Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das eigene Immunsystem die Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark angreift. Die Erkrankung betrifft das zentrale Nervensystem und führt zu Symptomen wie Muskelschwäche, Koordinationsproblemen und Müdigkeit. Die schützende Isolierschicht der Nervenzellen, die sogenannte Myelinscheide, wird beschädigt, was dazu führt, dass Nervenimpulse verzögert oder blockiert werden. Sport und Bewegung können für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) eine wichtige Rolle spielen, um Beschwerden zu lindern und aktiv am Leben teilzunehmen.
Früher wurde Menschen mit MS von körperlicher Aktivität abgeraten. Heute wissen wir jedoch, dass Sport keinerlei negative Effekte auf die Schubrate hat. Bei regelmäßigem Training werden vermehrt entzündungshemmende Botenstoffe produziert, die die Krankheitsaktivität mildern können. Bereits nach vier Wochen Training konnten Menschen mit MS messbare Erfolge erzielen - ihre Beweglichkeit verbesserte sich und Müdigkeitssymptome gingen zurück.
Vorteile von Sport bei MS im Überblick
Multiple Sklerose wird oft auch als „Krankheit mit tausend Gesichtern“ bezeichnet, weil sie sich in ihrem Verlauf und ihrer Symptomatik von Person zu Person stark unterscheiden kann. Sport und Bewegung können Schwindelgefühl, Gleichgewichts- oder Koordinationsstörungen lindern und die Mobilität von Menschen mit MS deutlich verbessern. Sie sind deshalb eine sinnvolle unterstützende Therapie für betroffene Personen.
Mögliche positive Auswirkungen von Sport auf Menschen mit MS sind:
- Verbesserung der Muskelkraft
- Steigerung der Mobilität
- Stärkung des Gleichgewichts und der Körperstabilität
- Förderung des Selbstvertrauens
- Steigerung der Lebensqualität
Darüber hinaus verringert Sport das Risiko von Begleiterkrankungen wie Fettleibigkeit, Herz-Kreislauferkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs, Arthritis, Osteoporose und Depressionen.
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Die individuelle Symptomatik sollte bei der Auswahl der Übungen und der Sportarten immer berücksichtigt werden, damit Kraft, Ausdauer, Gleichgewicht und Koordination bei Menschen mit MS optimal verbessert werden. Es ist ratsam, sich von einem Facharzt beraten zu lassen und einen entsprechenden Trainingsplan erstellen zu lassen.
Sportliche Betätigung bei MS: Was ist empfehlenswert?
Allgemein scheint für die meisten MS-Patientinnen und -Patienten eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining gepaart mit Beweglichkeits- und Koordinationsübungen empfehlenswert. Bei Sportarten wie Laufen, Walken, Schwimmen oder Radfahren werden Herz und Kreislauf über den Trainingszeitraum hinweg gleichmäßig und moderat belastet. Mit Krafttraining im Fitnessstudio oder bei der Wassergymnastik können Erkrankte zusätzlich dem Abbau der Muskeln - vor allem in den unteren Extremitäten - und der Verringerung der Knochendichte entgegenwirken. Flexibilitäts-, Gleichgewichts- und Dehnungsübungen, wie sie zum Beispiel beim Yoga oder Pilates vorkommen, machen Muskeln und Gelenke stark und geschmeidig. Schmerzende Muskelkrämpfe lassen sich so verringern. Auch Stürzen können Betroffene so vorbeugen.
Je nach Schweregrad der MS-Erkrankung kommen unterschiedliche Aktivitäten in Frage - auch, um unnötige Verletzungen zu vermeiden. Nicht vergessen: Selbstüberschätzung kann auch für kerngesunde Menschen schnell gefährlich sein. Wenn Sie also überlegen, eine bestimmte Sportart auszuprobieren, sprechen Sie vorher am besten mit Ihrem behandelnden Arzt oder Ihrer Ärztin.
Empfehlenswerte Sportarten im Überblick
- Wassergymnastik: Stabilisiert die Mobilität und unterstützt das Herz-Kreislauf-System. Besonders gut geeignet bei spastischen MS-Symptomen (nicht kontrollierbare Muskelspannungen), weil der Körper aktiv und passiv bewegt wird.
- Outdoor-Sportarten wie Nordic Walking: Verbessern Bewegungsabläufe, Koordination sowie Lungenfunktion und können Fatigue-Beschwerden lindern.
- Tai Chi und Qi Gong: Rhythmische und langsame Bewegungen helfen besonders bei Ataxie, also bei Störungen in der Bewegungskoordination.
- Kanufahren oder Stand-up-Paddling: Trainieren den ganzen Körper, fördern den Gleichgewichtssinn sowie Bewegungsabläufe. Je nach Schwere der Erkrankung kann Stand-up-Paddling aber auch zum Sit-up-Paddling werden. Das heißt: man sitzt oder kniet auf dem Board, statt zu stehen.
