Multiple Sklerose und Diabetes: Eine komplexe Verbindung

Multiple Sklerose (MS) und Diabetes sind zwei unterschiedliche Autoimmunerkrankungen, die jedoch überraschende Gemeinsamkeiten aufweisen. Obwohl sie klinisch verschieden sind, gibt es Ähnlichkeiten in der Epidemiologie und bei den Risikofaktoren. Jüngste Forschungsergebnisse deuten auf eine komplexe Verbindung zwischen diesen beiden Erkrankungen hin, die von gemeinsamen genetischen Faktoren bis hin zu ähnlichen Immunmechanismen reicht.

Gestörte Glukosetoleranz bei MS-Patienten

Eine gestörte Glukosetoleranz, eine Vorstufe von Diabetes, tritt bei MS-Patienten häufiger auf als bei gesunden Kontrollpersonen. Bei dieser Problematik wird Zucker zwar im Darm aufgenommen, aber der Blutzuckergehalt wird anschließend nicht ausreichend durch Insulin gesenkt. Diese Komorbidität deutet auf zugrunde liegende Stoffwechselstörungen hin.

Eine Studie untersuchte, ob intensive körperliche Aktivität die Glukosetoleranz bei MS-Patienten verbessern kann. 34 Patienten wurden in drei Gruppen eingeteilt: eine Kontrollgruppe ohne körperliche Aktivität, eine Gruppe mit 12-wöchigem Hochintensitäts-Intervalltraining mit zusätzlichem Widerstandstraining und eine Gruppe mit 12-wöchigem durchgehend intensivem aeroben Training mit zusätzlichem Widerstandstraining.

Die Ergebnisse zeigten, dass sich bei den sportlich aktiven Patienten der Blutzuckergehalt veränderte. Die Intervallgruppe und die durchgehend Intensivsportgruppe wiesen eine reduzierte Glukosekonzentration auf. Auch die Insulinkonzentration verringerte sich in der durchgehend intensiv sportlichen Gruppe. Gleichzeitig steigerte sich der Glukosetransporter-Gehalt im Muskel bei den Intervallsportlern. Die Studie deutet darauf hin, dass MS-Patienten durch intensives sportliches Training in Kombination mit Widerstandstraining ihre Glukosetoleranz verbessern könnten.

Gemeinsame Autoimmunmarker

Kanadische Wissenschaftler untersuchten die T-Zell-Reaktivität von MS-Patienten, Kindern mit Diabetes Typ 1, Verwandten von Diabetes-Patienten und gesunden Probanden. Es stellte sich heraus, dass die T-Zellen der MS-Patienten auch auf Autoantigene reagierten, die mit Diabetes assoziiert sind. Umgekehrt erkannten die T-Zellen von Diabetes-Patienten und ihren Verwandten mindestens ein MS-assoziiertes Antigen. Lymphozyten gesunder Probanden wiesen diese Eigenschaften nicht auf. Diese Ergebnisse legen nahe, dass MS und Diabetes Typ 1 möglicherweise gemeinsame Autoimmunmechanismen aufweisen.

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Die Aufklärung der Rolle der Immunphänomene könnte völlig neue therapeutische Ansatzpunkte eröffnen. Es besteht auch die Hoffnung, anhand der neuen Autoimmunmarker MS in der präklinischen Phase zu diagnostizieren und zu therapieren.

Zuckermolekül als Biomarker für schwere MS

Forschende der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) haben gemeinsam mit einem Team aus den USA und Kanada ein Zuckermolekül entdeckt, dessen Konzentration im Blut von Patientinnen und Patienten mit besonders schwerer Multipler Sklerose verringert ist. Diese Entdeckung könnte eine neue Therapieoption eröffnen.

Die Multiple Sklerose äußert sich bei jedem Menschen anders, insbesondere bei der chronisch fortschreitenden Verlaufsform, bei der sich der Zustand der Patienten kontinuierlich verschlechtert. Aktuelle Therapieansätze zielen darauf ab, das fehlgesteuerte Immunsystem zu modulieren, das irrtümlich die Myelinschicht der Nervenzellen angreift.

Die Forscher fanden heraus, dass der Einfachzucker N-Acetylglucosamin (GlcNAc) eine wichtige Rolle bei der Entstehung der progredienten MS spielen könnte. Bei dieser schweren Form der Erkrankung liegen deutlich geringere Konzentrationen an N-Acetylglucosamin im Blutserum vor als bei gesunden Menschen oder Patientinnen und Patienten mit schubförmiger MS. Niedrige Serumspiegel von GlcNAc sind mit einem progressiven Krankheitsverlauf, klinischer Behinderung und Neurodegeneration assoziiert.

Die Forschenden hoffen, dass sich GlcNAc nicht nur als Biomarker für die progrediente MS eignet, sondern darüber hinaus eine neue Therapieoption eröffnen könnte, indem es die Myelinreparatur fördert und so die Neurodegeneration verringert.

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Begleiterkrankungen und Lebensqualität

Menschen mit MS sind nicht selten von Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) betroffen. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 zeigte, dass Menschen mit MS gehäuft Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische Erkrankungen (wie Depression und Ängste) und weitere Autoimmunerkrankungen aufweisen. Im Vergleich zu Kontrollgruppen ohne MS traten zudem häufiger Migräne, das Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Epilepsie auf.

Für metabolische Erkrankungen wie Typ 2 Diabetes, Hyperlipidämie und Insulinresistenz gab es Hinweise, dass erhöhte Blutzuckerspiegel und Insulinresistenz mit dem Behinderungsgrad bei MS und einer Erhöhung von Entzündungsmarkern im Blut zusammenhängen könnten.

