Multiple Sklerose und die Notwendigkeit eines Rollstuhls

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die oft mit vielfältigen Symptomen und unterschiedlichen Verläufen einhergeht. Viele Mythen und Missverständnisse umgeben diese Krankheit, insbesondere die Annahme, dass alle Betroffenen zwangsläufig auf einen Rollstuhl angewiesen sein werden. Dieser Artikel beleuchtet die Realität der Rollstuhlnutzung bei MS, die verschiedenen Arten von Rollstühlen und die Entscheidungsprozesse, die zur Verordnung eines solchen Hilfsmittels führen.

Multiple Sklerose: Eine Übersicht

MS ist gekennzeichnet durch Entzündung, Demyelinisierung und Abbau von Nervenfasern. Diese Prozesse beeinträchtigen die Nervenleitung und führen zu neurologischen Funktionsstörungen. Die Symptome sind vielfältig und können Sehstörungen, Lähmungen, Gefühlsstörungen, Koordinationsprobleme und Gangunsicherheit umfassen. Fatigue und Depressionen sind ebenfalls häufige Begleiterscheinungen.

Die Vorstellung, dass alle MS-Betroffenen im Laufe ihrer Erkrankung im Rollstuhl sitzen werden, entspricht nicht der Realität. Etwa ein Drittel der Menschen mit MS haben keine bleibenden Gehbehinderungen. Viele Betroffene benötigen erst mit fortgeschrittenem Alter einen Rollstuhl oder andere Hilfsmittel wie Gehstöcke oder Rollatoren, um Kraft zu sparen oder sich vor Stürzen zu schützen.

Wann ist ein Rollstuhl sinnvoll?

Die Entscheidung für einen Rollstuhl ist ein individueller Prozess, der von verschiedenen Faktoren abhängt. Ein Rollstuhl kann sinnvoll sein, um die Lebensqualität zu erhöhen, Kräfte zu sparen und Ressourcen für den Alltag zu eröffnen. Dies gilt insbesondere, wenn längere Strecken zurückgelegt werden müssen, die Erschöpfung verursachen, bevor die eigentliche Aktivität beginnen kann.

Klaus Gusowski, leitender Physiotherapeut im Neurologischen Rehabilitationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad GmbH, betont, dass Betroffene mit Fähigkeits- und Funktionsstörungen mit speziell angepassten Hilfsmitteln zu versorgen sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder die Behinderung auszugleichen. Eine klare medizinische Begründung ist jedoch immer Voraussetzung.

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Die EDSS-Skala und die Rollstuhlverordnung

Die Entscheidung, ob ein MS-Patient einen Rollstuhl benötigt, liegt letztlich beim behandelnden Arzt. Dieser stuft den Grad der Behinderung auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS) ein. Die EDSS-Skala reicht von 0 bis 10 und gibt den Grad der Behinderung bei Multiple Sklerose-Patienten an.

Um einen Rollstuhl verschrieben zu bekommen, ist eine ärztliche Verordnung notwendig. Anschließend sollte man sich bei der Krankenkasse nach dem weiteren Vorgehen erkundigen. In der Regel arbeiten die Kranken- beziehungsweise Pflegekassen mit bestimmten Sanitätshäusern beziehungsweise Fachhändlern zusammen. Das Fachpersonal berät bei der Wahl des richtigen Modells, das alle medizinisch notwendigen Ausstattungsmerkmale enthält.

Arten von Rollstühlen

Es gibt eine Vielzahl von Rollstuhlvarianten und -modellen, die sich für unterschiedliche Bedürfnisse eignen:

  • Standardrollstuhl: Eine Übergangslösung für Krankentransporte, in (Senioren-) Heimen oder nach Beinverletzungen.

  • Aktiv- bzw. Adaptivrollstuhl: Für eine dauerhafte Nutzung von relativ vitalen und agilen Rollstuhlfahrern. Er lässt sich an die Körpermaße, Ansprüche und Bedürfnisse des Nutzers anpassen.

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  • Elektrorollstuhl: Für Menschen, die ein größeres Defizit in Bezug auf die Armkraft bzw. in der Arm-/Hand-Beweglichkeit haben.

  • Pflegerollstuhl: Für Menschen, die umfassende Unterstützung benötigen.

Aktivrollstühle im Detail

Aktivrollstühle ermöglichen dem Rollstuhlfahrer eine hohe Flexibilität und einen aktiven Lebensstil. Sie sind in faltbaren Versionen oder mit einem starren Rahmen erhältlich.

