Multiple Sklerose und Schluckstörungen: Ursachen und Therapieansätze

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die eine Vielzahl neurologischer Symptome verursachen kann. Schlafstörungen und Fatigue sind häufige Begleiterkrankungen, die den Alltag und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können. Wer nachts schlecht schläft, ist tagsüber weniger fit, was sich wiederum negativ auf die Symptome der MS auswirken kann.

Fatigue und Schlafstörungen bei MS: Ein Teufelskreis

Schätzungen zufolge leiden 50-80 % der Menschen mit MS unter Fatigue, einer extremen Erschöpfung, die selbst nach ausreichend Schlaf bestehen bleiben kann. Diese MS-bedingte Fatigue ist eine Kombination aus körperlicher, mentaler und emotionaler Erschöpfung, die sich nicht allein durch Ruhe und Schlaf lindern lässt.

Körperliche Fatigue

Die körperliche Fatigue äußert sich durch ein Gefühl von Schwere, Schwäche und Antriebslosigkeit in den Gliedmaßen.

  • Schwere in den Gliedern: Arme und Beine fühlen sich an, als wären sie mit Gewichten beschwert.
  • Schnelle Muskelermüdung: Die Muskeln ermüden bereits bei geringsten Belastungen.
  • Körperliche Schwäche: Ein allgemeines Schwächegefühl geht oft mit einem Verlust der körperlichen Belastbarkeit einher.

Schlafstörungen

Schlafstörungen sind bei MS nicht selten und umfassen ein breites Spektrum:

  • Ein- und Durchschlafstörungen
  • Frühes Erwachen
  • Schlafunterbrechungen

Ursachen für Schlafstörungen bei MS:

  • Physische Beschwerden: Schmerzen, Muskelkrämpfe oder Spastiken, die sich insbesondere nachts bemerkbar machen.
  • Hormonelle Veränderungen: MS kann hormonelle Ungleichgewichte auslösen, was wiederum den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinträchtigen kann.
  • Psychische Faktoren: Stress, Angstzustände und depressive Verstimmungen haben eine direkte Wirkung auf den Schlaf.
  • Medikamentöse Nebenwirkungen: Auch die Kombination verschiedener Medikamente kann eine Ursache darstellen.
  • Direkte Auswirkungen der MS auf das zentrale Nervensystem: Dies kann zu Schlafstörungen wie Insomnie (Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen) oder dem Restless-Legs-Syndrom führen.

Die Wechselwirkung zwischen Schlafstörungen und Fatigue

Schlafstörungen und Fatigue verlaufen bei MS oft in einer wechselseitigen Spirale: Schlafstörungen können Fatigue verstärken, und Fatigue selbst kann den Schlaf negativ beeinflussen. Schlaf ist eine essenzielle Phase für die Regeneration von Körper und Geist, die bei MS beeinträchtigt ist.

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Auswirkungen von Schlafstörungen auf die Regeneration:

  • Unzureichende Erholung: Trotz ausreichend langer Schlafdauer können Betroffene nicht erholt aufwachen, da Schlafstörungen die Qualität der Tiefschlaf- und REM-Phasen beeinträchtigen.
  • Verstärkte Entzündungsprozesse: Schlafmangel erhöht die Aktivität von Entzündungsmarkern im Körper.
  • Gestörte Hormonregulation: Schlafmangel wirkt sich direkt auf die Produktion und Regulation von Hormonen wie Cortisol (Stresshormon) und Melatonin (Schlafhormon) aus.
  • Beeinträchtigung der Nervenkommunikation: Schlafprobleme können die Effizienz der neuronalen Signalübertragung verschlechtern, die bei MS durch die Demyelinisierung gestört ist.
  • Innere Unruhe und Überreizung: Trotz körperlicher Müdigkeit kann eine Überaktivität des Nervensystems auftreten.
  • Unregelmäßige Aktivitätsmuster: Die Erschöpfung durch Fatigue kann dazu führen, dass tagsüber unregelmäßig geschlafen oder längere Ruhepausen eingelegt werden.
  • Psychische Belastung: Fatigue kann Gefühle von Hilflosigkeit und Stress hervorrufen.

Studien legen nahe, dass Schlafstörungen und Fatigue gemeinsame neurobiologische Grundlagen haben. So werden z.B. Neurotransmitter, die den Schlaf regulieren, auch mit Erschöpfungszuständen in Verbindung gebracht.

