Multiple Sklerose bei Frauen: Symptome, Diagnose und Behandlung

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie manifestiert sich meist im jungen Erwachsenenalter und tritt bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger auf als bei Männern. Die MS ist durch vielfältige Symptome und unterschiedliche Verläufe gekennzeichnet, was die Diagnose erschweren kann. Moderne Therapien können den Krankheitsverlauf jedoch günstig beeinflussen und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem fälschlicherweise Bestandteile des zentralen Nervensystems angreift. Insbesondere werden die Myelinschicht, die Nervenfasern umhüllt, und die Nervenzellen selbst attackiert. Diese Angriffe führen zu Entzündungen und Schädigungen, die als Läsionen oder Entzündungsherde bezeichnet werden. Die Schädigung der Myelinschicht beeinträchtigt die Nervenleitgeschwindigkeit, was zu vielfältigen neurologischen Symptomen führen kann.

Formen der Multiplen Sklerose

Man unterscheidet hauptsächlich drei Verlaufsformen der MS:

  • Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Dies ist die häufigste Form, bei der sich die Erkrankung in Schüben verschlechtert, gefolgt von Phasen der teilweisen oder vollständigen Erholung (Remission).
  • Sekundär progrediente MS (SPMS): Diese Form entwickelt sich oft aus der RRMS, wobei die Symptome fortschreiten und sich zwischen den Schüben nicht mehr vollständig zurückbilden.
  • Primär progrediente MS (PPMS): Diese Form ist durch einen von Beginn an langsam fortschreitenden Verlauf gekennzeichnet, ohne deutliche Schübe.

Zudem gibt es das Klinisch isolierte Syndrom (KIS), bei dem ein Mensch einen Krankheitsschub mit MS-typischen Beschwerden hat, aber noch nicht alle Kriterien für eine MS-Diagnose erfüllt. Das Radiologisch isolierte Syndrom (RIS) beschreibt Zufallsbefunde von MS-typischen Läsionen im MRT bei Menschen ohne bisherige MS-verdächtige Symptome. Sowohl KIS als auch RIS können Vorstufen einer Multiplen Sklerose sein.

Wie häufig ist Multiple Sklerose?

Weltweit sind mehr als zwei Millionen Menschen an MS erkrankt, in Deutschland sind es etwa 280.000. Die meisten Betroffenen erhalten die Diagnose zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Frauen sind von der schubförmigen MS zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. Studien deuten darauf hin, dass die Häufigkeit der MS in den nächsten Jahren weiter steigen wird, was möglicherweise auf Änderungen in der Lebensweise und verbesserte Diagnoseverfahren zurückzuführen ist.

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Risikofaktoren für die Entstehung der Multiplen Sklerose

Die genauen Ursachen der MS sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren eine Rolle spielt. Zu den möglichen Risikofaktoren gehören:

  • Genetische Veranlagung: Es gibt nicht das "eine" MS-Gen, sondern eine Vielzahl von Genen, die das Risiko erhöhen können.
  • Virusinfektionen: Insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV) wird mit einem erhöhten MS-Risiko in Verbindung gebracht.
  • Rauchen: Rauchen gilt als ein etablierter Risikofaktor für MS.
  • Übergewicht: Übergewicht in der Kindheit kann das Risiko ebenfalls erhöhen.
  • Darmflora: Die Zusammensetzung der Darmflora könnte eine Rolle spielen.
  • Vitamin D-Mangel und geringe Sonneneinstrahlung: sie werden als mögliche Risikofaktoren diskutiert.

Symptome der Multiplen Sklerose bei Frauen

Die MS wird oft als die "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet, da sie eine Vielzahl von Symptomen verursachen kann, die von Person zu Person unterschiedlich sind. Die Symptome können plötzlich auftreten oder sich langsam entwickeln und im Verlauf der Erkrankung variieren. Einige der häufigsten Symptome bei Frauen mit MS sind:

  • Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppelbilder, eingeschränktes Farbensehen oder Schmerzen bei Augenbewegungen können auf eine Sehnervenentzündung hindeuten. Viele Menschen mit MS geben Sehstörungen als erstes Symptom an.
  • Gefühlsstörungen: Taubheitsgefühl, Kribbeln, Missempfindungen oder Schmerzen in verschiedenen Körperteilen, oft auf einer Körperhälfte, treten häufig als frühes Symptom auf.
  • Kraftlosigkeit: Schwäche oder Lähmungen in Armen oder Beinen, die zu Schwierigkeiten beim Gehen, Greifen oder anderen Bewegungen führen können.
  • Gleichgewichtsstörungen und Schwindel: Diese können durch Beeinträchtigungen in Gehirnbereichen entstehen, die für Koordination und Gleichgewicht zuständig sind.
  • Erhöhte Muskelanspannung (Spastik): Steifigkeit und Krämpfe in den Muskeln, insbesondere in den Beinen, können die Beweglichkeit einschränken und Schmerzen verursachen.
  • Fatigue: Ausgeprägte Erschöpfung, Müdigkeit und Antriebsschwäche, die sowohl körperliche als auch geistige Aktivitäten beeinträchtigen können.
  • Blasen- und Darmstörungen: Häufiger Harndrang, Inkontinenz, Verstopfung oder andere Störungen der Blasen- und Darmfunktion können auftreten.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrations-, Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen können die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.
  • Sexuelle Störungen: Veränderungen im sexuellen Verlangen, Erregungsstörungen oder Schwierigkeiten beim Erreichen eines Orgasmus können auftreten.
  • Depressionen und Stimmungsschwankungen: Psychische Probleme wie Depressionen, Angstzustände oder Reizbarkeit können häufiger auftreten.

Frühwarnzeichen und Prodromale Symptome

Es gibt Hinweise darauf, dass sich eine MS durch verschiedene Frühwarnzeichen ankündigen kann, die Jahre vor der Diagnose auftreten können. Diese sogenannten prodromalen Symptome sind vielfältig und können Blasen- oder Darmstörungen, Schmerzen, Depressionen, Schlafstörungen, Fatigue, Gangstörungen und Missempfindungen der Haut umfassen. Einige betroffene Frauen empfinden diese Beschwerden sogar als so schwerwiegend, dass sie auf ihren Kinderwunsch verzichten.

Diagnose der Multiplen Sklerose

Die Diagnose der MS kann aufgrund der vielfältigen Symptome und des oft unvorhersehbaren Verlaufs eine Herausforderung darstellen. Es gibt keinen einzelnen Test, der die MS eindeutig beweist. Stattdessen stützt sich die Diagnose auf eine Kombination aus:

  • Anamnese und neurologische Untersuchung: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte des Patienten, einschließlich der aktuellen Symptome, Vorerkrankungen und familiären Vorbelastung. Anschließend erfolgt eine umfassende neurologische Untersuchung, um die Funktion des Nervensystems zu beurteilen.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Das MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Aufnahmen von Gehirn und Rückenmark liefert. Es ermöglicht den Nachweis von Entzündungsherden (Läsionen), die für MS typisch sind. Die räumliche und zeitliche Verteilung der Läsionen ist ein wichtiges Kriterium für die Diagnose.
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Bei einer Lumbalpunktion wird Nervenwasser aus dem Rückenmarkkanal entnommen und auf Entzündungszeichen untersucht. Das Vorhandensein von Entzündungszellen und oligoklonalen Banden (OKB) im Liquor kann auf eine MS hindeuten.
  • Evozierte Potentiale: Diese Messungen überprüfen die Funktion von Nervenbahnen, indem sie die Nervenleitgeschwindigkeit nach Stimulation mit visuellen (VEP) oder sensiblen (SEP) Reizen messen. Bei MS kann die Nervenleitgeschwindigkeit verlangsamt sein.
  • Blutuntersuchungen: Es gibt keinen spezifischen Bluttest für MS. Blutuntersuchungen dienen jedoch dazu, andere Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome verursachen können.

Die Diagnosekriterien für MS, die sogenannten McDonald-Kriterien, wurden entwickelt, um die Diagnose zu standardisieren und zu erleichtern.

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Behandlung der Multiplen Sklerose

Obwohl die MS derzeit nicht heilbar ist, gibt es eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten, die darauf abzielen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen, Schübe zu reduzieren und die Symptome zu lindern. Die Behandlung der MS ist sehr individuell und wird auf die spezifischen Bedürfnisse und den Verlauf der Erkrankung jedes Patienten zugeschnitten.

Akuttherapie bei Schüben

  • Kortikosteroide (Kortison): Bei einem akuten Schub werden häufig hochdosierte Kortikosteroide als Infusion oder Tablette eingesetzt, um die Entzündung zu hemmen und die Symptome zu lindern.
  • Plasmapherese (Blutwäsche): In schweren Fällen, in denen Kortikosteroide nicht ausreichend wirksam sind, kann eine Plasmapherese in Erwägung gezogen werden, um Entzündungsstoffe und Immunprodukte aus dem Blut zu entfernen.

