Musiktherapie nach Schlaganfall: Studienlage und therapeutischer Nutzen

Ein Schlaganfall kann gravierende Folgen haben, darunter Lähmungen, insbesondere die Halbseitenlähmung (Hemiparese). Die Musiktherapie hat sich als vielversprechende ergänzende Behandlungsmethode etabliert, um die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten zu unterstützen. Dieser Artikel beleuchtet die Studienlage zur Musiktherapie nach Schlaganfall und ihren vielfältigen therapeutischen Nutzen.

Grundlagen der Musiktherapie bei Schlaganfall

Musiktherapie wird in verschiedenen Bereichen eingesetzt, darunter kurativ, präventiv, rehabilitativ und in der Nachsorge von Erkrankungen wie Parkinson und Schlaganfall. Es hat sich gezeigt, dass die Kombination von Bewegung mit auditiven Reizen die Feinmotorik bei Schlaganfallpatienten verbessern kann. Ein wichtiger Aspekt ist die Sonifikation, bei der Klänge verwendet werden, um Informationen zu übermitteln oder Daten zu visualisieren.

Studien zur Sonifikation bei Armrehabilitation

Ein Team der BDH-Klinik Hessisch Oldendorf untersuchte in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, wie Musik die Armrehabilitation nach Schlaganfall unterstützen kann. In einer Studie wurde untersucht, ob eine neuartige musikalische Sonifikation die Kontrolle von grobmotorischen Armbewegungen bei Schlaganfall-Rehabilitanden verbessern kann.

Studiendesign und Ergebnisse

Für die Studie wurden Schlaganfallpatienten mit Hemiparese zufällig in eine Behandlungs- und eine Kontrollgruppe aufgeteilt. Beide Gruppen erhielten zusätzlich zur Standard-Schlaganfallrehabilitation eine tägliche Therapieeinheit zur Bewegung der Arme. Die Behandlungsgruppe erhielt ein auditives Feedback zu ihren Armbewegungen:

  • Bewegungen zum Körper hin oder vom Körper weg veränderten die Lautstärke.
  • Die Höhe der Handbewegung beeinflusste die Tonhöhe in Form einer C-Dur-Tonleiter.
  • Horizontale Armbewegungen veränderten den Klang der Töne von dumpf zu hell.

Sensoren am Ober- und Unterarm sowie ein optisches Sensorgerät ermöglichten die Messung der Bewegungsqualität. Die Kontrollgruppe erhielt kein auditives Feedback.

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Die Auswertung der Daten zeigte keine signifikanten zusätzlichen Effekte der Sonifikation auf die Bewegungsfähigkeit der betroffenen Hand. Jedoch wurden leichte Verbesserungen der Bewegungsflüssigkeit festgestellt, und das Training bereitete den Patienten Freude. Professor Dr. Jens Rollnik betonte, dass die musikalische Sonifikation eine sinnvolle Ergänzung der Neurorehabilitationsmethoden darstellen kann, jedoch mit begrenztem klinischen Nutzen.

Weitere Anwendungsbereiche der Musiktherapie

Musik kann entspannen, Erinnerungen wecken und das Wohlbefinden steigern. Ihre therapeutische Wirkung wird in verschiedenen Bereichen genutzt:

Rhythmisch-auditive Stimulation (RAS)

Ein Team um Dr. Aleksi Sihvonen von der Universität Turku in Finnland berichtete in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017 über die Verwendung von regelmäßigen Rhythmen in der Therapie von Patienten mit neurologischen Erkrankungen. Die rhythmisch-auditive Stimulation (RAS) zeigte positive Auswirkungen auf Gehgeschwindigkeit, Schrittlänge und Gangsymmetrie bei Schlaganfallpatienten mit Hemiparese. Bei diesem Verfahren synchronisiert der Patient seine Bewegungen mit Hörsignalen, die einem festen Rhythmus folgen. Auch bei Parkinsonpatienten kann RAS zur Verbesserung des Gangbildes eingesetzt werden.

Bewegungssonifikation

Bei der Bewegungssonifikation werden Bewegungen mithilfe von Sensoren verklanglicht. Der Patient erhält ein unmittelbares akustisches Feedback, was Defizite in der Propriozeption ausgleichen und Bewegungsabläufe verbessern kann.

Melodische Intonationstherapie

Die melodische Intonationstherapie wird bei Schlaganfallpatienten zur Behandlung von Sprechstörungen (Aphasie) eingesetzt. Dabei singt der Therapeut dem Patienten zunächst zweisilbige Wörter und später längere Wortfolgen vor, während er dazu den Rhythmus klopft. Der Patient singt und klopft die Wörter nach. Diese Therapie nutzt die Tatsache, dass Patienten mit nicht flüssiger Aphasie oft noch singen können, da beim Singen vor allem Regionen in der rechten Gehirnhälfte aktiv sind, die die Aufgaben des geschädigten Sprechzentrums übernehmen können.

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Musikunterstütztes Training

Das musikunterstützte Training, entwickelt unter anderem von Professor Dr. Eckart Altenmüller, verbessert die Feinmotorik bei Schlaganfallpatienten mit Hemiparese. Der Patient macht selbst Musik, indem er trommelt oder Klavier spielt - und zwar mit der bewegungseingeschränkten Hand. Durch den erklingenden Ton erhält der Patient eine direkte Rückmeldung dazu, wie gut seine Bewegung gelungen ist.