Diagnose von Schlafstörungen bei MS

Um die Ursachen der Schlafstörungen auf die Spur zu kommen, kann eine schlafmedizinische Untersuchung (Polysomnographie) in einem Schlaflabor helfen. Bei der Untersuchung werden zahlreiche Messwerte erhoben, unter anderem Hirnströme, Augen- und Beinbewegungen, Sauerstoffgehalt im Blut oder die Herzfrequenz. Um weitere Auffälligkeiten zu finden und in die Analyse mit einzubeziehen, werden Patienten im Schlaflabor zudem mit einer Infrarot-Videokamera und einem Mikrofon überwacht.

Therapieansätze zur Verbesserung von Schlaf und Fatigue bei MS

Die therapeutischen Maßnahmen richten sich nach der Art und Schwere der Schlafstörungen. Es gibt verschiedene Strategien, um den Teufelskreis aus Schlafstörungen und Fatigue zu durchbrechen und die Schlafqualität zu verbessern.

Schlafhygiene

Ein strukturierter Schlaf-Wach-Rhythmus kann helfen, den Schlaf zu stabilisieren. Jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett gehen und auch morgens zur gleichen Zeit wieder aufstehen. Die Zeiten sollten nicht mehr als 30 Minuten voneinander abweichen. Dies kann dabei helfen, den natürlichen Schlafzyklus zu stabilisieren und den Körper an einen regelmäßigen Schlafplan zu gewöhnen. Findet der Körper wieder in seinen natürlichen Rhythmus, stärkt sich das Gefühl der „inneren Uhr“ und wir wachen morgens von allein auf.

Entspannungsübungen und Achtsamkeitstechniken

Techniken wie autogenes Training, Meditation und progressive Muskelentspannung können helfen, die innere Unruhe zu reduzieren und den Einschlafprozess zu erleichtern.

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Physiotherapie und Bewegung

Regelmäßige, sanfte Bewegung wirkt sich positiv auf das Schlafverhalten und die Fatigue aus. Körperliche Aktivität kann nicht nur die allgemeine Gesundheit verbessern, sondern auch den Schlaf fördern. Dazu reicht schon am Mittag ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft.

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Insbesondere bei chronischen Schlafstörungen kann KVT eine sehr wirksame Therapieoption sein. Studien zeigen, dass dieser Ansatz gute Ergebnisse erzielt, wenn keine erheblichen körperlichen Ursachen für die Ein- oder Durchschlafstörungen vorliegen: Die Psychotherapie ist trotz kurzer Behandlungsdauer oft ebenso wirksam wie eine medikamentöse Therapie. Ein Ziel dieses Ansatzes kann es sein, bestimmte Verhaltensweisen herauszuarbeiten, um eine sogenannte Schlafgygiene aufzubauen. Gemeint sind damit oft einfache Dinge wie falsche Schlafzeiten (Mittagsschläfchen) oder Umweltfaktoren (zu viel Licht). Auch Meditation oder anderen Entspannungsverfahren können in der Verhaltenstherapie zum Einsatz kommen, um die Kontrolle über die körperlichen Vorgänge beim Einschlafen zu verbessern. Helfen kann auch die Schlafrestriktion, mit der der Schlaf-Wach-Rhythmus zurückgesetzt werden kann: Indem Schlafenszeiten und -dauer festgelegt und teilweise verkürzt werden, verbringen die Betroffenen weniger schlaffreie Zeit im Bett. Das längere Wachsein erhöht die Müdigkeit und verkürzt die Einschlafzeit. Hinzu kommen kognitive Techniken, mit deren Hilfe schlafverhindernde Gedanken unterdrückt werden sollen, denn neben Verhaltensweisen und -gewohnheiten verhindern auch bestimmte Kognitionen und Denkmuster das Ein- und Durchschlafen. Mit ablenkenden Techniken wie dem Gedankenstopp können so beispielsweise Grübelkreisläufe in der Nacht durchbrochen werden.

Pacing

Pacing ist eine Strategie des Energiemanagements, die darauf abzielt, mit den begrenzten Energiereserven bei chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS) oder dem Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) bewusst umzugehen.

Medikamentöse Therapie

Je nach Ausprägung können auch Medikamente wie das Schlafhormon Melatonin zum Einsatz kommen. Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen. Das bestätigen die Empfehlungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, die feststellt: Die positive Wirkung stellt sich ein, wenn kurz vor dem Schlafengehen 1 Milligramm Melatonin aufgenommen wird. In einer Kontrollstudie mit 102 MS- Patienten wurde sogar ein positiver Effekt von 5mg Melatonin auf eine zuvor bestehende Insomnie festgestellt.

