Multiple Sklerose in der Steuererklärung: Ein umfassender Leitfaden

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die sich bei Betroffenen sehr unterschiedlich äußern kann. Neben den gesundheitlichen Herausforderungen entstehen oft auch finanzielle Belastungen durch Medikamente, Behandlungen, Hilfsmittel oder behindertengerechte Umbauten. Glücklicherweise bietet das deutsche Steuerrecht verschiedene Möglichkeiten, diese Kosten steuerlich geltend zu machen und so die finanzielle Last zu mindern.

Grad der Behinderung (GdB) bei MS

Ein wichtiger erster Schritt ist die Beantragung eines Grades der Behinderung (GdB) beim Versorgungsamt oder Amt für Soziale Angelegenheiten. Der GdB beziffert die Schwere der Behinderung aufgrund der MS. Je stärker ein Mensch mit MS in seinen Funktionen und seiner Teilhabe beeinträchtigt ist, desto höher ist der GdB. Die Beurteilung richtet sich nach der Versorgungsmedizin-Verordnung und berücksichtigt vor allem die zerebralen (das Gehirn betreffenden) und spinalen (das Rückenmark betreffenden) Ausfallserscheinungen sowie die Krankheitsaktivität.

Ab einem GdB von 50 kann ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden, der verschiedene Nachteilsausgleiche ermöglicht.

Vorteile eines Schwerbehindertenausweises (GdB ab 50)

  • Früherer Renteneintritt: Unter Umständen ist ein Renteneintritt bis zu zwei Jahre früher ohne Abschläge (mit 35 statt 45 Versicherungsjahren) oder bis zu fünf Jahre früher mit Abschlägen möglich.
  • Vergünstigungen: Vergünstigte Eintritte in Museen, Theater, Konzerte und vergünstigte Mitgliedsbeiträge (z. B. im Sportverein).
  • Hilfen und Nachteilsausgleiche im Beruf: Bereits ab einem GdB von 30 können Betroffene im Berufsleben Unterstützung erhalten.

Weitere Leistungen und Hilfen

  • Medizinische Rehabilitation: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Reha).
  • Orthopädische und andere Hilfsmittel.
  • Teilrente: Wenn die Voraussetzungen für eine vorgezogene Altersrente erfüllt sind, kann eine Teilrente den Übergang ins Rentenalter stufenweise gestalten.

Außergewöhnliche Belastungen: Krankheitskosten und mehr

Eine schwere Erkrankung wie MS verursacht oft erhebliche Kosten. Das Einkommensteuergesetz (§ 33 EStG) sieht vor, dass Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen geltend machen können, wenn sie zwangsläufig höhere Aufwendungen tragen müssen als die Mehrheit der Personen mit vergleichbaren Einkommens- und Vermögensverhältnissen und gleichem Familienstand. Zwangsläufig bedeutet, dass man sich diesen Aufwendungen nicht entziehen kann und ihre Höhe angemessen ist.

Berechnung der zumutbaren Eigenbelastung

Ob höhere Aufwendungen als bei vergleichbaren Personen vorliegen, wird durch eine pauschale Berechnung der zumutbaren Eigenbelastung ermittelt. Die Berechnung ist komplex und berücksichtigt verschiedene Einkommensstufen. Es ist ratsam, sich hierzu fachkundigen Rat einzuholen oder ein Steuerprogramm zu nutzen.

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Wichtige Hinweise zu außergewöhnlichen Belastungen

  • Tatsächliche Belastung: Es muss eine tatsächliche Belastung vorliegen. Erstattungen und Zuschüsse von Kranken- oder Pflegekassen, Versicherungen usw. müssen gegengerechnet werden.
  • Nachweis der Notwendigkeit: Gemäß Einkommensteuer-Durchführungsverordnung muss die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen im Krankheitsfall nachgewiesen werden. Dies kann z. B. durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erfolgen.
  • Keine Bagatellgrenze: Es gibt keine Bagatellgrenze für außergewöhnliche Belastungen. Jeder Euro, der die zumutbare Eigenbelastung übersteigt, kann steuerlich geltend gemacht werden.

Typische außergewöhnliche Belastungen bei MS

  • Medikamente und Behandlungen: Zuzahlungen zu Medikamenten, Therapien und Krankenhausaufenthalten.
  • Hilfsmittel: Kosten für Hilfsmittel, die der Arzt verordnet hat, sowie für Hilfsmittel, die keiner Verordnung bedürfen (z. B. Brillen, Kontaktlinsen, Hörgeräte, Zahnersatz).
  • Behindertengerechte Umbauten: Aufwendungen für behindertengerechte Umbauten der Wohnung, sofern diese ausschließlich der behinderten Person nützen und nicht den allgemeinen Wohnwert des Gebäudes steigern. (Achtung: Aufwendungen für den nachträglichen Einbau eines Personenaufzugs werden in der Regel nicht anerkannt, wenn der Aufzug auch von anderen Personen genutzt werden kann.)
  • Heimunterbringung: Mehrkosten für die Heimunterbringung, wenn diese krankheitsbedingt ist. (Achtung: Bei Auflösung des Hausstands wird eine Haushaltsersparnis angerechnet.)
  • Pflegekräfte und Haushaltshilfen: Kosten für Pflegekräfte oder Haushaltshilfen zur Vermeidung einer Heimunterbringung.

