Musiktherapie bei Demenz: Ein umfassender Überblick über Ablauf, Wirkung und Anwendung

Die Musiktherapie stellt eine vielversprechende nicht-medikamentöse Behandlungsform bei Demenz dar. Sie kann einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen leisten. In diesem Artikel werden wir den Ablauf, die Wirkungsweise und die verschiedenen Anwendungsbereiche der Musiktherapie bei Demenz detailliert beleuchten.

Einleitung

Menschen mit Demenz leiden unter Gedächtnisverlust, eingeschränktem Denkvermögen und Schwierigkeiten bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben. Diese kognitiven Beeinträchtigungen können von Veränderungen der Persönlichkeit und des Verhaltens begleitet sein, was zu Gefühlen von Hilflosigkeit, Traurigkeit und Unruhe führen kann. Oftmals geht die Fähigkeit, Sprache zu verstehen und sich sprachlich auszudrücken, verloren. Erstaunlicherweise bleiben Melodien und Lieder aus der Kindheit und Jugend jedoch oft noch lange präsent. Hier setzt die Musiktherapie an, um einen Zugang zu Menschen mit Demenz zu schaffen und sie zu aktivieren.

Was ist Musiktherapie?

Musiktherapie ist der gezielte Einsatz von Musik durch eine Fachperson, um die Gesundheit von Menschen zu fördern. Neurologen haben gezeigt, dass Musik die Hirnstruktur beeinflusst und einen Zugang zur Innenwelt ermöglicht, wodurch tief verborgene Gefühle an die Oberfläche gelangen können. Bereits in der Antike wurde Musik zur Behandlung von Patienten eingesetzt. Heutzutage wird Musiktherapie in Kliniken und ambulanten Praxen angeboten, sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting.

Wichtig ist, dass die Bezeichnung "Musiktherapeut" nicht gesetzlich geschützt ist. Daher sollten Patienten in ambulanten Einrichtungen auf die Ausbildung des Therapeuten achten. Eine fundierte therapeutische Ausbildung ist für die erfolgreiche Behandlung von psychischen Störungen unerlässlich. Die Musiktherapie kann auf tiefenpsychologischen, verhaltenstherapeutischen, medizinischen oder neurologischen Grundlagen basieren, abhängig vom Ausbildungsschwerpunkt des Therapeuten.

Für wen ist Musiktherapie geeignet?

Musiktherapie ist für Menschen jeden Alters geeignet, unabhängig von musikalischen Vorkenntnissen. Sie wird erfolgreich bei psychischen Störungen wie Depressionen und Angststörungen, aber auch bei Menschen mit Demenz, Autismus oder körperlichen Erkrankungen eingesetzt. Besonders hervorzuheben ist, dass Musiktherapie zunächst ohne Sprache funktioniert und somit auch Menschen mit Sprachschwierigkeiten einen Zugang zum Therapeuten ermöglicht.

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Es gibt jedoch auch Menschen, denen der Zugang über Musik schwerfällt. Daher ist es ratsam, die Therapie in einer Probesitzung auszuprobieren. Ungeeignet ist Musiktherapie, wenn der Patient sie ablehnt oder sich in einem akuten traumatischen Zustand befindet, da sie negative Gefühle verstärken kann. Bei Patienten mit Migräne oder Tinnitus ist Vorsicht geboten, um die Musik nicht als zusätzliche Belastung zu empfinden.

Ablauf einer Musiktherapie-Sitzung

In der Musiktherapie wird zwischen rezeptiver und aktiver Musiktherapie unterschieden:

  • Rezeptive Musiktherapie: Der Therapeut spielt dem Patienten Musik vor und lässt die Töne auf ihn wirken.
  • Aktive Musiktherapie: Der Patient erzeugt selbst Klänge und probiert verschiedene Instrumente aus. Ziel ist es, eine Verbindung zu den eigenen Gefühlen herzustellen und die Kreativität zu entfalten, nicht jedoch, ein Musikinstrument zu erlernen.

Die Musiktherapie kann die Ausdrucksfähigkeit stärken, die Konzentrationsfähigkeit steigern oder an der Körperwahrnehmung und dem Selbstbewusstsein arbeiten. Bei älteren Menschen und Demenzpatienten können bekannte Lieder Erinnerungen wecken. In der Gruppenmusiktherapie kann durch gemeinsame Improvisation ein Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit entstehen.

