Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die bei jedem Menschen anders verläuft und daher nicht einfach zu diagnostizieren ist. Prinzipiell tritt sie plötzlich auf und äußert sich meistens durch eine Schubsymptomatik. Die Diagnose kann eine Herausforderung darstellen, insbesondere wenn die Magnetresonanztomographie (MRT) keine eindeutigen Anzeichen liefert. Dieser Artikel beleuchtet, wie trotz eines unauffälligen MRT eine MS diagnostiziert werden kann und welche Schritte in diesem Fall wichtig sind.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umgeben. Diese Schädigung führt zu Entzündungen und Läsionen, die die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper stören können. Die Symptome sind vielfältig und können von Sehstörungen über Gefühlsstörungen bis hin zu Lähmungserscheinungen reichen.
Symptome der Multiplen Sklerose
Die ersten Symptome treten meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf, wobei es hier eine Streubreite nach oben und unten gibt. Zu den häufigsten Erstsymptomen gehören:
- Sehnerv-Entzündung (Retrobulbärneuritis): Verschwommenes Sehen auf einem Auge, beeinträchtigte Farbwahrnehmung, Schmerzen bei Augenbewegungen. Typisch ist, dass der Augenarzt nichts Auffälliges erkennt, während der Patient eine Einschränkung bemerkt.
- Sensible Ausfälle/Gefühlsstörungen: Treten oft halbseitig auf und können sich als "bamstiges" (müdes) Gefühl in einem Arm äußern, das nicht wieder verschwindet.
- Lähmungserscheinungen: Seltener, äußern sich durch feinmotorische Störungen, Kraftverlust in Armen oder Beinen, halbseitige Einschränkungen. Wichtig ist, dass sich diese Symptome langsam aufbauen und nicht schlagartig auftreten.
- Gleichgewichtsstörungen: Gefühl der Benommenheit oder Unsicherheit, oft lageabhängig.
Es ist wichtig zu beachten, dass sich Symptome bei Fieber, Hitze oder warmen Bädern verstärken können.
Der Weg zur Diagnose
Die Diagnose der Multiplen Sklerose ist ein komplexer Prozess, der mehrere Schritte umfasst. Da es keinen spezifischen MS-Test gibt, basiert die Diagnose auf einer Kombination von Faktoren, darunter die Anamnese, neurologische Untersuchung, MRT-Befunde und Liquoruntersuchung.
Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt
Anamnese und Neurologische Untersuchung
Am Anfang steht ein ausführliches Gespräch mit dem Arzt, in dem die Krankengeschichte erhoben wird. Dabei werden dieArt und Dauer der Beschwerden, Vorerkrankungen undAutoimmunerkrankungen in der Familie erfragt. Es ist wichtig, alle Symptome zu schildern, auch wenn sie harmlos erscheinen oder schon lange zurückliegen.
An das Gespräch schließt sich eine körperlich-neurologische Untersuchung an, bei der die Funktion von Gehirn und Nerven überprüft wird. Im Fokus stehen unter anderem die Funktion von Augen und Hirnnerven, die Empfindung von Berührung, Schmerz und Temperatur, die Muskelkraft und Muskelspannung, die Koordination und Bewegung sowie die Reflexe.
Bildgebung mittels MRT
Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Aufnahmen von Gehirn und Rückenmark liefert. Bei MS werden MRT-Aufnahmen verwendet, um Entzündungsherde (Läsionen) im zentralen Nervensystem sichtbar zu machen. Die Diagnosekriterien verlangen, dass diese Entzündungsherde räumlich und zeitlich zerstreut (disseminiert) auftreten. Das bedeutet, dass an mehr als einem Ort Entzündungsherde im ZNS vorhanden sein müssen und im Verlauf der Erkrankung neue Herde entstehen müssen.
Was tun bei unauffälligem MRT?
Auch wenn die MRT ein wichtiges Instrument zur Diagnose von MS ist, kann es vorkommen, dass die Aufnahmen unauffällig sind, insbesondere in frühen Stadien der Erkrankung oder bei bestimmten Verlaufsformen. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine MS ausgeschlossen werden kann.
Es ist wichtig zu beachten, mit welcher Magnetfeldstärke das MRT durchgeführt wurde. Standard sind viele Jahre lang 1,5 T gewesen, darauf sieht man halt vieles nicht. Außerdem sollte das Diagnose-MRT immer von Schädel und Rückenmark gemacht werden.
Lesen Sie auch: Wie man MS vorbeugen kann
In solchen Fällen sind weitere Untersuchungen und eine sorgfältige Bewertung der klinischen Symptome entscheidend.