Nicht abzugsfähige Kosten

  • Allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens: Medizinische Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens im Sinne von § 33 Abs. angesehen werden.
  • Wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden.

Behindertenpauschbetrag: Eine pauschale Steuerminderung

Neben den nachzuweisenden außergewöhnlichen Belastungen sieht das Einkommensteuergesetz auch die Möglichkeit pauschaler Steuerminderungen vor. Der Behindertenpauschbetrag (§ 33b EstG) ist eine solche pauschale Leistung, die Menschen mit Behinderungen in Anspruch nehmen können. Menschen, für die ein Grad der Behinderung (GdB) festgestellt wurde, dürfen anstatt des Einzelnachweises auch Pauschalbeträge geltend machen. Die Höhe des Pauschbetrags richtet sich nach dem Grad der Behinderung.

Höhe des Behindertenpauschbetrags (ab 2021)

  • GdB 20: 384 Euro
  • GdB 30: 430 Euro
  • GdB 35: 512 Euro
  • GdB 40: 570 Euro
  • GdB 45: 624 Euro
  • GdB 50: 1.140 Euro
  • GdB 55: 1.230 Euro
  • GdB 60: 1.320 Euro
  • GdB 65: 1.420 Euro
  • GdB 70: 1.510 Euro
  • GdB 75: 1.610 Euro
  • GdB 80: 1.700 Euro
  • GdB 85: 1.780 Euro
  • GdB 90: 1.870 Euro
  • GdB 95: 1.960 Euro
  • GdB 100: 2.005 Euro

Pflegegrad 4 und 5 sind dem Merkzeichen "H" gleichgestellt: 3.700 Euro

Fahrtkostenpauschale

Zusätzlich zum Behindertenpauschbetrag können behinderte Personen unter bestimmten Voraussetzungen eine Fahrtkostenpauschale geltend machen.

Pflege-Pauschbetrag

Wer einen Angehörigen oder eine sonstige nahestehende Person, zu deren Pflege er sittlich verpflichtet ist, betreut, hat ebenfalls Anspruch auf den Abzug eines Pflege-Pauschbetrags, wenn er die Pflege persönlich entweder in seiner eigenen Wohnung oder in der des zu Pflegenden durchführt und dafür keine Gegenleistung (z. B. Pflegegeld) erhält. Die Unterstützung durch ambulante Pflegekräfte ist dabei unschädlich.

Verzicht auf den Pauschbetrag?

Wenn die tatsächlichen Belastungen höher sind als der Pauschbetrag, kann es sinnvoll sein, auf den Pauschbetrag zu verzichten und stattdessen die anfallenden Kosten als außergewöhnliche Belastung geltend zu machen. In diesem Fall müssen die entstandenen Kosten durch schriftliche Belege nachgewiesen werden.

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Vorgehensweise bei der Steuererklärung

  1. GdB beantragen: Stellen Sie einen Antrag auf Feststellung des GdB beim zuständigen Versorgungsamt.
  2. Belege sammeln: Sammeln Sie alle relevanten Belege für Krankheitskosten, Hilfsmittel, Umbauten usw.
  3. Zumutbare Eigenbelastung berechnen: Ermitteln Sie Ihre zumutbare Eigenbelastung.
  4. Pauschbetrag prüfen: Prüfen Sie, ob der Behindertenpauschbetrag für Sie in Frage kommt.
  5. Steuererklärung ausfüllen: Tragen Sie die entsprechenden Angaben in die Steuererklärung ein (Anlage "Außergewöhnliche Belastungen", Anlage "Kind").
  6. Argumentation: Fügen Sie der Steuererklärung eine ausführliche Erläuterung Ihrer persönlichen Situation und der Notwendigkeit der getätigten Aufwendungen bei.

Einspruch und Klage

Auch wenn Sie Ihre Situation ausführlich erläutern, kann es zu einem ablehnenden Bescheid kommen. Dies muss nicht hingenommen werden. Mit einem Einspruch gegen den ablehnenden Bescheid können weitere Argumente und Nachweise vorgelegt werden. Führt dies nicht zum Erfolg, besteht die Möglichkeit, den Klageweg zu den Finanzgerichten zu beschreiten.

Fazit

Die steuerliche Berücksichtigung von MS-bedingten Kosten kann die finanzielle Belastung für Betroffene erheblich mindern. Es ist wichtig, sich über die verschiedenen Möglichkeiten zu informieren und die individuellen Umstände bei der Steuererklärung zu berücksichtigen. Eine sorgfältige Dokumentation und eine überzeugende Argumentation gegenüber dem Finanzamt sind dabei entscheidend. Im Zweifelsfall sollte man sich professionelle Hilfe bei einem Steuerberater suchen.

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