Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie wird oft als "Krankheit mit den 1000 Gesichtern" bezeichnet, da sie sich bei jedem Betroffenen anders äußert und in Verlauf, Beschwerdebild und Therapieerfolg stark variiert. Weltweit sind etwa 2,8 Millionen Menschen betroffen, in Deutschland schätzt man die Zahl auf rund 300.000, mit jährlich etwa 15.000 Neuerkrankungen. MS beginnt meist im frühen Erwachsenenalter, kann aber auch später im Leben auftreten. Obwohl die Forschung große Fortschritte gemacht hat, sind viele Fragen zu Ursachen und Heilung weiterhin offen.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umhüllen. Myelin isoliert die Nervenfasern und ermöglicht eine schnelle Signalübertragung, ähnlich wie die Isolierung eines Stromkabels. Werden die Myelinscheiden durch Entzündungen geschädigt, kann dies zu Störungen der Nervenleitgeschwindigkeit führen, was wiederum vielfältige neurologische Symptome verursacht.
Die Erkrankung ist durch eine Fehlregulation des Immunsystems gekennzeichnet, bei der Immunzellen fälschlicherweise Myelin angreifen. Dies führt zur Bildung von Entzündungsherden im Gehirn und Rückenmark, was in einer gestörten Nervenleitung resultiert. Man geht davon aus, dass sich die Entzündungsaktivität zum einen in akuten Schüben äußert, zum anderen in einer schleichenden, dauerhaft schwelenden Inflammation, die teils unabhängig von den Schüben auftritt.
Wie häufig ist Multiple Sklerose?
Deutschlandweit beträgt nach aktuellen Auswertungen der Gesetzlichen Krankenversicherung die Prävalenz 0,362 Prozent auf 73,2 Mio. gesetzlich Versicherte in der Krankenversicherung. Aufgrund eines anzunehmenden gleichen Anteils an Privatversicherten mit Multipler Sklerose ist derzeit mit rund 300.000 Menschen mit MS bundesweit zu rechnen (Holstiege 2024). Die Anzahl der neu diagnostizierten MS-Erkrankten pro Jahr ist steigend (Heitmann et al., 2020). Jährlich werden um die 15.000 Menschen mit MS in Deutschland neu diagnostiziert, zunehmend mehr Frauen als Männer. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Meist wird MS zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr festgestellt, in manchen Fällen aber auch im Kindes- und Jugendalter.
Symptome der Multiplen Sklerose
Die Symptome der MS sind vielfältig und variieren von Person zu Person, abhängig davon, welche Bereiche des Gehirns und Rückenmarks betroffen sind. MS wird daher auch als "Krankheit der tausend Gesichter" bezeichnet. Die Symptome können schubweise auftreten oder sich kontinuierlich verschlechtern.
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Häufige Symptome sind:
- Motorische Störungen: Lähmungserscheinungen, Feinmotorikstörungen, Unsicherheit beim Gehen
- Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Taubheitsgefühl, Missempfindungen
- Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppelbilder, Sehnerventzündung
- Sprachstörungen: Verwaschene Sprache
- Ermüdbarkeit: Erschöpfung (Fatigue)
- Blasen- und Darmfunktionsstörungen
- Sexuelle Funktionsstörungen
MS-Schübe
Häufig kennzeichnet sich der Beginn einer Multiplen Sklerose (MS-Krankheit) durch einen sogenannten Schub. Bei einem MS-Schub kommen mehrere (multiple) Entzündungen an verschiedenen Stellen im Gehirn und Rückenmark akut zusammen. Diese Entzündungsherde können sich dann ganz unterschiedlich in Form von Symptomen äußern.