- Rollstuhlsport: Der Deutsche Rollstuhl-Sportverband e.V. (DRS) listet mehr als 30 Sportarten auf, die für Menschen mit Mobilitätseinschränkung geeignet sind. Das Rollstuhlsport-Angebot reicht grundsätzlich von Badminton und Tennis über Hockey und Tanzen bis hin zu Kampfkünsten und Sportschießen. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf der Erhaltung der Leistungskraft und Stärkung des Körpers - es geht ebenso darum, die Lebensqualität, Selbstbestimmung und die sozialen Kontakte zu fördern. Welche Sportart für MS-Betroffene individuell am besten passt, sollte immer mit den behandelnden Fachpersonen abgesprochen werden.
Spezifische Symptome und passende Trainingsansätze
Muskelkraft
Neurologische Störungen reduzieren die Muskelkraft, wobei bei MS-Erkrankten vor allem die untere Körperhälfte betroffen ist. Alle Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Kraft durch Training gesteigert werden kann. Negative Folgen treten nicht ein.
Ausdauerleistung
Die Leistungsfähigkeit von Herz und Atmung (kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit) kann bei MS-Erkrankten häufig geringer sein als bei Gesunden, was zu vorzeitiger Erschöpfung bei Belastung führt. Entsprechendes Training, zum Beispiel auf dem Laufband oder Fahrradergometer, kann die Ausdauerleistung langfristig verbessern.
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Beweglichkeit und Spastik
Spastik führt oft zu einer eingeschränkten Beweglichkeit. In der therapeutischen Praxis geht man davon aus, dass sanfte Dehnung der Muskulatur helfen kann. Die gut koordinierte Aktivierung der Muskeln ist der Schlüssel zu einer besseren Leistungsfähigkeit.
Fatigue
Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass die Fatigue durch Ausdauertraining beeinflussbar ist. Vor allem ein angepasstes Aerobictraining, Walking und Ergometertraining sind hilfreich.
Gleichgewicht
Viele MS-Erkrankte haben Gleichgewichtsstörungen, diese sind eine häufige Sturzursache. Zu diesem Punkt gibt es nur wenige Untersuchungen. Eine Studie konnte allerdings belegen, dass die Sturzhäufigkeit durch regelmäßiges Balancetraining signifikant verringert wird.
Depressionen
Durch aerobes Training konnte bei MS-Patienten eine antidepressive Wirkung bei leichten und mittelschweren Depressionen und eine verbesserte Stimmung nachgewiesen werden.
Vegetative Störungen
Beckenbodentraining und Ausdauertraining können Verbesserungen der Blasen- und Darmentleerung erzielen.
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Praktische Tipps und Übungen für den Alltag
Einfache physiotherapeutische Übungen können bereits einen großen Unterschied in deinem Alltag mit MS machen.
- Balance-Haltung: Stelle dich in Schrittstellung hin, je breiter deine Beine, desto stabiler stehst du. Halte diese Position so lange wie möglich.
- Stehende Liegestütze: Stelle dich vor eine Arbeitsplatte und greife deren Rand. Beuge deine Arme und führe den Oberkörper in Richtung Hände, während deine Fersen am Boden bleiben.
- Baue kleine Übungen in deinen Alltag ein - empfehlenswert ist die mehrfache Durchführung für jeweils 10-15 Minuten, 2-3 Mal wöchentlich.
- Zehenstand: Drücke dich langsam mit den Fersen vom Boden ab, bis du auf den Zehen stehst.
- Wechselseitige Armschere: Im hüftbreiten Stand vor einer Küchenzeile eine Hand auf der Arbeitsplatte, die andere am Schrank.
MS und Sport: Das sollten Sie generell beachten
Ganz wichtig: Sprechen Sie mit Ihrer behandelnden Fachperson, stecken Sie sich realistische Ziele und trainieren Sie regelmäßig. Menschen mit MS profitieren in der Regel zusätzlich von folgenden Tipps:
- Achten Sie gut auf Ihre Grenzen.
- Starten Sie langsam und steigern Sie immer zuerst die Dauer der körperlichen Aktivität, dann die Häufigkeit und schließlich die Intensität.
- Achten Sie dabei auf Ihren Körper und unterbrechen Sie bei auftretenden Symptomen wie Müdigkeit oder Gleichgewichtsproblemen das Training.
- Vermeiden Sie Überhitzung. Tragen Sie atmungsaktive Sportkleidung und haben Sie immer etwas zur Kühlung dabei - zum Beispiel eine Flasche mit kaltem Wasser oder einen Mini-Ventilator.
- Trainieren Sie nicht an heißen Tagen.
- Trainieren Sie nicht während eines akuten Schubes und sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin, ehe Sie nach einem Schub wieder mit dem Training beginnen.
- Wärmen Sie sich gut auf und dehnen Sie sich ausgiebig nach dem Sport. Das beugt Versteifungen und Spastiken vor.