Immuntherapie (Verlaufsmodifizierende Therapie)

Die Immuntherapie zielt darauf ab, das Immunsystem zu modulieren oder zu unterdrücken, um die Entzündungsaktivität im zentralen Nervensystem zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt eine Vielzahl von immuntherapeutischen Medikamenten, die sich in ihrer Wirkweise, Wirksamkeit und ihren Nebenwirkungen unterscheiden. Die Auswahl des geeigneten Medikaments hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. dem Krankheitsverlauf, der Krankheitsaktivität, dem Vorhandensein von Begleiterkrankungen und den individuellen Präferenzen des Patienten.

Zu den gängigen immuntherapeutischen Medikamenten gehören:

  • Interferon-beta: Interferone sind natürliche Proteine, die das Immunsystem modulieren und die Entzündungsaktivität reduzieren können.
  • Glatirameracetat: Dieses Medikament wirkt ebenfalls immunmodulatorisch und kann die Häufigkeit von Schüben reduzieren.
  • Fumarate (z.B. Dimethylfumarat): Fumarate haben entzündungshemmende und neuroprotektive Eigenschaften.
  • Sphingosin-1-phosphat (S1P)-Modulatoren (z.B. Fingolimod, Ozanimod, Siponimod): Diese Medikamente verhindern, dass bestimmte Immunzellen (Lymphozyten) aus den Lymphknoten ins Blut und ins Gehirn gelangen, wodurch die Entzündung im zentralen Nervensystem reduziert wird.
  • Monoklonale Antikörper (z.B. Natalizumab, Ocrelizumab, Rituximab, Alemtuzumab): Monoklonale Antikörper sind gentechnisch hergestellte Proteine, die spezifisch an bestimmte Immunzellen oder Moleküle binden und deren Funktion blockieren können. Sie sind oft sehr wirksam, können aber auch mit einem höheren Risiko für Nebenwirkungen verbunden sein.

Symptomatische Therapie

Neben der Akut- und Immuntherapie spielt die symptomatische Therapie eine wichtige Rolle bei der Behandlung der MS. Sie zielt darauf ab, die verschiedenen Symptome der Erkrankung zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Zu den häufig eingesetzten symptomatischen Therapien gehören:

  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft, Koordination, Balance und Beweglichkeit zu verbessern.
  • Ergotherapie: Ergotherapie unterstützt die Patienten bei der Bewältigung von Alltagsaktivitäten und der Anpassung an körperliche Einschränkungen.
  • Logopädie: Logopädie kann bei Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen helfen.
  • Medikamente: Verschiedene Medikamente können zur Behandlung von Spastik, Schmerzen, Fatigue, Blasenstörungen, Depressionen und anderen MS-Symptomen eingesetzt werden.

Weitere wichtige Aspekte der Behandlung

  • Regelmäßige körperliche Aktivität: Sport und Bewegung können die körperliche und geistige Gesundheit verbessern und die Symptome der MS lindern.
  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten kann die allgemeine Gesundheit fördern und das Immunsystem stärken.
  • Vitamin-D-Spiegel: Ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel ist wichtig für die Immunfunktion und kann möglicherweise das Risiko für MS-Schübe reduzieren.
  • Nichtrauchen: Rauchen ist ein Risikofaktor für MS und sollte vermieden werden.
  • Psychologische Unterstützung: Psychologische Beratung oder Therapie kann helfen, mit den emotionalen und psychischen Belastungen der MS umzugehen.

Multiple Sklerose und Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft nimmt die Wahrscheinlichkeit für MS-Schübe tendenziell ab. In den ersten Monaten nach der Geburt steigt sie jedoch wieder an. Stillen scheint vor Schüben zu schützen. MS-Medikamente können sich auf das ungeborene Kind auswirken, weswegen besondere Vorsicht geboten ist. Nicht jedes Medikament darf in der Schwangerschaft gegeben werden. Eine Schwangerschaft sollte daher möglichst in einer stabilen Phase der Erkrankung geplant und Medikamente eher abgesetzt werden - zumal sie, wie oben beschrieben, einen gewissen Schutz vor Schüben bietet. Die Therapie eines schweren Schubes mit Kortison ist in der Schwangerschaft ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel möglich. Wenn Kortison im ersten Schwangerschaftsdrittel gegeben wird, besteht ein erhöhtes Risiko, dass das Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren wird. Die meisten Immuntherapien werden allerdings über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben, was die Entscheidung über einen Therapiebeginn verkompliziert.

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Lebenserwartung bei Multipler Sklerose

Die Lebenserwartung von Menschen mit MS hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Mit den modernen Therapien können viele Betroffene ein nahezu normales Leben führen. Schwerere Verläufe können jedoch Komplikationen wie Thrombosen oder Lungenentzündungen begünstigen, die die Lebenserwartung verkürzen können.

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