Nerve: Ein rasanter Tauchgang in die Schattenwelt des Online-Thrill

"Nerve" ist mehr als nur ein Film; es ist ein Spiegelbild der modernen Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt verschwimmen. Der Film, inszeniert von Ariel Schulman und Henry Joost, entführt den Zuschauer in ein nervenaufreibendes Spiel, das die dunklen Seiten des Internets und die Sensationslust der digitalen Generation offenbart. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Jeanne Ryan, präsentiert "Nerve" eine erschreckend realistische Vision einer Welt, in der Mutproben und Selbstdarstellung zu einer gefährlichen Sucht werden können.

Einführung in die Welt von "Nerve"

Die Highschool-Schülerin Vee, gespielt von Emma Roberts, ist ein schüchternes Mädchen, das im Schatten ihrer extrovertierten Freundin Sydney steht. Um aus diesem Schatten herauszutreten und ihren Horizont zu erweitern, meldet sie sich bei "Nerve" an, einem Online-Spiel, das in ihrer Schule gerade der letzte Schrei ist. Bei "Nerve" können die Teilnehmer entweder als "Watcher" (Zuschauer) oder als "Player" (Spieler) agieren. Die "Watcher" bezahlen dafür, die "Player" bei der Erfüllung von immer gewagteren Aufgaben zu beobachten, die diese per Video festhalten müssen. Vee entscheidet sich für die Rolle des "Player" und gerät so in einen Strudel aus Mutproben, Nervenkitzel und wachsender Gefahr.

Die Handlung: Vom harmlosen Spaß zum Albtraum

Vees erste Aufgabe scheint noch harmlos: Sie soll einen Fremden küssen. Dabei lernt sie Ian, dargestellt von Dave Franco, kennen, der ebenfalls ein "Player" ist. Gemeinsam beginnen sie, die Herausforderungen von "Nerve" zu meistern, und werden schnell zu einem gefeierten Duo. Die Aufgaben werden jedoch immer riskanter und gefährlicher. Was als Spaß und Möglichkeit für schnelles Geld begann, entwickelt sich zu einem Albtraum, in dem Vee und Ian um ihr Leben fürchten müssen.

Eskalation der Herausforderungen

Die Vorkommnisse an der Fifth Avenue mit einem teuren Kleid, das Vee anprobiert, gehören noch zu den harmloseren Eskapaden. Doch sie offenbaren, wie das von "Wahrheit oder Pflicht" inspirierte Online-Game die Spieler immer tiefer in eine Schattenwelt hineinzieht. Das Geschäft und das Kleid sind Lockmittel, die die eher ängstliche Vee mit ihren Träumen und Sehnsüchten konfrontieren: Einmal nicht das arme Mädchen aus Staten Island sein, das sich das College ihrer Wahl nicht leisten kann.

Der Sog der Anonymität

Das Spiel wird von einer anonymen Masse von Zuschauern in immer extremere Situationen getrieben. Die Regisseure inszenieren zugleich auch den Rausch, den ein Spiel wie »Nerve« auslösen kann. New York wirkt verführerisch und die Perspektive wechselt ständig. Mal blickt man auf einen Bildschirm und verfolgt so das Geschehen, mal blickt der Bildschirm eines Telefons zurück, während die Kamera Vees Mutproben für die Netz-Community dokumentiert.

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Themen und Motive: Mehr als nur ein Teenie-Thriller

"Nerve" ist mehr als nur ein aufgewärmtes Teenie-Drama mit "Wahrheit oder Pflicht"-Spiel. Der Film greift aktuelle gesellschaftliche Themen auf und regt zum Nachdenken über die Auswirkungen der digitalen Welt auf unser Leben an.

Der Reiz des Rampenlichts

Der Film thematisiert die Aufmerksamkeitssucht der Jugend und die Bereitschaft, für ein paar Klicks und den täglichen Kick immer neue Grenzen zu überschreiten. "Nerve" zeigt, wie leicht man sich von der anonymen Masse der "Watcher" zu immer riskanteren Aktionen treiben lassen kann.

Die Gefahren der Anonymität

"Nerve" verdeutlicht die Gefahren, die von einer anonymen Online-Community ausgehen können. Die "Watcher" fühlen sich durch ihre Anonymität geschützt und sind bereit, die "Player" in immer gefährlichere Situationen zu bringen, ohne die Konsequenzen ihres Handelns zu bedenken.

Der Verlust der Privatsphäre

Der Film warnt vor den Gefahren eines Lebens, das fortwährend im Netz beobachtet werden kann. In "Nerve" geben die Spieler große Teile ihrer Privatsphäre auf und werden so manipulierbar.

Der Umgang mit Macht

Das schwierige Thema, für das der Film gleichsam ein erdachtes soziales Experiment darstellen könnte, ist der Umgang mit Macht, insbesondere wenn diese Macht vollkommen anonym ausgeübt werden kann. Während die Player ihre gesamte Person öffentlich machen, richtet eine anonyme Menge aus Watchern über die „Gladiatoren“, und oft möchte die Meute Blut sehen. Wenn jeder für seine eigenen Entscheidungen die Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen tragen müsste, sähe das Spiel vermutlich gänzlich anders aus.

