Chronische Schmerzen, insbesondere neuropathische Schmerzen, stellen eine erhebliche Belastung für Betroffene dar. Sie können nach Operationen, Entzündungen oder Traumata entstehen und die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Die Nervenstimulation, auch Neuromodulation genannt, bietet hierbei eine vielversprechende Therapieoption.
Ursachen und Entstehung von Nervenschmerzen nach Operationen
Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen genannt, entstehen durch Schädigungen oder Fehlfunktionen von Nerven. Diese können beispielsweise nach Operationen, Entzündungen oder Traumata auftreten. Zu den Operationen, die häufig Nervenschmerzen nach sich ziehen, gehören Brust- oder Brustkorb-Operationen (zum Beispiel aufgrund von Herzerkrankungen oder Brustkrebs), Leistenbruch-Operationen, Lungen-Operationen oder Amputationen.
Die Ursachen postoperativer Nervenschmerzen sind verschieden: So kann es während des operativen Eingriffs zu Schädigungen des Nervensystems kommen, etwa aufgrund von Kompressionen, Dehnungen, Traumen oder der Patientenlagerung. Davon abgesehen können Entzündungsprozesse nach einer Operation dazu führen, dass die peripheren Nerven erkranken.
In manchen Fällen entwickeln Patienten nach Verletzungen oder Operationen am Arm oder Bein das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS), das durch unverhältnismäßig starke Schmerzen gekennzeichnet ist. Die Operationen können völlig einwandfrei verlaufen, und die Verletzungen können unspektakulär gewesen sein, wie beispielsweise ein Umknicken des Fußes oder ein einfacher Knochenbruch. Typische Symptome sind anhaltende Schmerzen, Schwellungen, Hautveränderungen sowie Funktionsverlust der Arme und Beine.
Es ist wichtig zu verstehen, dass chronische und akute Schmerzen zwei völlig unterschiedliche Dinge sind. Der akute Schmerz schützt uns vor Gefahren, der chronische ist aber eine eigenständige Erkrankung ohne jeglichen Nutzen. Chronische Schmerzen verändern das Nervensystem und die Schmerzbahn dauerhaft. Nerven werden überempfindlich, und Schmerzsignale verstärken sich (Wind-Up-Phänomen). Mit der Zeit werden die Schmerzen immer therapieresistenter, und herkömmliche Behandlungen wie Medikamente oder Physiotherapie reichen nicht mehr aus.
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Symptome neuropathischer Schmerzen
Kennzeichnend für postoperative neuropathische Schmerzen beziehungsweise Nervenschmerzen allgemein ist eine charakteristisch veränderte Hautsensibilität. So reagieren Betroffene unter- oder überempfindlich (manchmal auch beides) auf Reize wie Kälte, Wärme, Berührung oder Druck. Betroffene berichten von Taubheitsgefühlen und/oder Schmerzattacken. Letztere können sich kribbelnd, brennend, stechend, einschießend oder elektrisierend äußern. Manchmal vermeiden die Betroffenen es, den schmerzbereitenden Körperteil zu bewegen, wodurch die entsprechenden Muskeln verkümmern können.
Neuromodulation als Therapieoption
Die Neuromodulation umfasst verschiedene Verfahren, bei denen Nervenfasern angeregt werden, ihr schmerzauslösendes Verhalten hin zu einer Schmerzminderung zu ändern. Durch Neurostimulation wird vor allem versucht, die Weiterleitung von Schmerzreizen zu hemmen oder zu verändern. Häufig liegt eine Ursache andauernder Beschwerden, beispielsweise nach Operationen, bei den Nerven. Dort setzt die Neurostimulation an. Über eine rückenmarksnahe Sonde werden geringe Stromimpulse abgegeben, die die Weiterleitung der Schmerzen hemmen oder verändern. Die dafür notwendige Anlage der Sonde erfolgt über einen kleinen Eingriff durch die Haut. Nach einer Testphase, in der die Stromimpulse durch eine externe Stromquelle erzeugt werden, wird gemeinsam mit dem Patienten entschieden, ob eine bleibende Stromquelle in einem zweiten kleinen Eingriff unter die Haut verpflanzt werden soll. Die Stromimpulse sind für den Patienten in der Regel nicht zu spüren. Angebracht ist diese Form der Behandlung unter anderem für Rückenschmerzen, CRPS-Erkrankungen (M. Sudeck) oder Phantomschmerzen.