Liquoruntersuchung (Lumbalpunktion)
Die Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) ist ein weiterer wichtiger Schritt bei der Diagnose von MS. Bei der Lumbalpunktion wird unter örtlicher Betäubung eine kleine Probe des Nervenwassers aus dem Rückenmarkkanal entnommen und im Labor analysiert. Chronisch-entzündliche Prozesse im zentralen Nervensystem, wie sie unter anderem bei Multipler Sklerose ablaufen, führen zu verschiedenen Auffälligkeiten im Nervenwasser. Dazu zählt unter anderem der Nachweis von bestimmten Eiweiß-Mustern, sogenannten oligoklonalen Banden (OKB). Mittels Liquor-Diagnostik lässt sich auch abklären, ob die Entzündung im Nervensystem möglicherweise durch Keime (wie die Erreger der Borreliose) und nicht durch Multiple Sklerose verursacht wird.
Neurophysiologische Untersuchungen
Neurophysiologische Untersuchungen können hilfreich sein, um klinisch nicht nachweisbare Schäden im zentralen Nervensystem nachzuweisen und bestehende Symptome objektiv zu erfassen. Dazu werden sogenannte evozierte Potenziale gemessen. Diese erlauben eine Aussage über die Erregungsübertragung an das zentrale Nervensystem. Im Rahmen der MS-Diagnostik sind vor allem visuell evozierte Potenziale (VEP), somatosensibel evozierte Potenziale (SSEP) und akustisch evozierte Potenziale (AEP) von Bedeutung.
Ausschluss anderer Erkrankungen
Da es keine spezifischen Symptome für MS gibt, ist es wichtig, andere mögliche Ursachen für die Beschwerden auszuschließen. Dazu können Blut- und Urinuntersuchungen durchgeführt werden, um andere Erkrankungen wie Borreliose, HIV oder Vitaminmangel auszuschließen.
Radiologisch Isoliertes Syndrom (RIS)
Wenn im MRT MS-typische Veränderungen im ZNS nachweisbar sind, ohne dass der Betroffene klinische Symptome der Nervenerkrankung zeigt, spricht man vom radiologisch-isolierten Syndrom (RIS). Es handelt sich dabei nicht um Multiple Sklerose, aber es besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich eine MS entwickelt. In einer Studie mit knapp 500 RIS-Patienten entwickelte im Laufe von 10 Jahren etwa die Hälfte eine MS. Das Risiko war höher bei jungen Menschen, bei Vorhandensein von oligoklonalen Banden im Nervenwasser und bei Läsionen an bestimmten Stellen (Kleinhirn, Hirnstamm, Rückenmark).
Lesen Sie auch: MS und Rückenschmerzen: Ein Überblick
Was tun, wenn die Diagnose unklar bleibt?
Wenn alle Untersuchungen durchgeführt wurden und die Diagnose weiterhin unklar ist, kann es sinnvoll sein, eine zweite Meinung von einem anderen Neurologen einzuholen, idealerweise von einem Spezialisten mit Erfahrung in der Diagnose und Behandlung von MS.
Es ist auch wichtig, die Symptome weiterhin aufmerksam zu beobachten und dem Arzt über Veränderungen zu berichten. In manchen Fällen kann es notwendig sein, die MRT in regelmäßigen Abständen zu wiederholen, um Veränderungen im Gehirn und Rückenmark festzustellen.
Bedeutung einer frühen Diagnose
Auch wenn die Diagnose MS eine Herausforderung sein kann, ist es wichtig, so früh wie möglich eine Diagnose zu erhalten. Eine frühzeitige Behandlung kann den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Mittlerweile gibt es wesentlich bessere Therapieoptionen als früher, sodass sich auch die Prognose verbessert hat. Man kann die Erkrankung zwar nicht heilen, aber ihr Fortschreiten einschränken und dem Patienten ermöglichen, möglichst lange eine gute Lebensqualität zu haben. Man will ja zukünftige Entzündungsherde verhindern oder auch Behinderungseinschränkungen bzw.
Leben mit Multipler Sklerose
Eine MS-Diagnose kann zunächst schockierend sein und viele Fragen aufwerfen. Es ist wichtig, sich nicht zu entmutigen und den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Es gibt viele Möglichkeiten, mit der Erkrankung umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen.
Therapie
Es gibt verschiedene Medikamente, die den Verlauf der MS verlangsamen und die Symptome lindern können. Die Wahl der Therapie hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Verlauf der Erkrankung, der Schwere der Symptome und den individuellen Bedürfnissen des Patienten.
Lebensstil
Ein gesunder Lebensstil kann ebenfalls dazu beitragen, den Verlauf der MS positiv zu beeinflussen. Dazu gehören eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und der Verzicht auf Nikotin. Rauchen ist bei MS ein Brandbeschleuniger und sollte unbedingt vermieden werden.
Unterstützung
Es ist wichtig, sich Unterstützung von Familie, Freunden oder Selbsthilfegruppen zu suchen. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, mit der Erkrankung umzugehen und neue Perspektiven zu gewinnen.
tags: #multiple #sklerose #mrt #unauffällig #diagnose