptom bei MS. Sie kann zu schmerzhaften Muskelkrämpfen und Bewegungseinschränkungen führen.
Paroxysmale Symptome
Paroxysmale Symptome sind plötzliche, kurzzeitige Beschwerden, die bei MS auftreten können. Dazu gehören einschießende Schmerzen, Gefühlsstörungen oder Bewegungsstörungen. Das häufigste paroxysmale Symptom ist die MS-bedingte Trigeminusneuralgie, die sich durch heftige Gesichtsschmerzen äußert. Auch das Lhermitte-Zeichen und das Uhthoff-Phänomen (vorübergehende Verschlechterung der Symptome bei Wärme) werden zu den paroxysmalen Symptomen gezählt.
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Diagnose von Beinschmerzen bei MS
Um die Ursache von Beinschmerzen bei MS zu ermitteln, ist eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung durch einen Neurologen erforderlich. Dabei werden Art, Intensität, Lokalisation und Auslöser der Schmerzen erfragt. Zusätzlich können bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) eingesetzt werden, um Entzündungsherde im Gehirn und Rückenmark darzustellen. Auch neurologische Untersuchungen wie die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit können Aufschluss über die Ursache der Schmerzen geben.
Behandlung von Beinschmerzen bei MS
Die Behandlung von Beinschmerzen bei MS richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Es gibt verschiedene Therapieansätze, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können:
- Medikamentöse Therapie:
- Antineuropathische Schmerzmittel: Bei neuropathischen Schmerzen werden häufig Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Duloxetin) oder Antiepileptika (z. B. Gabapentin, Pregabalin) eingesetzt, die die Schmerzübertragung im Nervensystem beeinflussen.
- Muskelrelaxantien: Bei Spastik können Muskelrelaxantien wie Baclofen oder Tizanidin die Muskelspannung reduzieren und Krämpfe lindern.
- Antiepileptika: Bei paroxysmalen Symptomen wie der Trigeminusneuralgie können Antiepileptika wie Carbamazepin oder Lamotrigin eingesetzt werden, um die Nervenaktivität zu stabilisieren.
- Schmerzmittel: Bei akuten Schmerzen können Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen eingesetzt werden. Bei starken Schmerzen können auch Opioide in Betracht gezogen werden, allerdings sollten diese aufgrund ihres Suchtpotenzials nur kurzfristig und unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden.
- Nicht-medikamentöse Therapie:
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, Muskelverspannungen zu lösen, die Koordination zu verbessern und Fehlhaltungen zu korrigieren. Spezielle Übungen können die Muskelkraft stärken und die Beweglichkeit verbessern.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen und Hilfsmittel anzupassen, um Schmerzen zu reduzieren.
- Psychotherapie: Verhaltenstherapie kann helfen, den Umgang mit Schmerzen zu erlernen und negative Gedanken und Verhaltensweisen zu verändern. Entspannungstechniken wie autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation können helfen, Stress abzubauen und die Schmerzwahrnehmung zu reduzieren.
- Alternative Therapien: Einige MS-Patienten profitieren von alternativen Therapien wie Akupunktur, Massage oder Yoga.
- Invasive Therapie:
- Injektionen: Bei lokalisierten Schmerzen können Injektionen mit Lokalanästhetika oder Kortikosteroiden in die betroffenen Muskeln oder Gelenke helfen, die Schmerzen zu lindern.
- Nervenblockaden: Bei starken neuropathischen Schmerzen können Nervenblockaden durchgeführt werden, bei denen ein Lokalanästhetikum in die Nähe des betroffenen Nervs gespritzt wird, um die Schmerzübertragung zu blockieren.
- Operationen: In seltenen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um die Ursache der Schmerzen zu beheben, z. B. bei einer Trigeminusneuralgie.
Medikamentöse Therapie im Detail
- Carbamazepin: Carbamazepin ist ein Antiepileptikum, das häufig bei Trigeminusneuralgie eingesetzt wird. Es stabilisiert die Zellmembranen und hemmt die Reizübertragung zwischen Nerven. Mögliche Nebenwirkungen sind Benommenheit, Schwindel, Gangunsicherheit und Übelkeit.
- Gabapentin: Gabapentin ist ein weiteres Antiepileptikum, das bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden kann. Es beeinflusst die elektrisch-chemischen Abläufe im Gehirn und hemmt die Reizübertragung. Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit.
- Lamotrigin: Lamotrigin ist ebenfalls ein Antiepileptikum, das bei neuropathischen Schmerzen und paroxysmalen Symptomen eingesetzt werden kann. Es stabilisiert die Zellmembranen und hemmt die Reizübertragung. Mögliche Nebenwirkungen sind Hautausschlag, Juckreiz, Kopfschmerzen und Schwindel.
- 4-Aminopyridin: 4-Aminopyridin kann bei ausgeprägter Wärmeempfindlichkeit (Uhthoff-Phänomen) eingesetzt werden. Es beeinflusst die elektrisch-chemischen Abläufe im Gehirn und verbessert die Nervenleitgeschwindigkeit. Mögliche Nebenwirkungen sind Benommenheit, Übelkeit und Missempfindungen.
- Clonazepam: Clonazepam gehört zur Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine und wird normalerweise zur Krampfunterdrückung (Epilepsie) eingesetzt. Es wirkt allgemein dämpfend auf das Zentrale Nervensystem (ZNS). Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Mattigkeit, Schwindel und Konzentrationsstörungen.
- Propranolol: Propranolol ist ein unspezifischer Beta-Rezeptoren-Blocker, der nicht ausschließlich am Herzen wirkt. Auf welche Weise er gegen Zittern wirkt, ist nicht bekannt. Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel, Durchblutungsstörungen und Empfindungsstörungen.