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Realitätsnähe und Warnung

"Nerve" spielt zwar im New York des Jahres 2020, aber letztlich könnte sich seine Geschichte um ein paar Jugendliche, die tiefer und tiefer in eine Echtzeit-Reality-Show abgleiten und von einer anonymen Masse von Zuschauern in immer extremere Situationen getrieben werden, genauso gut auch heute zutragen. Von "Pokémon Go" zu "Nerve" ist es letzten Endes nur ein kleiner Schritt. In beiden Fällen geben die Spieler große Teile ihrer Privatsphäre auf und werden so manipulierbar. Aber der Film warnt nicht nur vor den Gefahren eines Lebens, das fortwährend im Netz beobachtet werden kann.

Inszenierung und Stilmittel: Ein audiovisuelles Spektakel

"Nerve" besticht durch seine dynamische Inszenierung und den kreativen Einsatz von Stilmitteln, die den Zuschauer mitten ins Geschehen ziehen.

Rasante Kameraführung und Schnitt

Die Regisseure setzen auf schnelle Schnitte, ungewohnte Kameraperspektiven und verwackelte Handysequenzen, um die Hektik und den Nervenkitzel des Spiels einzufangen. Die Kamera ist immer nah bei den Charakteren, wodurch man mitten im Geschehen der Emotionen und bevorstehenden Entscheidungen steht.

Visuelle Darstellung der digitalen Welt

"Nerve" integriert Chat-Verläufe, Nachrichten und GPS-Signale in das Geschehen, um die allgegenwärtige Präsenz der digitalen Welt zu verdeutlichen. Die visuelle Umsetzung der Internetkommunikation wird zum stilprägenden Inszenierungsprinzip, das mit grafischen Markierungen, Inserts und Displayumkehrung arbeitet.

Musik als treibende Kraft

Die starke musikalische Präsenz trägt maßgeblich zur Atmosphäre des Films bei. Die zahlreichen Songs verwandeln die dunkle Nacht in ein farbenfrohes Abenteuerland und begleiten Vees persönliche Entwicklung.

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Besetzung: Emma Roberts und Dave Franco als charismatisches Duo

Der Film wird neben der durch den realen Zeitgeist brandaktuellen Geschichte von den zwei charismatischen Protagonisten getragen. Emma Roberts und Dave Franco erweisen sich der Aufgabe als gewachsen und funktionieren als Paar sehr gut.

Emma Roberts als Vee

Emma Roberts spielt erneut die Rolle des unschuldigen Vorstadtmädchen. Sie verkörpert die zunächst reichlich introvertierte Vee, die gleichermaßen als Identifikationsfigur für den Zuschauer fungiert.

Dave Franco als Ian

Dave Franco überzeugt als draufgängerischer, spielerfahrener und zunächst undurchsichtiger Ian, welcher wiederum Vee tiefer und tiefer in den Kaninchenbau von "Nerve" entführt.

Das Ende: Eine Abrechnung mit der digitalen Anonymität

Im Verlauf des Films realisieren Vee und Ian die massiven Gefahren, die vom Spiel Nerve ausgehen. Daraufhin versuchen sie die Polizei zu informieren und werden dadurch in die geheime, dritte Spielerkategorie "Prisoners", also Gefangene, eingestuft. Daraufhin müssen sie das Finale gewinnen, um dem Spiel zu entkommen. In diesem stehen sich Vee und Ian schließlich im Fort Wadsworth auf Staten Island mit der tödlichen Aufgabe gegenüber, sich zu erschießen. Vee schießt allerdings absichtlich daneben, woraufhin Ty (Machine Gun Kelly), ein Elitespieler und ebenfalls Gefangener, sie zu einem Duell herausfordert. Die darauffolgende Abstimmung bestätigt den Vorschlag und Ty erschießt sein Gegenüber offenbar.

Vor der Finalkonfrontation bat Vee ihren Freund Tommy (Miles Heizer), Nerve dahingehend zu manipulieren, dass es crasht und alle Gefangenen freikommen. Gemeinsam mit dessen Hackerkollegin H.K. (Samira Wiley) schafft er es tatsächlich, ins System einzudringen, im Zuge dessen er alle Identitäten offenlegt und auf ihre Beihilfe zum Mord hinweist. Infolge der daraus resultierenden Massenabmeldung bricht das System zusammen.

Der erhobene Zeigefinger

Der unvermeidliche erhobene Zeigefinger kommt so unverhofft daher, dass ich ihn in den schnell aufeinander folgenden Spannungselementen beinahe übersehen hätte und dann eher irritiert als nachdenklich war.

Fazit: Ein Thriller am Puls der Zeit

"Nerve" ist ein schrill-bunter, schneller Thriller, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Der Film beleuchtet auf spannende Weise die Gefahren der digitalen Welt und die Sensationslust der modernen Gesellschaft. Auch wenn das Finale etwas schwächelt und unter Logikschwächen leidet, bleibt "Nerve" ein sehenswerter Film, der am Puls der Zeit ist.

Kritikpunkte

Einige Kritiker bemängeln, dass "Nerve" sein Potenzial nicht voll ausschöpft und die Thematik hätte mehr Satire und Schock enthalten können. Auch das Ende wird als zu versöhnlich und wenig überraschend kritisiert.

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