Eine aktuelle Studie der Lancet-Kommission zur Prävention, Intervention und Pflege von Demenz hat zwei neue Risikofaktoren identifiziert, die zur Entwicklung von Demenz beitragen können: Sehverlust und ein hoher Spiegel von Low-Density-Lipoprotein (LDL). Diese Erkenntnisse, veröffentlicht im August 2024, erhöhen die Anzahl der vermeidbaren Risikofaktoren für Demenz auf 14. Die Experten betonen, dass durch einen gesunden Lebensstil und medizinische Vorsorge bis zu 45 Prozent der Demenzerkrankungen verzögert oder verhindert werden können.
Die wachsende Bedeutung der Demenzprävention
In Deutschland leben derzeit 1,8 Millionen Menschen mit Demenz, wobei die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form darstellt. Da Alzheimer und viele andere Demenzerkrankungen noch nicht heilbar sind und wirksame Therapien kurzfristig nicht in Sicht sind, gewinnt die Prävention immer mehr an Bedeutung. Die Menschen leben immer länger, was die Zahl der Demenzerkrankungen weiter ansteigen lässt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, Präventionsansätze zu identifizieren und umzusetzen.
Die Lancet-Kommission, bestehend aus 27 internationalen Demenzexperten, hat Forschungsergebnisse ab 2020 zusammengefasst und dabei Studien bevorzugt, die zeigen, wie sich kognitive und körperliche Reserven im Laufe des Lebens entwickeln und wie die Verringerung von Gefäßschäden wahrscheinlich zu einem Rückgang der altersbedingten Demenzinzidenz beiträgt.
Zwei neue Risikofaktoren im Detail
Abnehmendes Sehvermögen
Ein abnehmendes Sehvermögen, insbesondere im späten Lebensalter, kann das Demenzrisiko erhöhen. Die Lancet-Studie schätzt, dass das Erkrankungsrisiko um zwei Prozent gesenkt werden kann, wenn Sehschwächen, besonders im hohen Alter, ausgeglichen werden. Weltweit bleiben bei 12,5 Prozent der Menschen über 50 Jahren Sehschwächen unbehandelt.
Dr. Anne Pfitzer-Bilsing von der Alzheimer Forschung Initiative erklärt: „Ein abnehmendes Sehvermögen kann ähnliche Folgen haben wie Schwerhörigkeit. Menschen, die schlechter sehen oder hören, ziehen sich oft zurück und sind sozial weniger aktiv. Durch die soziale Isolation verarbeitet das Gehirn weniger Reize und wird weniger stimuliert. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab, und die Betroffenen haben ein höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken.“ Darüber hinaus kann soziale Isolation zu Depressionen führen, die ebenfalls zu den Demenzrisikofaktoren zählen. Nachlassendes Sehvermögen führt oft dazu, dass man sich sozial zurückzieht und eher zu Hause bleibt. Zudem gehen dem Hirn wichtige Reize verloren, es verliert an Leistung. Wer dieses Demenzrisiko senken will, sollte also rechtzeitig zum Augenarzt gehen, eine Brille tragen oder sich operieren lassen.
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Hohes Cholesterin
Zu hohe Cholesterinwerte gehören laut Lancet zu den vermeidbaren Risikofaktoren im mittleren Lebensalter und beeinflussen das Erkrankungsrisiko um sieben Prozent. Ist der Cholesterinwert im Normalbereich, zum Beispiel durch die Einnahme von Cholesterinsenkern, sinkt das Risiko auf Null. Ein hoher Cholesterinspiegel kann die Bildung von schädlichen Proteinablagerungen fördern. Diese Amyloid-Plaques sind ein charakteristisches Merkmal der Alzheimer-Krankheit.
Pfitzer-Bilsing erläutert: „Ein hoher Cholesterinspiegel kann aber auch andere Demenzerkrankungen begünstigen. Hohe Cholesterinwerte können zu Ablagerungen in den Blutgefäßen führen, die die Blutversorgung des Gehirns beeinträchtigen. Dadurch steigt das Risiko für eine vaskuläre Demenz.“ Die Aufnahme des Cholesterins in die Liste der Risikofaktoren unterstreicht die Wichtigkeit der Herz-Kreislauf-Gesundheit für die Demenzprävention. Denn Herz- und Kreislauf-Erkrankungen stehen in Zusammenhang mit einem weiteren Risikofaktor für Demenz, dem Bluthochdruck.
Eine Metaanalyse mit insgesamt 1.138.488 Teilnehmern ergab, dass jeder Anstieg des LDL-Cholesterins um 1 mmol/l mit einem Anstieg der Häufigkeit von Demenzerkrankungen aller Art um 8% verbunden war.
Weitere beeinflussbare Risikofaktoren für Demenz
Im Jahr 2020 wurden bereits zwölf Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz benannt, die mit 40% aller Demenzfälle in Zusammenhang stehen. Diese sind:
- Geringere Bildung
- Traumatische Kopfverletzungen
- Körperliche Inaktivität
- Rauchen
- Übermäßiger Alkoholkonsum
- Bluthochdruck
- Fettleibigkeit
- Diabetes
- Hörverlust
- Depressionen
- Wenig soziale Kontakte
- Luftverschmutzung
Die beiden neuen Risikofaktoren, Sehkraftverlust und hohe LDL-Cholesterinwerte, sind mit 9% aller Demenzfälle assoziiert. Davon fallen geschätzt 7% auf ein erhöhtes LDL-Cholesterin ab einem Alter von ca. 40 Jahren und 2% auf einen unbehandelten Sehverlust im späteren Leben.