Es gibt verschiedene Formen der Neuromodulation, die je nach Art und Lokalisation der Schmerzen eingesetzt werden können:
Rückenmarkstimulation (Spinal Cord Stimulation, SCS)
Bei der Rückenmarkstimulation werden Elektroden im Bereich des Rückenmarks implantiert. Über einen Impulsgenerator, der entweder unter die Haut ins Fettgewebe implantiert, oder am Körper getragen wird, werden elektrische Impulse gebildet, die die Nervenzellen des Rückenmarks stimulieren. Sie beeinflussen die schmerzleitenden Bahnen über Mechanismen, die bisher noch nicht vollständig geklärt sind. Durch diese Stimulationen wird das betroffene Nervengewebe so gereizt, dass die eigentlichen Schmerzsignale überlagert werden. Die meisten Patienten empfinden dies als angenehm.
Man unterscheidet zwei Formen der Rückenmarkstimulation:
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- Niederfrequente Rückenmarkstimulation: Diese Form der Neurostimulation mit niederfrequentem Strom wirkt vermutlich durch die Überstimulation sensibler Nervenfasern, die sensorische Impulse aus der Peripherie zum Gehirn leiten. Da diese auf die gleichen Rückenmarksneurone projizieren, wie die Schmerzfasern, verhalten sich die beiden Signale kompetitiv und die Schmerzen werden unterdrückt. Anstelle der Schmerzen wird allerdings ein Kribbelgefühl im betroffenen Areal wahrgenommen. Durch die Überstimulation der sensiblen Nervenzellen werden außerdem inhibitorische Interneurone aktiviert, die die, bei chronischen Schmerzen krankhaft überaktiven, schmerzleitenden Nervenzellen teilweise inaktivieren und so Schmerzempfindungen reduzieren.
- Hochfrequente Rückenmarkstimulation: Weiter verbreitet als die niederfrequente ist heute die hochfrequente Stimulation. Hier wird Strom mit hohen Frequenzen appliziert, der vermutlich eine selektive Aktivierung der inhibitorischen Interneurone bewirkt, welche die Aktivität der Schmerzfasern verringert. Bei der hochfrequenten Stimulation kommt es nicht zu Kribbelempfindungen, sodass diese Methode auch nachts angewendet werden und so die Schlafqualität verbessern kann.
Die Rückenmarkstimulation eignet sich zur Behandlung verschiedener Arten von chronischen Schmerzen:
- Neuropathische Schmerzen (Schmerzen, die durch eine Erkrankung der Nerven, oder der sie versorgenden Blutgefäße bedingt sind bzw. aufrechterhalten werden; zum Beispiel durch Multiple Sklerose, Alkoholmissbrauch oder Diabetes mellitus)
- Ischämische Schmerzen (Schmerzen die durch Durchblutungsstörungen bedingt sind, bzw. aufrechterhalten werden; beispielsweise im Rahmen einer pAVK (peripheren arteriellen Verschlusskrankheit)
- Vegetativ-sympathische Schmerzen (Schmerzen, die durch eine Fehl- bzw. Überaktivierung des sympathischen Nervensystems bedingt sind, bzw. aufrechterhalten werden; zum Beispiel bei CRPS (chronic regional pain syndrome)
Allerdings setzt sich in Fachkreisen zunehmend die Meinung durch, dass es sich bei chronischen Schmerzen im Rahmen vieler Krankheitsbilder, wie zum Beispiel Krebserkrankungen, rheumatischen Erkrankungen oder nach Operationen, um ein sogenanntes Mixed-Pain-Syndrom handelt, das sowohl eine nozizeptive, als auch eine neuropathische Komponente besitzt. Die Neurostimulation könnte in Zukunft also möglicherweise auch hier Anwendung finden. Für einige spezielle Krankheitsbilder, bei denen ein Mixed-Pain-Syndrom vorliegt, zeigen sich in Studien bereits gute Erfolge. Dazu gehört das Postnukleotomie-Syndrom, bei dem nach einer Operation an den Bandscheiben oder anderen Eingriffen im Bereich des Spinalkanals persistierende Schmerzen bestehen.
Periphere Nervenfeldstimulation (PNFS)
Das Verfahren und der Ablauf bei einer PNFS sind sehr ähnlich wie bei der bereits beschriebenen PNS. Bei der PNFS werden ebenfalls Elektroden zur Schmerzbehandlung eingesetzt, die elektrische Impulse abgeben. Bei diesem Verfahren werden diese jedoch nur ca. 1cm unter der Haut (subkutan) platziert. Die elektrischen Impulse werden von einem Generator erzeugt, welcher am Gesäß implantiert wird. Die periphere Nervenfeldstimulation (PNFS) ist vor allem bei älteren Patienten bestens indiziert, da sie weniger invasiv ist, die Operationsdauer kürzer ist und keine Gefahr besteht, die Nerven zu verletzen.
