Nervenverletzungen können erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben, insbesondere wenn sie zu dauerhaften motorischen, sensorischen oder chronischen Schmerzen führen. Im Gegensatz zu Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark, die sich nach einer Verletzung kaum erholen, besitzen periphere Nervenzellen bemerkenswerte Regenerationsfähigkeiten. Dieser Artikel beleuchtet die Prozesse der Nervenregeneration, die Faktoren, die sie beeinflussen, und die vielversprechenden Therapieansätze, die derzeit erforscht werden.
Die erstaunlichen Selbstheilungskräfte des Körpers
Ein Schnitt in den Finger, der Hautzellen, Muskeln, Blutgefäße und Nervenendigungen zerstört, heilt in der Regel schnell und ohne größere Folgen. Nervenzellen wachsen wieder zusammen, Muskeln und Gefäße werden neu gebildet und die Haut schließt sich. Doch warum setzt der Körper diese erstaunlichen Selbstheilungskräfte nicht auch im Gehirn und Rückenmark ein, um Verletzungen zu reparieren?
Zwei Zonen der Regeneration: Zentrales vs. peripheres Nervensystem
Nervenzellen in verschiedenen Körperbereichen unterscheiden sich erheblich in ihrer Fähigkeit, sich von Verletzungen zu erholen. Während Nervenzellen des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) nach einer Verletzung kaum nachwachsen, können Nerven des peripheren Nervensystems (z. B. in Armen und Beinen) Schäden deutlich besser überwinden. Bei Nervenzellen, deren Fortsätze sowohl ins zentrale als auch ins periphere Nervensystem reichen, wächst der verletzte Fortsatz im peripheren Bereich schnell wieder aus, während dies im zentralen Bereich nicht der Fall ist.
Axonales Wachstum und Regeneration: Ein Blick in die Verkürzungsknolle
Um zu verstehen, warum ein Axon des zentralen Nervensystems nach einer Verletzung nicht wieder auswächst, haben Neurobiologen das Schnittende einer verletzten Nervenzelle genauer untersucht. Bei jungen Nervenzellen befindet sich an der Spitze eines auswachsenden Axons ein Wachstumskegel, der spezielle Gene und Proteine enthält, die es dem Axon ermöglichen, den Weg zur richtigen Partnerzelle zu finden. Außerdem enthält der Wachstumskegel eine große Ansammlung von Mitochondrien und parallel gebündelte Mikrotubuli.
Wird ein Axon im peripheren Nervensystem durchgeschnitten, bildet sich an seiner Spitze ein Wachstumskegel, und das Axon wächst erneut aus. Im zentralen Nervensystem bildet sich an der verletzten Axonspitze eine Verdickung, die sogenannte Verkürzungsknolle, die jedoch keinerlei Bestreben zum Weiterwachsen zeigt.
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Die Verkürzungsknolle ist ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Wachstumsbremse im zentralen Nervensystem zu verstehen. Mithilfe des grün-fluoreszierenden Proteins (GFP) konnten Wissenschaftler die Vorgänge in den Verkürzungsknollen genauer untersuchen und feststellen, dass sich Mitochondrien im Inneren der Verkürzungsknolle ansammeln. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass das Durcheinanderbringen der Mikrotubuli in der Verkürzungsknolle eine der Hauptursachen für den Wachstumsstopp des Axons ist.
Vielversprechende Stabilisierung der Mikrotubuli
Durch Zugabe des Wirkstoffs Paclitaxel, der die Mikrotubuli stabilisiert, gelang es Wissenschaftlern, einer jungen Zelle die Entscheidung abzunehmen, welcher ihrer Fortsätze zum Axon wird. Wurde Paclitaxel im lebenden Organismus nach einer Verletzung direkt in die Axonspitze injiziert, so wurde die Ausbildung der Verkürzungsknolle unterdrückt. In Versuchen mit Zellkulturen konnten verletzte Nervenzellen des zentralen Nervensystems mithilfe von Paclitaxel selbst dann wieder auswachsen, wenn zur Umgebung der Nervenzelle wachstumshemmende Substanzen aus dem zentralen Nervensystem zugegeben wurden.
Auch ausgereifte Dendriten konnten in der Zellkultur dazu gebracht werden, ihre Identität zu ändern und Informationen an andere Nervenzellen weiterzugeben. Diese Ergebnisse stimmen zuversichtlich, dass die Mikrotubuli-Stabilisierung ein vielversprechender Ansatz sein könnte, um die Regeneration von Axonen im zentralen Nervensystem zu verbessern.
Multimodale Ansätze zur Förderung der Nervenregeneration
Eine umfassende, multimodale Patientenversorgung kann neben einer sorgfältigen Differenzialdiagnose eine Symptombekämpfung mittels Membranstabilisatoren, Analgetika und/oder Antidepressiva sowie gezieltes Bewegungstraining und entlastende orthopädische Hilfsmittel beinhalten. Ebenfalls einbezogen werden sollte die Möglichkeit, gleichzeitig kausal vorzugehen und die Regeneration der peripheren Nerven zu unterstützen.