- Primidon: Primidon gehört zur Wirkstoffgruppe der Barbiturate und ist ein Antiepileptikum, das krampflösend wirkt. Der Mechanismus der Wirkweise ist nicht bekannt. Mögliche Nebenwirkungen sind Gleichgewichts- und Sehstörungen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit und Zittern.
- Ondansetron: Ondansetron blockiert die Serotonin-Rezeptoren im Zentralen Nervensystem. Der Wirkstoff ist als Antiemetikum bekannt; er wird vor allem zur Behandlung von Erbrechen in der Tumor-Strahlentherapie oder nach Operationen eingesetzt. Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Verstopfung und Durchfall.
Nicht-medikamentöse Therapie im Detail
- Physiotherapie: Eine intensive Physiotherapie auf neurophysiologischer Grundlage (Bobath, propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation und andere) ist die Basis der Behandlung von Ataxie und Tremor.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen und Hilfsmittel anzupassen, um Schmerzen zu reduzieren.
- Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie autogenes Training oder die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson können helfen, Stress abzubauen und die Schmerzwahrnehmung zu reduzieren.
- Hilfsmittel: Gehstöcke, Rollatoren und spezielle Bestecke können den Alltag erleichtern.
- Eisanwendungen: Eisanwendungen (eine Minute Kältekompresse oder Eiswasserbad) können die Ataxie der Arme kurzfristig (für ca. 45 Minuten) bessern.
Invasive Therapie im Detail
- Thermokoagulation des Ganglion Gasseri: Bei schweren Fällen von Trigeminusneuralgie kann der Trigeminus-Nerv thermisch (Thermokoagulation des Ganglion Gasseri) oder chemisch (Glycerol-Injektion) teilweise ausgeschaltet werden.
- Stereotaktische Operation mit Stimulation der Stammganglien: Bei erheblichem Tremor bleibt als letzte Möglichkeit die stereotaktische Operation mit Stimulation der Stammganglien an spezialisierten Zentren. Dabei wird eine sehr dünne Sonde in einem bestimmten Gehirnareal (Thalamus) platziert, gleichzeitig ein Schrittmacher am Schlüsselbein unter der Haut eingesetzt und mit der Sonde verbunden. Vom Schrittmacher aus kann über die Sonde ein sehr schwacher elektrischer Strom verabreicht werden, der das Zittern verringert oder unterbindet.
Weitere Aspekte der Behandlung
Neben der spezifischen Schmerztherapie ist es wichtig, weitere Aspekte der MS-Behandlung zu berücksichtigen:
- Immuntherapie: Eine Immuntherapie kann den Verlauf der MS positiv beeinflussen und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen.
- Behandlung von Begleitsymptomen: Viele Folgesymptome der MS, wie z. B. Blasenstörungen, Fatigue oder Depressionen, können medikamentös oder mit anderen Maßnahmen behandelt werden.
- Lebensstilmodifikation: Regelmäßige körperliche Aktivität, eine gesunde Ernährung und der Verzicht auf Rauchen können den Verlauf der MS positiv beeinflussen.
Ernährung bei MS
Es gibt zwar keine spezifische MS-Diät, aber eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten kann dazu beitragen, das Wohlbefinden zu verbessern und die Symptome zu lindern. Zudem sollten Menschen mit Multipler Sklerose nicht rauchen. Rauchen ist ein Risikofaktor und die Betroffenen sollten alles daran setzen, die Nikotinsucht zu überwinden.
Fatigue bei MS
Fatigue, das Phänomen der Erschöpfung, ist ein häufiges Symptom bei MS. Betroffene fühlen sich matt und erschöpft, auch nach ausreichend Schlaf. elevida ist eine anerkannte digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) für Menschen mit MS und Fatigue. Das Online-Programm besteht aus verschiedenen Modulen, wie zum Beispiel Schlafmanagement oder Stressbewältigung. Ziel des Programms ist, Ihre Fatigue-Symptome zu lindern und Ihnen den Umgang mit ihnen zu erleichtern. Die Kosten übernimmt Ihre Krankenkasse. Voraussetzung hierfür ist ein Rezept, das Sie von Ihrem Arzt bekommen.
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Blasenstörungen bei MS
Neurogene Blasenstörungen gehören zu den häufigsten Begleiterscheinungen der MS. Sie können sich in häufigem Harndrang, Inkontinenz, verzögerter Blasenentleerung oder Restharnbildung äußern. Wichtig ist:regelmäßig ausreichend trinken (ca. 2 Liter über den Tag verteilt, sofern Herz und Nieren gesund sind)regelmäßige, auch vorbeugende ToilettengängeKontrolle von Trink- und Urinmenge durch ein TagebuchHarndrang nicht über längere Zeit unterdrücken (das Überkreuzen der Beine kann zur Verstärkung einer Spastik führen)Beckenbodengymnastik (kann in der Physiotherapie erlernt werden)
Umgang mit Schmerzen im Alltag
Schmerzen können den Alltag von MS-Patienten erheblich beeinträchtigen. Es ist wichtig, Strategien zu entwickeln, um mit den Schmerzen umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern:
- Schmerztagebuch führen: Ein Schmerztagebuch kann helfen, die Schmerzen besser zu verstehen und Auslöser zu identifizieren.
- Austausch mit anderen Betroffenen: Der Austausch mit anderen MS-Patienten in Selbsthilfegruppen oder Online-Foren kann helfen, sich nicht allein zu fühlen und von den Erfahrungen anderer zu profitieren.
- Professionelle Hilfe suchen: Ein multidisziplinäres Behandlungsteam, bestehend aus Neurologen, Schmerztherapeuten, Physiotherapeuten und Psychologen, kann helfen, die bestmögliche Behandlung zu finden.
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