  • Faltrollstuhl: Der Rahmen lässt sich zusammenklappen, was den Transport und die Lagerung erleichtert.

  • Starrrahmenrollstuhl: Leichter und verwindungssteifer als ein Faltrollstuhl, eignet sich besonders für sportliche und fortgeschrittene Rollstuhlfahrer.

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  • Sportrollstuhl: Für den sportlichen Gebrauch konzipiert, erfüllt höchste Ansprüche in Bezug auf Belastbarkeit, Leichtigkeit und Sicherheit.

Elektrorollstühle mit Stehfunktion

Eine besondere Option ist der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion. Dieser dient in dreifacher Weise der Versorgung:

  1. Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung: Das intermittierende Stehen ist wichtig, um Muskelkraft, Knochensubstanz, das Herz-Kreislaufsystem und Organe zu schützen und zu trainieren.

  2. Vorbeugung einer drohenden Behinderung: Die Belastung der Muskulatur kann Kontrakturen im Bereich der Füße reduzieren, und die Schwerkraft belastet das kardiopulmonale System, wodurch die Funktion der Muskelvenenpumpe gekräftigt wird.

  3. Behinderungsausgleich: Er ermöglicht das Stehen, was ein Grundbedürfnis darstellt, und fördert die Selbstständigkeit.

Der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion ermöglicht es dem Nutzer, sich selbstständig in eine stehende Position zu bringen. Dies ist insbesondere dann von Vorteil, wenn das Aufrichten aus dem Sitzen Schmerzen bereitet oder aufgrund von Spastiken und mangelnder Rumpfspannung nicht mehr möglich ist.

Finanzierung und Anpassung

Wird die Anschaffung eines Rollstuhls notwendig, hat der Patient in der Regel von seinem behandelnden Arzt eine Verordnung für einen Rollstuhl als medizinisches Hilfsmittel bekommen. Oft wird der Rollstuhl aus dem Bestand der Krankenkasse oder des Sanitätshauses geliefert. Der Patient hat jedoch keinen Anspruch auf einen fabrikneuen Rollstuhl!

Es ist wichtig zu wissen, dass der Patient auch einen neuen Rollstuhl auf Rezept erhalten kann, wenn er anhand der ärztlichen Verordnung nachweisen kann, dass er ein eigens auf seine Bedürfnisse angepasstes Modell benötigt. In diesem Fall erstellt das Sanitätshaus einen entsprechenden Kostenvoranschlag. Wird dieser von der Krankenkasse akzeptiert, zahlt der spätere Nutzer nur die gesetzliche Zuzahlung.

Rollstuhltraining

Die Bedienung eines Rollstuhls setzt eine gewisse Fertigkeit im Umgang mit diesem Hilfsmittel voraus. Im Rollstuhltraining werden Patienten von Fachübungsleitern angeleitet, mit dem für sie sinnvollen Modell umzugehen. Ziele des Trainings sind:

  • Steigerung der Geschicklichkeit im Umgang mit dem Hilfsmittel
  • Verbesserung der Ausdauerleistung beim Rollstuhlgebrauch
  • Vorbereitung der bedarfsorientierten Versorgung
  • Beratung und Schnupperkurs für Fußgänger, deren Aktionsradius unter 500 m liegt
  • Beratung und Training zum Elektrorollstuhl sowie Überprüfung der Fahreignung

Weitere wichtige Aspekte

  • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig, um die körperlichen Kräfte zu stärken. Es gibt keine spezielle MS-Diät, aber eine gesunde Lebensweise kann die Lebensqualität verbessern.

  • Sport und Bewegung: Sport und körperliche Betätigung sind für MS-Patienten nicht nur erlaubt, sondern empfehlenswert. Sie können Stress reduzieren, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verbessern und Schmerzen und Verkrampfungen lindern.

  • Stressmanagement: Dauerhafter Stress kann das Schubrisiko erhöhen. MS-Betroffene sollten daher Stressauslöser meiden und auf Anzeichen von Stress in ihrem Körper achten.

  • Impfungen: Die meisten gängigen Impfungen können auch bei Menschen mit MS vorgenommen werden. Es ist jedoch ein intensives Gespräch mit dem behandelnden Arzt notwendig, da Impfungen das Immunsystem aktivieren können.

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