Wann spricht die Medizin von einem MS-Schub? Ein MS-Schub tritt auf, wenn mehr als 24 Stunden und mehr als 30 Tage nach Beginn des letzten Schubs neue oder bekannte Symptome auftreten. Einen MS-Schub zu erkennen, ist gar nicht so einfach. Die Dauer eines Multiple Sklerose-Schubs variiert zwischen einigen Stunden, Tagen oder Wochen. Danach klingen die Beschwerden langsam ab. Ein akuter MS-Schub ist immer ein Notfall. Die Schubsymptome sollten möglichst innerhalb der nächsten zwei bis fünf Tage behandelt werden. Wenn bei Ihnen plötzlich neue neurologische Symptome auftreten oder sich bereits bekannte MS-Symptome verstärken, sollten Sie einen Arzt aufsuchen. Am besten Ihren behandelnden Neurologen.
Typische Frühanzeichen
Erste Anzeichen, die viele Multiple-Sklerose-Patientinnen und -Patienten bemerken, sind:
- Sehstörungen wie trüber Blick, Sehausfall im Zentrum des Blickfelds, Doppelbilder, eingeschränktes Farbensehen, (vorübergehende) Blindheit, Schmerzen bei Augenbewegung
- Missempfindungen wie Taubheitsgefühl oder Kribbeln
- Lähmungen
- Koordinationsstörungen, beispielsweise bei Gleichgewicht, Fein- und Zielmotorik
- Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten
Ursachen und Risikofaktoren
Die genauen Ursachen der MS sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt.
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Zu den Risikofaktoren gehören:
- Genetische Veranlagung: MS ist zwar nicht direkt erblich, aber das Risiko, an MS zu erkranken, ist höher, wenn ein Familienmitglied betroffen ist.
- Infektionen: Bestimmte Infektionen, insbesondere mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), werden mit einem erhöhten MS-Risiko in Verbindung gebracht. Auch Masern und das humane Herpesvirus 6 werden diskutiert.
- Vitamin-D-Mangel: Ein niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut kann das Risiko erhöhen.
- Rauchen: Rauchen erhöht das Risiko und kann den Krankheitsverlauf beschleunigen.
- Übergewicht: Übergewicht, insbesondere in der Kindheit und Jugend, kann das MS-Risiko erhöhen.
- Luftverschmutzung: Schadstoffe in der Luft könnten die Entstehung oder Verschlimmerung von MS begünstigen.
Man vermutet, dass nicht nur genetische Faktoren an der Entstehung von MS beteiligt sind, sondern vielmehr die Umwelt eine entscheidende Rolle spielt. In Zahlen heißt das: etwa ein Viertel der Ursachen werden auf Genetik und Dreiviertel auf die Umwelt zurückgeführt. Mit Umwelt ist gemeint wie und wo ein Mensch lebt, also z.B. Einigen Faktoren, die eine Entstehung von Multipler Sklerose begünstigen, kann effektiv entgegengewirkt werden. Ausreichend Bewegung an der frischen Luft ist wichtig und trägt zu einem gesunden Vitamin-D-Spiegel im Blut bei. Auch rauchen kann das Risiko für Multiple Sklerose erhöhen.
Diagnose der Multiplen Sklerose
Die Diagnose von MS kann komplex sein, da die Symptome vielfältig und unspezifisch sein können. Der Diagnoseprozess umfasst in der Regel:
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der motorischen Fähigkeiten, der Sensibilität, der Reflexe und der Hirnnervenfunktionen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung des Gehirns und Rückenmarks zur Visualisierung von Entzündungsherden (Läsionen). Die MRT dient nicht nur der Diagnose, sondern auch der Verlaufsbeobachtung.
- Liquoruntersuchung (Lumbalpunktion): Analyse des Nervenwassers auf entzündliche Veränderungen. Die Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) mittels Lumbalpunktion kann entzündliche Veränderungen nachweisen, die für MS typisch sind.
- Elektrophysiologische Untersuchungen (Evozierte Potentiale): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Schäden an den Nervenbahnen festzustellen. Die elektrophysiologischen Untersuchungen (evozierte Potentiale) helfen bei der Beurteilung der Nervenleitung in den motorischen, sensorischen, visuellen und auditiven Hirn- und Rückenmarksarealen.
- Blutuntersuchung: Zum Ausschluss anderer Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können. Manche Erkrankungen wie die durch Zecken übertragene Borreliose und die Autoimmunerkrankung Lupus verursachen ähnliche Symptome wie MS und auffällige Blutwerte. Mit einer Blutuntersuchung lassen sich solche Erkrankungen ausschließen.