Bereits zwei Mal 20 bis 30 Minuten Training pro Woche können bei Multiple Sklerose die Muskelkraft steigern und Fatigue deutlich verbessern.
Hilfsmittel und Technologien zur Unterstützung
Hilfsmittel können Hindernisse beseitigen und dein Leben erheblich erleichtern. Für die Mobilität eignen sich Gehstöcke, Gehhilfen wie Rollatoren oder bei Bedarf ein Rollstuhl. Lasse dich vor der Anschaffung von einer Fachperson beraten, um die ideale Lösung für deine Situation zu finden.
Moderne Technologien bieten hervorragende Möglichkeiten für ein individuelles Training. Für digitale Therapieansätze wurde in Studien eine sehr hohe Compliance von über 90% festgestellt. Apps wie MS Active, Brisa oder Runtastic helfen bei der Übungsdurchführung, Dokumentation von Fortschritten und Motivation.
Motivation und langfristiger Erfolg
Für den langfristigen Erfolg mit Physiotherapie bei MS ist es entscheidend, dranzubleiben und Übungen regelmäßig durchzuführen. Doch gerade bei einer chronischen Erkrankung wie Multiple Sklerose kann die Motivation manchmal schwinden. Ein Sporttagebuch hilft dir, deine individuellen Belastungsgrenzen zu erkennen und einzuschätzen. Trage täglich deine Aktivitäten mit Dauer und resultierendem Befinden ein. Auf diese Weise kannst du mit der Zeit ablesen, welche Übungen besonders gut zu dir passen und welche du besonders gut verträgst. Die positiven Effekte einer regelmäßigen Rehabilitation halten bei MS etwa 6 bis 9 Monate an.
Kleine Tricks und Kniffe können deine Motivation erheblich steigern. Besonders wirksam sind konkrete Belohnungen: Ist neben der Therapie-Praxis ein Sushi-Lokal? Dann gönne dir nach jedem vierten Training ein Sushi-Menü zum Mitnehmen. Zudem kann ein E-Bike eine fantastische Motivation sein, da die elektrische Unterstützung die Barriere abbaut, einfach loszuradeln. Nicht zuletzt kann auch der Besuch von Sportveranstaltungen motivierend wirken.
Bewegungsempfehlungen und Trainingsprinzipien
Die Bewegungsempfehlungen für Menschen mit MS entsprechen im Wesentlichen denen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Um einen messbaren Nutzen für die Gesundheit zu erzielen, empfiehlt die WHO mindestens 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive aerobe körperliche Aktivität pro Woche. Ergänzend dazu sollten zweimal pro Woche Übungen zur Kräftigung der großen Muskelgruppen durchgeführt werden.
Gezieltes Ausdauertraining und hochintensives Intervalltraining (HIIT) haben sich als besonders effektiv und zeitsparend erwiesen. HIIT kombiniert kurze, intensive Trainingsphasen mit aktiven Erholungsphasen.
Weitere Sportarten und Bewegungskonzepte
Die Bandbreite möglicher Sportarten und Trainings für Patientinnen und Patienten mit MS ist weit. Hier eine Auswahl an Sportarten in alphabetischer Reihenfolge:
- Aqua-Gymnastik: Kräftigt und mobilisiert den Körper, verbessert Gangmuster und Ausdauer.
- Bewegungslehren (Eutonie, Feldenkrais, Qigong, Tai Chi, Yoga): Stärken das innere Gleichgewicht, erhöhen die Körperwahrnehmung und können MS-Symptome lindern.
- Fitness/Aerobic: Dynamisches Ganzkörpertraining, das Ausdauer und Koordination trainiert.
- Gerätetraining: Steigert die Leistungsfähigkeit auf vielen Ebenen, trainiert Ausdauer, Koordination, Kraft und Gleichgewicht.
- Golf: Vereint Sport und Ausgleich an der frischen Luft, schult Konzentration und Ausdauer.
- Gymnastik: Dient der Erhaltung und Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, mobilisiert die Wirbelsäule, stärkt die Muskulatur.
- Kampfsport: Fördert Körperbeherrschung, Konzentration, Reaktion und Gleichgewicht (eher für Menschen mit geringer MS-Symptomatik geeignet).
- Kanufahren/Paddeln: Schult Gleichgewichtssinn sowie Koordination, trainiert die Rumpf- und Armmuskulatur.
- Klettern: Effektives Ganzkörpertraining, das Kraft und Ausdauer erhöht, aktiviert ein komplexes Bewegungsmuster.
- Laufen/Joggen: Trainiert das Herz-Kreislauf-System, die Ausdauer und die physische Leistung des Körpers.
- Nordic Walking: Gesundheitsorientiertes Ausdauertraining, das viele Muskelgruppen des Körpers aktiviert.
- Radfahren: Stärkt Ausdauer und Kraft, wirkt der motorischen Fatigue entgegen.
- Reiten: Fördert Ausdauer, Muskelaufbau sowie Gleichgewichts- und Körpergefühl.