Aktive und rezeptive Musiktherapie

Die aktive Musiktherapie wird in der Psychotherapie angewendet, um Emotionen auszudrücken. Der Patient wird ermutigt, seinen Gefühlen durch Geräusche, Töne, Rhythmen und Musik Ausdruck zu verleihen. Bei der rezeptiven Musiktherapie steht das Hören von Musik im Vordergrund.

Musiktherapie bei Demenz

Das Hören vertrauter Musik kann bei Demenzpatienten das anteriore Cingulum und den medialen präfrontalen Cortex aktivieren, was ein Gefühl von Sicherheit gibt und Verwirrung reduzieren kann. In Kombination mit Aufmerksamkeits- oder körperlichem Training kann Musikhören die kognitiven Leistungen von Patienten mit beginnender Demenz verbessern.

Musiktherapie zur Schmerzlinderung

Musikhören kann die Schmerzwahrnehmung verändern und die Schmerzschwelle erhöhen. Es kann daher als mögliche Ergänzung zum Schmerzmanagement bei Patienten mit akuten oder chronischen Schmerzen empfohlen werden.

Neurologische Musiktherapie (NMT)

Die Neurologische Musiktherapie (NMT) definiert sich als „therapeutische Anwendung von Musik auf kognitive, sensorische und motorische Funktionen, die durch neurologische Erkrankungen des menschlichen Nervensystems bedingt sind.“ Die NMT ist forschungsbasiert und nutzt die Erkenntnisse darüber, wie Musik das Verhalten des Gehirns beeinflusst.

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Prinzipien der NMT

Die NMT-Techniken basieren auf der Musikwahrnehmung, der Musikproduktion und der Musikkognition. Sie zielen darauf ab, konsistente therapeutische Ergebnisse zu erzielen, indem sie die Neuroplastizität des Gehirns nutzen. Musik aktiviert andere Bereiche im Gehirn und ermöglicht so neue neuronale Verbindungen.

Anwendungsbereiche der NMT

  • Motorische Kontrolle: Verwendung von Rhythmus zur Verbesserung der Bewegung.
  • Sprachtherapie: Intonationstherapie zur Verbesserung des Sprachvermögens.
  • Kognitive Funktionen: Training von Aufmerksamkeit und Exekutiven Funktionen.
  • Psychosoziale Aspekte: Musikalisches psychosoziales Training und Beratung.

Ausbildung in NMT

Die NMT-Ausbildung umfasst mehrere Stufen und richtet sich an Musiktherapeuten und verwandte Berufe wie Physiotherapeuten und Logopäden. Sie vermittelt standardisierte musikbasierte Interventionen und erfordert regelmäßige Fortbildungen.

Musikgestütztes Laufbandtraining

Eine Studie aus einer Neuro-Reha-Klinik in Beelitz-Heilstätten in Brandenburg lieferte erste Hinweise, dass sich die Laufbandtherapie durch Musik effektiver gestalten lässt. Die Auswirkungen eines 4-wöchigen musikgestützten Laufbandtrainings auf die Gangrehabilitation von Schlaganfallpatienten wurden untersucht. Die speziell entwickelte Trainingsmusik wurde an die individuelle Laufbandkadenz des Patienten angepasst und systematisch gesteigert. Die Studie zeigte, dass Musik die Effekte der Therapie steigert und Anhaltspunkte für eine klinische Überlegenheit von RAS-Laufbandtherapie gegenüber den Standardtherapien liefert.

Reit- und Musiktherapie als multimodale Interventionen

Eine randomisierte kontrollierte Studie in Stroke (2017) zeigte, dass Reit- und Musiktherapie als multimodale Interventionen die Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten fördern können. Neben einer beschleunigten subjektiven Erholung kam es zur Verbesserung von Gang, Gleichgewichtssinn, Griffstärke und Kognition. Die Kombination verschiedener Aktivitäten, die die Patienten möglicherweise besser fördert als das Training einzelner Komponenten, sowie die höhere Motivation könnten eine Rolle spielen.

Interview mit Prof. Dr. Eckart Altenmüller

Professor Dr. Eckart Altenmüller betont die motivationale Kraft der Musik in der Neurorehabilitation. Er erklärt, dass das Klavierspielen und das Sonifikationstraining die Feinmotorik verbessern und die Patienten motivieren, etwas Neues zu lernen. Die Musik verbessert die Durchblutung des Gehirns, reduziert Stress und Depressivität. Altenmüller empfiehlt Angehörigen, den Patienten täglich ihre Lieblingsmusik vorzuspielen, um die Rehabilitation zu unterstützen.

Evidenzbasierung und Herausforderungen

Es gibt eine beeindruckende Fülle an Belegen für die Wirksamkeit der Musiktherapie. Sie ist in 37 AWMF-Leitlinien vertreten, darunter in 29 S3-Leitlinien. Eine von der WHO initiierte Umbrella Review hat die weltweiten Daten zur Evidenz zusammengefasst und gezeigt, dass Menschen mit Non-Communicable Diseases (NCDs) hinsichtlich ihrer körperlichen, psychischen und kognitiven Funktionen sowie ihrer Lebensqualität von kunstbasierten Interventionen profitieren können.

Trotz der guten Evidenz gibt es Herausforderungen bei der Standardisierung und Finanzierung der Musiktherapie. Ein Problem ist, dass Musik als Heilmittel auch in Studien nicht ausschließlich von ausgebildeten Musiktherapeuten angewendet wird. Zudem werden die Kosten für Musiktherapie zurzeit nur im stationären Setting von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen.

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