Indikationen zur peripheren Nervenfeldstimulation (PNFS) sind Schmerzen in einem umschriebenen Areal mit einem Durchmesser von ca. 10 cm.
Okzipitale Nervenstimulation (ONS)
Die ONS stellt eine besondere Variante der peripheren Nervenfeldstimulation dar. Die Elektroden für die Stimulation liegen hier im Unterhautfettgewebe des Nackens über dem Austrittspunkt des großen Hinterhauptnervs (Okzipitalnerv). Der eigentliche Schrittmacher kann an der Brust oder am Gesäß platziert werden. Die Stimulation braucht häufig mehrere Wochen, bis eine deutliche Schmerzreduktion eintritt. Die Wirkweise der Stimulation wird durch Beeinflussung der elektrischen Regulation im Hirnstamm erklärt.
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Medikamentenpumpe
Bei schweren chronischen Schmerzsyndromen sind häufig sehr hohe Dosierungen von Medikamenten notwendig, welche dann ein entsprechendes Spektrum an Nebenwirkungen bieten. Eine Alternative besteht hier mittels intrathekaler Abgabe der Medikamente. Um die Nebenwirkungen zu minimieren, aber gleichzeitig eine hohe wirksame Dosis zu erreichen, ist es möglich, gewisse Medikamente direkt in das Nervenwasser abzugeben. Der therapeutische Effekt ist zwischen 100 bis 300 mal stärker als eine Tablette, die Nebenwirkungen sind aber viel geringer. Die Patienten erhalten operativ eine kleine Pumpe unter die Haut implantiert, die über einen Schlauch das jeweilige Medikament direkt an das Nervensystem abgibt. Je nach verwendeter Pumpe kann der Tank, der sich in der Pumpe befindet, bis zu 40ml Medikament enthalten. In regelmäßigen Abständen (meist ein Mal pro Quartal), wird die Pumpe ambulant in unserer Klinik befüllt.
Motorkortexstimulation
Bei Schmerzen im Gesicht, die nicht über eine direkte Stimulation des Nerven zu behandeln sind, oder die sich zu großflächig darstellen, besteht die Möglichkeit, direkt den sogenannten Motorkortex zu stimulieren. Zunächst wird der Bereich der Gehirnoberfläche lokalisiert, der die Bewegung des schmerzenden Körperareals steuert. Diese Befunde werden mit einem aktuellen MRT in Einklang gebracht und dienen während der Operation als Landkarte. Es wird nun zielgenau über ein kleines Bohrloch am Schädel eine Elektrode direkt auf die harte Hirnhaut über dem Zielbereich gelegt. Durch eine Hirnstrommessung (EEG) kann die korrekte Lage bestätigt werden. Danach wird ein Stimulator, der die Stimulation dauerhaft steuert, unterhalb des Schlüsselbeins implantiert. Das gesamte System liegt dann unter der Haut.
Ablauf der Behandlung mit Neuromodulation
Da das Verfahren nur bei bestimmten Schmerzentitäten erfolgreich ist, steht am Beginn der Behandlung eine umfassende Anamnese und Untersuchung, um herauszufinden, ob die Patientin oder der Patient zu einer Gruppe gehört, die von einer Neurostimulations-Therapie profitieren kann. Weiterhin erfolgt eine Aufklärung über das gesamte Verfahren, auch darüber, dass in vielen Fällen zwar eine Schmerzreduktion, aber keine völlige Schmerzfreiheit erreicht werden kann. Dieses Erwartungsmanagement ist besonders wichtig, da sich enttäuschte Erwartungen negativ auf den Verlauf einer chronischen Schmerzerkrankung auswirken können.
Die Elektroden werden in einem kleinen operativen Eingriff auf die Rückenmarkshaut implantiert. Bei der niederfrequenten Stimulation muss der Eingriff in lokaler Betäubung erfolgen, da zur Lagekontrolle der Elektroden testweise elektrische Impulse abgegeben werden und der Patient bestätigen muss, ob der Bereich, in dem er ein Kribbeln spürt, mit dem schmerzhaften Bereich übereinstimmt. Für hochfrequente Neurostimulation kann die Implantation in Vollnarkose erfolgen, da die Lokalisation hier weniger genau sein muss.