Bei erheblichen Beschwerden können unter Umständen Psychopharmaka helfen. Am häufigsten verordnen Ärzte Benzodiazepine, Nichtbenzodiazepin-Hypnotika und Antidepressiva.

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Weitere Tipps für einen besseren Schlaf

  • Schaffe dir eine entspannende Schlafumgebung: Gestalte deinen Schlafplatz so, dass er ruhig und entspannend ist. Ein Aufgeräumtes und gemütliches Schlafzimmer lädt zu einer ruhigen Nacht ein.
  • Ernährung und Schlaf: Achte auf eine ausgewogene Ernährung und vermeide schwere und fettreiche Mahlzeiten kurz vor dem Schlafengehen, da der Körper mehr arbeiten muss, um diese zu verdauen. Eine eiweißreiche und kohlenhydratarme Mahlzeit kann zu einem erholsameren Schlaf beitragen. Auch sollte nicht zu kurz vor dem Schlafengehen gegessen werden. Eine gute Zeit für ein Abendessen ist ca. 2-3 Stunden vorher - allerdings solltest du auch nicht hungrig zu Bett gehen. Vorsicht bei Alkohol, Kaffee und koffeinhaltigen Softdrinks am Abend.
  • Die Macht der (Einschlaf-)Routine: Wer Probleme beim Einschlafen hat, kann es ebenso mit einer entspannenden Abendroutine versuchen, um den Körper auf den Schlaf vorzubereiten. Dies kann ein beruhigender Tee vor dem Schlafengehen sein, eine Entspannungsübung oder sanftes Dehnen. Milch unter Rühren in einem Topf erwärmen. Lavendelblüten, Zimt und Muskatnuss hinzugeben. Die halbe Vanilleschote längs halbieren und Vanillemark mit einem Messer herauskratzen und in den Topf geben. Die Milch ca. Abschließend mit etwas Honig vermischen. Mit einem Stabmixer aufschäumen.
  • Vor dem Schlafen gehen elektronische Geräte vermeiden: Blaues Licht von Bildschirmen kann den Schlaf beeinträchtigen. Laptop, Smartphone und andere elektronischen Geräte gehören nicht ins Schlafzimmer und sollten mindestens 30 Minuten vor dem Schlafen gehen nicht mehr verwendet werden. Zum einen erschwert die ständige Erreichbarkeit und das konditionierte Scrollen die Entspannung, zum anderen hemmt der hohe Blaulichtanteil in den Displays, die Produktion des Schlafhormons Melatonin im Gehirn.

Behandlung von Begleitsymptomen

  • Schmerzen: Um eine Lösung für starke und häufig auftretende Schmerzen zu finden, muss ein Arzt zunächst also die genauen Ursachen feststellen. Bei MS-Patienten können Schmerzen vor allem in Verbindung mit Spastiken auftreten, also mit Muskelkrämpfen und einer erhöhten Muskelspannung. Schmerzen können aber auch auftreten, wenn Nervenfasern, die Schmerzimpulse leiten, beschädigt oder außergewöhnlich erregt sind.
  • Depressionen: Depressionen sind eine häufige Begleiterkrankung bei Menschen mit Multipler Sklerose. Doch auch weniger starke psychische Belastungen können einem den Schlaf rauben - schließlich hat die Diagnose MS einen erheblichen Einfluss auf das Leben der Betroffenen.
  • Blasenstörungen: Einer der häufigsten Gründe für Schlaflosigkeit ist der nächtliche Gang zur Toilette. Ursache sind mein MS-Patienten normalerweise neurogene Blasenstörungen, bei denen die Funktion der Nervenbahnen geschädigt ist, die die Blasenaktivität steuern. Dies kann zu erhöhtem Harndrang, Entleerungsproblemen und Inkontinenz führen - oder auch zu Komplikationen wie Nierensteinbildung oder Harnwegsinfektionen.
  • Restless-Legs-Syndrom (RLS): Ein häufig auftretendes Symptom der Multiplen Sklerose ist mit zunehmender Krankheitsdauer das Restless-Legs-Syndrom (RLS), also übersetzt das Syndrom der „unruhigen Beine“. Das Gemeine daran: Je mehr sich die Betroffenen bemühen, zur Ruhe zu kommen, desto größer wird der Drang, die Extremitäten zu Bewegen. Der Bewegungsdran kann regelrecht quälend werden; die Betroffenen verspüren darüber hinaus oft ein unangenehmes Ziehen oder Kribbeln in den Beinen, als ob Ameisen oder Schnecken über sie laufen.

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