Multiple Sklerose: Folgen und Komplikationen im Überblick

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie manifestiert sich bei jedem Betroffenen anders, was ihr den Beinamen „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ eingebracht hat. Die Erkrankung wird meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert, kann aber auch in der Kindheit oder im höheren Erwachsenenalter auftreten.

Auswirkungen der Multiplen Sklerose auf das Arbeitsleben

Die Diagnose MS wirft oft Fragen bezüglich der Arbeitsfähigkeit auf. Viele Betroffene sind lange Zeit arbeitsfähig, jedoch können Symptome die Arbeitstätigkeit phasenweise oder dauerhaft beeinträchtigen. Aus Angst vor Benachteiligung verschweigen einige ihre Erkrankung oder scheiden vorzeitig aus dem Beruf aus. Dies ist besonders problematisch, da MS häufig junge Erwachsene betrifft, die sich beruflich und sozial etablieren möchten. Ein frühzeitiger Ausstieg aus dem Berufsleben bedeutet für die Gesellschaft den Verlust von qualifizierten Arbeitskräften mit wertvoller Berufserfahrung.

Arbeitsgestaltung zur Unterstützung der Arbeitsfähigkeit

Individuell abgestimmte Maßnahmen können Barrieren abbauen, die Arbeitsfähigkeit unterstützen und dazu beitragen, das Arbeitsverhältnis langfristig zu sichern. Unternehmen können dafür finanzielle Unterstützung und fachliche Beratung erhalten. Die Broschüre „Und manchmal kribbeln meine Beine″ bietet praxisnahe Tipps und konkrete Handlungsempfehlungen zum Umgang mit MS im Berufsleben und richtet sich an Arbeitgeber, Arbeitsmediziner, Betroffene sowie deren Vorgesetzte und Kollegen.

Anpassung des Arbeitsumfelds und der Arbeitsorganisation

Um die berufliche Teilhabe von MS-Betroffenen zu verbessern, können Anpassungen des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und flexible Arbeitsmodelle hilfreich sein. Unternehmen, die Mitarbeiter mit MS einstellen oder beschäftigen, sollten sich fragen, wie sich die Erkrankung auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt und welche Risiken es gibt. Viele Menschen mit MS können ihren Beruf jahrelang ohne nennenswerte Komplikationen ausüben.

Offener Umgang mit der Erkrankung

Die Entscheidung, wie offen man mit der Erkrankung umgeht, hängt von der persönlichen Situation, den Auswirkungen am Arbeitsplatz und dem Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen ab. Ein offener Umgang kann sowohl negative als auch positive Folgen haben. Im schlimmsten Fall kann er zur Ausgrenzung oder krankheitsbedingten Kündigung führen. Die Frage nach einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ist erlaubt, wenn sie sich auf die Arbeitstätigkeit auswirkt.

Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt

Betriebliche Gestaltungsmöglichkeiten

Wenn Symptome die Leistungsfähigkeit einschränken, gibt es eine Reihe von betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten, um die Arbeitsbedingungen an die besonderen Bedürfnisse von Beschäftigten mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen anzupassen. Beispiele sind flexible Arbeitszeitregelungen, neue Qualifizierungen, spezielle Arbeitsmittel oder bauliche Veränderungen. Diese Maßnahmen können einzeln oder kombiniert umgesetzt werden und sind zum Teil mit geringem Zeit- und Kostenaufwand verbunden.

Technische und organisatorische Lösungsansätze

Technische Arbeitshilfen und Hilfsmittel für den Alltagsgebrauch spielen eine wichtige Rolle für die berufliche Teilhabe. Die Bandbreite der Hilfsmittel ist groß und reicht von behinderungsspezifischen Sonderanfertigungen bis hin zu handelsüblichen Produkten. Die Hilfsmittelversorgung in Deutschland ist komplex, daher können je nach persönlicher Situation und Verwendungszweck unterschiedliche Leistungsträger zuständig sein.

Symptome der Multiplen Sklerose

Die Symptome der MS sind vielfältig und können einzeln oder in Kombination auftreten, plötzlich verschwinden oder neu auftreten. Neben motorischen Ausfällen sind auch nicht direkt sichtbare Symptome wie kognitive Störungen oder Erschöpfungszustände (Fatigue) charakteristisch.

