Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die vor allem junge Erwachsene betrifft und häufig zu Berufsunfähigkeit führt. Der Krankheitsverlauf ist individuell verschieden. Im Fokus dieses Artikels stehen die Ursachen von MS, insbesondere im Zusammenhang mit Gangstörungen, sowie die verschiedenen Therapieansätze.
Ursachen und Entstehung von Multipler Sklerose
Die genauen Ursachen der Multiplen Sklerose sind bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischer Veranlagung, Umweltfaktoren und einer daraus resultierenden immunologischen Dysregulation eine entscheidende Rolle spielt. Dabei kommt es zu entzündlichen und degenerativen Veränderungen im Gehirn und Rückenmark.
Man unterscheidet hauptsächlich zwei Verlaufsformen:
- Schubförmig verlaufende MS: Hierbei treten die Symptome in Schüben auf, gefolgt von Phasen der teilweisen oder vollständigen Erholung.
- Schleichend progrediente MS: Diese Form ist durch eine kontinuierliche Verschlechterung der Symptome gekennzeichnet, ohne deutliche Schübe.
Frauen sind etwa doppelt so häufig von MS betroffen wie Männer. Eine frühzeitige Diagnose und Abgrenzung gegenüber anderen neurologischen Erkrankungen ist entscheidend, um gegebenenfalls mit einer immunmodulatorischen Behandlung zu beginnen.
Symptome der Multiplen Sklerose
Die Symptome der Multiplen Sklerose sind vielfältig und hängen von der Lokalisation der Entzündungsherde im zentralen Nervensystem ab. Sie können plötzlich (subakut) innerhalb von Stunden bis Tagen auftreten. Typische Symptome sind:
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- Sehstörungen: Verschwommensehen, Augenschmerzen bei Augenbewegungen, Gesichtsfeldausfälle, Doppeltsehen.
- Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Taubheitsgefühle und andere Missempfindungen.
- Koordinations- und Sprechstörungen.
- Blasen- und Mastdarmstörungen.
- Lähmungen.
- Gangstörungen.
- Fatigue: Chronische Erschöpfbarkeit.
Diagnose von Multipler Sklerose
Zur Diagnose der Multiplen Sklerose werden verschiedene Untersuchungen herangezogen:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Symptome.
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der neurologischen Funktionen.
- Kernspintomographie (MRT) von Gehirn und Rückenmark: Darstellung von Entzündungsherden.
- Evozierte Potentiale: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit.
- Liquordiagnostik: Untersuchung des Nervenwassers.
Zudem müssen andere Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ähnliche Symptome verursachen können.
Gangstörungen bei Multipler Sklerose
Gangstörungen sind ein häufiges und beeinträchtigendes Symptom bei Menschen mit Multipler Sklerose. Sie können die Alltagsaktivitäten, die berufliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität erheblich einschränken. Betroffene berichten, dass Gangstörungen eines der größten Probleme im Zusammenhang mit ihrer MS-Erkrankung darstellen. Die Steigerung der Gehfähigkeit und -geschwindigkeit, Ausdauer, Gangsicherheit und Balance, Verringerung des Sturzrisikos sowie Verbesserung von Alltagsaktivitäten und Lebensqualität sind wichtige Ziele der Therapie.
Ursachen von Gangstörungen
Bei Multipler Sklerose sind Gangstörungen meist auf eine Kombination verschiedener Faktoren zurückzuführen:
- Muskelschwäche: MS kann zu einer Schwächung der Beinmuskulatur führen, was das Gehen erschwert. Sarkopenie, der Verlust von Muskelmasse und Kraft im Alter, kann die Problematik verstärken.
- Spastik: Erhöhte Muskelspannung (Spastik) kann die Bewegungsabläufe stören und zu einem steifen Gangbild führen.
- Koordinationsstörungen: MS kann die Koordination der Bewegungen beeinträchtigen, was zu einem unsicheren Gang führt.
- Sensibilitätsstörungen: Missempfindungen oder Taubheitsgefühle in den Beinen können das Gangbild ebenfalls beeinträchtigen.
- Gleichgewichtsstörungen: Probleme mit dem Gleichgewicht können zu Unsicherheit beim Gehen und erhöhter Sturzgefahr führen.
- Fatigue: Die chronische Erschöpfung (Fatigue), die häufig bei MS auftritt, kann die Gehfähigkeit zusätzlich einschränken.
- Schmerzen: Schmerzen in den Beinen oder im Rücken können das Gangbild ebenfalls beeinflussen.
- Kognitive Beeinträchtigungen: Im Rahmen einer Demenzentwicklung ist eine Bewegungseinschränkung im Verlauf meist vorhanden. Messbar wird sie zunächst durch das Phänomen „stops walking when talking“, also die Fähigkeit, gleichzeitig zu laufen und zu sprechen.
- Psychische Faktoren: Nicht körperliche Störungen, sondern psychische Beeinträchtigungen sind die Auslöser.
Erscheinungsformen von Gangstörungen
Gangstörungen können sich auf unterschiedliche Weise äußern:
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- Verlangsamtes Gangbild: Die Gehgeschwindigkeit ist reduziert.
- Unsicherer Gang: Das Gehen wirkt instabil und schwankend.
- Breitbeiniger Gang: Die Füße werden weiter auseinandergesetzt als normal.
- Kleinschrittiger Gang (Trippelschritte): Kurze, schnelle Schritte.
- Storchengang: Der Fuß wird beim Laufen hoch angehoben, um ein Hängenbleiben der Fußspitze zu vermeiden (oft bei Schädigung des Wadenbeinnervs).