Ein wichtiger Bestandteil der Musiktherapie ist das Gespräch. Der Patient bespricht mit dem Therapeuten, was er während des Musikhörens oder -machens erlebt hat. Im Verlauf der Therapie können auch unangenehme Gefühle und schmerzhafte Erinnerungen auftauchen, die im Gespräch bearbeitet werden. Durch das Ausprobieren neuer Töne und Klänge kann eine Veränderung der Gefühle und Gedanken stattfinden.

Zum Einsatz kommen leicht zu spielende Instrumente wie Trommeln, Klavier, Gitarre, Xylophon, aber auch die eigene Stimme. Manche Therapeuten nehmen das Gespielte auf, damit sich der Patient seine Melodien nochmals anhören und darüber nachdenken kann.

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Positive Effekte der Musiktherapie bei Demenz

Studien zeigen, dass die Musiktherapie bei Menschen mit Demenz kurzfristig Niedergeschlagenheit verbessern und möglicherweise allgemeine Verhaltensprobleme reduzieren kann. Unruhe und aggressives Verhalten werden jedoch wahrscheinlich nicht beeinflusst. Im Vergleich zu anderen Aktivitäten wie Malen oder Puzzeln kann die Musiktherapie das Sozialverhalten verbessern.

Musik kann Erinnerungen wecken und die Betroffenen aktivieren. Melodien und Lieder aus der Kindheit und Jugend sind oft noch erstaunlich präsent und können einen Zugang zu den Patienten schaffen. Die Musiktherapie kann die Lebensqualität und das Wohlbefinden steigern.

Wissenschaftliche Erkenntnisse

Ein niederländisches Cochrane-Team sichtete 30 kleinere Studien mit insgesamt 1720 Demenzkranken, die in Pflegeheimen lebten. Die Ergebnisse zeigten, dass die Demenzkranken in den Wochen nach einer Musiktherapie im Vergleich zur üblichen Versorgung wahrscheinlich etwas weniger traurig oder niedergeschlagen sind. Möglicherweise verbessern sich auch Verhaltensprobleme. Eine messbare Wirkung auf das emotionale Befinden wurde jedoch nicht festgestellt, wobei dieses Ergebnis aufgrund methodischer Probleme der Studien unsicher ist.

Die internationale Forschungsstudie HOMESIDE untersucht die Wirkung von Musik- und Lesetherapie auf Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen im häuslichen Umfeld. Ziel ist es, die häusliche Pflegesituation von Betroffenen zu unterstützen und zu erleichtern.

Ablauf einer Musiktherapie bei Demenz im Detail

Die Musiktherapie bei Demenz umfasst in der Regel folgende Schritte:

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  1. Anamnese: Der Therapeut erfasst die Krankengeschichte und den aktuellen Zustand des Patienten.
  2. Musikbiografische Exploration: Der Therapeut erkundet die musikalischen Vorlieben und Erfahrungen des Patienten. Welche Musik hat er in seiner Jugend gehört? Welche Lieder verbinden ihn mit positiven Erinnerungen?
  3. Therapieplanung: Der Therapeut erstellt einen individuellen Therapieplan, der auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Patienten zugeschnitten ist.
  4. Durchführung der Therapie: Die Therapie kann im Einzel- oder Gruppensetting stattfinden und umfasst rezeptive und aktive Elemente.
  5. Evaluation: Der Therapeut beobachtet die Reaktionen des Patienten auf die Musik und passt die Therapie gegebenenfalls an.

In der aktiven Musiktherapie werden die Patienten ermutigt, selbst zu musizieren, zu singen oder zu tanzen. Dies kann in der Gruppe oder einzeln geschehen. Die Auswahl der Musikstücke erfolgt in Absprache mit dem Patienten oder seinen Angehörigen, um sicherzustellen, dass die Musik einen positiven Bezug zum Leben des Patienten hat.

Bei der rezeptiven Musiktherapie hört der Patient Musik, die vom Therapeuten ausgewählt wird. Ziel ist es, Erinnerungen und Emotionen zu wecken und das Wohlbefinden zu steigern.

Die animative Musiktherapie fordert die Patienten auf, Lieder nachzusingen oder Instrumente mit Anleitung zu spielen.