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Prävention: Ein ganzheitlicher Ansatz
Die Lancet-Kommission betont, dass durch die Änderung der 14 Risikofaktoren fast die Hälfte der Demenzfälle verhindert oder verzögert werden könnte. Zur Prävention gehören sowohl politische Veränderungen als auch individuell zugeschnittene Maßnahmen. Dabei sollten diese Risikofaktoren bereits in der Kindheit angegangen werden, z. B. durch eine Verbesserung der frühkindlichen Bildung. Eine bevölkerungsbezogene Politik sollte der Chancengleichheit Priorität einräumen und sicherstellen, dass Gruppen mit hohem Risiko einbezogen werden. Maßnahmen zur Verringerung des Demenzrisikos sollten dann nicht nur früh beginnen, sondern während des gesamten Lebens fortgesetzt werden.
Lebensstiländerungen zur Demenzprävention
Viele der genannten Risikofaktoren lassen sich durch einen gesunden Lebensstil positiv beeinflussen. Dazu gehören:
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und gesunden Fetten (z.B. Olivenöl) kann dazu beitragen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Übergewicht zu senken - allesamt Risikofaktoren für Demenz. Die Mittelmeerküche hat sich hier bewährt. Wenig Zucker, wenig Fett, wenig Fleisch, viele Ballaststoffe. Rotes Fleisch und stark verarbeitete Produkte sind dort kaum zu finden, stattdessen gibt es viele frische Kräuter und ab und zu Fisch und Meeresfrüchte.
- Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität fördert die Durchblutung des Gehirns, stärkt die Nervenzellen und kann den geistigen Abbau verlangsamen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt daher mindestens 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Bewegung pro Woche.
- Geistige Aktivität: Das Gehirn will angeregt werden: Gespräche, Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten halten es fit und leistungsstark. Wer sich aus dem Sozialleben zurückzieht, dauernd niedergeschlagen ist und sich nicht mehr genügend um sich selbst kümmert, kann eine Depression die Ursache sein. Auch Depressionen erhöhen vor allem im mittleren und höheren Alter das Demenzrisiko. Wer daran leidet, sollte etwas unternehmen - mit Medikamenten, Psychotherapie oder der Kombination aus beidem. Gerade in jungen Jahren schützt geistige Anregung das Gehirn, indem sogenannte "kognitive Reserven" aufgebaut werden, die die Widerstandskraft des Hirns stärken. Auch im Erwachsenenalter ist es hilfreich, wenn man Neues lernt und seinen Geist herausfordert. Besonders wirksam ist geistige Anregung im Alltag und Beruf: viel Lesen und Spielen, Musik hören oder machen, ein neues Hobby ausprobieren oder eine Fremdsprache lernen. Das schützt das Gehirn besser als punktuelle Trainingsmethoden wie das oft empfohlene "Gehirnjogging" oder Kreuzworträtsel lösen.
- Soziale Kontakte: Soziale Isolation und Einsamkeit erhöhen das Demenzrisiko. Das Gehirn braucht Anregung: Gespräche, Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten halten es fit und leistungsstark.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum sollten vermieden werden, da sie das Risiko für Demenz erhöhen.
- Regelmäßige Gesundheitschecks: Regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Arzt können helfen, Risikofaktoren wie Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte und Diabetes frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Wer schlecht hört, gibt seinem Gehirn weniger Reize zur Verarbeitung, zudem muss es mehr Energie aufbringen, um Gesprochenes zu verstehen. Zudem steigt bei eingeschränkter Hörfähigkeit die Gefahr von sozialem Rückzug und Einsamkeit. Wer sich frühzeitig für ein Hörgerät entscheidet, unterstützt also nicht nur sein Gehör, sondern schützt auch sein Gehirn. Und nicht nur gutes Hören, auch gutes Sehen ist wichtig. Nachlassendes Sehvermögen führt oft dazu, dass man sich sozial zurückzieht und eher zu Hause bleibt. Zudem gehen dem Hirn wichtige Reize verloren, es verliert an Leistung. Wer dieses Demenzrisiko senken will, sollte also rechtzeitig zum Augenarzt gehen, eine Brille tragen oder sich operieren lassen.
Politische und gesellschaftliche Maßnahmen
Neben individuellen Maßnahmen sind auch politische und gesellschaftliche Anstrengungen erforderlich, um das Demenzrisiko in der Bevölkerung zu senken. Dazu gehören:
- Förderung von Bildung und Chancengleichheit
- Verbesserung der Luftqualität
- Schaffung von altersgerechten und inklusiven Gemeinschaften
- Förderung von Forschung und Innovation im Bereich der Demenzprävention
Weitere potenzielle Risikofaktoren
In ihrem Bericht erwähnt die Kommission auch noch weitere potenzielle Risikofaktoren, die derzeit jedoch noch als unzureichend belegt gelten, um offiziell in das Modell aufgenommen zu werden. Trotzdem sollten auch sie beobachtet und beachtet werden. Zu diesen Risikofaktoren gehören Schlaf, Ernährung, Infektionen, systemische Entzündungen, Psychosen, bipolare Störungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Menopause und Hormonersatztherapie sowie Angststörungen.
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