Die Myasthenia gravis (MG) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch eine gesteigerte Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur gekennzeichnet ist. Diese Ermüdbarkeit resultiert aus einer gestörten Signalübertragung zwischen Nervenzellen und Muskelzellen an der motorischen Endplatte. Obwohl die Erkrankung selten ist, kann sie in jedem Alter auftreten, wobei Frauen etwas häufiger und in jüngeren Jahren betroffen sind als Männer.
Was ist Myasthenia Gravis?
Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Blockade und einem Abbau der Acetylcholinrezeptoren an der motorischen Endplatte kommt. Diese Rezeptoren sind für die Übertragung von Nervensignalen auf die Muskeln verantwortlich. Die Erkrankung manifestiert sich durch eine unphysiologische Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur.
Ursachen und Auslöser:
- Autoimmunprozesse: Antikörper blockieren oder zerstören Acetylcholinrezeptoren.
- Thymusveränderungen: Erworbene Veränderungen des Thymus (z. B. Thymom) können eine Rolle spielen.
- Virusinfektionen: Es gibt Hinweise darauf, dass auch COVID-19 eine Myasthenie auslösen könnte.
Symptome
Das Leitsymptom der Myasthenie ist eine unphysiologische Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur. Häufige Symptome sind:
- Okuläre Symptome: Ein- oder beidseitige Ptosis (hängendes Augenlid), Diplopie (Doppelbilder).
- Bulbäre Symptome: Dysarthrie (Sprechstörungen), Dysphagie (Schluckstörungen).
- Abgeschwächte Mimik.
- Kopfhalteschwäche.
- Geminderte Kraft in den Extremitäten.
- Sturzneigung aufgrund von Muskelschwäche.
Diagnostik
Die Diagnose der Myasthenie umfasst verschiedene Schritte:
- Anamnese und klinische Untersuchung: Erhebung der Krankengeschichte und Beurteilung der Muskelfunktion.
- Simpson-Test: Beobachtung des Herabsinkens der Augenlider beim Aufwärtsblicken für eine Minute.
- Elektrophysiologische Untersuchung: Messung der Amplitudenabnahme bei wiederholter Nervenstimulation.
- Laboruntersuchungen: Nachweis von Antikörpern gegen Acetylcholinrezeptoren (AChR-AK), MuSK-AK oder LRP4-AK im Blut.
- Bildgebung: CT oder MRT des Brustkorbs zur Feststellung von Thymusveränderungen.
Klassifikation
Die Myasthenia Gravis Foundation of America (MGFA) teilt die Myasthenie in fünf Schweregrade ein, wobei die Subgruppe B mit Beeinträchtigung der Atemmuskulatur eine akute Lebensgefahr darstellen kann.
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Therapie der Myasthenie
Die Therapie der Myasthenie zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Autoimmunreaktion zu unterdrücken. Zu den wichtigsten Therapieansätzen gehören:
- Symptomatische Therapie: Acetylcholinesterasehemmer (z. B. Pyridostigmin) erhöhen die Acetylcholinkonzentration im synaptischen Spalt und verbessern die Muskelkraft.
- Immunsuppressive Therapie: Glukokortikosteroide (z. B. Prednison) und Azathioprin unterdrücken das Immunsystem und reduzieren die Antikörperproduktion.
- Thymektomie: Bei jungen Patienten kann die operative Entfernung der Thymusdrüse sinnvoll sein.
- Plasmapherese und Immunglobulintherapie: Diese Verfahren werden bei einer myasthenen Krise eingesetzt, um die Autoantikörper rasch aus dem Blutplasma zu entfernen.
- Biologika: In den letzten Jahren wurden neue Immuntherapeutika wie Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan, Efgartigimod und Rozanolixizumab zugelassen, die gezielt in das Immunsystem eingreifen.
Medikamente und ihre Kontraindikationen
Bei der Behandlung von Myasthenie-Patienten ist es wichtig, bestimmte Medikamente zu vermeiden oder mit Vorsicht einzusetzen, da sie die Symptome verschlimmern können. Dazu gehören:
- Antibiotika: Aminoglykoside, Makrolide, Fluorchinolone und Tetrazykline können die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigen. Cephalosporine gelten dagegen als sicher.
- Benzodiazepine: Diese Medikamente können die myasthene Symptomatik verstärken.
- Magnesium: Magnesium kann die Muskelkraft reduzieren.
- Depolarisierende Muskelrelaxantien: Diese sollten vermieden werden. Nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien (z.B. Rocuronium) können verwendet werden, wobei es zu einer verlängerten Wirkdauer kommen kann.
- Bestimmte Antiarrhythmika: Betablocker und Kalziumantagonisten können die Symptome verschlechtern.
- (Schleifen-)Diuretika: Können ebenfalls zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen.
- Statine: Es gibt Berichte, dass Statine eine Myasthenia gravis auslösen oder eine bestehende MG oder okuläre Myasthenie verschlechtern können.
Es ist wichtig, bei der Indikationsstellung der Medikation im Kontext vorhandener Alternativen eine kritische Nutzen-Risiken-Abwägung vorzunehmen.
Myasthene Krise
Eine myasthene Krise ist eine lebensbedrohliche Exazerbation der Erkrankung, die durch Infektionen, fehlerhafte Medikamenteneinnahme oder unzureichende Immunsuppression ausgelöst werden kann. Sie äußert sich durch eine akute Muskelschwäche, die zu einer respiratorischen Insuffizienz und Aspirationsgefahr führen kann.
Symptome einer myasthenen Krise:
- Atemnot
- Schluckstörungen
- Generalisierte Muskelschwäche
- Mydriasis (Pupillenerweiterung)
- Tachykardie (erhöhte Herzfrequenz)
- Blässe
Behandlung einer myasthenen Krise:
- Atemwegssicherung und Beatmung
- Plasmapherese oder Immunglobulintherapie
- Kausale Therapie der Auslöser (z. B. Infektionen)
- Überwachung und intensivmedizinische Betreuung
Cholinerges Syndrom
Ein cholinerges Syndrom kann durch eine Überdosierung von Acetylcholinesterasehemmern entstehen. Es führt zu einem Überhang des Parasympathikus mit folgenden Symptomen:
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- Ausgeprägte Schweiß-, Tränen- und Speichelsekretion
- Erbrechen und Durchfall
- Bradykardie (verlangsamte Herzfrequenz)
- Vigilanzminderung
- Miosis (Stecknadelkopfgroße Pupillen)
Die Therapie der Wahl ist Atropin, das titriert nach Wirkung verabreicht wird.
Leben mit Myasthenie
Patienten mit Myasthenie können trotz ihrer Erkrankung ein aktives und erfülltes Leben führen. Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt, eine konsequente Einhaltung der Therapie und das Beachten einiger wichtiger Verhaltensregeln:
- Regelmäßige Arztbesuche: Zur Überwachung des Krankheitsverlaufs und Anpassung der Therapie.
- Medikamenteneinnahme: Konsequente Einnahme der verordneten Medikamente.
- Vermeidung von Auslösern: Stress, Infektionen und bestimmte Medikamente können die Symptome verschlimmern.
- Ausreichend Ruhe: Regelmäßige Ruhepausen zur Erholung der Muskeln.
- Angepasste Aktivitäten: Anpassung der Aktivitäten an die aktuelle körperliche Verfassung.
- Notfallausweis: Mitführen eines Notfallausweises mit Informationen zur Erkrankung und Medikation.
- Reiseplanung: Bei Reisen ist es wichtig, die Therapieintervalle zu beachten, die medizinische Versorgung vor Ort sicherzustellen und Temperaturextreme zu vermeiden.
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