Motorische Störungen

Motorische Störungen können Muskelkraft, Beweglichkeit und Feinmotorik beeinträchtigen. Körperlich anstrengende Arbeiten, Zwangshaltungen oder langes Gehen sollten vermieden werden. Technische Hilfsmittel wie Mausersatzgeräte, Spezialtastaturen und optische/akustische Eingabegeräte können die Arbeit erleichtern.

Sehstörungen

Sehstörungen wie Doppelbilder, unscharfe Bilder, schmerzhafte Blickbewegungen oder eingeschränktes Farbensehen können die Sehkraft beeinträchtigen. Wärme kann die Sehstörungen verstärken (Uhthoff-Phänomen). Hilfsmittel wie Sprachausgabe für Uhren oder Kopiergeräte können die Arbeit erleichtern.

Lesen Sie auch: Wie man MS vorbeugen kann

Kognitive Störungen

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, visuell-räumliche Störungen oder eine verlangsamte Informationsverarbeitung können Anzeichen für kognitive Einschränkungen sein. Diktiergeräte und Erinnerungs-Apps können hier Abhilfe schaffen.

Fatigue

Die Fatigue kann stunden- bis tagelang dauern, im Tagesverlauf zunehmen oder sich bei Wärme und körperlicher Belastung verstärken (Uhthoff-Phänomen). Sie kann sich stark auf die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit auswirken.

Blasen- und Darmstörungen

Symptome wie verstärkter Harndrang, Verstopfung oder Inkontinenz können auftreten und zu Schlafstörungen führen.

Barrierefreiheit

Barrierefreiheit am Arbeitsplatz ist wichtig, damit Mitarbeitende ihren Arbeitsplatz selbstständig, sicher und ohne größere Probleme erreichen, Vorrichtungen bedienen und die persönliche Hygiene durchführen können. Passende Durchgangsbreiten und -höhen für Rollstuhlfahrende, feste Bodenbeläge sowie abgesenkte Bordsteinkanten sind zu beachten.

Verlaufsformen der Multiplen Sklerose

Die MS zeigt sich bei allen Betroffenen anders, die Symptome können sich außerdem im Verlauf der Erkrankung verändern. Fachleute unterscheiden bei der Multiplen Sklerose drei grundlegende Verlaufsformen, die ineinander übergehen können:

Lesen Sie auch: MS und Rückenschmerzen: Ein Überblick

Schubförmig-remittierende MS (RRMS)

Bei den meisten Betroffenen treten die ersten Symptome in Schüben auf und lassen zwischendurch wieder komplett oder teilweise nach. Bei etwa 80 Prozent der Patientinnen und Patienten beginnt die Erkrankung auf diese Weise im jungen Erwachsenenalter. Von einer aktiven RRMS spricht man, wenn sich Krankheitsaktivität zeigt. Das bedeutet, dass die Betroffenen gerade einen Schub erleben und/oder die Magnetresonanztomografie (MRT) neue oder sich vergrößernde Läsionen zeigt oder aber Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen (aktive Entzündungsherde) zu erkennen sind.

Sekundär-progrediente MS (SPMS)

Eine ursprünglich schubförmig verlaufende Multiple Sklerose (RRMS) entwickelt sich häufig nach 10 bis 20 Jahren in ihrem Verlauf: Die Beschwerden verändern sich bei etwa 15 Prozent der Betroffenen langsam und kommen weniger in Schüben, sondern bleiben länger oder sogar dauerhaft. Demnach lässt sich bei einer SPMS mit den Begriffen „aktiv“ und „progredient“ der Verlaufstyp genauer charakterisieren. Unter „Aktivität“ versteht man das Auftreten von Schüben und/oder eine MRT-Aktivität (wie bei der schubförmig remittierenden MS). Mit „Progression“ ist eine schub-unabhängige und objektiv messbare Zunahme der Behinderung in einem definierten Zeitraum gemeint.