- Schleppender Gang: Ein oder beide Füße werden beim Gehen über den Boden geschleift.
- Schonhaltungen: Durch die Einschränkungen können sich zusätzlich Schonhaltungen entwickeln, wie das Hochziehen und Anspannen der Schultern, das Verdrehen oder Beugen des Oberkörpers. Sie verursacht durch jahrelange Überlastung von Knochen und Knorpeln eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung und bei starker Ausprägung auch eine Deformierung der Gelenke.
Therapie von Multipler Sklerose
Die Behandlung eines akuten Schubs erfolgt in der Regel mit hochdosierten Kortikosteroiden ("Kortison"). Bei schweren Schüben oder unzureichender Rückbildung trotz Steroidgabe kann eine Plasmapherese ("Blutwäsche") in Erwägung gezogen werden. Da Multiple Sklerose eine chronische Erkrankung ist, ist in vielen Fällen eine vorbeugende Behandlung erforderlich, um die Wahrscheinlichkeit neuer Schübe oder eine weitere Krankheitsprogression zu verringern. Hierzu kommen neben Präparaten der Basisbehandlung (Interferone, Glatirameracetat) auch Medikamente der Eskalationsbehandlung (Natalizumab, Fingolimod, Mitoxantron, Cyclophosphamid) zum Einsatz. Zusätzlich kann eine Symptom-orientierte Behandlung ("symptomatische Therapie") von MS-Folgen, wie z.B. Spastik, Koordinationsstörungen, Blasenstörungen, Schmerzen und Gangstörung erfolgen. Hierzu stehen mehrere medikamentöse Therapieoptionen zur Verfügung.
Therapie von Gangstörungen
Die Therapie von Gangstörungen bei MS zielt darauf ab, die Gehfähigkeit, die Ausdauer, die Balance und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es stehen sowohl nicht-medikamentöse als auch medikamentöse Therapieansätze zur Verfügung.
Nicht-medikamentöse Therapie
- Gangtraining: Regelmäßiges, therapeutisch angeleitetes Gangtraining ist eine der erfolgreichsten Methoden zur Verbesserung der Gehfähigkeit. Es kann als konventionelles Gangtraining oder auf dem Laufband durchgeführt werden. Schwer betroffene Patienten können von einem Roboter-assistierten Laufbandtraining profitieren. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist eine genaue Befundung.
- Krafttraining: Gezieltes Krafttraining bestimmter Muskelgruppen kann die Muskulatur stärken und die Gehfähigkeit verbessern.
- Gleichgewichtstraining: Spezielles Gleichgewichtstraining, gegebenenfalls ergänzt durch Tai Chi, dient der Verbesserung der Balance und der Reduktion der Sturzgefahr.
- Rhythmisch-auditive Stimulation (RAS): RAS wird angewendet, um zyklische Bewegungen, wie das Gehen, zu erleichtern. Dabei werden rhythmische auditive Signale, wie Metronomtakt, Musik, rhythmische verbale Signale oder deren Kombination, genutzt. Studien haben gezeigt, dass das Gangtraining mit RAS die Gehfunktion bei Menschen mit neurologischen Erkrankungen, darunter Rückenmarksverletzungen, Schlaganfall, Parkinsonsyndrom und MS, verbessert.
- Mentales Gangtraining (Motor Imagery): In einer randomisierten kontrollierten Studie wurde ein mentales Gangtraining (sog. Motor Imagery) mit Musik oder Metronomsignalen, begleitet von verbalem Cueing, bei Patient:innen mit MS mit geringer bis moderater Behinderung (Expanded Disability Status Scale, EDSS 1,5-4,5) verwendet. Die Ergebnisse zeigten signifikante Verbesserungen bei der Gehgeschwindigkeit, der Gehstrecke und der subjektiven Gehfähigkeit nach dem mentalen Gangtraining mit Musik sowie Metronom im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Medikamentöse Therapie
- Fampridin: Seit Juli 2011 ist Fampridin zur medikamentösen Behandlung von Gangstörungen bei MS zugelassen. Es kann vor allem bei eingeschränkter, aber noch vorhandener Gehfähigkeit zusätzlich zum Gangtraining eingesetzt werden.
- Weitere Medikamente: Je nach Ursache der Gangstörung können weitere Medikamente zur Anwendung kommen, z.B. zur Behandlung von Spastik oder Schmerzen.
Ergänzende Maßnahmen
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Beweglichkeit zu verbessern, die Muskulatur zu stärken und die Koordination zu schulen.
- Ergotherapie: Ergotherapie unterstützt den Patienten, seinen Alltag zu meistern und trotz bestehender Einschränkungen sich so viel wie möglich an Selbstständigkeit zu erhalten.
- Hilfsmittel: In manchen Fällen können Hilfsmittel wie Gehstöcke oder Rollatoren die Mobilität erleichtern.
Rehabilitation
Die Rehabilitation orientiert sich ebenfalls an der auslösenden Erkrankung.
Patientenaufklärung
Der Patient wird über die Hintergründe seiner Erkrankung und deren Symptome informiert. Er lernt, mit der Krankheit umzugehen, und erfährt, wie er selbst seine Gesundheit stärken kann.
Prognose
Die Prognose von Gangstörungen bei MS hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Ursache der Gangstörung, dem Schweregrad der Erkrankung und dem Ansprechen auf die Therapie. Bei Erkrankungen, die nicht heilbar sind, wie Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose, kann sich die medikamentöse Linderung der Symptome auch positiv auf das Gangbild ausüben.
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