Weitere wichtige Aspekte der Demenzbehandlung

Neben der Musiktherapie gibt es weitere wichtige nicht-medikamentöse Therapieverfahren, die bei der Behandlung von Demenz eingesetzt werden:

  • Kognitive Stimulation: Übungen zur Förderung der kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Sprachvermögen.
  • Ergotherapie: Training motorischer Fähigkeiten und alltagspraktischer Fertigkeiten, um die Selbstständigkeit zu erhalten.
  • Physiotherapie: Förderung der Mobilität und Bewegung, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten.
  • Milieutherapie: Gestaltung der Umwelt, um sie den Bedürfnissen von Demenzkranken anzupassen und herausforderndes Verhalten zu reduzieren.
  • Psychotherapie: Unterstützung bei der Verarbeitung der Diagnose Demenz und der Bewältigung von Ängsten und Depressionen.
  • Verhaltenstherapie: Entwicklung von Strategien für den Umgang mit der Demenz im Alltag.
  • Realitäts-Orientierungs-Training (ROT): Einsatz von Kalendern, Uhren, Fotos und anderen Gegenständen, um die Orientierung zu fördern.
  • Selbsterhaltungstherapie (SET): Förderung des Selbstbildes und der Selbstwahrnehmung der Person.
  • Sprachtherapie: Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
  • Sensorische Therapie (Snoezelen): Stimulation der Sinne durch Licht, Musik, Düfte und taktile Reize.
  • Tiergestützte Therapie: Interaktion mit Tieren zur Förderung der sinnlichen Wahrnehmung und der Sozialfähigkeit.

Medikamentöse Behandlung

Obwohl nicht-medikamentöse Therapien im Vordergrund stehen, können auch Medikamente zur Behandlung von Demenz eingesetzt werden:

  • Antidementiva: Medikamente zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit, die die Symptome lindern und den Krankheitsverlauf verlangsamen können.
  • Antidepressiva: Medikamente zur Behandlung von Depressionen, die häufig als Begleiterscheinung von Demenz auftreten.
  • Neuroleptika (Antipsychotika): Medikamente zur Behandlung von Halluzinationen und starker innerer Unruhe. Sie sollten jedoch nur als letztes Mittel der Wahl eingesetzt werden, da sie gravierende Nebenwirkungen haben können.
  • Schmerzmittel: Medikamente zur Behandlung von Schmerzen, die bei Demenzerkrankten oft nicht mehr erkannt oder ausgedrückt werden können.
  • Ginkgo-Präparate: Präparate, die die Durchblutung im Gehirn fördern und Begleiterscheinungen einer Demenz im Frühstadium lindern können.

Es ist wichtig zu beachten, dass die medikamentöse Behandlung von Demenz immer individuell auf den Patienten abgestimmt werden muss.

Risiken und Nebenwirkungen der Musiktherapie

Musik kann Gefühle an die Oberfläche bringen, die lange verborgen waren. Bei Menschen mit traumatischen Erlebnissen können auch Gefühle aus dem Trauma wieder auftreten. Ohne therapeutische Unterstützung kann eine solche Retraumatisierung negative Folgen haben. Daher ist es wichtig, dass der Patient mit seinem Musiktherapeuten über auftretende Ängste oder unangenehme Gefühle spricht. Der Therapeut kann dann die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den Patienten zu stabilisieren.

Was ist nach einer Musiktherapie-Sitzung zu beachten?

Nach einer Musiktherapiesitzung sollte man sich Zeit nehmen, die Musik nachwirken zu lassen und in sich hineinzuspüren, welche Gefühle vorhanden sind. Es ist wichtig, sich Ruhe zu gönnen, um diese zu verarbeiten. Der Musiktherapeut wird sich in der nächsten Sitzung danach erkundigen, wie es dem Patienten nach der Therapiesitzung gegangen ist. Eine kurzzeitige Verschlechterung ist zu Beginn nicht ungewöhnlich, da die Gefühle überwältigend sein können. Wenn etwas belastet oder man sich überfordert fühlt, sollte dies dem Musiktherapeuten mitgeteilt werden.

Gegen Ende der Therapie entscheidet der Musiktherapeut zusammen mit dem Patienten, ob eine Verlängerung der Therapie sinnvoll ist oder nicht. Rückfälle sind bei psychischen Störungen keine Seltenheit. Daher sollte man sich nicht scheuen, wieder Hilfe aufzusuchen, wenn es einem nach Abschluss der Musiktherapie nicht gut geht.

Finanzierung der Musiktherapie

Die Kosten für Ergotherapie und Physiotherapie als Demenz-Behandlung können von der Krankenkasse erstattet werden, wenn ein Arzt diese Maßnahmen anordnet.

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