Im Anschluss an die Operation wird eine Testphase von mehreren Tagen bis Wochen durchgeführt. Durch einen Impulsgenerator außerhalb des Körpers findet die Neurostimulation statt. Können die Schmerzen während der Testphase um mindestens die Hälfte reduziert werden, gilt dies als Ansprechen auf die Behandlung. Dann wird der Impulsgenerator in der Regel unter die Haut des Unterbauchs oder des Gesäßes implantiert.
Die weitere Behandlung sollte in Anbindung an eine fachärztliche Betreuung mit regelmäßigen Vorstellungen stattfinden.
Vorteile und Nachteile der Neuromodulation
Vorteile:
- Schmerzlinderung: Die meisten Patienten berichten von einer deutlichen Schmerzlinderung, z.T. 50 bis zu 80 %. Viele können im Zuge dessen ihre Schmerzmedikamente stark reduzieren.
- Verbesserung der Lebensqualität: Chronische Schmerzpatienten können manche Dinge erst wieder möglich machen.
- Reduktion des Medikamentengebrauchs: Die PNS kann dazu beitragen, den Bedarf an Schmerzmitteln, insbesondere an Opioiden, zu verringern, was wiederum das Risiko von Nebenwirkungen und Abhängigkeit reduziert.
- Reversibilität: Es wird kein Nervengewebe zerstört und das Verfahren ist damit reversibel.
Nachteile:
- Gerätekomplikationen: Nach der Implantation kann es zu Komplikationen mit dem Gerät kommen. So kann der Impulsgenerator ausfallen, ein Kabel brechen oder sich die Elektrode verlagern.
- Missempfindungen: Bei manchen Patienten kommt es durch die Stimulation zu unangenehmen Empfindungen wie Kribbeln oder Ameisenlaufen.
- Nachlassende Wirkung: In einigen Fällen lässt eine zunächst gute Wirkung relativ schnell wieder nach. Dann versuchen die Ärzte meist, den Stimulator anzupassen oder auszutauschen.
- Nachsorge: Die Geräte müssen regelmäßig kontrolliert, evtl. Austausch der Batterie. Bei nicht wiederaufladbaren Systemen ist nach einigen Jahren ein Austausch der Batterie erforderlich. Das bedeutet einen weiteren Eingriff.
- Operative Risiken: Wie bei allen operativen Eingriffen kann es auch bei der Implantation von Elektroden und Impulsgenerator zu Infektionen oder Störungen der Wundheilung kommen. Gleiches gilt für eine mögliche Schädigung von Nerven und Rückenmark.
Für wen ist die Neuromodulation geeignet?
Die Methode ist vor allem für die Patienten geeignet, deren Rückenschmerzen oder Ischiasschmerzen durch eine Operation nicht gelindert werden konnten (Failed-Back-Surgery-Syndrom). Auch bei dauerhaften, quälenden Nervenschmerzen nach Nervenschädigungen oder bei Erkrankungen wie dem Morbus Sudeck, nach einer Gürtelrose oder im Rahmen einer diabetischen Polyneuropathie kann die Neuromodulation in Betracht gezogen werden. Außerdem wird die Methode zur Behandlung von Patienten mit schweren Durchblutungsstörungen eingesetzt, bei denen Medikamente oder Gefäßoperationen nicht geholfen haben.
Patienten, die eines oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllen, sind für die Behandlung nicht geeignet:
- Nicht behandelte psychiatrische Erkrankungen
- Substanzmissbrauch bzw. -abhängigkeit
- Schwere Gerinnungsstörungen
- Andere Implantate, die elektrische Impulse generieren (z.B. Herzschrittmacher)
- Krebserkrankung im späten Stadium
- Infektionen im Implantationsbereich
Kostenübernahme
Bei entsprechender medizinischer Indikation werden die gesamten Kosten der Neurostimulation von gesetzlichen und privaten Krankenkassen übernommen.
Spezialisten für Neuromodulation
Die Rückenmarkstimulation erfolgt unter schmerzmedizinischer Betreuung. Darauf können sich Fachärztinnen und Fachärzte verschiedener Bereiche durch entsprechende Weiterbildung im Bereich der speziellen Schmerztherapie spezialisieren. Die Implantation der Elektroden wird durch eine Neurochirurgin oder einen Neurochirurgen durchgeführt. Häufig wird die Therapie daher in interdisziplinären Praxen oder Kliniken angeboten.
Fazit
Die Nervenstimulation stellt eine innovative und vielversprechende Therapieoption zur Behandlung chronischer Schmerzen nach Operationen dar. Durch die gezielte Beeinflussung der Nervenaktivität können Schmerzen gelindert und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessert werden. Es ist jedoch wichtig, dass die Methode nur bei ausgewählten Patienten und nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile eingesetzt wird.
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