Uridinmonophosphat (UMP): Unterstützung der Nervenregeneration
Bei einer peripheren Nervenschädigung sind meist die Myelin produzierenden Schwann-Zellen der peripheren Nerven betroffen, sodass ein wesentlicher Aspekt der Behandlung in der Regeneration und dem Schutz der Myelinscheide besteht. In klinischen Modellen zu Myelinscheiden-Schädigungen hat sich die Gabe von Nukleotiden wie Uridinmonophosphat (UMP) als sinnvoller Ansatz erwiesen.
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UMP ist ein natürlicher Bestandteil der Ribonukleinsäure (RNA) und kann mit weiteren Phosphaten energiereiche Verbindungen eingehen und als Bestandteil gruppenübertragender Coenzyme mit der abgegebenen Energie zahlreiche Stoffwechselreaktionen aktivieren. Dadurch wird die Synthese von Phospho- und Glykolipiden sowie Glykoproteinen angeregt und der Wiederaufbau der Myelinschicht unterstützt. Zusätzlich fördert UMP als RNA-Baustein die Biosynthese von Strukturproteinen und Enzymen.
Nahrungsergänzungsmittel mit UMP in Kombination mit Vitamin B12 und Folsäure können in die Therapie zur Unterstützung der Nervenregeneration einbezogen werden. Diese sollten regelmäßig und über einen längeren Zeitraum von mindestens 60 Tagen eingenommen werden, da die Regeneration zerstörter Nervenfasern Zeit benötigt.
Die Rolle von B-Vitaminen bei der Nervenregeneration
Verschiedene Vitamine des B-Komplexes spielen für unsere Nerven eine entscheidende Rolle, da sie zur normalen Funktion des Nervensystems beitragen. Eine mangelnde Versorgung mit B-Vitaminen, insbesondere ein Vitamin-B-12-Mangel, kann zu einer Nervenschädigung beitragen.
- Vitamin B12: Übernimmt wichtige Funktionen im Energiestoffwechsel, der Zellteilung sowie der Übertragung von Methylgruppen und spielt eine besondere Rolle bei der Herstellung wichtiger Nervenzellproteine und dem schützenden Myelin.
- Vitamin B6: Übernimmt eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Nervenbotenstoffen, die für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen wichtig sind, und wird als Cofaktor für die Herstellung von Myelin benötigt.
- Vitamin B1: Unterstützt die Bereitstellung von Nervenbotenstoffen und Myelin, trägt zum Erhalt der Struktur der Zellmembranen bei und ist mitverantwortlich dafür, dass der Nervenzelle ausreichend Energie zur Verfügung steht.
- Folsäure: Ist für das Wachstum und die Teilung der Nervenzelle von Bedeutung, übernimmt eine wichtige Rolle als Methylgruppenüberträger und trägt dazu bei, das Stoffwechselprodukt Homocystein abzubauen, welches in großen Mengen nervenschädigend sein kann.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit für eine optimale Behandlung
Die verzögerte oder falsche Behandlung peripherer Nervenverletzungen kann zu bleibenden Beeinträchtigungen bis hin zum Funktionsverlust führen. Daher ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit gemeinsam mit neuen technologischen Entwicklungen in der Bildgebung wegweisend für eine rasche und präzise Diagnosestellung und Voraussetzung für chirurgische Behandlungsmöglichkeiten.
Die Behandlung beginnt mit der präzisen Diagnosestellung, zu der eine gründliche körperliche Untersuchung, radiologische und elektrophysiologische Diagnostik gehören. Sollte eine Operation notwendig sein, wird diese sorgfältig geplant und nach höchsten Standards umgesetzt.
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Chirurgische Optionen zur Nervenrekonstruktion
- Direkte Nervennaht oder Dekompression: Bei durchtrennten oder eingeklemmten Nerven sollen diese mikrochirurgisch rekonstruiert bzw. freigelegt werden.
- Nerventransplantat: Ist eine Nervenverletzung sehr ausgedehnt oder die Nervenenden bereits vernarbt, kann es notwendig sein, das nicht mehr leitfähige Nervengewebe mit einem Interponat zu ersetzen.
- Nerventransfer (Nervenumlagerung): Bei dieser Operation werden funktionell entbehrliche Nervenäste eines gesunden Nervs auf den erkrankten umgeleitet, und zwar viel näher an den Zielmuskel, welcher dann von diesem gesunden Nervenast angesteuert wird.
- Freier funktioneller Muskeltransfer: Eine Funktion (Arm- oder Fingerbeugung) kann auch mit einer freien Muskelverpflanzung wiederhergestellt werden.
Neue Erkenntnisse und zukünftige Forschung
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen können. Diese treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf.
Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Leipzig haben herausgefunden, dass Schwann-Zellen bei der Nervenreparatur von dem Fettgewebe, welches die Nerven im Körper umgibt, entscheidend unterstützt werden. Leptin, das vor allem von Zellen des Fettgewebes produziert wird, regt den Energiehaushalt regenerierender Schwann-Zellen an, indem es deren Mitochondrien stimuliert.
Eine im Fachjournal „Neuron“ veröffentlichte Studie von Forschenden des DZNE liefert Hinweise darauf, dass die Unfähigkeit von ausgewachsenen Nervenzellen des zentralen Nervensystems zur Regeneration eng mit der Eigenschaft der Nervenzellen zusammenhängt, miteinander zu kommunizieren. Konkret fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, dass zwei Proteine, die für die so genannte synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen entscheidend sind, das Auswachsen von Zellfortsätzen verhindern.