Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. In Deutschland sind schätzungsweise 250.000 Menschen an MS erkrankt. Die Diagnose MS stellt für viele Betroffene eine erhebliche psychische Belastung dar. Die Erkrankung tritt meist im jungen Erwachsenenalter (zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr) auf, einer Lebensphase, in der Menschen typischerweise ihre berufliche Entwicklung vorantreiben, Familien gründen oder sich ein Zuhause aufbauen. Die Konfrontation mit einer chronischen, unheilbaren Erkrankung wie MS kann daher zu Erschrecken, Ratlosigkeit und Verzweiflung führen. Fragen wie "Warum bin ich betroffen?", "Wie wird sich die Krankheit entwickeln?" und "Kann ich meinen Beruf weiter ausüben?" belasten die Betroffenen zusätzlich.
Die psychische Belastung durch Multiple Sklerose
Die Ursachen der MS sind bis heute nicht vollständig geklärt, und eine exakte Prognose des Krankheitsverlaufs ist nicht möglich. Diese Ungewissheit stellt für viele MS-Patienten eine erhebliche Belastung dar. Die Marianne-Strauß-Klinik bietet umfassende Diagnose- und Therapiestrategien an, die neben der neurologischen Behandlung der MS auch die psychische Gesundheit der Patienten berücksichtigen.
Psychiatrische Relevanz der Multiplen Sklerose
Die MS ist eine chronisch verlaufende neurologische Erkrankung, von der in Deutschland etwa 200-250 von 100.000 Einwohnern betroffen sind. Verlauf und Symptomatik der MS sind außerordentlich vielfältig und schwer vorhersehbar. Neben klassischen neurologischen Symptomen wie Sensibilitätsstörungen, Lähmungen und Gleichgewichtsstörungen können auch Sehnerventzündungen, Schmerzsyndrome und neuro-urologische Störungen auftreten.
Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und MS
Psychische Symptome treten bei MS-Patienten häufig im Laufe der Krankheitsgeschichte auf. Dabei lassen sich verschiedene Kategorien unterscheiden:
- Psychiatrische Störungen als unmittelbare Folge der MS oder ihrer Behandlung: Hierzu zählen kognitive Defizite, Wesensveränderungen, Depressionen und Psychosen.
- Psychoreaktive Störungen als Folge der Erkrankung: Diese umfassen Probleme mit der Krankheitsverarbeitung, Depressionen, Angststörungen und Belastungsreaktionen.
- Komorbide Störungen ohne direkten ursächlichen Zusammenhang zur MS: Dies sind psychische Erkrankungen, die bereits vor der MS bestanden oder sich im Krankheitsverlauf entwickelt haben.
Psychiatrische Diagnostik als erster Therapieschritt
Eine sorgfältige psychiatrische Diagnostik ist entscheidend, um die Hintergründe psychischer Beschwerden bei MS-Patienten zu klären. Liegen die Ursachen im neurologischen, psychischen oder sozialen Bereich? Manchmal stellt sich die Frage, warum die Behandlung eines neurologischen Symptoms nicht wie erwartet wirkt. Oft hilft es den Patienten bereits, wenn schwer zu fassende psychische Symptome als solche erkannt und benannt werden. Die Diagnostik kann somit bereits der erste therapeutische Schritt sein. Dieser Prozess erfordert Zeit und ein genaues Hinschauen. Es werden erprobte Instrumente der psychiatrischen Diagnostik, der klinischen Psychologie und Neuropsychologie eingesetzt, wie z. B. Fragebögen.
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Mögliche Inhalte und Ziele der Behandlung
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit spielt eine wichtige Rolle. Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten erfassen die Beschwerden der Patienten aus verschiedenen Perspektiven und beleuchten sie ganzheitlich. Konkrete Diagnosen werden anhand validierter Kriterien der ICD-10 formuliert. Im Fokus der Therapie steht jedoch nicht nur die Diagnose, sondern vor allem die persönliche Situation des Patienten: Was ist wichtig? Worunter leidet der Patient? Was möchte er verändern?
Im Rahmen eines Aufenthalts in der Marianne-Strauß-Klinik besteht die Möglichkeit einer zielorientierten psychotherapeutischen Kurzintervention durch Ärzte oder klinische Neuro-/Psychologen. Die inhaltlichen Schwerpunkte werden in Absprache mit den Patienten festgelegt, z. B.:
- Differenzierung zwischen psychischer Symptomatik und somatischer Erkrankung
- Krankheitsbewältigung
- Umgang mit Emotionen
- Bewältigung familiärer Konflikte
Es werden sowohl tiefenpsychologische und verhaltenstherapeutische Verfahren als auch unterschiedliche Entspannungsmethoden angewendet. Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung mit dem gesamten Spektrum der modernen Psychopharmakotherapie, wobei die immunologische oder symptomatische Medikation des Patienten berücksichtigt wird.