Verlaufsformen der Multiplen Sklerose
Die Erkrankung verläuft bei jeder Patientin und jedem Patienten anders. Fachleute unterscheiden bei der Multiplen Sklerose drei grundlegende Verlaufsformen, die ineinander übergehen können.
- Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Bei den meisten Betroffenen (ca. 80%) treten die Symptome in Schüben auf, gefolgt von Phasen der teilweisen oder vollständigen Erholung (Remission). Bei etwa 80 Prozent der Patientinnen und Patienten beginnt die Erkrankung auf diese Weise im jungen Erwachsenenalter.
- Sekundär progrediente MS (SPMS): Nach mehreren Jahren (oft 10-20 Jahre) kann sich die RRMS in eine SPMS entwickeln, bei der die Symptome kontinuierlich fortschreiten, unabhängig von Schüben. Eine ursprünglich schubförmig verlaufende Multiple Sklerose (RRMS) entwickelt sich häufig nach 10 bis 20 Jahren in ihrem Verlauf: Die Beschwerden verändern sich bei etwa 15 Prozent der Betroffenen langsam und kommen weniger in Schüben, sondern bleiben länger oder sogar dauerhaft.
- Primär progrediente MS (PPMS): Bei etwa 10-15% der Patienten schreitet die Erkrankung von Beginn an kontinuierlich fort, ohne Schübe oder Remissionen.
Behandlung der Multiplen Sklerose
Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Häufigkeit und Schwere der Schübe zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
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Die Behandlung umfasst in der Regel:
- Schubtherapie: Hochdosierte Kortikosteroide (z.B. Kortison) werden intravenös verabreicht, um Entzündungen während eines akuten Schubs zu reduzieren. Für die Schubtherapie stehen vor allem Kortisonpräparate zur Verfügung, die die Entzündungen eindämmen sollen. Im akuten Schub werden sie über drei bis fünf Tage als Infusion verabreicht (Hochdosis-Schubtherapie).
- Verlaufsmodifizierende Therapie (Immuntherapie): Medikamente, die das Immunsystem modulieren oder unterdrücken, um die Entzündungsaktivität zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Dabei stehen mittlerweile etwa 20 verschiedene medikamentöse Therapien zur Verfügung in oraler Form, als Injektionstherapie oder als Infusionstherapie. Entschieden wird gemeinsam mit den Patienten und Patientinnen unter Betrachtung der Aktivität der Erkrankung, Berücksichtigung von Begleiterkrankungen und Einbeziehung der individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände.
- Symptomatische Therapie: Medikamente und Therapien zur Linderung spezifischer Symptome wie Spastik, Schmerzen, Fatigue, Blasenfunktionsstörungen usw. Hier steht die Linderung von Symptomen im Zentrum der Behandlung.
- Physiotherapie: Zur Verbesserung der motorischen Fähigkeiten, der Koordination und des Gleichgewichts. Für pflegebedürftige Menschen mit Multiple Sklerose bietet das sogenannte Bobath-Konzept eine Möglichkeit, ihre motorischen Fähigkeiten zu fördern.
- Ergotherapie: Zur Verbesserung der Alltagskompetenzen und der Handfunktion.
- Logopädie: Zur Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
- Psychotherapie: Zur Bewältigung der psychischen Belastungen, die mit der Erkrankung einhergehen können. Auf Dauer kann eine MS die Psyche belasten - vor allem bei regelmäßigen Schmerzen. Dabei entwickeln viele Patienten depressive Symptome und Ängste.
