Medikamente, die bei Multipler Sklerose kontraindiziert sind: Eine umfassende Liste

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der die Isolierschicht um die Nervenfasern (Myelin) angegriffen wird. Dies kann zu einer Vielzahl von neurologischen Symptomen führen, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind. Die Behandlung der MS zielt darauf ab, die Entzündung zu reduzieren, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten, die zur Behandlung der MS eingesetzt werden können. Einige Medikamente können jedoch bei MS-Patienten kontraindiziert sein, d.h. sie sollten nicht angewendet werden, da sie die Symptome verschlimmern oder andere gesundheitliche Probleme verursachen können.

Einführung

Seit der Einführung von Interferonen Mitte der 1990er-Jahre ist es gelungen, eine Vielzahl immunmodulatorischer bzw. immunsuppressiver verlaufsmodifizierender Therapien („disease-modifying therapies“, DMTs) für die schubförmig remittierende multiple Sklerose („relapsing-remitting MS“, RRMS) zu entwickeln. Sie zeigten in Studien positive Effekte auf klinische Endpunkte wie Schubratenreduktion und Behinderungsprogression. Jedoch besitzen die DMTs relevante Nebenwirkungsprofile, die es nötig machen, die Patienten umfassend aufzuklären. Im Einzelfall können diese Nebenwirkungsprofile erheblich sein und den Patienten vital gefährden, weshalb Kenntnisse dieser unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs) essenziell sind für verschreibende Neurologen, jedoch auch für die hausärztliche Versorgung, da sie keineswegs nur neurologische Komplikationen umfassen. Entsprechend gilt es, die individuellen Therapieverläufe eng zu überwachen und den individuellen Nutzen der Therapie gegen die Risiken abzuwägen, so beispielsweise bei insuffizientem Ansprechen (fehlende ausreichende Schubratenreduktion oder Fortschreiten der Behinderung) eine medikamentöse Umstellung in Erwägung zu ziehen.

Medikamente, die bei MS kontraindiziert sein können

Die UAWs sind vielfältig und umfassen unter anderem dermatologische Veränderungen, Veränderungen der Schilddrüsenhomöostase und des Blutbildes sowie ophthalmologische, kardiovaskuläre, hepatische und gastroenterologische Komplikationen. Darüber hinaus wurde für einzelne Therapeutika eine mögliche Häufung neoplastischer Erkrankungen berichtet. Da alle Wirkstoffe das Immunsystem modulieren bzw. mehr oder weniger selektiv supprimieren, sind in den vergangenen Jahren vor allem infektiöse Therapierisiken in den Vordergrund gerückt.

Hier ist eine Liste von Medikamenten, die bei MS kontraindiziert sein können:

  • Daclizumab: Der monoklonale Anti-IL2-Rezeptor-Antikörper Daclizumab beispielsweise wurde nach insgesamt 12 Fällen immunvermittelter Enzephalitis bzw. Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis im März 2018 durch den Hersteller vom Markt zurückgezogen, nachdem durch die European Medicines Agency (EMA) ein Prüfverfahren eingeleitet worden war. Bereits zuvor war das Medikament in die Kritik geraten, da es neben den oben geschilderten Nebenwirkungen zu Fällen von Leberschädigung gekommen war.
  • Interferon-Beta: Die Hauptnebenwirkungen der Interferone sind grippeähnliche Symptome wie Abgeschlagenheit, Fieber, Arthralgien, Kopfschmerzen, Depressionen sowie bei subkutaner Applikation lokale Hautreaktionen an der Einstichstelle.
  • Glatirameracetat: Die Hauptnebenwirkung von Glatirameracetat sind lokale Hautreaktionen, die allerdings drastischer ausfallen als jene, die bei den Interferonen beobachtet werden, und sich sogar als Urtikaria oder Nekrosen manifestieren können. Insbesondere diesbezüglich steht neben der etablierten täglichen subkutanen Applikation von 20 mg auch eine Präparatvariante zur Verfügung, die bei einer Dosis von 40 mg lediglich 3-mal pro Woche appliziert werden muss. Neben diesen kutanen Nebenwirkungen kann es zu einem „Flushing“ (Hyperperfusion der Haut) kommen.
  • Fingolimod: Die Hauptnebenwirkungen von Fingolimod basieren auf der Tatsache, dass S1P-Rezeptoren ubiquitär im Körper exprimiert werden, so unter anderem auch am Herzen. Hier kann es zu Bradykardien und Bradyarrhythmien führen, weswegen bei Erstgabe eine 6-stündige EKG-Überwachung nötig und bei neu auftretenden kardialen Rhythmusstörungen eine weitere Überwachung erforderlich ist. Nach 3-4 Monaten Fingolimod-Therapie kommt es bei circa 0,7 % der Behandelten zu einem Makulaödem. Deswegen ist nach dieser Behandlungsdauer insbesondere bei Risikogruppen routinemäßig eine ophthalmologische Verlaufskontrolle erforderlich. Ferner kam es in den Zulassungsstudien bei schwangeren Patientinnen in 7,6 % der Fälle zu teratogenen Effekten, weswegen während der Therapie eine orale Kontrazeption erfolgen sollte. Daneben wurden unter Fingolimod-Therapie Einzelfälle opportunistischer Infektionen beobachtet, wie eine Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus (VZV), Herpesenzephalitis, Lepra oder zerebrale bzw. kutane Kryptokokkose. Derzeit sind 15 Fälle einer PML unter Monotherapie mit Fingolimod bekannt, zusätzlich mehr als 17 sogenannte „carry over“-PML-Fälle bei Patienten, die zuvor mit Natalizumab behandelt worden waren. Darüber hinaus sind Fälle lokaler Hauttumoren, Lymphome und Merkelzellkarzinome berichtet worden. So sind insgesamt bislang 150 Fälle von Basalzellkarzinom (Basaliom) unter Fingolimodtherapie aufgetreten. Entsprechend ist vor Therapiebeginn sowie danach jährlich eine dermatologische Untersuchung indiziert. Patienten mit bekanntem Basaliom oder anderen neoplastischen Erkrankungen sollten nicht mit Fingolimod behandelt werden. Zusätzlich sind Einzelfälle eines hämophagozytischen Syndroms (HPS) bekannt. Hinsichtlich der durch den Wirkmechanismus bedingten regelhaft auftretenden Lymphopenie, die für gewöhnlich nach 2 Wochen ihren Tiefpunkt (Nadir) erreicht, muss in der EU bei einer bestätigten Zahl von weniger als 200/μl die Therapie beendet werden und kann erst wieder aufgenommen werden, wenn die Lymphozytenzahl auf über 600/μl angestiegen ist.
  • Dimethylfumarat: Die Hauptnebenwirkungen der Dimethylfumarat-Therapie bestehen in gastrointestinalen Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe, sowie einer Lymphopenie. Auch ein Einzelfall von eosinophilen Gastroenteritis wurde berichtet. Daneben kann es bei etwa 30 % der Patienten zu einer im Verlauf rückläufigen Flushing-Symptomatik kommen. Routinemäßig sollte unter der Therapie ein Monitoring der Leukozytenzahl im Abstand von 6-8 Wochen erfolgen. Bei einer für mehrere Monate anhaltenden Leukopenie von unter 3 000/µl oder einer Grad-3-Lymphopenie von unter 500/µl (betrifft etwa 6 % der Patienten) wird die Beendigung der Therapie obligat empfohlen, zumal die Dimethylfumarat-assoziierte PML, von der bisher mindestens 5 Fälle auftraten, auch bereits bei nur geringgradiger Lymphopenie beobachtet wurde.
  • Natalizumab: Insgesamt sind bislang 781 PML-Fälle aufgetreten. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand beeinflussen die Behandlungsdauer, die Vorbehandlung mit Immunsuppressiva sowie das Ergebnis der JCV-Serologie (Präsenz von Anti-JCV-Antikörpern) das Risiko für die spätere Entwicklung einer PML. Der JCV-Index-Wert als ein quantitatives Maß der Serologie erlaubt eine weitere Differenzierung bei Anti-JCV-Antikörper-positiven Patienten ohne vorherige Immunsuppression unter längerer Behandlung, wobei von einer relevanten Risikoerhöhung ab einem Wert von 0,9 auszugehen ist und eine regelmäßige Risikostratifizierung insbesondere ab dem zweiten Therapiejahr sinnvoll erscheint. Die exakte Abschätzung des individuellen Risikos der Entwicklung einer PML ist nicht möglich, kann aber bei entsprechender Risikokonstellation bei über 1:100 liegen, wobei das PML-Risiko bei negativer JCV-Serologie als relevant geringer einzuschätzen ist. Seronegative und niedrig-positive Patienten sollten viertel- bis halbjährlich hinsichtlich einer möglichen Serokonversion bzw. eines Indexanstiegs getestet werden. Neue Studien haben diesbezüglich gezeigt, dass mehr als 25 % der anfangs negativ getesteten Patienten innerhalb von 4 Jahren serokonvertieren. Neben PML sind unter Natalizumab auch Einzelfälle von HSV- und VZV-Enzephalitiden aufgetreten.
  • Teriflunomid: Die Hauptnebenwirkungen sind gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe. Wegen möglicher Hepatotoxiztät und Lymphopenie sollten die Leberenzyme und die Lymphozytenzahl überwacht werden sollten. Wichtig ist, dass Teriflunomid in der Schwangerschaft kontraindiziert ist, was auf tierexperimentellen Daten basiert, die eine starke Teratogenität nahelegten.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Liste nicht vollständig ist und dass es andere Medikamente geben kann, die bei MS kontraindiziert sind.