Vernetzung und Zusammenarbeit für einen nachhaltigen Therapieerfolg
Eine enge Zusammenarbeit mit dem niedergelassenen Neurologen, Hausarzt, Psychiater oder Therapeuten ist von großer Bedeutung. Bei Bedarf und nach Absprache mit dem Patienten wird Kontakt zum Behandler aufgenommen, um die im Rahmen der stationären Behandlung erarbeiteten Erkenntnisse zu besprechen. Gemeinsam wird das therapeutische Vorgehen für den Aufenthalt in der Klinik, aber auch für die Zeit nach der Entlassung geplant. Für viele Patienten hat es sich bewährt, ihr soziales Umfeld in die Behandlung einzubeziehen. Paar-, Familien- und Angehörigengespräche sind daher bei Bedarf ein wichtiger Bestandteil der Behandlung.
Depressionen bei Multipler Sklerose
Depressionen sind eine häufige Begleiterscheinung der Multiplen Sklerose. Schätzungen zufolge entwickelt etwa die Hälfte aller MS-Betroffenen im Laufe ihres Lebens eine Depression. Es ist wichtig, Depressionen klar von vorübergehender Traurigkeit und Niedergeschlagenheit zu unterscheiden, die jeder Mensch hin und wieder erlebt. Typisch für eine Depression sind gedrückte Stimmung, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit sowie Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Wertlosigkeit, die über längere Zeit anhalten.
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Ursachen von Depressionen bei MS
Die Ursachen für Depressionen bei MS sind vielfältig und noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch verschiedene Theorien und Erkenntnisse:
- Reaktive Depression: Die Diagnose und der Verlauf der MS können eine reaktive Depression auslösen. Die Einschränkungen der Lebensqualität, die Ungewissheit über die Zukunft und die Angst vor Behinderungen können zu depressiven Verstimmungen führen.
- Organische Ursachen: Entzündungen im Gehirn, die durch die MS verursacht werden, können direkt die Hirnstrukturen beeinflussen, die für die Emotionsregulation zuständig sind. Dies kann zu einer erhöhten Anfälligkeit für Depressionen führen.
- Hormonelle Störungen und Immunsystem: Hormonelle Störungen und eine beeinträchtigte Regulation des Immunsystems werden ebenfalls als mögliche Ursachen von Depressionen bei MS diskutiert.
- Medikamente: Einige Medikamente, die zur Behandlung von MS eingesetzt werden, wie z. B. Interferone, können stimmungsverändernde Eigenschaften haben und Depressionen begünstigen.
- Subjektiver Stress und soziale Unterstützung: Studien haben gezeigt, dass MS-Betroffene depressiver werden, wenn die Erkrankung fortschreitet und in eine chronisch-progrediente Verlaufsform übergeht. Dabei scheint das Auftreten und die Intensität von depressiven Symptomen stark davon abhängig zu sein, wie viel subjektiven Stress die Betroffenen erleben und wie viel soziale Unterstützung sie erfahren.
- Gefühl der Hilflosigkeit: Das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des unvorhersagbaren Verlaufs der Erkrankung kann ebenfalls zur Entstehung einer Depression beitragen.
Auswirkungen von Depressionen auf den MS-Verlauf
Studien haben gezeigt, dass Depressionen den Verlauf der MS negativ beeinflussen können. So haben schwedische Wissenschaftler herausgefunden, dass depressive MS-Patienten ein signifikant höheres Risiko für eine dauerhafte Verschlechterung ihrer Symptome aufweisen. Dies könnte verschiedene Ursachen haben:
- Reaktive Depression aufgrund des Krankheitsprogesses: Die Depression kann eine Folge der fortschreitenden körperlichen Einschränkungen sein.
- Mangelnde Therapietreue: Depressive MS-Patienten nehmen es möglicherweise mit der Einnahme ihrer Medikamente nicht so genau oder es fehlt ihnen der Antrieb zu körperlicher Betätigung.
- Pathophysiologische Gemeinsamkeiten: Es könnten pathophysiologische Gemeinsamkeiten über zerebrale Entzündungsreaktionen bestehen, die sowohl den Krankheitsfortschritt der MS als auch die Depression fördern.
Eine Studie der kanadischen University of British Columbia hat zudem einen Zusammenhang zwischen Depressionen und dem Ausmaß an Behinderungen bei MS nachgewiesen. Demnach nehmen die körperlichen Beeinträchtigungen bei MS-Patienten mit Depressionen stärker zu. Interessanterweise wurde dieser Zusammenhang in der Studie nur bei Frauen festgestellt.