Primär-progrediente MS (PPMS)

Mediziner bezeichnen den Multiple-Sklerose-Verlauf als primär progredient (oder primär chronisch-progredient), wenn sich die Symptome und der Krankheitszustand von Anfang an schleichend verschlechtern. Vereinzelt treten zusätzlich Schübe auf. Außerdem gibt es auch hier zum Teil Krankheitsphasen, in denen die Erkrankung gewissermaßen stillsteht und nicht fortschreitet.

Komorbiditäten bei Multipler Sklerose

Eine Multiple Sklerose schützt nicht vor zusätzlichen anderen Erkrankungen, sogenannten Komorbiditäten. Komorbiditäten können den Verlauf der MS ungünstig beeinflussen und umgekehrt. Ihre Erkennung und Behandlung ist daher sehr wichtig.

Häufige Komorbiditäten

Die häufigsten Komorbiditäten bei Menschen mit MS sind Depressionen, Angsterkrankungen, Bluthochdruck, erhöhte Blutfette und chronische Lungenerkrankungen. Seltener sind Schlaganfälle, Epilepsie, andere Autoimmunerkrankungen und Schmerzerkrankungen.

Einfluss von Komorbiditäten auf die MS

Komorbiditäten können sich negativ auf die Lebensumstände und die Lebensqualität von Menschen mit MS auswirken und die Diagnosestellung der MS verzögern. Sie können auch das Risiko für Schübe und eine Zunahme körperlicher Einschränkungen erhöhen.

Suchterkrankung Rauchen

Rauchen ist ein Risikofaktor für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen. Zudem ist Rauchen nicht nur ein Risikofaktor für die Neuentstehung einer MS, sondern auch für deren Voranschreiten bei bereits bestehender Erkrankung.

Behandlung von Komorbiditäten

Es ist wichtig, dass Komorbiditäten erkannt und entsprechend dem aktuellen wissenschaftlichen Stand behandelt werden. Therapien von Komorbiditäten können positive Einflüsse auf die MS und deren Symptome haben, aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. Bei der Therapie von Komorbiditäten ist also die MS immer mitzubedenken.

Diagnose der Multiplen Sklerose

Eine MS-Diagnose zu stellen, ist nicht einfach. Weil so viele unterschiedliche Symptome vorkommen können, gibt es nicht den einen „MS-Test“, der zweifelsfrei beweist, dass eine Multiple Sklerose vorliegt. Multiple Sklerose ist daher eine sogenannte Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, dass verschiedenen Untersuchungen gemacht werden. Entscheidend ist, dass sich Entzündungsherde an mehreren Stellen im Gehirn oder Rückenmark nachweisen lassen. Dafür wird eine Magnetresonanz-Tomographie (MRT) des Kopfes durchgeführt. Weitere wichtige Untersuchungen zur Bestätigung einer MS-Diagnose sind die Untersuchung des Nervenwassers mittels einer Lumbalpunktion sowie Messungen von Sehnerven (VEP) und Nervenbahnen (SEP).

Therapie der Multiplen Sklerose

Die Multiple Sklerose ist eine komplexe Erkrankung mit vielen Erscheinungsbildern - und entsprechend individuell ist die Therapie. Sie setzt an verschiedenen Ebenen an. Damit die Beschwerden bei einem Schub schneller abklingen, hilft zunächst Cortison als Infusion oder Tablette. Auch ist wichtig, wie gut Betroffene Cortison bei vorherigen Behandlungen vertragen haben und wie wirksam es war. Berücksichtigt werden zudem Begleiterkrankungen und ob es Gründe gibt, die im Einzelfall gegen den Einsatz von Cortison sprechen. Seltener und unter bestimmten individuellen Voraussetzungen kann auch eine Blutwäsche zur Anwendung kommen. Dabei entfernt man jene körpereigenen Immunzellen, die die Entzündung verursachen.