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Symptomatische Behandlung und Kontraindikationen

Die Möglichkeiten der Behandlung von Symptomen der MS wurden in den vergangenen Jahren zwar deutlich verbessert, einige Symptome sind immer noch wenig bekannt. Die Behandlung von Spastik umfasst physiotherapeutische Techniken und orale sowie parenterale Medikamente. Die Physiotherapie ist die Basis jeglicher Spastik-Therapie. Bei der medikamentösen Therapie ist die flexible Gabe von Antispastika wichtig.

Botulinumtoxin A ist vor allem bei lokaler Spastik indiziert. Als Fatigue wird die z. T. bezeichnet, an der bis zu 75 % aller MS-Patienten im Krankheitsverlauf leiden. Auch sollten andere Ursachen des Symptoms, z.B. Hypothyreose oder sedierende Medikamente, ausgeschlossen werden. Relevante Schmerzzustände sind bei MS-Patienten sehr häufig.

Kortikosteroid-Infusion nach den Empfehlungen der MSTKG Therapie der Wahl. Auch Störungen der Okulomotorik sind häufig, oft sogar erstes MS-Symptom, z.B. einem Schub. Folgen klinisch manifester Schluckstörungen sind Hustenreiz, Speichelfluss, ggf. Mangelernährung, (stille) Aspiration sowie z.T. die Einschränkung der Lebensqualität durch Verlust des Ess- und Trinkgenusses.

Auch epileptische Anfälle treten bei 0,4 % bis 8,4 % mit einer Mortalität von 0 % bis 2 % auf. Auch epileptische Status im Rahmen der MS wurden beschrieben.

Anästhesie und Multiple Sklerose

Bei MS-Patienten, die sich einer Operation unterziehen müssen, sind einige Besonderheiten bei der Anästhesie zu beachten. Stress kann eine akute MS-Exazerbation verursachen, daher sollte eine adäquate Prämedikation erfolgen. Benzodiazepine sollten vermieden werden. Generell gilt, dass Operationen und Anästhesien u. U. demyelinisierter Axone begründet, von der ca. Beteiligung, sollten in Erwägung gezogen werden.

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Die Wahl des Anästhetikums ist ebenfalls wichtig. Succinylcholin kann problematisch sein, da es mit der Erkrankungsschwere korreliert. Auch die Negativsymptomatik, wie z. B. Verfahren bei MS-Patienten erachtet. Es gibt widersprüchliche Daten zur Sicherheit von Regionalanästhesie bei MS-Patienten. Einige Studien deuten darauf hin, dass rückenmarksnahe Anästhesie ein Risiko für neurologische Komplikationen darstellen könnte, während andere Studien keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen fanden.

Bei der postoperativen Schmerztherapie sollten NSAR vermieden werden, da sie die renale Durchblutung reduzieren und somit die Metabolisierung von MS-Medikamenten beeinträchtigen können. Opioide sind eine Alternative, sollten aber aufgrund des Risikos von Atemdepression und Obstipation vorsichtig eingesetzt werden.