- Weitere Therapien: In vielen Fällen wird auf eine sogenannte Blutwäsche ausgewichen (Plasmapherese), bei der Blut entnommen, gereinigt und wieder in den Körper zurückgeleitet wird. Die Plasmapherese ist nur in speziellen Zentren möglich und wird auch nur bei schweren akuten Schüben durchgeführt. Nebenwirkungsärmer ist eine spezielle Form der Blutwäsche: die sogenannte Immunadsorption. Hierbei wird das Blut in Plasma (Blutflüssigkeit) und Blutzellen getrennt. Diese Form der Behandlung eröffnet neue Perspektiven beispielsweise bei schweren Schüben, die nicht auf eine Cortisontherapie ansprechen. Die Therapie erfolgt stationär und dauert etwa ein bis zwei Wochen. Dabei wird etwa jeden zweiten Tag eine Behandlung von etwa drei Stunden Dauer durchgeführt.
Anpassung des Lebensstils
Multiple-Sklerose-Patientinnen und -Patienten können durch einen gesunden und ausgewogenen Lebensstil zu einem gewissen Grad selbst den Verlauf ihrer Erkrankung und die Stärke ihrer Symptome beeinflussen. Kraft- und Ausdauertrainings helfen, die Muskelkraft und Balance zu verbessern. Zudem profitieren die Lebensqualität und Psyche von regelmäßigem Sport - ein wichtiger Punkt bei einer Erkrankung, die sehr belasten kann.
Ihre Ernährung können Sie auf Ihre Erkrankung abstimmen: Es gibt zwar keine spezielle MS-Diät, aber eine Fülle von Empfehlungen, zum Beispiel eine vegane Ernährungsweise, eine antientzündliche Diät oder auch eine Ernährung, bei der möglichst wenig Kohlehydrate (low carb), aber viele Proteine aufgenommen werden. Hochdosierte Vitamin-D-Gaben können MS-Schübe vermindern, also die MS-Aktivität etwas verlangsamen. Vitamin D wird vom Körper gebildet, sobald er Sonnenlicht bekommt.
Leben mit Multipler Sklerose
Die Diagnose MS kann zunächst beängstigend sein. Es ist wichtig, die Erkrankung anzunehmen und das Leben aktiv zu gestalten. Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein. Die MS-Selbsthilfe gibt Betroffenen Halt und ermöglicht den Austausch untereinander. Das erhöht die Lebensqualität immens. Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.
Beeinträchtigungen annehmen, aber nicht zum Hauptinhalt des Lebens zu machen: Wenn das Gehen mal schwerfällt, ist Radfahren vielleicht leichter. Die körperlichen Belastungsgrenzen anerkennen und zum Beispiel das Sportprogramm so dosieren, dass Sie Ihre Leistungsfähigkeit nicht überschreiten. Generell sind Ihren Vorlieben beim Sport keine Grenzen gesetzt. Ob Sie nun Wassergymnastik bevorzugen oder Klettern im Hochgebirge.
Patientenverfügung
Eine Patientenverfügung stellt sicher, dass Ihre medizinischen Wünsche auch in unerwarteten Situationen respektiert werden und bewahrt so Ihre Selbstbestimmung. Sie greift in Situationen, in denen Sie aufgrund von Krankheit oder Verletzung nicht in der Lage sind, sie selbst auszudrücken. Dieses Dokument entlastet zudem Ihre Angehörigen von schwierigen Entscheidungen, vermeidet Missverständnisse und schützt vor unerwünschter Über- oder Unterbehandlung.
Forschung und Ausblick
Die Forschung an den Ursachen und der Behandlung von MS ist weiterhin intensiv. Neue Forschungsansätze in der Immunmodulation und Neuroprotektion eröffnen vielversprechende Wege für zukünftige Behandlungen. Darüber hinaus wird an der Verbesserung von Früherkennung und präziseren Diagnoseverfahren gearbeitet, um individualisierte Therapieansätze zu entwickeln. Die fortlaufende Forschung und Entwicklung neuer Therapieformen bieten Hoffnung für eine verbesserte Lebensqualität von MS-Patienten.
Fazit
Multiple Sklerose ist eine komplexe Erkrankung, die das Leben der Betroffenen stark beeinflussen kann. DankFortschritten in der Forschung und Therapie können viele Menschen mit MS jedoch ein aktives und erfülltes Leben führen. Eine frühzeitige Diagnose, eine individuelleBehandlung und ein gesunder Lebensstil sind entscheidend für den Verlauf der Erkrankung.
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