Immuntherapie

Einfluss auf den Langzeitverlauf der Multiplen Sklerose nimmt man mit einer sogenannten Immuntherapie. Hier hat es in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte bei der Entwicklung von Medikamenten gegeben. Die Immuntherapie beeinflusst bei MS das fehlgesteuerte Immunsystem, indem sie dieses verändert (immunmodulierend) oder dämpft (immunsuppressiv). Am wirksamsten sind speziell entwickelte Antikörper. Sie verhindern das Eindringen von bestimmten Immunzellen ins Gehirn oder reduzieren ihre Konzentration im Blut. Dadurch können diese Zellen keine Entzündungen mehr auslösen. Mittlerweile gibt es gut 20 Immuntherapie-Mittel (Stand: April 2023), einige davon auch für die sekundär oder primär progrediente MS. Das ermöglicht weitgehend individuell zugeschnittene Behandlungspläne. Ob man eine Immuntherapie beginnt und mit welchem Medikament, hängt an einer Vielzahl von Faktoren. Dabei geht es um Aspekte wie Krankheitsverlauf, Familienplanung oder das individuelle Risikoprofil. Grundsätzlich wird empfohlen, bei allen Menschen mit MS eine Immuntherapie zu beginnen. Immuntherapien können die MS nicht heilen, aber ihren Verlauf stark verbessern. Manchmal werden daher auch die Begriffe „verlaufsmodifizierend“ oder „verlaufsverändernde“ Therapien verwendet.

Anpassung des Lebensstils

Im täglichen Leben gibt es einiges, dass die Multiple Sklerose günstig beeinflussen kann. Ein wesentliches Element ist regelmäßige körperliche Aktivität. Ein Spaziergang oder eine Wanderung, eine Fahrradtour oder ähnliche Aktivitäten im Freien haben außerdem gleich mehrere positive Effekte: Man bewegt sich und kann schon durch kurzen, aber regelmäßigen Aufenthalt in der Sonne etwas gegen einen Vitamin-D-Mangel tun. Aber auch gezieltes Training ist wichtig. Ein weiterer wichtiger Baustein, den jeder selbst in der Hand hat, ist die Umstellung auf eine gesunde Ernährung. Selbst zubereitete Mischkost mit viel Obst und Gemüse, Fisch und Vollkornprodukten, aber wenig Zucker und Salz, tierischen Fetten und Zusatzstoffen (wie in verarbeiteten Lebensmitteln) hat positive Effekte. Zudem sollten Menschen mit Multipler Sklerose nicht rauchen. Rauchen ist ein Risikofaktor und die Betroffenen sollten alles daran setzen, die Nikotinsucht zu überwinden.

Leben mit Multipler Sklerose

Multiple Sklerose ist eine chronische Erkrankung. Eine ursächliche Therapie, also ein Medikament, das Multiple Sklerose (MS) heilt, gibt es noch nicht. Aber: Mithilfe der zahlreichen Therapieoptionen und der aktiven Vermeidung von Risikofaktoren und Umstellung seines Lebensstils lässt sich die Erkrankung heute gut kontrollieren. Die allermeisten Menschen mit Multipler Sklerose (MS) können ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen und lange Zeit mobil bleiben. Multiple Sklerose steht grundsätzlich weder einer Ausbildung noch der Berufsausübung, Freundschaften, Sport, sozialen Kontakten oder der Gründung einer Familie im Wege.

Schwangerschaft bei MS

Während der Schwangerschaft nimmt die Wahrscheinlichkeit für einen Schub ab. In den ersten drei Monaten nach der Geburt nimmt sie zu. Stillen scheint vor Schüben zu schützen. MS-Medikamente können sich auf das ungeborene Kind auswirken, weswegen besondere Vorsicht geboten ist. Nicht jedes Medikament darf in der Schwangerschaft gegeben werden. Eine Schwangerschaft sollte daher möglichst in einer stabilen Phase der Erkrankung geplant und Medikamente eher abgesetzt werden - zumal sie, wie oben beschrieben, einen gewissen Schutz vor Schüben bietet. Die Therapie eines schweren Schubes mit Kortison ist in der Schwangerschaft ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel möglich. Wenn Kortison im ersten Schwangerschaftsdrittel gegeben wird, besteht ein erhöhtes Risiko, dass das Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren wird. Die meisten Immuntherapien werden allerdings über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben, was die Entscheidung über einen Therapiebeginn verkompliziert.

tags: #Multiple #Sklerose #Folgen #Komplikationen