Medikamentenwechselwirkungen bei MS-Therapie

Viele MS-Therapeutika führen zu Blutbildungsstörungen. Eingriffs bestehen. geplante rückenmarksnahe Anästhesie zu einem Risiko werden lassen, sodass z. B. werden muss. reduzierter Metabolisierungskapazität. zu verringerter Clearance führen. um Dosierungsanpassungen zu kalkulieren. Daher kann es u. U. die Dosis hepatisch metabolisierter Anästhetika korrekt anzupassen.

Einige Substanzen führen zu Bradykardien, die u. U. bradykardisierender Arzneistoffe wie z. B. Opioide verstärkt werden könnten. In diesem Zusammenhang sei Fingolimod erwähnt. Es gibt erstaunlich wenig relevante pharmakokinetische bzw. bradykardisierenden Wirkung auch zu einer QT-Zeit-Verlängerung führen kann.

Ocrelizumab

Ocrelizumab (Ocrevus®) ist gemäß der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) in Deutschland zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) zugelassen. Die Zulassung umfasst zum einen erwachsene Patienten mit aktiver, schubförmiger MS, definiert durch klinischen Befund oder Bildgebung.

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Kontraindikationen für Ocrelizumab:

  • chronischen Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B oder C.
  • Patienten mit signifikanter Infektionsneigung (z.B.
  • Patienten mit angeborener oder erworbener Immunschwäche, z.B.
  • Schwangerschaft oder während der Stillzeit.
  • Kindern unter 18 Jahren.
  • Patienten mit progressiver MS und Krankheitsdauer über 15 Jahren und / oder EDSS > 6,5. Es liegen lediglich retrospektive Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit in dieser Patientengruppe vor.

Wichtige Hinweise zu Ocrelizumab:

  • Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sollte vor Therapiebeginn sowie vor jeder Infusion das Vorliegen möglicher Kontraindikationen, wie z.B. einer schweren Infektion, ausgeschlossen werden (obligat).
  • Bei Patienten mit aktiver Infektion sollte die Ocrelizumab-Gabe verschoben werden, bis die Infektion vollständig kontrolliert ist.
  • Vor Beginn der Therapie müssen Blutbild und Differenzialblutbild bestimmt werden (obligat). Insbesondere empfiehlt es sich, den Status von CD19+- und / oder CD20+-B-Zellen zu erheben und als Ausgangswert zu dokumentieren (fakultativ).
  • Bei allen Patienten sollten eine akute Entzündung (CRP, Urinstatus) sowie chronische aktive bakterielle und virale Infektionen (HBV, HCV, HIV, VZV) ausgeschlossen werden (obligat). Für den HIV-Test ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Patienten erforderlich.
  • Bei Verdacht auf Tbc in der Vorgeschichte oder bei Personen mit erhöhter individueller Risikosituation sollte ein TB-Test (z.B. Quantiferon-Test, T Spot-Test) durchgeführt werden (obligat). Bei positivem Testergebnis muss die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf.
  • Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss eine Schwangerschaft, ggf.
  • Die Wirksamkeit von Impfungen kann während und nach der Gabe von Ocrelizumab eingeschränkt sein. Ggf. Vor Behandlungsbeginn sollte daher auch eine Untersuchung der Immunität gegen das Varizella-Zoster-Virus (VZV) durchgeführt werden. Bei VZV seronegativen Patienten sollte eine Impfung gegen VZV durchgeführt werden (Lebendimpfstoff) (fakultativ).
  • Über mögliche spezifische Nebenwirkungen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen muss aufgeklärt werden.
  • Während der Infusion (vorwiegend bei der ersten Infusion) kann es zu einer Infusionsreaktion kommen, die meist mild ist und mit grippeähnlichen Beschwerden verläuft. Es können Hautausschlag, Juckreiz, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, leichter Blutdruckanstieg oder -abfall auftreten. Weniger als 1% der Patienten erleiden eine schwerwiegende Infusionsreaktion mit starkem Blutdruckabfall, Atemnot oder Schwellungen des Gesichtes. Zur Verringerung dieses Risikos werden vor der Infusion Medikamente gegen Fieber und allergische Reaktionen verabreicht. Nach Abschluss der Infusion sind Nebenwirkungen sehr selten.

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