Eine Studie analysierte medizinische Daten zu Begleiterkrankungen von Personen mit MS über 60 Jahren. Als Vergleichsgruppe dienten Personen ähnlichen Alters ohne MS. Menschen mit MS litten am häufigsten unter Schmerzen, gefolgt von Herzerkrankungen, Depression, Bluthochdruck, Dyslipidämie und Adipositas. Verglichen mit Kontrollpersonen ohne MS, wurden bei den von MS-Betroffenen Depressionen und Osteoporose häufiger diagnostiziert.

Personen mit Begleiterkrankungen hatten durchschnittlich eine stärkere Fatigue und niedrigere Lebensqualität. Die effektive Behandlung solcher Begleiterkrankungen ist demnach auch besonders mit Blick auf die Lebensqualität wichtig.

Einfluss von Diabetes Typ 1 auf das Hirnvolumen bei MS

Italienische Forscher untersuchten den Einfluss von Autoimmunerkrankungen auf das Hirnvolumen bei MS-Patienten. Sie verglichen MS-Patienten mit autoimmuner Begleiterkrankung und solche ohne Begleiterkrankungen. Bei den Patienten mit einer Autoimmunerkrankung hatten die meisten eine autoimmune Schilddrüsenentzündung, gefolgt von Diabetes Typ 1 und selten eine Zöliakie.

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Die Forscher fanden Hinweise darauf, dass Typ 1 Diabetes den Verlust von Hirnvolumen bei Multipler Sklerose beeinflussen kann. Wenn sich diese Vermutung bestätigt, könnte das zukünftig bedeuten, dass die Begleiterkrankung noch stärker bei der Therapieauswahl berücksichtigt werden sollte. Auch könnte das bedeuten, dass Patienten mit MS und Diabetes Typ 1 zum Beispiel eine Neurorehabilitation machen oder mit geeigneten Gehirnjoggingspielen ihre kognitive Leistungsfähigkeit trainieren sollten.

Insulinresistenz und MS

Das Gehirn ist der energetische Großverbraucher im menschlichen Körper und benötigt Glukose als Hauptenergiequelle. Insulinresistenz, bei der die Empfindlichkeit der Insulinrezeptoren gestört ist, kann zu einer mangelnden Glukoseverwertung in den Zellen führen, was insbesondere das Gehirn beeinträchtigt.

Die Insulinresistenz wird durch mangelnde körperliche Bewegung noch zusätzlich verstärkt. Sie hat für viele Aspekte der MS entscheidende Auswirkungen, wie z.B. gestörte Myelinisierungsprozesse, erhöhten oxidativen Stress und fehlerhaften Proteintransport. Studien haben gezeigt, dass der Schweregrad einer MS-Erkrankung eindeutig positiv mit einer Insulinresistenz korreliert ist.

Ernährungsempfehlungen

Eine ausgewogene Ernährung kann eine wichtige Rolle bei der Behandlung von MS und Diabetes spielen. Es ist wichtig, zwischen verschiedenen Zuckerarten zu unterscheiden. Einfachzucker wie Traubenzucker (Glukose) und Zweifachzucker wie Haushaltszucker (Saccharose) haben große Insulineffekte, während die Einfachzucker D-Galaktose oder Ribose nur sehr geringe oder keine Auswirkung auf den Insulinspiegel haben.

D-Galaktose kann unabhängig vom Insulin von den Zellen aufgenommen werden. Energie kann auch über Stoffwechselvorgänge in der Leber in Form von Ketonkörpern bereitgestellt werden. Eine Möglichkeit dafür bietet die Ernährung mit sogenannten MCTs (MediumChainTriglycerides), die direkt vom Darm zur Leber befördert und zu energetischen Zwecken verstoffwechselt werden.

Studien zeigen, dass die Einlagerung mittelkettiger Fettsäuren mit 12 Kohlenstoffatomen und sogar langkettiger Fettsäuren mit 14 Kohlenstoffatomen in den Zellmembranen invers mit dem EDSS und dem FFS korreliert ist, sich also günstig auf den Verlauf der Erkrankung auswirken. Die mittelkettige Laurinsäure ist ein Hauptbestandteil von Kokosöl und auch die langkettige Myristinsäure findet sich dort.

Fruktose hat zwar einen niedrigen glykämischen Index, wird aber in der Leber sehr schnell in Fett umgewandelt, was zu Gewichtszunahme und abdominaler Adipositas führen kann.

Genetische Verbindungen

Ein internationaler Wissenschaftsverbund hat 29 neue Genvarianten identifiziert, die mit der Entstehung von Multipler Sklerose in Verbindung stehen. Eine große Zahl der identifizierten Gene spielen eine Schlüsselrolle für die Funktion des Immunsystems, insbesondere bei der Funktion der T-Zellen. Auffällig ist, dass ein Drittel der identifizierten Gene bereits für die Entstehung anderer Autoimmunkrankheiten (Morbus Crohn, Diabetes Typ 1) ausgemacht wurden.

Nervenschutz durch Diabetes-Medikamente

Wissenschaftler erkannten einen gewissen Nervenschutz durch Wirkstoffe wie Metformin oder Pioglitazon. Eine argentinische Studie mit 50 Probanden zeigte, dass zumindest Diabetiker von den Wirkstoffen profitieren könnten.

Bei Patienten, die gleichzeitig Multiple Sklerose und Diabetes Typ 2 haben, könnte die Entzündungsreaktion stark erhöht sein. Die Behandlung mit Metformin oder Pioglitazon führte zu einer deutlichen Abnahme an neuen oder sich ausdehnenden MS-Läsionen, gemessen per MRT. Auch MS-typische Biomarker waren gesunken.

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