Symptome einer Depression
Die Symptome einer Depression können vielfältig sein und sich von Person zu Person unterscheiden. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Gedrückte Stimmung, Niedergeschlagenheit
- Antriebslosigkeit, Erschöpfung
- Interessenverlust, Freudlosigkeit
- Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Wertlosigkeit
- Schuldgefühle
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Schlafstörungen
- Appetitverlust oder Gewichtszunahme
- Körperliche Beschwerden wie Schmerzen oder Verdauungsprobleme
- Gedanken an den Tod oder Suizid
Diagnose von Depressionen bei MS
Die Diagnose einer Depression bei MS kann schwierig sein, da einige Symptome, wie z. B. Fatigue oder Konzentrationsschwierigkeiten, auch typisch für MS sind. Es ist daher wichtig, dass Ärzte und Psychologen über fundierte Kenntnisse beider Krankheitsbilder verfügen, um eine korrekte Diagnose stellen zu können.
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Behandlung von Depressionen bei MS
Depressionen bei MS sollten unbedingt behandelt werden, da sie die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen und den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen können. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten:
- Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, die Ursachen der Depression zu erkennen und Strategien zur Krankheitsbewältigung zu entwickeln. Besonders bewährt haben sich kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Therapie.
- Medikamentöse Behandlung: Antidepressiva können helfen, die Symptome der Depression zu lindern. Es gibt verschiedene Arten von Antidepressiva, die unterschiedliche Wirkungsweisen haben. Die Wahl des geeigneten Medikaments sollte in Absprache mit einem Arzt erfolgen.
- Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten: In vielen Fällen ist eine Kombination aus Psychotherapie und medikamentöser Behandlung am wirksamsten.
- Weitere Maßnahmen: Ergänzend zu Psychotherapie und Medikamenten können weitere Maßnahmen helfen, die Depression zu bewältigen, wie z. B. Sport und Bewegung, Entspannungstechniken, soziale Kontakte und eine gesunde Ernährung.
Tipps und Strategien zur Bewältigung von Depressionen bei MS
- Sport treiben: Sport steigert die Aktivierung des "Glückshormons" Serotonin.
- Zeit im Freien verbringen: Sonnenlicht kann die Stimmung aufhellen und die Vitamin-D-Produktion anregen.
- Ein Haustier anschaffen: Tiere können Trost und Gesellschaft spenden.
- Zeit mit geliebten Menschen verbringen: Gute Freunde und Familie haben immer ein offenes Ohr.
- Mit dem Arzt oder der MS-Schwester über die Probleme reden: Depressionen sind eine ernstzunehmende Erkrankung und nichts, für das man sich schämen muss.
Verlaufsformen der Multiplen Sklerose
Die Multiple Sklerose kann verschiedene Verlaufsformen annehmen, die sich in ihrem Erscheinungsbild und ihrer Entwicklung unterscheiden:
- Schubförmig remittierende MS (RRMS): Dies ist die häufigste Verlaufsform, bei der Schübe auftreten, in denen neue Symptome entstehen oder sich bestehende verschlimmern. Auf diese Schubphasen folgt meist eine Remission, in der sich die Symptome wieder bessern oder ganz verschwinden.
- Sekundär progrediente MS (SPMS): Diese Verlaufsform entwickelt sich oft aus der RRMS. Es treten keine typischen Schübe mehr auf, stattdessen verschlechtern sich die Symptome langsam und kontinuierlich.
- Primär progrediente MS (PPMS): Bei dieser selteneren Verlaufsform nehmen die Symptome von Beginn an stetig zu, ohne dass Schübe oder ausgeprägte Remissionen auftreten.
- Progressive rezidivierende MS (PRMS): Diese seltene Form zeichnet sich durch eine kontinuierliche Verschlechterung der Symptome von Beginn an aus, wobei jedoch gelegentlich Schubphasen auftreten können.
Leben mit MS und Depression
Eine MS-Diagnose kann das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen grundlegend verändern. Es ist wichtig, sich frühzeitig professionelle Hilfe zu suchen, um die psychischen Belastungen zu bewältigen und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Mit der richtigen Therapie und einem unterstützenden Umfeld können Menschen mit MS und Depression ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben führen.
Juli, eine 46-jährige MS-Patientin mit Depressionen, betont, wie wichtig es ist, offen mit den behandelnden Ärzten über die psychischen Probleme zu sprechen. Sie selbst hat lange versucht, ihre Ängste und Depressionen zu verdrängen, was ihren Zustand jedoch verschlimmerte. Erst nachdem sie sich professionelle Hilfe gesucht hat, konnte sie lernen, mit der Erkrankung umzugehen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
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